Tichys Einblick
Verführerisch, aber gefährlich

Nullzins und die Verführung der Geschäftsbanken

Nullzins-Geld der Zentralbanken wirkt also als unwiderstehliche Einladung zum Brechen der Bankregeln. Dafür aber wurden Zentralbanken nicht geschaffen.

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Zentralbanken üben den entscheidenden Einfluss auf nullnahe oder negative Zinsen aus, wie ein Autorenteam der Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich für den Zeitraum von 1876 bis 2016 im Jahr 2017 gezeigt hat.

Private Notenbanken haben Kreditnehmer eingeworben und zugleich Geld für sie geschaffen. Da dieses Geld eine Forderung gegen ihr dabei zu belastendes Eigenkapital war, mussten sie für eben diese Belastung Zins nehmen. Darin bestand ihr Geschäft. Negative Zinsen waren deshalb unvorstellbar. Im zweistufigen Bankensystem werben Geschäftsbanken immer noch um Kreditnehmer – also Eigentum verpfändende Schuldner – , müssen sich aber ihrerseits das Geld bei Zentralbanken besorgen.

Zentralbanken können den Konnex zwischen der Eigentumsprämie auf unbelastetes Eigenkapital und dem Zins als Ertrag für seine Belastung bei der Geldschaffung durchbrechen. Ihnen steht nämlich mit dem Staat eine Instanz zur Verfügung, die ihnen frisches Eigenkapital geben kann, wenn das bisherige aufgebraucht ist. Da der Staat kraft seiner Gewalt Zugriff auf das Eigentum aller Bürger hat, kann er sich in ihrem Namen verschulden und solche Forderungen gegen sich den Zentralbanken als Eigenkapital übertragen. Sie können deshalb auf Zinsforderungen verzichten und sich auf Pfänder der Geschäftsbanken für das Risiko der Nichttilgung beschränken.

Solange die Bürger eines Staates über mehr unbelastetes Eigentum verfügen, als von ihm durch Verschuldung potentiell in Dienst genommen wird, agiert das Publikum ohne Sorge vor einem Staatsbankrott. Selbst bei Aufzehrung des Eigenkapitals der Zentralbank entsteht mithin bei einem solchen Kontext keine Unruhe, weil der Staat als Eigenkapitalgeber letzter Hand an die Zentralbank bereitsteht.

Für die Geschäftsbanken ist Nullzins verführerisch, aber auch gefährlich. Das verdeutlicht  Charles „Chuck“ Prince, Citigroup CEO, am 10. Juli 2007 in der Financial Times: „When the music stops, in terms of liquidity, things will be complicated. But as long as the music is playing you‘ve got to get up and dance. We are still dancing.“

Die Geschäftsbanken müssen aufgrund gegenseitiger Konkurrenz das Nullzinsgeld nehmen. Sie wären ja wahnsinnig, auf vier Prozent zu warten, während alle anderen bei 0 Prozent zugreifen. Sie machen sich aber umgehend verwundbarer als zuvor, weil die Nullzinskredite der Zentralbank das Eigenkapital der Geschäftsbanken, mit dem sie ihrerseits neue Ausleihungen an Dritte unterlegen müssen, nicht erhöhen.

Die Geschäftsbanken hätten nun zweierlei tun müssen. Sie hätten neues Eigenkapital einwerben müssen. Das aber gibt ihnen niemand für 0 Prozent. Überdies hätten sie neue Kreditsucher finden müssen, die bisher keinen Kreditgeber gefunden haben, obwohl sie beste Pfänder anbieten konnten. Solche erstklassigen Kunden aber gibt es nicht plötzlich zusätzlich, weil sich die Banken immer um sie reißen.

Im Ergebnis wurden also Kredite vergeben, die unzureichend mit Eigenkapital unterlegt waren und deren Schuldner kein ausreichendes Pfand hatten. Um das zu verstecken, wurden diese windigen Kredite aus den Büchern genommen und weltweit verkauft. Die Folgen sind die Krise von 2007/2008.

Nullzins-Geld der Zentralbanken wirkt also als unwiderstehliche Einladung zum Brechen der Bankregeln. Dafür aber wurden Zentralbanken nicht geschaffen. Sie sollten in Standardkrisen solvente Banken vor Illiquidität schützen. Walter Bagehot (1826-1877) hat diese Aufgabe in Lombard Street (1871) formuliert:

„Erstens: Für die Kredite [an die Geschäftsbanken] ist ein sehr hoher Zinssatz zu verlangen. Das wird sich als schwere Ahndung für irrationale Ängste auswirken und so die Mehrzahl der [Kredit]-Anträge von Bankern verhindern, die sie gar nicht brauchen. /

Zweitens: Zu diesem hohen Zins soll gegen alle guten Banksicherheiten so viel ausgeliehen werden, wie das Publikum verlangt. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen. Es soll eine unnötige Unruhe im Keim erstickt werden. […] Unruhe entsteht durch das Abweisen von Kunden, obwohl sie Sicherheiten anbieten können.“

Der Autor wäre dankbar für jeden Hinweis auf klügere Anweisungen aus der mehr als zweihundertjährigen Geschichte der Zentralbanken. Nun ist die Welt voll mit Leuten, die fürs aktuelle Geschäft frisches Geld „gar nicht brauchen“, aber bei Nullzins verständlicherweise zugreifen. Doch auch sie müssen am Ende tilgen.


Gunnar Heinsohn (*1943) ist (mit Otto Steiger) Autor von Ownership Economics (Routledge 2013) und Eigentum, Zins und Geld (Metropolis, 8. Auflage 2017).

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