Platz für Fahrräder: Stadtverwaltungen bremsen Autoverkehr aus

In Brüssel, Berlin und anderen Städten wird die Coronakrise zum Anlass, Fahrradwege auszubreiten und den Autoverkehr einzuschränken. Dabei steigt bei den Bürgern das Bedürfnis nach dem eigenen Auto wieder.

imago Images/ZUMA Wire
Mehr Platz für Radfahrer in Brüssel - Busse und Bahnen, Autos und LKW Tempo 20 in der Stadt.

Das Corona-Virus macht es möglich: Die Brüsseler Innenstadt wird nahezu autofrei. Fußgänger und Radfahrer dürfen sich breitmachen. Immerhin sollen sie einen Mindestabstand von 1,50 Metern untereinander einhalten, weil diese Distanz vor der Infektion schützen soll.

»Social distancing« benötigt Platz und kostet wertvollen innerstädtischen Raum. Daher habe, wie eine Sprecherin des Brüsseler Bürgermeisters gegenüber dpa erklärte, die Stadt entschieden, Fußgängern und Radfahrern Platz zu schaffen. Sie müssen sich nicht mehr an die Straßenbegrenzungen halten, sondern dürfen im Zentrum der belgischen Hauptstadt auch die Straßen selbst benutzen. Alles, was vier Räder und mehr hat, muss sich hinter Fußgängern und Radfahrern gewissermaßen anstellen. Autos, Busse und Lastwagen dürfen höchstens 20 km/h fahren und müssen Fußgängern sowie Radfahrern Vorrang einräumen.

Drei Monate lang soll diese Regelung gelten und danach überprüft werden. Einem Bericht des Deutschlandfunks zufolge fürchteten sich Fußgänger vor einer höheren Gefahr durch Unfälle. Politiker argwöhnen, dass sich Menschen durch die neuen Freiheiten aufgerufen fühlten, sich in der Innenstadt zu versammeln.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Klub ADFC begrüßt die Brüsseler Entscheidung und zieht daraus die Erkenntnis, dass die Coronakrise dazu beitrage, den Autoverkehr zu vermindern. Währenddessen versuchen Städte, im Schatten der Coronakrise vermehrt Autospuren in Radwege umzuwandeln und damit weiter den Autoverkehr auf den innerstädtischen Straßen zu begrenzen. In Berlin geschieht das noch mit dem begrenzenden Zusatz »temporär«.

In Köln hat die Oberbürgermeisterin den Umbau von Straßen zu Radwegen vorgeschlagen und will gleichzeitig die Innenstadt allgemein in eine Tempo-30-Zone umwandeln. Auf einigen gut ausgebauten Straßen sind bereits kurzerhand solche Geschwindigkeitsbeschränkungen eingerichtet worden. In Verbindung mit dem neuen Bußgeldkatalog dürfte sich diese Praxis zu einer guten neuen Einnahmequelle der Stadt entwickeln.

Allerdings stehen diese Aussagen im Kontrast zu Wünschen und Plänen vieler, die vor allem mobil sein müssen. So hat die Beratungsgesellschaft Capgemini immerhin 11.000 Menschen über die Auswirkungen der Pandemie auf ihre individuelle Mobilität befragt. Ergebnis: 45 Prozent der Jüngeren, die bislang kein eigenes Auto besaßen, denken dieser Umfrage zufolge an die Anschaffung eines eigenen Autos. Diejenigen, die bisher eher Bus, Bahn oder Carsharing benutzt hätten, würden jetzt das eigene Auto bevorzugen.

Mit dazu beigetragen haben dürften die Erkenntnisse aus der Coronakrise, dass gefüllte Busse und Bahnen für Viren beste Ausbreitungsmöglichkeiten bieten. Davor kann auch ein Mundschutz nicht schützen, der nach einigem Gebrauch selbst zur Bakterien- und Virenschleuder wird.

Fahrräder, erst recht jene viel gepriesenen schweren Lastenfahrräder taugen nur für kürzere Strecken bei schönem Wetter und versagen in der Regel bei kritischen Wetterlagen in Herbst und Winter.

Mobilitätsdienstleister, die Carsharing und E-Scooter anbieten, spüren starken Nachfragerückgang. Dagegen wachse die Lust am eigenen Auto wieder. Das ergibt weiterhin eine Umfrage der Boston Consulting Group BCG, die 5000 Menschen befragt hat. Unklar sei nach Einschätzung der BCG, ob sich viele aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheiten tatsächlich ein eigenes Auto kaufen oder eher auf andere Modelle wie beispielsweise Auto-Abos einlassen werden.

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Kommentare ( 72 )

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Medienfluechtling
3 Jahre her

Das geht m.E. auch nur deshalb, weil von den Berufskraftfahrern kaum noch einer Deutsch spricht und die alles mitmachen was „die Deutschen“ sich einfallen lassen. Fragen Sie mal einen Taxi Fahrer was der von den üblichen Umbaumaßnahmen einer Stadt hält…

Medienfluechtling
3 Jahre her

Warum sich da kein Automobil Club für interessiert ist mir schleierhaft. Der ADAC hat ein Vakuum hinterlassen. Wer von den hier Versammelten in einem Auto-Club ist, sollte besser Kontakt aufnehmen als sich hier auszuheulen. Aber wundern Sie sich nicht über die Antworten…

Gruenauerin
3 Jahre her

Eine Bemerkung am Rand. Da hatte doch jemand die Idee, Getränkelieferungen mit Lastenfahrrad zu machen. Ich fasste das schon damals als einen Joke auf. Große Plakate, Migranten mit Lastenfahrrädern darauf. Ich habe ein einziges Mal so ein Lasenfahrrad gesehen, kurz nach der Ankündigung. Jetzt fahren nur noch Autos zur Getränkelieferung von dieser Firma bei uns herum.

Gruenauerin
3 Jahre her

Bei uns wird das im MDR so instrumentiert: Überschrift – Der Run auf die Fahrradläden. Die verkaufen, verkaufen, verkaufen … Dabei, wenn man in die Fahrradläden schaut, die dort in dem Beitrag gezeigt werden, stehen Fahrräder massenhaft herum. Wenn man dem Beitrag glauben soll, müssten wir langsam chinesische Fahrradverhältnisse haben, wie es sie mal dort gab.

Andreas aus E.
3 Jahre her

Fahrrad mag ich, ÖPNV meide ich. Weil ich keine Lust hab anderer Leute Musik oder Telephongespräch mitzuhören. Aber da ist noch ein anderer Grund, den zu nennen jeden Willkommensgutmenschen (selbst natürlich im Auto unterwegs) zur Weißglut treibt…

tunix
3 Jahre her

Hallo Schweigende Mehrheit, also was ich manchmal sehe sind 40-Tonner [1], die im Autostau stehen oder nur kriechend mit ca. 5 km/h voran kommen. Radfahrende kommen in der Regel schneller voran, sodass kein Konflikt entsteht. Und wenn der Autoverkehr erheblich eingeschränkt würde, dann könnte der 40-Tonner sogar mit 30 km/h die Supermärkte beliefern und die Kunden könnten mit dem Lastenfahrrad ihre Wochenendeinkäufe tätigen. Vielleicht sollten Sie im nächsten Winter einfach mal versuchen, im Schneetreiben bei Null Grad mit dem Fahrrad Getränke einzukaufen – es funktioniert, man muss es einfach nur wollen. [1] Sicherlich kommt das Eigenwicht/Nutzlastverhältnis eines 40-Tonners nicht an… Mehr

Gruenauerin
3 Jahre her
Antworten an  tunix

Tja, dass stelle ich mir lustig vor. Ich, die 70-jährige Oma, holt Getränkekästen aus dem Supermarkt bei Schnee und Eis mit dem Lastenfahrrad. Geht’s noch? Ein bisschen normalen Verstand sollte man doch schon erwarten können. Und wenn Sie das so toll finden, müssen Sie nicht unbedingt uns Normalos das schmackhaft machen wollen. Wenn ich die vielen alten Leute auf Fahrrädern sehe, frage ich mich manches Mal, wie man in dem Alter so leichtsinnig sein kann.

tunix
3 Jahre her
Antworten an  Gruenauerin

Anekdoten-Gegenbeweis: ich kenne mehrere über 70 jährige Frauen, die locker ihre Einkäufe mit dem Fahrrad erledigen, auch bei Schnee und Eis. Natürlich gibt es auch Menschen, die auf Grund von körperlichen oder geistigen Einschränkungen ein Fahrrad nicht sicher bedienen können. Aber die sind mit Sicherheit in der Minderzahl und für diese gibt es Lösungen, um auch ihnen ein vernünftiges Leben zu ermöglichen (z.B. ganz aktuell flaschenpost.de – liefert Getränke direkt in den Keller) PS: Wenn ich die vielen alten Leute im Autos sehe, frage ich mich manches Mal, wie man in dem Alter so leichtsinnig sein kann. Mit einem Auto… Mehr

Gruenauerin
3 Jahre her
Antworten an  tunix

Das mag ja sein, aber ich spiele mit meinem Leben nicht Hasard, man kann mit Auto mehr Menschen verletzen und töten, man kann mit vielem mehrere Menschen verletzen und töten, aber auf dem Fahrrad bin ICH diejenige, der schneller getötet werden kann. Sie sind ein Fahrradfreak, aber deshalb müssen Ihnen nicht alle folgen. Es macht sich auch nicht gut, alle anderen Menschen unbedingt belehren zu müssen. Es ist IHRE Entscheidung das Fahrrad zu benutzen. Es reicht, wenn sie das einmal sagen. Sie mögen das als angenehm ansehen, ich dagegen und viele andere finden es einfach nur doof. Entschuldigen Sie bitte… Mehr

kdm
3 Jahre her

Ich verzichte seit 21 Jahren ganz bewusst auf (m)ein Auto. Der Stress (z.B. Parkplatzsuche hier in Berlin) und die Kosten hatten mich damals ganz privat überzeugt. Ich fand es auch gut, als in Zürich mal probiert wurde, die Stadt humaner zu machen; autofrei. Es ging wohl recht gut dort, die Bevölkerung machte mit und auch die Schlippsträger der Banken in ihren Einheitsanzügen fuhren nun Straßenbahn und waren keineswegs angepisst. So berichtete man jedenfalls damals. Trotzdem bin ich nun gegen diese staatlichen Eingriffe. Es ist ja seit einiger Zeit nicht der einzige Versuch sozialismusfreundlicher Politiker, unsere Rechte peu à peu einzugrenzen,… Mehr

Andreas aus E.
3 Jahre her
Antworten an  kdm

Es ist ja ein großer Unterschied, ob man freiwillig ohne Auto unterwegs ist (ich auch) oder ob man von Obrigkeit gezwungen drauf verzichtet.
Schon aus Trotz gegen Bevormundung würde ich jetzt glatt auch zu Briefkasten oder Bäcker kraftfahren, am besten mit schwerem LKW 😉

Gruenauerin
3 Jahre her
Antworten an  kdm

Fahrradfreundliche Innenstadt: Genau deshalb komme ich nicht mehr in die Innenstadt. Man hat Mühe zu parken, man muss hohe Parkgebühren zahlen, nur um In-Restaurants mit Nudeln zu besuchen und Geschäfte, die den gleichen Müll anbieten, wie die am Stadtrand oder im Onlinehandel? Mit der Straßenbahn oder der S-Bahn will ich wegen des Platzmangels nicht fahren mit oder ohne Corona. Nicht zu vergessen, dass sich die Klientel, die die Innenstädte unsicher macht, nicht mein Ding ist.

Albert Pflueger
3 Jahre her

Als Vielradler, aber auch Auto- und Rollerfahrer, lehne ich die immer weitere Unterdrückung des motorisierten Individualverkehrs ab! Unterschiedliche Nutzer der Straße gegeneinander aufzuhetzen, statt Gemeinsamkeit zu fördern, ist ja wohl der aktuelle Stil. Irgendwie müssen „Haß und Hetze“, die von den Akteuren so lautstark beklagt werden, ja angestachelt werden. Irgendwelche „Gruppen“ mit gemeinsamen, abgrenzenden Merkmalen zu definieren und sich dann ungefragt lauthals zu deren Interessensvertreter aufzuschwingen, ist die übliche Methode, wie sich bedeutungslose Knallchargen Einfluß verschaffen können.

tunix
3 Jahre her
Antworten an  Albert Pflueger

Hallo Albert,
vollkommen richtig – eine Unterdrückung des Individualverkehrs darf es nicht geben. Die Radfahrenden auf gehören wie alle Fahrzeuge auf die Fahrbahn, da es sich um gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer handelt.

Fahrrad -> Fahrbahn

Albert Pflueger
3 Jahre her
Antworten an  tunix

Wenn dafür dann alle Radwege und Busspuren zurückgebaut würden, damit es flott voran geht, warum nicht, dann ist ja genug Platz!

Franz Reinartz
3 Jahre her

Also das Verhalten entbehrt nicht einer gewissen Konsequenz. Wenn „post-coronal“ die Läden in den Innenstädten zu einem Teil dichtmachen werden, brauchen weder Personal noch Rest-Kundschaft „autofähige“ Straßen mehr. Das wird zur Schließung weiterer Läden führen, der Kreislauf der städtischen Renaturierung kommt in Gang und Füchse, Wildschweine und Rehe besuchen dann auch die Parks in den Innenstädten und nicht nur die Vorort-Gärten. Die Stadtbewohner haben das demokratisch so gewählt, dann sollen sie sich mal nicht so haben. Ich habe in der Kleinstadt fast alles, was ich brauche. Und was ich nicht bekommen kann, liefert der „freundliche“ Internet-Handel.

Indigoartshop
3 Jahre her
Antworten an  Franz Reinartz

Sehe ich auch so. Soll das Volk in seinem Mief versinken, schließlich selbst dafür verantwortlich. Bin heilfroh drei Kreuze! daß ich aus dem shithole Berlin raus bin. Bin derzeit am überlegen, ob ich mir noch einen Triumph, MG oder Jensen zulege. Hier gibt‘ Alleen bis zum Horizont, und kein grüner Spinner latscht oder radelt mir vor den Kühler. Das Leben kann so schön sein!

tunix
3 Jahre her
Antworten an  Franz Reinartz

Hallo Franz,

Corona hat durchaus auch etwas Gutes (wie jede Krise). Die Wandlungsprozesse werden beschleunigt und die „autofähigen“ Straßen werden überflüssig. Wildschweine sollten eventuell nicht in den Innenstädten herumlaufen, aber gegen Füchse und Rehe hätte ich nichts einzuwenden.

Und manche Menschen leben lieber in einer großen Stadt – andere bevorzugen die Kleinstadt. Und wie Sie schon richtig erkannt haben, das Internet kann liefern…

Fahrrad -> Fahrbahn

elly
3 Jahre her

Auf SPON ist ein Jammerartikel der Einzelhändler. „Einzelhandel in der Krise Kurz vor Ladenschluss Zögerlich kehrt die Shoppinglust zurück.“ https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/corona-krise-haendler-geraten-in-not-trotz-rueckkehr-ihrer-kunden-a-17a9b8e3-8048-4fce-9889-0ccea3b18aa8 und wer die Kommentare liest, erkennt, dass viele den Grund nur in der Maskenpflicht und Hygienevorschriften sehen. Das zeigt wieder einmal, wie wenig gesunder Menschenverstand bei zu vielen Leuten existiert. Neben der Tatsache, dass viele Einzelhändler noch immer denken, es genüge Ware in Geschäften feil zu bieten, sind es auch Maßnahmen wie die hier beschriebenen. Es werden sich nur wenige in irgendein ÖPNV Verkehrsmittel setzen und in Innenstädte fahren, um dann genau die Ware zu sehen, die auch online angeboten… Mehr