Euro-Opfer Griechenland – grausige Lage und verlorenes Kapital

Bundesregierung und viele Medien bejubeln die wirtschaftliche Lage Griechenlands. Doch das Land ist in einer verheerenden wirtschaftlichen Lage - und das Geld des Steuerzahlers verloren, analysieren Marc Friedrich und Matthias Weik.

ARIS MESSINIS/AFP/Getty Images

Längst scheint vergessen zu sein, dass Griechenland den Eintritt in die Eurozone erschlichen hat. Hierzu dienten manipulierte Daten (sogenannte Zinstausch (Swap)-Geschäfte, die griechische Defizitzahlen verschleiern) und die Hilfe der US-Investmentbank Goldman Sachs, deren Vizepräsident damals in Europa interessanterweise Mario Draghi hieß. Jetzt verkünden EU-Politiker freudig, dass es in dem faktisch bankrotten Staat aufwärts geht und Griechenland nicht mehr auf Hilfe angewiesen ist und den Rettungsschirm verlässt. EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici frohlockte sogar: „Die griechische Krise ist heute Abend vorbei“. Ist dies tatsächlich der Fall, oder ist der Sachverhalt doch ein anderer? Steht das Land tatsächlich so positiv da, wie uns von der Politik suggeriert wird? Wird der Steuerzahler von der Politik abermals hinters Licht geführt? Schauen wir uns die Fakten an:

Seit 2010 musste der Mittelmeerstaat mehrfach durch die Euro-Partner und den Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Insgesamt bekam Griechenland seitdem fast 274 Milliarden Euro. Athen musste im Gegenzug für die Bevölkerung furchtbar schmerzhafte Reformen umsetzen. Wir sagen knallhart: Das Land wurde kaputt gespart. Am 20. August 2018 endet das dritte griechische Hilfsprogramm mit einem Gesamtvolumen von 86 Milliarden Euro. Ausgezahlt wurden davon bisher 46,9 Milliarden Euro.

Ex-Bundesfinanzminister Schäuble täuscht

Mit dem Versprechen, dass der IWF auch bei eben diesem dritten Hilfspaket für Athen mitmacht und eine finanzielle Beteiligung des IWF „unverzichtbar“ sei, hat der ehemalige Finanzminister und aktuelle Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Schäuble die Griechenland-Hilfen durch den Bundestag gebracht. Jetzt laufen sie bald aus und es stellt sich heraus: Schäuble hat die Öffentlichkeit getäuscht. Der Bundestag hat dem dritten Hilfspaket lediglich in der Erwartung zugestimmt, dass sich der IWF daran beteiligt. Der IWF glaubt jedoch den Euro-Optimisten offensichtlich schon lange nicht mehr. Dieser geht berechtigterweise davon aus, dass Griechenland ohne einen Schuldenschnitt nicht mehr wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Beim IWF hat sich seit Längerem die Erkenntnis durchgesetzt, dass man schlechtem Geld kein gutes Geld mehr hinterherwerfen sollte. Folglich ist auch kein weiteres Geld mehr vom IWF geflossen. Aber dies ist nicht das erste gebrochene Versprechen von Bundestagspräsident Schäuble in der Causa Griechenland. Schon 2012 verkündete er lautstark: „Es wird kein zweites Rettungspaket für Griechenland geben.“ Griechenland hat im Enddefekt sogar drei davon bekommen und wir sind uns sicher, auch ein viertes Paket wird kommen.

Jetzt soll abermals Geld nach Athen fließen. Deutschland und die übrigen Europartner einigten sich auf eine „letzte“ Milliardentranche an Athen in Höhe von 15 Milliarden Euro aus dem laufenden Rettungsprogramm zum Aufbau eines Finanzpuffers. Obendrein muss Griechenland mit der Schuldenrückzahlung aus dem zweiten Hilfsprogramm zehn Jahre später beginnen. Ursprünglich hätte Griechenland im Jahr 2023 die ersten Raten zurücküberweisen müssen. Dies ist nichts weiter als ein verkappter Schuldenschnitt. Auf Grund der Inflation wird der einst vergebene Kredit wird im Laufe der Jahre immer weniger wertvoll. Beispielsweise entwertet einen relativ niedrige Inflationsrate über 10 Jahre in Höhe von 1,5 Prozent einen Kredit um knapp 14 Prozent. Ein Schuldschein in Höhe von einer Milliarde Euro wäre dann nur noch rund 860 Millionen Euro wert.

Acht Jahre lang benötigte Griechenland Notkredite, um seine Ausgaben finanzieren zu können und jetzt soll alles besser sein?

Politik und Presse überschlagen sich mit Jubelmeldungen 

Griechenland verzeichnet inzwischen wieder ein Wirtschaftswachstum (1,7 Prozent 2017) und einen Haushaltsüberschuss von 0,8 Prozent. Man geht davon aus, dass Griechenland ab sofort wieder Kredite auf dem freien Finanzmarkt aufnehmen kann. Auf die Konditionen und die Anzahl der Interessenten sind wir mehr als gespannt.
Woher kommt das „angesparte“ Geld des griechischen Staates? Ein Teil davon gewiss von Steuereinnahmen sowie vom Veräußern von Volkseigentum. Wichtige Teile der griechischen Infrastruktur wurden privatisiert (Fraport hat z.B. mehrere Flüghäfen übernommen) und somit ein für alle Mal aus den Händen des griechischen Staats. Ein anderer Teil, weil Renten noch nicht oder nur teilweise ausbezahlt wurden und weil der Staat viele Leistungen an seine Bürger nicht erbracht hat. Ferner wurden griechische Renten bereits um 60 Prozent (!) gekürzt. 2019 werden sie erneut gekürzt werden. Was wäre bei uns im Land los, wenn der Staat zu solchen Maßnahmen greifen würde?

Wie steht es tatsächlich um Griechenland?

Die griechische Bankenlandschaft befindet sich immer noch in einem besorgniserregenden Zustand. Die sogenannten „non-performing loans“ (NPLs) (Kredite, welche seit mehr als 90 Tagen nicht mehr bedient werden) liegen im Schnitt bei 48,5 Prozent aller Kredite – hiervon waren im ersten Quartal 2018 knapp 43,9 Prozent der Immobilienkredite, 57,2 Prozent der Konsumentenkredite und 49,6 Prozent der Unternehmenskredite notleidend. In Deutschland sind es gerade einmal 2,5 Prozent. Die NPLs werden von der EU, der Bundesregierung und Finanzminister Scholz als „Ergebnis der Finanz- und Euro-Krise von 2007/10“ und damit als „vorübergehende Altlast“ dargestellt! Jedoch steigt die NPL-Quote noch immer. Die EU, die EZB und Scholz reden das Thema offensichtlich schön, weil der Abbau der NPLs ihre selbsterklärte Voraussetzung für die Einführung von EDIS (Bankeinlagen-Vergemeinschaftungs-System) ist! Die NPL-Altlasten werden darum medial-politisch klein- und weggeredet. Sie gehen aber nicht einfach weg.

Die Einkommen der Griechen sind auf den Stand von 2003 gefallen und 40 Prozent der Griechen sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Nach wie vor sind 21 Prozent der Griechen ohne Arbeit. Unter den Jugendlichen sieht es noch schlimmer aus. Hier sprechen wir von unfassbaren 45,4 Prozent, obwohl 300.000 junge und zumeist qualifizierte beziehungsweise hochqualifizierte Griechen das Land verlassen haben, welche beim Aufbau des Landes fehlen werden. Man darf nie vergessen: Ein Land ohne Jugend ist ein Land ohne Zukunft!

Die Staatsverschuldung des Landes ist mit ungefähr 330 Milliarden – das sind knapp 180 Prozent der Wirtschaftsleistung – exorbitant und trotz drakonischer Sparmaßnahmen, eines Schuldenschnitts im Jahr 2012 und zahlreichen Privatisierungen wieder fast so hoch wie vor dem Schuldenschnitt 2012. Der folgende Chart zeigt deutlich, dass sich die Schuldenlast seitdem wieder erhöht hat.

Anfang 2018 gab es bereits Jubelmeldungen der Presse zu Griechenland über den erzielten Überschuss von 7 Milliarden Euro. Doch bei genauer Betrachtung ist zu erkennen, dass manipuliert wurde. Zwar gab es im Haushalt der Athener Regierung im Jahr 2017 tatsächlich einen Überschuss von 1,94 Mrd. Euro, aus dem jedoch nach Zinszahlungen ein Minus von 4,2 Mrd. Euro wurde. Auch dieses Defizit ist geschönt. Addiert man die Steuerrückzahlungen und Rückstellungen für schwebende Rentenanträge hinzu, dann ergibt sich sogar ein Defizit von 6,3 Mrd. Euro!

Die Industrieproduktion ist seit dem Hoch im Jahr 2017 um 24 Prozent eingebrochen und befindet sich heute auf dem Niveau von 1994! Damit ist es für die griechische Volkswirtschaft nicht möglich, die Schulden zu begleichen.

Kein Land zahlt seine Schulden zurück – auch nicht Deutschland

Wir sollten uns von der Illusion verabschieden, dass wir das an Griechenland geflossene Geld – wir sprechen nicht von Zinsen – jemals wieder sehen werden. Kein einziges Land bezahlt seine Schulden zurück, auch nicht der Exportweltmeister Deutschland. Der einzige Grund, warum sich die Schulden unseres Landes gegenwärtig verringern, liegt daran, dass einerseits Deutschland sich auf Grund der Niedrigzinsphase historisch billig neu verschulden kann und andererseits wir Sparer keine Zinsen mehr erhalten. Der Staat entschuldet sich folglich auf Kosten von uns Bürgern.

Die Krise in Griechenland ist nicht vorbei  – sie kommt wieder

Griechenland ist immer noch hoffnungslos pleite Die Mär, dass die Rettung für Deutschland ein gutes Geschäft ist, weil 2,9 Milliarden Euro Zinsen eingenommen wurden, ist ebenfalls ein Trugschluss und pure Augenwischerei, denn diese Zinsüberschüsse wurden bereits an Athen zurücküberwiesen!

Der Euro ist nach wie vor und wird auch in Zukunft viel zu stark für das Land sein. So lange der Euro in Griechenland besteht, wird das Land niemals aus der Krise kommen, sondern weiter am Tropf und folglich dem guten Willen der zahlungskräftigen Euroländer hängen. Sobald die Konjunktur abkühlt – wovon wir ausgehen und wonach es momentan aussieht, von den Konsequenzen eines globalen Handelskriegs möchten wir überhaupt nicht sprechen – wird Griechenland wieder frisches Geld benötigen.

Wie lange werden wir noch gutes Geld schlechtem hinterherwerfen? Die Insolvenzverschleppung geht weiter auf Kosten der Bürger! Griechenland wird seine Schulden zu keiner Zeit zurückbezahlen können. Das Land benötigt einen kompletten Schuldenerlass und muss aus der Eurozone austreten. Wenn wir tatsächlich die europäische Idee im Kern am Leben erhalten wollen, braucht das Land dann einen Marshallplan wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.


Die beiden Ökonomen, Querdenker, Redner und Honorarberater Matthias Weik und Marc Friedrich schrieben gemeinsam die vier Bestseller “Der größte Raubzug der Geschichte – warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“, „Der Crash ist die Lösung – Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten“, „Kapitalfehler – Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen“ und „Sonst knallt´s!: Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen“. Weitere Informationen über die Autoren finden Sie unter: www.friedrich-weik.de, bei Facebook und bei Twitter.

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Kommentare ( 81 )

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Wolfsohn
5 Jahre her

Frage: „Was wäre bei uns im Land los, wenn der Staat zu solchen Maßnahmen greifen würde?“

Antwort: Gar nichts! Der Deutsche würde jammern, das wäre aber auch schon alles. Der Deutsche muss sich erst auf dem untersten Boden des Abgrundes befinden, bevor er bereit ist, sein Verhalten zu ändern – und das wird zu seinem Untergang führen.

Sebastian Maier
5 Jahre her

„…braucht das Land einen Marshallplan wie Deutschland…“ Wenn man sich als „Ökonomen“ bezeichnet, dann sollte man freilich wissen, dass a) Deutschland einen Großteil der ERP-Mittel zurückzahlen musste (ERP= European Recovery Program, vulgo „Marshallplan“), b) ERP-Mittel auch anderen europäischen Staaten gewährt wurden; Griechenland erhielt gemessen an der Bevölkerungszahl damals ein Dreifaches der Hilfen, die D gewährt wurden, c) D in dem Zeitraum, in dem ERP-Gelder zuflossen, Besatzungskosten abführen musste, die die Leistungen aus dem ERP überstiegen – D somit bereits Anfang der 1950er wohl Netto-Kapitalexporteur war und d) Griechenland seit Beginn seiner EG/EU-Mitgliedschaft 1981 jährlich Finanzmittel zur Struktur- und Regionalförderung aus… Mehr

Peter G.
5 Jahre her

Auf griechischem (Hoheits-)Gebiet werden – wohl zu Recht – große Gas- und Ölvorkommen vermutet. Über die Ergebnisse der verschiedenen Explorationen ist jedoch nichts bekannt geworden, ebensowenig über die Verträge, die die griech. Regierung mit den Firmen geschlossen hat. Wird hier etwa auf eine Zeit nach Ende der EU-Mitgliedschaft gepokert? Wäre es zuviel verlangt, dass das Land seinen Gläubigern Anteile an den zu erwartenden Einnahmen aus den Vorkommen zur Sicherung abtritt? Sollten sich die Erwartungen nicht erfüllen, ist nichts verloren, denn futsch ist das Geld ohnehin.

Ursula Schneider
5 Jahre her

Schon bei Draghis Drohung „Whatever it takes“ lief es mir kalt den Rücken herunter, ähnlich wie bei Merkels „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Sätze, die uns langsam aber sicher kaputt machen. Was für eine Anmaßung!

Gutmuetiger
5 Jahre her

Friedrich & Weik, hier für Tichy und nebenbei den gleichen Artikel im Focus?
Interessante Mischung.

LaLicorne
5 Jahre her
Antworten an  Gutmuetiger

Passt doch vom Niveau her zum Focus – leider nicht zu TE, hoffe, es bleibt bei diesem Fehlversuch…

Old-Man
5 Jahre her

Extrem gut und genau analysiert,sehr gute Arbeit!!

Leider kennen oder pflegen die die verantwortlichen nicht den alten Börsenspruch : werfe niemals schlechetem Geld gutes hinterher!
Sie haben es aber seit Jahren getan,und die Deutschen und die anderen EU-Bürger dürfen die Zeche bezahlen!

Hartholz
5 Jahre her

Ich glaube kaum, dass damals irgend ein EU-Land NICHT gewusst hat, wie es um Griechenland stand.
Heute zu behaupten, man sei von den Griechen übertölpelt worden, kommt einer Schande jeden damals beteiligten Wirtschaftswissenschaftlers gleich.
Genauso ungeeignet für den Euro waren aber auch Portugal, Spanien und die Italiener.
Man kann also getrost von den Südländern sprechen.

bkkopp
5 Jahre her

Zu GR ist längst alles gesagt. Die Jubelarien sind natürlich ‚fake news‘ und die Medien die sie verbreiten sind ‚Lügenpresse‘. Das wollen die natürlich nicht hören.

Grumpler
5 Jahre her

Wozu (noch) ein „Marshall-Plan“? Griechenland hat seit 1982 durch die europäischen Strukturhilfen jedes Jahr (!) den Gegenwert eines Marshall-Plans, mittlerweile 36 (!!!), erhalten. Dazu die „Hilfen“ (die Bürgschaften und die großzügigen Rückzahlungsbedingungen). Solange Iannis Korruptidis nicht gefasst ist und frei rumläuft, kann man das Geld auch gleich verbrennen.

schwarzseher
5 Jahre her

Hoffentlich kracht es noch vor der nächsten Bundestagswahl 2021. Lieber eine Währungsreform als nochmals eine Regierung Merkel womöglich mit Nahles, Stegner, Roth, Göring-Eckardt und Co.