Der große Irrtum über Chinas Erfolg

In China hat sich ein „dritter Weg“ zwischen sozialistischer Planwirtschaft und kapitalistischer Marktwirtschaft als erfolgreich erwiesen? Warum das ein Irrtum ist, erklärte Ökonom Zhang Weiying in einem Gespräch in Peking.

In China ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, von 1981 bis heute von 88 Prozent auf ein Prozent gesunken. Niemals in der Menschheitsgeschichte sind in so kurzer Zeit so viele Hunderte Millionen Menschen der Armut entkommen wie in China. Übrigens nimmt gleichzeitig die Zahl der Superreichen stärker zu als in allen anderen Ländern auf der Welt. Jede Woche kamen in den vergangenen Jahren etwa zwei Milliardäre in China neu hinzu. Das ist ein Beleg dafür, wie abwegig der „Nullsummenglaube“ ist, dem Kapitalismuskritiker anhängen: Danach werden Reiche stets auf Kosten der Armen reich. Die Entwicklung in China widerlegt dies eindrücklich.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier wollte uns jüngst die Notwendigkeit einer planwirtschaftlichen „Industriepolitik“ mit dem Hinweis schmackhaft machen, anders könnten Deutschland und Europa im Wettbewerb mit dem chinesischen Modell nicht mithalten. Denn die „Nationale Industriestrategie 2030“, die Altmaier vorgelegt hat, begründete er damit, dass ein „Tätigwerden des Staates“ gerechtfertigt oder gar notwendig sein kann, um „schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft“ zu vermeiden. Dies, so Altmaier, sei die notwendige Antwort auf die erfolgreiche Staatswirtschaft Chinas. Ein typisches Beispiel für eine Fehldeutung des ungewöhnlichen Erfolges von China.

Im Westen wird Chinas Entwicklung missverstanden, meinte der chinesische Ökonom Zhang Weiying zu mir bei einem Gespräch in Peking. Der marktwirtschaftlich gesinnte Ökonom ist ein großer Bewunderer von Friedrich August von Hayek. Der Professor leitete die Guanghua School of Management an der Peking University und war maßgeblich an den Reformen in China beteiligt: „Viele Menschen im Westen“, sagte er zu mir, „glauben, dass China einen besonderen dritten Weg zwischen Staatswirtschaft und Marktwirtschaft, gefunden habe. Das ist ein großer Irrtum.“

Tatsächlich habe der Staat heute noch einen großen Einfluss in China, aber das liege nur daran, dass es sich um eine Transformation von einer sozialistischen Staatswirtschaft zum Kapitalismus handelte. In vielerlei Hinsicht ist der chinesische Weg nicht so außergewöhnlich, betont Zhang auch in seinem Buch “The Logic Of The Market”: “Chinas ökonomische Entwicklung ist grundsätzlich identisch mit der in einigen westlichen Ländern, so wie in Großbritannien während der industriellen Revolution, in den Vereinigten Staaten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und in einigen asiatischen Ländern wie Japan und Südkorea nach dem Zweiten Weltkrieg. Sobald Marktmechanismen eingeführt und die richtigen Anreize gesetzt sind, damit Menschen nach Reichtum streben, folgt das Wunder des Wachstums früher oder später.“

Entscheidend war, dass in China das Recht auf Privateigentum legalisiert wurde, die Preise freigegeben und dem Markt eine immer größere Rolle eingeräumt wurde. Der Prozess vollzog sich Schritt für Schritt vom Beginn der 80er-Jahre und fand einen ersten Höhepunkt in der neuen Verfassung von 2004, in der das Privateigentum offiziell anerkannt wurde. Dazwischen gab es viele Zwischenstufen, so etwa Betriebe, die formal staatlich waren, aber faktisch mehr und mehr in den Besitz des Managements übergingen, bis das Management dann irgendwann auch formal Eigentümer der Betriebe wurde. Es wurden zahlreiche Sonderwirtschaftszonen gebildet, die kapitalistischer waren als die meisten westlichen Länder.

Zhang betont, dass dieser Transformationsprozess bis heute nicht abgeschlossen ist und noch viele Reformaufgaben auf eine Lösung warten: “Die staatliche Kontrolle über große Ressourcen und die exzessive Intervention in die Wirtschaft sind der direkte Grund für Günstlingswirtschaft zwischen Beamten und Geschäftsleuten, der Nährboden für Korruption und eine ausgesprochen korrupte Geschäftskultur und beschädigen die Spielregeln des Marktes.“

Daher sieht er einen erheblichen Reformbedarf, insbesondere mit Blick auf die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit und eine weitere Liberalisierung. Ob China diesen Weg gehen wird, ist offen. Der Prozess der Marktreformen in China verlief nie gerade und gleichförmig, sondern es gab – gerade auch in den vergangenen Jahren – immer wieder Rückschritte, wenn etwa der Staat wieder stärker in die Wirtschaft eingriff und Reformen zurücknahm.

Zhang sieht als große Gefahr, dass man auch in China – so wie im Westen – zunehmend dem Irrtum aufsitze, das Land habe einen besonderen „dritten Weg“ gefunden. Alle Erfolge, die China in den vergangenen Jahren verzeichnete, so betonte er in dem Gespräch mit mir immer wieder, seien nicht „because of the state, but in spite of the state“ erfolgt. China werde sich nur dann weiter so positiv entwickeln wie in den vergangenen Jahrzehnten, wenn an dem Grundkurs der Entwicklung in Richtung „mehr Marktwirtschaft“, der den Erfolg begründet hat, festgehalten werde.


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Kommentare ( 49 )

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imapact
5 Jahre her

China hat ein paar Vorteile, die Deutschland nicht hat:

Echte nationale Souveränität anstatt erst Vormundschaft durch äußere Mächte, dann einen supranationalen Apparat.
Eine unsentimental-pragmatische Haltung anstatt eines moralinsauren Autoflagellantismus in der Politik.
Eine vom Konfuzianische geprägte Haltung, die Bildung und Wissenserwerb schätzt und bereit ist, auch Härten auf sich zu nehmen.
Nationalstolz und ein klares Bekenntnis zur Durchsetzung eigener Interessen.

giesemann
5 Jahre her

Frage an den Ökonomen Zhang Weiying: Ist die Währung Chinas inzwischen frei konvertierbar? Nur ein wirklich starkes China könnte sich das leisten. In Zeiten der Globalisierung ein wichtiges Kriterium.

usalloch
5 Jahre her
Antworten an  giesemann

Sie ist nicht frei konvertierbar. Das kann China zur Zeit nicht leisten. Arbeitslosigkeit wäre die unmittelbare Folge. Deutschland in ihrer starken Phase hat sich oft geweigert die DM aufzuwerten. Die schönen Zeiten kommen niemals wieder.

Ralf Poehling
5 Jahre her

Hochinteressante Aussagen. Erklärt wohl, warum sich hiesige Sozialisten und Kommunisten so selten zum Thema China äußern. Diese werden ja gerade in Echtzeit mit ihrer Weltanschauung widerlegt. Ich gehöre nicht zu denen, die in China den am Horizont aufziehenden Teufel sehen, auch wenn China nun de facto der größte Konkurrent auf dem Weltmarkt ist, was wohl den harschen Gegenwind gen Osten aus den USA erklärt. Was man an China wohl kritisieren sollte, ist nicht der Weg zur Marktwirtschaft und damit zu unserer größten Kunkurrenz, sondern der Weg in den digitalen Überwachungsstaat. Wobei auch in diesem Punkt die Kritik gen Westen zurückschlagen… Mehr

giesemann
5 Jahre her

Eine 1-Kind-Politik führt innert einer Generation zur Halbierung der Bevölkerung: Aus Eltern bleibt ein Kind, sobald die Eltern tot sind. Aus vier Elternteilen werden zwei Kinder, wenn die vier alle tot sind. Die beiden Kinder haben ebenfalls nur ein Kind, wenn’s passt – und schon hat sich die Bevölkerung geviertelt, wenn diese beiden auch tot sein werden. Nach zwei Generationen. In China lebten um 1970 ca 700 Mio. Einwohner, heute sind es 1.400 Mio. Fazit: Es gab nie eine 1-Kind-Politik in China, nur Propaganda. Sonst dürften heute in China höchstens noch 3 – 400 Mio. da sein – und China… Mehr

friedrich - wilhelm
5 Jahre her

…….ja: industrie 4.0 ist illusion 4.0. – in deutschland!

W aus der Diaspora
5 Jahre her

ich denke, dass die social-points nichts, aber auch gar nichts mit Marktwirtschaft zu tun haben, dafür aber voll zum Kommunismus passen. China ist ein absolutes Ausnahmeland. Dort existiert das demographische „Problem“ nicht durch mehr Wohlstand, sondern durch ein von der Politik verordnetes Schrumpfen der Bevölkerung durch die Ein-Kind-Politik. Das bedeutet, die Alten von heute und morgen sind größtenteils in Armut aufgewachsen und haben ihr Leben in Armut verbracht. Ihnen macht es nicht soviel aus auch ihr Alter in Armut zu verbringen. Heute versucht China gegenzusteuern, so dass die Bevölkerung dauerhaft in etwa auf dem gleichen Stand bleiben soll. Im gesamten… Mehr

giesemann
5 Jahre her
Antworten an  W aus der Diaspora

Die 1-Kind Politik galt nur für die Mehrheit der Han, alle anderen konnten so viele Kinder machen, wie sie wollten. Deshalb hat sich die Bevölkerung in China verdoppelt seit 1970 von damals 700 Mio. auf heute 1.400 Mio. Ohne das Zurückdrängen der Han wäre es heute in China ca 2.000 Mio.

Otis.P. Driftwood
5 Jahre her

Auch wenn´s die roten Socken nicht gern hören wollen: Chinas Modell ist das eines nationalen Sozialismus.

Ego Mio
5 Jahre her

China hat Marktwirtschaft nach innen und jede Menge Protektionismus nach außen. Sie Bevölkerung ist bildungsorientiert, diszipliniert und erfolgshungrig.
Dagegen ist Westeuropa nicht mehr am Unternehmertum interessiert, lernfaul und übersättigt. Das liegt übrigens auch gerade daran, dass die Asiaten so viele Dinge billig anbieten. Die Möglichkeit des billigen Konsums macht Westeuropa dumm.

usalloch
5 Jahre her
Antworten an  Ego Mio

Dazu kommt , das die Chinesen im Gegensatz zu unseren Denkfaulen, wirklich ein Kulturvolk sind, und in viel größeren Zusammenhängen denken. Auch lernen sie intensiver und setzen das als Positiv erkannte viel schneller um , als das inzwischen satte Europa.
Eines Tages werden sie uns und die Hochtechnologie verkaufen, und wir ihnen die Trikotagen , Made in Germany. Das ist auch ihr Ziel!

Boudicca
5 Jahre her

Altmaiers „Nationale Industriestrategie 2030“ ist ein potemkisches Dorf.
Wenn Merkels Günstlinge so weitermachen, können wir froh sein, wenn wir uns von China noch billige Plastikschüsseln leisten können.
Deutschland subventioniert und fördert die Solarwirtschaft in Deutschland, die trotzdem Pleite geht und China produziert die Anlagen und verdient weltweit damit Geld.

merkelinfarkt
5 Jahre her
Antworten an  Boudicca

Wenn die deutsche Poliik „fördern“ sagt, meint sie nur „etwas geringere Steuerbehinderung“. Das wird nichts mehr mit Deutschland! Es ist bereits vorbei mit dem Wohlstand! Ihr habt es nur noch nicht gemerkt. Die klugen, deutschen, wohlhabenden, weißen, alten Männer haben auf die dummen 87% der Bundestagswähler/innen w/d/m 2017 einfach keine Lust mehr.

pcn
5 Jahre her

….und bei uns? Denkt man jetzt über eine Bargeldabgabe nach. Wir sind inmitten einer Welle Enteignung…und die Wähler entscheiden weiter für Merkel. Unbegreiflich. Und ja, auch die „Klimapolitik“ gehört mit zum Enteignungsprozess.