Tichys Einblick
Eine völkerrechtliche Analyse

Wozu verpflichtet der UN-Migrationspakt?

Die Meinungen zum Migrationspakt sind ausgetauscht. Was noch fehlt, ist eine Analyse des Textes. Besser wäre die Analyse und die Debatte darüber der Bundestagsabstimmung vorausgegangen. Da das nicht der Fall war, kommen die Analysen danach.

Chris Hondros/Getty Images

BILD schreibt aktuell: „Gerade hat der Bundestag einen Antrag verabschiedet, der festschreiben soll, dass der Pakt nicht in deutsches Recht eingreifen kann. Doch die Kritik reißt trotzdem nicht ab.” Der Bundestagsbeschluss könne nach Ansicht des Göttinger Völkerrechtlers Frank Schorkopf durch das im Pakt festgeschriebene Prinzip der „gemeinsamen Verantwortung“ ausgehebelt werden, was Schorkopf in einem Interview so fasste: „Verschiedene Akteure können daraus Pflichten entwickeln, die sehr weitreichend sind: Einwanderungskontingente auszuweiten, Herkunfts- und Transitländer finanziell zu unterstützen oder illegalen Immigranten einen legalen Status zuzuweisen.“ Schorkopf weiter: „Ständig werden, zu Recht, die Menschenrechte der Migranten betont. Daraus werden Handlungsverpflichtungen für die Staaten abgeleitet, ohne zu sehen, dass hinter diesen auch deren Bürger stehen, mit eigenen Menschenrechten … “ BILD weiter: »Der Hamburger Staatsrechtler Reinhard Merkel warf der Bundesregierung im DLF „suggestive Irreführung“ vor. Der Pakt werde „eine gewisse Sogwirkung auslösen“ und die „Migration aus den armen Staaten in die wohlhabenden Staaten deutlich verstärken“, „aus Afrika vor allem. (…) Wir werden neue Migrationswellen kriegen.“ – Die Erwartung, der Pakt senke den Migrationsdruck, sei „blauäugig“, sagte Merkel: „Die Vereinbarung wird ganz sicher völkerrechtliche Wirkungen haben. Vereinbart werden Ziele. Wie diese Ziele umgesetzt werden, bleibt Sache der Staaten. Dass sie umzusetzen sind, wird vereinbart – und zwar wirklich rechtlich verbindlich.“

Die Redaktion stellt diese Stimmen der ausführlichen völkerrechtlichen Analyse von TE-Gastautor Professor Dr. Dietrich Murswiek voraus, um zu zeigen, die Debatte ist nicht zu Ende. Die Einschätzung der Bundesregierung und ihrer Unterstützer, mit den Abstimmungen im Bundestag und der bevorstehenden Zusammenkunft in Marrakesch sei das Thema UN-Migrationspakt in Deutschland gegessen, erweist sich schon jetzt als falsch. Die Debatte beginnt gerade erst.


Manche Kritiker sehen im UN-Migrationspakt den Schlüssel, der die Tore für ungehemmte Migrationsströme nach Europa und besonders nach Deutschland öffnet. Der Pakt schaffe ein individuelles „Menschenrecht auf Migration“ – jeder könne dann in jedes Land einwandern, in dem er leben möchte. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hingegen leugnen, dass der Pakt für Deutschland neue Verpflichtungen begründe; sie halten den Pakt für nötig, um die Migration zu kontrollieren und zu begrenzen. Sie behaupten, infolge des Paktes würden nicht mehr, sondern weniger Migranten nach Deutschland kommen.

Was lässt sich aus völkerrechtlicher Sicht dazu sagen?

Verbindlichkeit

In einem Punkt hat die Bundesregierung recht: Der UN-Migrationspakt ist kein völkerrechtlicher Vertrag. Das hat aber, soweit ich sehe, auch niemand behauptet. Die These der Bundeskanzlerin, der Pakt sei „rechtlich nicht bindend“, ist aber irreführend. Richtig ist: Der Pakt bindet die unterzeichnenden Staaten zwar nicht rechtlich, aber er bindet sie politisch. Und auch die rechtliche Unverbindlichkeit kann nur mit Vorbehalt konstatiert werden: Der UN-Migrationspakt ist ein sogenanntes Soft-Law-Instrument. Er enthält Regeln, die zunächst rechtlich unverbindlich sind, die aber im Laufe der Zeit zu verbindlichem Recht erstarken können. Soft Law ist in der völkerrechtlichen Praxis nicht selten der Kristallisationskern für neu entstehendes Gewohnheitsrecht. Und schon bevor es soweit ist, kann Soft Law innerstaatlich rechtliche Bedeutsamkeit erlangen: Gerichte ziehen es heran, um unbestimmte Gesetzesbegriffe zu konkretisieren.

Aber abgesehen davon verstellt die Betonung der rechtlichen Unverbindlichkeit den Blick auf die tatsächliche Bedeutung des Paktes. Die politische Verbindlichkeit kann sich in der Praxis als ebenso stark erweisen wie eine rechtliche Verbindlichkeit. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass ein Staat nicht vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt werden kann, wenn er gegen den Pakt verstößt. Aber der politische Druck, Verpflichtungen einzuhalten, die ein Staat auf internationaler Ebene eingegangen ist, ist beim Soft Law nicht weniger groß als bei völkerrechtlichen Verträgen. Und Verpflichtungen enthält der UN-Migrationspakt jede Menge. Insgesamt 45 mal heißt es ausdrücklich: „Wir verpflichten uns … .“

Jeder Staat, der dem UN-Migrationspakt zustimmt, ist politisch an ihn gebunden. Und solche politischen Bindungen sind in der Staatenpraxis von größter Bedeutung. Staaten, die sich nicht an die in dem Pakt eingegangenen Verpflichtungen halten, müssen damit rechnen, außenpolitisch und innenpolitisch unter Druck zu kommen. Sie werden von der UNO, von NGOs, von anderen Staaten attackiert werden. Wer dem UN-Migrationspakt zustimmt, sollte also nicht auf seine rechtliche Unverbindlichkeit bauen, sondern er sollte nur dann zustimmen, wenn er von der Richtigkeit der Verpflichtungen, die mit dem Pakt übernommen werden, überzeugt ist.

Im Bundestag haben die Vertreter aller Parteien – mit Ausnahme der AfD – zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Richtigkeit dieser Verpflichtungen überzeugt sind, dass sie ihn für ein gutes Instrument zur Steuerung der Migration halten – manche meinen darüber hinaus, er sei im nationalen Interesse Deutschlands geradezu notwendig.

Man muss sich daher den Inhalt des Paktes ansehen, um im Widerstreit dieser Meinungen zu einem Urteil zu kommen.

Ziele

Was also regelt der UN-Migrationspakt? Einen Hinweis gibt schon sein Name, der vollständig lautet: „Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“ – „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, kurz „Global Compact for Migration – GCM“. Es geht dem Pakt nicht um Begrenzung der Migration, sondern darum, Migration sicher zu machen, in geordnete Bahnen zu bringen und „irreguläre“ in „reguläre“ Migration umzuwandeln (insbesondere Nr. 23 lit. h und i).

Der Pakt unterscheidet in seiner Präambel zwischen Flüchtlingen und Migranten. Flüchtlinge sind diejenigen, die den besonderen Schutz des internationalen Flüchtlingsrechts, d.h. vor allem der Genfer Flüchtlingskonvention genießen. Migranten sind nach dieser Terminologie alle anderen, also alle, die nicht politisch (oder wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) verfolgt sind. Der UN-Migrationspakt gilt nicht für Flüchtlinge; für diese soll demnächst noch ein besonderer Flüchtlingspakt geschlossen werden. Der UN-Migrationspakt gilt also nur für Migranten in dem genannten engeren Sinne (Präambel Nr. 4.).

Sprache macht Politik
„Flüchtlinge” und der Fluch der „guten” Tat
Als „Vision und Leitprinzip“ wird dem UN-Migrationspakt folgender Satz vorangestellt: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.“ (Nr. 8) Diese ideologische Weltsicht überwölbt den ganzen Migrationspakt, gibt ihm seinen Sinn und Zweck. Die Vertragsstaaten sehen Migration als etwas ausschließlich Positives an. Von negativen Folgen in den Herkunftsländern – Stichwort: Braindrain – und vor allem in den Aufnahmeländern – man denke an Probleme für die Sozialsysteme, kulturelle Verwerfungen, Identitäts- und Heimatverlust für diejenigen, die irgendwann inmitten einer Mehrheit kulturell Fremder leben müssen, Probleme der inneren Sicherheit usw., von all dem ist in dem Pakt nicht die Rede. Wenn Migration immer nur Wohlstand produziert, dann ist es für die Verfasser des Migrationspakts nicht vorstellbar, dass sie Wohlstand vernichtet und Sozialsysteme zerstört.

Den euphorischen Ansatz des Migrationspaktes könnte man vielleicht noch verstehen, wenn mit Migration nur die Arbeitsmigration gemeint wäre. Davon ausgehend, dass manche Länder Arbeitskräfte suchen, während in anderen viele Menschen keine Arbeit finden, könnte eine geordnete Migration von Arbeitskräften, die dorthin migrieren können, wo sie gebraucht werden und zur Erzeugung von Wohlstand beitragen können, allen Seiten nützen. Die vielen Detailregelungen des Paktes, welche die Rechte der Migranten stärken, sie vor Ausbeutung schützen, ihre Sicherheit auf dem Reiseweg gewährleisten oder zum Beispiel Überweisungen vom Aufenthaltsstaat in den Heimatstaat ermöglichen sollen (Nr. 36) oder Sozialversicherungsansprüche und ihre Übertragbarkeit für Arbeitsmigranten vorsehen (Nr. 38), wären in diesem Kontext zu begrüßen.

Aber der UN-Migrationspakt beschränkt sich nicht darauf, einen Rahmen für eine sichere und geordnete Arbeitsmigration zu schaffen. Er will Migration als solche erleichtern – egal zu welchem Zweck sie erfolgt. Der Pakt sagt zwar auch, dass Bedingungen geschaffen werden sollen, „die es den Gemeinschaften und den einzelnen Menschen ermöglichen, in ihren eigenen Ländern in Sicherheit und Würde zu leben“. Aber die Staaten verpflichten sich uneingeschränkt, „eine sichere und reguläre Migration zum Wohle aller zu erleichtern und zu gewährleisten“ (Präambel Nr. 13.). Migration wird als hinzunehmendes Faktum verstanden, gleich einer Naturgewalt, als „bestimmendes Merkmal unserer globalisierten Welt“. (Präambel Nr. 10).

Der Pakt betont zwar auch die Souveränität der Staaten und ihr Recht, „ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen“, „die Migration innerhalb ihres Hoheitsgebiets in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln“ und „innerhalb ihres Hoheitsgebiets“ zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus zu unterscheiden (Präambel Nr. 15 lit. c). Aber wenn alle dem Pakt zustimmenden Staaten sich einig sind, dass Migration ein hinzunehmendes Faktum ist, das „alle unsere Länder zu Herkunfts-, Transit- und Zielländern macht“ (Präambel Nr. 10) – Deutschland ist also nicht nur Zielland für Menschen aus dem Kongo, sondern der Kongo ist auch Zielland für Menschen aus Deutschland –, und wenn die Staaten sich verpflichten, die Migration zu erleichtern, dann kann das Recht, über die nationale Migrationspolitik souverän zu entscheiden, nicht mehr so verstanden werden, als stünde es noch im Belieben der Staaten, Immigration zuzulassen oder nicht. Wenn nicht einerseits die Übernahme von Verpflichtungen und andererseits die Betonung der Souveränität ein Widerspruch und somit eine Lüge sein sollen, sondern wenn man beides miteinander vereinbar machen will, dann kann die nationale Entscheidungsfreiheit nur noch insoweit gegeben sein, wie die im Pakt statuierten Verpflichtungen dafür Raum übrig lassen.

Sehen wir uns daher, vor dem Hintergrund dessen, was sich – wie eben gezeigt – an Visionen, Leitbildern und Zwecken aus der Präambel ergibt, die im Pakt formulierten Ziele und Verpflichtungen näher an.

Es gibt viele Regelungen im Pakt, die durchaus sinnvoll sind und die man begrüßen kann, beispielsweise Verpflichtungen, die dazu dienen die Datengrundlage der Migrationspolitik zu verbessern (Ziel 1) oder die „Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen“ (Ziel 2). Die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern so zu verbessern, dass die Menschen keinen Grund mehr haben, aus Not ihr Land zu verlassen, ist sicherlich ein gutes Ziel. Als Gründe für Migration, denen entgegengewirkt werden soll, werden Armut, schlechte Ernährung, mangelnde Gesundheitsvorsorge, unzureichende Bildung, schlechte Infrastruktur, Gewalt, Diskriminierung, fehlende Rechtsstaatlichkeit, schlechte Regierungsführung (Nr. 18 lit. b), Naturkatastrophen oder nachteilige Auswirkungen des Klimawandels (Nr. 18 lit. h-l) angesprochen. Wie diese Probleme überwunden werden können, sagt der Vertrag allerdings nicht. Die betreffenden Staaten haben sich bislang als unfähig erwiesen, und die Entwicklungspolitik müht sich mit der Problembewältigung seit Jahrzehnten vergeblich ab. Die wichtigste Ursache für den Migrationsdruck in vielen, vor allem afrikanischen Staaten wird überhaupt nicht erwähnt: die exponentiell anwachsende Bevölkerung.

Da die Staaten vor dem Hauptproblem die Augen verschließen, können sie im Text des Migrationspakts so tun, als ließen sich die Migrationsprobleme dadurch lösen, dass man den Migrationsprozess mit Rechten für Migranten und allerlei Hilfen für den Weg vom einen ins andere Land erleichtert – Informationen zu Migrationsfragen „in allen Phasen der Migration“ (Nr. 19), Versorgung der Migranten mit Identitäts- und Reisedokumenten (Nr. 20), Hilfen für Migranten in prekären Situationen (Ziel 7, Nr. 23), Bekämpfung von Schleusung (Nr. 25) und Menschenhandel (Nr. 26) usw.

Nichts gegen diese Maßnahmen – das ist alles sinnvoll und richtig. Aber dass man damit die Migration steuern und dass man damit erreichen kann, dass weniger Migranten nach Europa kommen, wie die Befürworter des Paktes im Bundestag behauptet haben, leuchtet nicht ein.

Abgesehen von dem sehr vage bleibenden Bekenntnis dazu, die Lebensbedingungen im Heimatstaat zu verbessern, lässt der Pakt nichts erkennen, wodurch der Migrationsdruck verringert und der Migrationsstrom vor allem nach Europa gebremst werden soll. Das liegt in der Konsequenz des Denkansatzes, dass Migration ja für alle Seiten positiv ist – wozu also Migration bremsen? Dass es Sinn des Paktes sei, den Migrationsdruck zu vermindern, wie Bundeskanzlerin Merkel behauptet hat, lässt sich dem Text des Paktes nicht entnehmen. Es ergibt sich auch nicht aus dem Regelungszusammenhang.

Im Gegenteil: Der Pakt setzt massive Anreize für zusätzliche Migration. Er will Migration erleichtern (Nr. 39 Abs. 1 Satz 1), die Migrationswege sicherer machen, den Migranten alle notwendigen Informationen und Dokumente zur Verfügung stellen, Planbarkeit und Rechtssicherheit von Migrationsvorhaben verbessern (Nr. 19, 28 lit. a) für sichere und reguläre Grenzübertritte und für ein effizientes Grenzübertrittsverfahren sorgen (Nr. 27). Konsularischer Schutz und konsularische Hilfe im gesamten Migrationszyklus sollen verbessert werden (Nr. 30). Vor allem verpflichten sich die Staaten, allen Migranten ungeachtet ihres Migrationsstatus sicheren Zugang zu Grundleistungen zu gewähren (Nr. 31). Sie verpflichten sich ferner, den gesundheitlichen Bedürfnissen von Migranten Rechnung zu tragen (Nr. 31 lit. e) und Migranten im Kindes- und Jugendalter „eine inklusive und gleichberechtigte hochwertige Bildung“ zu gewährleisten „sowie den Zugang zu Möglichkeiten lebenslangen Lernens“ zu erleichtern (Nr. 31 lit. f).

Diese letztgenannte Pflicht ist aufschlussreich: Die genannten Verpflichtungen bestehen unabhängig vom Migrationsstatus (Nr. 31 Satz 1), gelten also auch für irreguläre Migranten. Wenn deren Kinder Bildungsansprüche erhalten, sogar lebenslang, dann heißt dies doch, dass die Möglichkeit der Abschiebung überhaupt nicht in Betracht gezogen wird.

Das wird im folgenden durch Ziel 16 (Nr. 32) des Paktes bestätigt: Hiernach sind die Staaten verpflichtet, die Migranten zu befähigen, zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft zu werden. Migranten sollen möglichst vollständig integriert werden. Wenn dies auch für die irregulären Migranten gilt (dafür spricht, dass ohne Einschränkung von Migranten die Rede ist, und dafür spricht der Zusammenhang mit der vorangehenden Nr. 31, die ausdrücklich auch für irreguläre Migranten gilt), dann verliert die Unterscheidung von regulärer und irregulärer Migration ihre Bedeutung: Wenn alle integriert werden sollen, darf man niemanden zurückschicken.

Und was bedeutet die Integrationspflicht? In Einwanderungsländern war es früher selbstverständlich, dass Einwanderer sich an die Gebräuche und Sitten des Einwanderungslandes angepasst, die Sprache gelernt und die Gesetze beachtet haben. Jedenfalls war das die Erwartung der Aufnahmestaaten, und auch in Deutschland hat man Integration früher vor allem als Erwartung an die Immigranten verstanden. Seit einiger Zeit versteht man in Deutschland Integration zunehmend als etwas, was der Aufnahmestaat und seine Bürger zu leisten hätten – durch eine „Willkommenskultur“, durch allerlei Hilfen zum Zurechtfinden im Alltag, durch Deutschkurse bis hin zu Informationen über das, was bei sexueller Annäherung in unseren Breiten erlaubt und verboten ist. Immer ging es dabei aber darum, dass die Einwanderer sich in das integrierten, was bei uns üblich beziehungsweise gesetzlich vorgeschrieben ist. Der UN-Migrationspakt will etwas anderes. Er versteht Integration als etwas, was die Migranten und die aufnehmende Gesellschaft in gleicher Weise verpflichtet. Sowohl die Migranten als auch die Gesellschaft des Aufnahmestaates sollen „zur Verwirklichung der vollständigen Inklusion und des sozialen Zusammenhalts“ befähigt werden (Ziel 16). Um dieses Ziel zu verwirklichen, verpflichten sich die Staaten, „den gegenseitigen Respekt für die Kultur, die Traditionen und die Gebräuche der Zielgesellschaft und der Migranten (zu) fördern“ und zu diesem Zweck unter anderem die „Akzeptanz von Vielfalt“ zu fördern (Nr. 32 lit. a). Nicht nur die Einwanderer sollen sich also mit den Gebräuchen in Deutschland vertraut machen, sondern umgekehrt sollen sich auch die Deutschen mit den Gebräuchen der Einwanderer vertraut machen, diese respektieren und akzeptieren.

GCM
Migration – einklagbares Recht unter dem Dach der Bundesrepublik
Ziel ist die gelebte kulturelle Vielfalt, nicht die Anpassung der Einwanderer an die Kultur des Aufnahmestaates. Der Begriff „Multikulturalismus“ wird im UN-Migrationspakt zwar nicht ausdrücklich verwendet (abgesehen von der Förderung „multikultureller Aktivitäten“, Nr. 32 lit. h), aber inhaltlich legt der Pakt die Politik auf Multikulti-Konzepte fest. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die organisatorische Eigenständigkeit von „Diasporas“ sowie die politische Teilhabe und das politische Engagement von Migranten in ihren Herkunftsländern gefördert werden sollen (Nr. 35). Was vielleicht sinnvoll ist, wenn im Rahmen der Arbeitsmigration Wanderarbeitnehmer für vorübergehende Zeit im Zielland leben, um dann in ihre Heimat zurückzugehen (so liest sich Nr. 35, aber ein solches „Gastarbeiter“-Konzept gilt doch in Deutschland als gescheitert!), steht im Widerspruch zur auf Dauer angelegten Integration. Mit der Umwandlung Deutschlands in ein „buntes“ Multikulti-Land hingegen lässt es sich vereinbaren – Verfestigung der immigrierten Populationen als eigenständige „Diasporas“ statt Integration in die vorhandene Kultur.

Die Staaten verpflichten sich, im Rahmen des Grenzmanagements irreguläre Migration zu verhindern (Nr. 27). Das scheint konsequent, denn andernfalls bräuchte man eigentlich gar kein Grenzmanagement, sondern könnte einfach die Grenzen offen lassen. Andererseits legt der Pakt es den Staaten nahe, auf Sanktionen für irreguläre Einreise und irregulären Aufenthalt zu verzichten (Nr. 27 lit. f). Freiheitsentziehungen bei irregulärer Migration müssen unterbleiben, wenn es nichtfreiheitsentziehende Alternativen gibt. Sie müssen auf jeden Fall von möglichst kurzer Dauer sein (Nr. 29, insb. lit. a, f). Die Einrichtung von Ankerzentren, in denen Migranten festgehalten werden, bis über ihre Aufenthaltsberechtigung entschieden ist und aus denen sie gegebenenfalls gleich wieder abgeschoben werden, dürfte damit unvereinbar sein. Damit bringt sich die Bundesregierung um ein wichtiges Instrument der von Innenminister Seehofer vorgeschlagenen Migrationspolitik. Dennoch ist Seehofer für den Pakt.

Das Hauptproblem, mit dem die Migrationspolitik in Deutschland zu kämpfen hat, wird durch den UN-Migrationspakt überhaupt nicht thematisiert: nämlich die Pflicht irregulärer Migranten zum Verlassen des Ziellandes. Deutschland hat Hunderttausende irregulär eingewanderte Migranten aufgenommen, von denen der weitaus größte Teil hier weder ein Recht auf Asyl noch ein Bleiberecht nach der Flüchtlingskonvention hat. Die Rückführung in ihre Heimat scheitert aber oft an der mangelnden Kooperation der Herkunftsstaaten. Ein UN-Migrationspakt, der Ordnung in die Migration bringen und die Aufnahmebereitschaft der Zielländer erhalten will, ohne sie völlig zu überfordern, müsste hierfür eine Lösung anbieten.

Der Pakt enthält zwar die Verpflichtung, eine sichere und würdevolle Rückkehr der Migranten in ihr Herkunftsland zu ermöglichen und zu diesem Zweck zusammenzuarbeiten. Auch sollen förderliche Bedingungen für die Reintegration von Migranten nach Rückkehr in ihre Herkunftsländer geschaffen werden (Nr. 37). Das ist zu begrüßen. Wie aber Migranten, die kein Bleiberecht haben und nicht freiwillig in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen, rückgeführt werden können, wird nicht geregelt. Der Pakt sagt dazu lediglich, dass die Rückführung „in Sicherheit und Würde nach Einzelprüfung erfolgt und von den zuständigen Behörden im Rahmen einer raschen und wirksamen Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Zielländern durchgeführt wird und dass dabei alle anwendbaren Rechtsbehelfe ausgeschöpft werden können, unter Einhaltung der Garantien eines ordnungsgemäßen Verfahrens und der anderen internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen“ (Nr. 37 lit. e).

Was kann man damit anfangen? Selbst in dieser einzigen Vorschrift des Paktes, die sich mit der nichtfreiwilligen Rückführung von Migranten ohne Bleiberecht beschäftigt, geht es fast nur um Rechte der Migranten und nicht um die Durchsetzung der Pflicht, das Land des rechtswidrigen Aufenthalts zu verlassen. Die Vorschrift sagt nur ganz allgemein, dass die Behörden der Herkunfts- und Zielländer bei der Rückführung rasch und wirksam zusammenarbeiten sollen. Immerhin wird die Pflicht der Herkunftsstaaten, ihre eigenen Staatsangehörigen wiederaufzunehmen, anerkannt. Die Verwirklichung wird künftigen bilateralen, regionalen und multilateralen Vereinbarungen überlassen. Dass mit Hilfe des Paktes die Probleme, an denen die Rückführung immer wieder scheitert, überwunden werden können, ist zunächst nicht mehr als eine kleine Hoffnung. Denn völkerrechtlich waren die Staaten auch schon bisher verpflichtet, ihre eigenen Staatsangehörigen aufzunehmen, haben dies aber häufig abgelehnt. Solange sich dies nicht bessert, verstärkt der Pakt die Problematik, die schon lange die Einwanderungspraxis kennzeichnet: Irreguläre Einwanderung wird durch den Pakt zwar nicht erlaubt, aber auch nicht wirksam verhindert; und wer einmal eingewandert ist, hat auch dann, wenn er illegal eingewandert ist, im Zielland alle Rechte und kann nur sehr schwer wieder abgeschoben werden. Die These der Bundesregierung, der Pakt würde zur Verminderung der Einwanderung führen, ist auch unter diesem Aspekt nicht plausibel.

Zum Schluss wird in einer verpflichtenden Bestimmung nochmals festgestellt, dass es um „die Erleichterung einer sicheren, geordneten und regulären Migration“ geht und dass die Staaten anerkennen, „dass wir alle Herkunfts-, Transit- und Zielländer sind“ (Nr. 39 Abs. 1 Satz 1). Demnach hat kein Staat mehr die Möglichkeit, sich dafür zu entscheiden, dass er kein Einwanderungsland sein will. Daraus ergibt sich zwar nicht – wie manche behauptet haben –, dass der Pakt ein Menschenrecht auf Migration in jedes Wunschzielland normiert, aber auch im Hinblick darauf, dass die Staaten sich verpflichten, „eine in allen Phasen sichere, geordnete und reguläre Migration zu ermöglichen“ (Nr. 41), kommt der Pakt einem solchen Recht jedenfalls ziemlich nahe. Zumindest geraten Staaten unter internationalen Rechtfertigungsdruck, wenn sie künftig Immigration begrenzen wollen. Denn in dem Maße, in dem sie die Einwanderung begrenzen, ermöglichen sie keine reguläre Migration. Der Pakt zwingt die Staaten zwar nicht dazu, jede Immigration zu erlauben und so zur regulären Migration zu machen, aber das Zusammenspiel seiner vielen Regelungen wirkt in diese Richtung.

Dass der Pakt sich in diese Richtung entwickelt, wird auch dadurch beflügelt, dass er „in Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Migranten, der Zivilgesellschaft“ – das sind dann vor allem die diversen Pro-Asyl- und Migrantenhilfsorganisationen (D.M.) –, außerdem in Zusammenarbeit mit „Migranten- und Diasporaorganisationen, religiösen Organisationen […], den Medien und anderen relevanten Interessenträgern“ umgesetzt werden soll (Nr. 44). All diese Organisationen geben der Politik den Schub in Richtung auf die der Gesamtkonzeption des Paktes entsprechende Erleichterung und Förderung der Migration. Bezeichnend ist, dass unter den Subjekten, mit denen bei der Umsetzung des Paktes zusammengearbeitet werden soll, Parlamentsabgeordnete nur beiläufig neben dem Privatsektor, Gewerkschaften und nationalen Menschenrechtsinstitutionen genannt werden. Die demokratischen Subjekte, die Völker der Staaten, von denen die nationalen Parlamente gewählt werden, haben auf die Umsetzung des Paktes praktisch keinen Einfluss, wenn die Umsetzung durch die „Zivilgesellschaft“ und andere „relevante Interessenträger“ – mit anderen Worten durch die sogenannten NGOs (Non Governmental Organisations) – gesteuert wird. Mit Demokratie hat dies – wenn es so gemeint ist – kaum noch etwas zu tun.

Freilich bleibt die Rolle der Parlamente gewahrt, soweit zur Umsetzung des Paktes Gesetze erlassen werden müssen. Aber der Inhalt der Gesetze wird wohl in dem Aushandlungsprozess vorgeformt, der zwischen den genannten „Interessenträgern“ stattfindet. Das engt den Entscheidungsspielraum des Parlaments politisch stark ein, und der parlamentarische Spielraum für migrationspolitische Entscheidungen wird zusätzlich noch dadurch verkleinert, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen alle zwei Jahre einen Bericht über die Umsetzung des Paktes erstatten soll (Nr. 46) und dabei Defizite in einzelnen Ländern anprangern wird.

Hinzu kommt, dass ein Kontrollsystem eingerichtet wird, das die Umsetzung des Paktes überprüfen soll, wiederum unter Beteiligung aller relevanten Interessenträger (Nr. 48). Als globale Plattform der Mitgliedstaaten soll alle vier Jahre das „Überprüfungsforum Internationale Migration“ zusammentreten und die Umsetzung des Paktes auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene erörtern und in Interaktion mit „anderen relevanten Interessenträgern“ Ergebnisse erzielen und darauf Möglichkeiten weiterer Zusammenarbeit aufbauen (Nr. 49). Aus jedem Überprüfungsforum soll eine „zwischenstaatlich vereinbarte Fortschrittserklärung hervorgehen“ (Nr. 49 lit. e). Zusätzlich soll es regionale Überprüfungen geben, die ebenfalls alle vier Jahre (immer in der Mitte des Zeitraums zwischen den globalen Überprüfungsforen) stattfinden, auch diese unter Einbeziehung der NGOs. So wird ein ständiger Druck auf die Staaten aufgebaut, die Migration immer weiter zu erleichtern. Das engt die Entscheidungsspielräume der nationalen Regierungen und Parlamente noch weiter ein. Der Umstand, dass der Pakt kein völkerrechtlicher Vertrag ist und deshalb rechtlich unverbindlich ist, ist demgegenüber ziemlich bedeutungslos. Denn Staaten, die sich in dem Pakt politisch zu einer bestimmten Migrationspolitik verpflichtet haben und die dann in dieses Umsetzungssystem eingebunden sind, werden sich dem politischen Druck, der unter Berufung auf die politischen Verpflichtungen des Paktes auf Ebene der UNO und im Rahmen der Umsetzungsmechanismen aufgebaut wird, nicht entziehen können.

Auch wenn der Pakt so schön sagt, dass wir alle Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten seien, ist doch klar, dass der Migrationsdruck von vielen Entwicklungsländern ausgeht und in wenige Industriestaaten, insbesondere in Europa strebt. Die große Mehrheit in den Überprüfungsforen haben die Herkunftsländer, und es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, wer sich dort – unterstützt durch NGOs – regelmäßig durchsetzen wird. Der Völkerrechtler und ehemalige ÖVP-Politiker Andreas Khol hat darauf hingewiesen, dass Kontrollmechanismen im Rahmen der UNO oft ein Zerrbild objektiver Kontrolle seien. So würden im UN-Menschenrechtsrat einzelne Menschenrechtsverletzungen in entwickelten Demokratien angeprangert, während zuletzt 97 Staaten dafür gestimmt hätten, dass Saudi-Arabien ein gutes Zeugnis bekommt.

Die völkerrechtliche Unverbindlichkeit des Migrationspaktes könnte sich sogar als besonders gefährlich erweisen. Denn sie verführt die Staaten dazu, einem Text zuzustimmen, der eine Vielzahl sehr vage und blumig formulierter Verpflichtungen und zum Teil widersprüchlicher Normen enthält. Man kann im vorhinein gar nicht genau wissen, wohin sich der Umsetzungsprozess genau entwickeln wird – außer dass sich die Tendenz in Richtung auf immer größere Erleichterung der Migration, immer weitere Verstärkung von Migrantenrechten und immer weitere Einschränkung staatlicher Möglichkeiten zur Migrationsbegrenzung wohl ständig verstärken wird. Damit wird die staatliche Souveränität in Migrationsangelegenheiten zwar nicht rechtlich, aber faktisch weitgehend eingeschränkt.

Darüber hinaus besteht – darauf hatte ich eingangs hingewiesen – die Möglichkeit, dass aus dem Soft Law des Paktes im Laufe der Zeit völkerrechtlich verbindliches Hard Law wird.

Mit der Zustimmung zum UN-Migrationspakt liefert sich die Bundesregierung Entscheidungsprozessen auf UNO-Ebene aus, die sie nicht steuern kann. Es ist zwar richtig, dass man „die Migration“, wenn überhaupt, dann nur in internationaler Zusammenarbeit steuern kann. Aber der Pakt steuert die Migration nicht, sondern erleichtert sie ohne jedes Steuerungsziel. Und wieviel Immigration ein Staat haben will, kann er ohne Konsens mit der ganzen Welt entscheiden, solange er in der Lage ist, seine Grenzen zu kontrollieren.

Damit solche Einwände künftig gar nicht mehr erhoben und erst recht nicht öffentlich erörtert werden, hat der Migrationspakt noch besondere Vorkehrungen getroffen. Die Staaten verpflichten sich nämlich, „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Migrationspolitik und die mit Migration befassten Institutionen (zu) stärken“ (Nr. 32 Abs. 1). Also Willensbildung von oben nach unten. Die Regierungen sollen den Wählern beibringen, dass sie die Politik, die zur Umsetzung des Paktes beschlossen und mit Hilfe der Überprüfungsmechanismen durchgesetzt wird, gut finden. Aber wie machen sie das? Dafür enthält der Pakt ausführliche Vorschriften (Nr. 33). Die Staaten verpflichten sich, „Äußerungen, Handlungen und Ausprägungen von Rassismus, Rassendiskriminierung, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz gegenüber Migranten zu verurteilen und zu bekämpfen“ (Nr. 33 Abs. 1 Satz 1). Ja, alles Böse muss bekämpft werden. Dagegen lässt sich nichts sagen. Aber es muss etwas dagegen gesagt werden, dass Staaten sich verpflichten, auf der Basis völlig unbestimmter, gesinnungsbezogener und manipulierbarer Begriffe Freiheitseinschränkungen vorzunehmen. Dass Gewalt gegen Fremde wie gegen Einheimische strafbar sein und bekämpft werden muss, ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich. Aber wer die Auseinandersetzungen über Migration in Deutschland und anderen europäischen Staaten in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß, dass oft schon jede Forderung nach Immigrationsbegrenzung als „Fremdenfeindlichkeit“ oder als „Rassismus“ bezeichnet wird. Dass niemand wegen seiner Rasse diskriminiert werden darf, ergibt sich aus dem Grundgesetz (Art.3 Abs. 3) und ist selbstverständlich. Aber Begriffe wie „Fremdenfeindlichkeit“ und „Rassismus“ sind zu politischen Kampfbegriffen geworden, die häufig nur dazu dienen, Einwanderungskritiker zu diskreditieren. Staatliche Bekämpfung und strafrechtliche Verurteilung von Einwanderungskritik wegen angeblicher „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Rassismus“ sind weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit der Meinungsfreiheit vereinbar. Eine solche Einschränkung des öffentlichen Diskurses verträgt sich auch nicht mit dem Demokratieprinzip.

Der Pakt schreibt außerdem vor, dass die Staaten „eine unabhängige, objektive und hochwertige Berichterstattung durch die Medien, einschließlich der Informationen im Internet, fördern“ und die öffentliche Finanzierung oder materielle Unterstützung von Medien, „die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern“, einstellen – das alles „unter voller Achtung der Medienfreiheit“ (Nr. 33 lit. c). Die Verfasser des Paktes sind also der Meinung, dass sich massive staatliche Interventionen zur öffentlichen Meinungsbildung mit Hilfe von Subventionierung erwünschter Meinungen und Entzug von Subventionen für unerwünschte Meinungen mit „voller Achtung der Medienfreiheit“ vereinbaren lässt. Sie zeigen damit, dass sie von Meinungsfreiheit und von Demokratie nicht viel verstanden haben. Auch hier muss betont werden: Selbstverständlich ist Rassendiskriminierung zu ächten. Aber was „Intoleranz“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ bedeuten, können die Regierungen nach Gusto bestimmen und unter Berufung auf den Pakt jede Migrationskritik bekämpfen: „Intolerant“ und „fremdenfeindlich“ ist, wer sich gegen die Masseneinwanderung wendet. So jedenfalls kann der Pakt gelesen werden, und die Wahrscheinlichkeit, dass er unter dem Einfluss der NGOs und der Medien, die in die Umsetzung des Pakts eingebunden sind, so gelesen wird, ist nicht gering – entspräche dies doch der dort weithin üblichen Polemik gegen jede Einwanderungskritik.

Zusätzlich verlangt der Pakt, dass die Staaten „Aufklärungskampagnen fördern, die […] den Zweck haben, auf der Grundlage von Beweisen und Fakten die öffentliche Wahrnehmung des positiven Beitrags einer sicheren, geordneten und regulären Migration zu gestalten“ (Nr. 33 lit. f, auch bereits Nr. 10). Mit Staatspropaganda soll also dafür gesorgt werden, dass die Wähler Migration als positiv wahrnehmen und dass „irreführende Narrative, die zu einer negativen Wahrnehmung von Migranten führen“, ausgeräumt werden (Nr. 10) – wiederum Willensbildung von oben nach unten, genau umgekehrt wie in der Demokratie. Dass die Migration nur positive Wirkungen hat und den Wohlstand fördert, steht schon im Pakt und kann durch „Beweise und Fakten“ nicht infrage gestellt werden. Nur solche „Beweise und Fakten“, die diese These stützen, sind in den Aufklärungskampagnen zu verwenden. Das alles widerspricht der Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses, der die Demokratie kennzeichnet. Staatlich gelenkte Willensbildung mit hoheitlichen Mitteln und unter Einsatz von Steuergeldern darf es auch bezüglich der Migrationspolitik nicht geben.

Resümee

Versuchen wir, ein Resümee zu ziehen:

  1. Seitens der Befürworter des Migrationspakts wird betont, Migration lasse sich nicht auf nationaler Ebene regeln und steuern, sondern nur durch internationale Vereinbarungen. Dafür bräuchten wir den Pakt. Aber: Der Pakt regelt nicht die Migration, sondern nur ihre Begleiterscheinungen und vor allem die Rechte der Migranten. Er steuert nicht die Migration, sondern er lässt sie geschehen und unterstützt sie durch vielfältige Maßnahmen. Versteht man unter Regelung und Steuerung der Migration, dass die Staaten die Migrationsströme so lenken, dass sie in allseitigem Einvernehmen sich dorthin bewegen, wo man sie haben will – dass also insbesondere in die Zielländer nur diejenige Immigration stattfindet, die dort erwünscht ist –, dann ist der Migrationspakt völlig ungeeignet, dies zu leisten. Was er dazu beiträgt, ist nichts als der Wunsch, dass Migration möglichst „regulär“ und nicht „irregulär“ sein solle.
  2. Der Pakt vermeidet den Begriff der illegalen Grenzüberschreitung. Er spricht stattdessen von „irregulärer“ Migration, ohne zu klären, worin der Unterschied zur Illegalität besteht. Das liegt in der Tendenz des Migrationspaktes, Migration generell als positiv zu umschreiben. Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, „irreguläre“ Migration zu vermeiden: Man kann sie unterbinden, oder man kann sie in „reguläre“ Migration umwandeln. Über legal oder illegal entscheidet jeder einzelne Staat kraft seiner territorialen Souveränität. Der Pakt lässt den Staaten die rechtliche Kompetenz, diese Entscheidung zu treffen, drängt sie aber politisch dazu, das Problem der „irregulären“ Migration zu lösen, indem sie legalisiert wird. Steuern ließe sich die Migration aber nur durch effektive Grenzregime. Nur wenn die Staaten tatsächlich durchsetzen, wozu sie kraft ihrer Souveränität völkerrechtlich befugt sind – nämlich zu entscheiden, wer in das Land einwandern darf – ist eine Steuerung der Migration möglich. Nur unter dieser Voraussetzung bestimmt jeder Staat, wieviel Immigranten er aufnehmen will. Nur unter dieser Voraussetzung kann er glaubhaft kommunizieren, dass er nur diejenigen aufnimmt, denen er vorher die Erlaubnis zur Einreise gegeben hat. Nur unter dieser Voraussetzung haben die Regelungen des Migrationspakts über möglichst frühzeitige Information der Migranten in allen Phasen der Migration eine Funktion für die Steuerung der Migration. Ohne diese Voraussetzung aber dienen die Informations- und Kommunikationspflichten, die die Staaten übernehmen, lediglich der Erleichterung der völlig ungesteuerten Migration.
  3. Ein Hauptargument der Befürworter des Paktes lautet, wir bräuchten den Pakt, um den Migrationsdruck zu mindern. Der Migrationsdruck resultiere daraus, dass in Deutschland und Europa die Sozialstandards höher seien als in den vorderasiatischen und afrikanischen Herkunftsländern. Indem der Pakt für eine weltweite Angleichung der Standards sorge, vermindere er die Anreize, nach Deutschland zu kommen – so die vom Abgeordneten Dr. Stephan Harbarth im Bundestag formulierte Position der CDU/CSU-Fraktion. Die Menschen würden sich dann entschließen, in anderen Ländern zu bleiben, wo die Standards angehoben werden. „Deshalb werden wir für diesen Pakt stimmen – im Interesse Deutschlands“, sagte dieser künftige Bundesverfassungsrichter. – Die CDU/CSU-Fraktion will also mit Hilfe des Migrationspakts die Migration im nationalen Interesse begrenzen. Das ist, der Bekundung nach, eine klare Abkehr von einer unbegrenzten Willkommenskultur. Man fragt sich aber, ob Harbarth und all den anderen, die in dieselbe Kerbe hauen, nicht auffällt, dass sie mit der Zustimmung zu dem Pakt zugleich bekunden, dass Migration „eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ sei und dass es demgemäß nur darum gehe, „dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können“ (Nr. 8). Wollen sie etwa diese Quelle des Wohlstands und der Innovation zum Versiegen bringen – und dies mit demselben Pakt, der doch diese Quelle sprudeln lassen will?

Wie dem auch sei: Wenn der Pakt die Wirkung hätte, dass alle Aufenthalts- und Transitstaaten in der Dritten Welt ihre Sozialstandards auch nur annähernd auf europäisches oder gar deutsches Niveau anheben, käme dies einem Wunder gleich. Wie sollten sie das können? Es erstaunt schon, mit welcher Prognosesicherheit die Befürworter dem Pakt diese wundersame Wirkung zusprechen und mit welcher Selbstgewissheit sie denen, die nicht an ein solches Wunder glauben, Hetze, Lügen oder Hass schüren vorwerfen.

Warum Kurz richtig entschied
Pakt und Panik – Der UN-Migrationspakt
Aber schauen wir doch noch einmal in den Text des Paktes – was sagt er über die angebliche Angleichung der Sozialstandards? Er sagt darüber gar nichts. Er verpflichtet die Staaten, allen Migranten ungeachtet ihres Migrationsstatus einen sicheren Zugang zu Grundleistungen zu gewähren und die Leistungserbringungssysteme zu stärken (Nr. 31). Die Migranten müssen in dem jeweiligen Staat also die dort allen Menschen gewährten Grundleistungen diskriminierungsfrei erhalten, wobei der Staat allerdings durchaus zwischen Staatsangehörigen und regulären Migranten einerseits sowie irregulären Migranten andererseits differenzieren darf. Hinsichtlich des Niveaus der Grundleistungen sagt der Pakt lediglich, dass sie ausreichen müssen, die Wahrnehmung der Menschenrechte zu ermöglichen. Was der Pakt insoweit vorschreibt, ist zweierlei: Zum einen das Diskriminierungsverbot bei der Leistungsvergabe (was dazu führt, dass in Staaten mit hohem Leistungsniveau die Leistungen für Migranten nicht zur Migrationsanreizminderung wesentlich abgesenkt werden dürfen), und zum anderen den menschenrechtlichen Mindeststandard, der das – menschenwürdige – Überleben garantiert. Von Angleichung der Standards ist nicht die Rede.

In seiner Rede zum UN-Migrationspakt sprach der Abgeordnete Harbarth denn auch von „Mindeststandards“. Das ist richtig. Aber Harbarth fordert zugleich die weitweite Angleichung der Standards und sagt, wir müssten sicherstellen, dass die in Deutschland längst umgesetzten Mindeststandards auch in anderen Teilen der Welt umgesetzt werden. Es ist klar, dass das unrealistisch ist. Wer die weltweite Angleichung der Standards fordert, kann das nur erreichen, wenn Deutschland seine Sozialstandards auf das Niveau absenkt, das Entwicklungsländer sich leisten können. Wenn es hingegen bei dem bleibt, was der Text des Migrationspakts nahelegt, dass nämlich jeder Staat seine Sozialstandards selbst nach eigenem ökonomischen Vermögen und eigener politischer Prioritätensetzung festlegt – soweit nur das menschenwürdegemäße Existenzminimum gewahrt ist –, dann bleibt es auch in Zukunft bei riesigen Unterschieden im sozialstaatlichen Leistungsniveau. Die Behauptung, der Pakt werde den Migrationsdruck vermindern, lässt sich somit nicht darauf stützen, dass er die weltweite Angleichung der Sozialleistungen bewirke, die an Migranten erbracht werden. Wenn alle Staaten das erfüllen, was Nr. 31 des Paktes von ihnen verlangt, mag dies diejenigen, die sonst aus absolutem Elend nach Europa ausgewandert wären, von der Migration abhalten. Das immense Gefälle in den Sozialstandards bleibt als starker Pull-Faktor für die Migration jedenfalls erhalten.

  1. Ein weiteres Argument der Befürworter des Paktes sind die Menschenrechte. Man könne doch nichts dagegen haben, dass die Menschenrechte der Migranten geschützt werden. In der Tat: Man kann nichts dagegen haben. Deshalb ist auch nichts dagegen zu sagen, dass der Pakt sich für die Achtung der Menschenrechte in jeder Phase der Migration einsetzt. Es fragt sich allerdings, ob er dafür erforderlich ist und ob er in diesem Sinne viel bewirken wird. Menschenrechte sind Rechte, die jedem Menschen kraft seines Menschseins zustehen. Alle Menschenrechte stehen allen Menschen zu, also auch allen Migranten. Spezieller Menschenrechtsgarantien für Migranten bedarf es insofern nicht. Freilich sind vor allem irreguläre Migranten besonderen Gefährdungen ausgesetzt, und es könnte vielleicht sinnvoll sein, diese Gefährdungen durch spezielle Bestimmungen zu adressieren, wie der Pakt dies tut. Man kann sich aber auch fragen, ob er nicht, indem er dies tut, gerade die irreguläre Migration fördert, die er doch angeblich vermeiden will. Vor allem aber kann man sich fragen, woher der Optimismus kommt, dass all die Staaten, die permanent die Menschenrechte verletzen, obwohl sie an die UN-Menschenrechtsdeklaration ebenso gebunden sind wie an die beiden UN-Menschenrechtspakte und an weitere völkerrechtliche Verträge zum Schutz der Menschenrechte, nun plötzlich die Menschenrechte achten werden, sobald der UN-Migrationspakt angenommen ist. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass all die Menschenrechtsbekundungen des Paktes in den Staaten, die ohnehin in aller Regel die Menschenrechte beachten, Ansprüche auf Sozialleistungen für Migranten verstärken oder jedenfalls staatliche Regelungsspielräume für Differenzierungen einschränken, während sie in den Staaten, die für Missachtungen der Menschenrechte berüchtigt sind, nichts bewirken werden. In der Summe spricht mehr dafür, dass auch die Menschenrechtsbestimmungen des Paktes die Migration beflügeln, statt sie abzubremsen.
  2. Zu begrüßen ist, dass die Staaten sich verpflichten, ihre eigenen Staatsangehörigen wieder aufzunehmen, wenn sie remigieren wollen oder – wegen Ausweisung durch den Aufenthaltsstaat – müssen. Wenn die Staaten sich künftig an diese Verpflichtung halten, wird das in manchen Fällen Abschiebungshindernisse beseitigen. Auch hier gilt allerdings: Zur Aufnahme ihrer eigenen Staatsangehörigen sind die Staaten völkerrechtlich schon jetzt verpflichtet. Nach Artikel 12 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte darf niemandem willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen.
  3. Zu begrüßen ist auch, dass der Pakt den Triebkräften entgegenwirken will, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Aber da der Pakt die Hauptursache für den Migrationsdruck – die Bevölkerungsexplosion in den Herkunftsländern – überhaupt nicht anspricht, kann das kaum Wirkungen entfalten.
  4. Was ist von der Befürchtung mancher Gegner des Migrationspakts zu halten, der Pakt garantiere ein Menschenrecht auf Migration und zwinge die Staaten dazu, ihre Tore für eine schrankenlose Masseneinwanderung zu öffnen? Aus dem Text des Paktes ergibt sich weder ein Menschenrecht auf Migration noch die Verpflichtung der Staaten, alle Migranten einreisen zu lassen und aufzunehmen, die dies wünschen. Das Problem ist hier allerdings, dass der Text großenteils sehr blumig, ungenau und zum Teil widersprüchlich ist, entscheidende Frage offen lässt und damit Raum für Auslegungen bietet, mit denen die Staaten im Zeitpunkt ihrer Zustimmung vielleicht nicht rechnen, die sich aber später bei den Konferenzen unter Beteiligung der migrationsfreundlichen NGOs durchsetzen. Das Recht der Staaten, Migranten an der Grenze zurückzuweisen oder bei illegalem Grenzübertritt zurückzuschieben (wie das in Deutschland in § 18 Asylgesetz und in § 15 Aufenthaltsgesetz vorgesehen ist), wird im UN-Migrationspakt nicht erwähnt. Im Hinblick darauf, dass der Pakt an vielen Stellen die Migrantenrechte stärkt, wiederholt betont, die reguläre Migration erleichtern zu wollen und die irreguläre Migration nicht unterbinden, sondern lediglich ihre negativen Auswirkungen reduzieren will und dass ferner ein irregulärer Status möglichst in einen regulären Status überführt werden soll, erscheint es als nicht unwahrscheinlich, dass so etwas wie ein Recht auf Migration im Laufe der Umsetzungs- und Überprüfungsverfahren entwickelt und durch internationalen politischen Druck den Staaten aufgezwungen wird. Daher ist es auch möglich, dass der Migrationspakt der Kristallisationskern für die Entstehung einer völkerrechtlichen Verpflichtung der Staaten ist, ein solches Recht zu achten. Das wäre dann – trotz aller entgegenstehenden Bekundungen zur Achtung der Souveränität – das Ende der staatlichen Entscheidungsfreiheit darüber, wer in das eigene Land einreisen und sich dort ansiedeln darf. Nicht richtig ist die Behauptung, der Pakt schaffe ein solches Menschenrecht auf Migration und beseitige die staatliche Souveränität. Das Gefährliche am UN-Migrationspakt ist aber, dass er wegen seiner Unbestimmtheiten, Widersprüchlichkeiten und seiner migrationseuphorischen Gesamttendenz das Potential in sich trägt, künftig beides – Recht auf Migration und Verlust der souveränen Entscheidung der Staaten darüber, wen sie als Einwanderer aufnehmen wollen – entstehen zu lassen.
  5. Das ist der Textbefund. Um den UN-Migrationspakt richtig zu verstehen und seine potentiellen Folgen zu erfassen, muss man außerdem ins Auge fassen, was diejenigen, die diesen Pakt initiiert haben, damit bezwecken – soweit sie es denn ausdrücklich zu erkennen gegeben haben. Wer könnte insofern eine bessere Auskunftsperson sein als UN-Generalsekretär António Guterres? Als Gründe für den UN-Migrationspakt hat Guterres genannt: Es gehe darum, die Vorteile der Migration zu erkennen und zu verstärken. „Staaten, die Migration […] massiv beschränken, fügen sich selber unnötigen wirtschaftlichen Schaden zu, indem sie verhindern, dass legale Migration ihren Bedarf an Arbeitskräften deckt. Und noch schlimmer: Sie befördern illegale Migration. Migranten, denen legale Einreisemöglichkeiten verwehrt werden, greifen unweigerlich auf illegale Methoden zurück. Legale Einreise zu ermöglichen, ist der beste Weg, das Stigma der Illegalität und des Missbrauchs von Migranten zu beenden, Anreize für Regelverstöße zu beseitigen und den Arbeitsmarkt effektiv mit ausländischen Arbeitskräften zu versorgen.“ Es ist aus Sicht des UN-Generalsekretärs ganz einfach: Die Probleme der illegalen Migration werden beseitigt, indem man die bisher illegale Einwanderung legalisiert. Das ist für alle vorteilhaft – für die Migranten, die nicht mehr „stigmatisiert“ werden, und für die Aufnahmestaaten, die sich mit der Verhinderung der Immigration bisher nur selbst geschadet haben. Und um diese Vorteile für alle zu erreichen, ist der UN-Migrationspakt da. Man muss, um es zu wiederholen, also damit rechnen, dass der Pakt in diesem Geiste ausgelegt und angewendet wird. Die Worte des Generalsekretärs belegen, dass die Risiken, die der Text des Migrationspakts enthält, nicht herbeiphantasiert sind, sondern der Intention derer entsprechen, die diesen Pakt auf UNO-Ebene vorangetrieben haben. Der Dialektik des Migrationspakts, einerseits die Souveränität der Staaten zu erwähnen, andererseits aber einseitig die Vorzüge der Migration zu preisen, entsprechen auch die folgenden Worte des UN-Generalsekretärs: „Die Staaten […] haben berechtigte Gründe, sichere Grenzen zu verlangen und darüber zu entscheiden, wer ihr Hoheitsgebiet betreten und darin bleiben darf. Eine kontraproduktive Politik, die Migration einschränken will, untergräbt jedoch die Fähigkeit der Staaten, diesen vorrangigen Anliegen gerecht zu werden.“ Anders ausgedrückt: Wenn die Staaten Migration nicht einschränken, haben sie keine Probleme, ihre Grenzen zu kontrollieren. Denn dann gibt es keine illegalen Grenzübertritte mehr. Recht, Ordnung und nationale Sicherheit sind dann gewahrt. – Auch zum „Recht auf Migration“ hat der UN-Generalsekretär sich, jedenfalls indirekt, geäußert: Er sieht die Ungleichheit der Verhältnisse, in welche die Menschen in den verschiedenen Weltregionen hineingeboren werden, als ungerecht an und versteht deshalb Migration als „Weg für Menschen, aus ihrem Leben das Beste zu machen und die Würde zu erlangen, die unsere Vorgängerinnen und Vorgänger in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert haben. Ihr Streben nach Gleichheit ist legitim. Der globale Pakt sollte sicherstellen, dass sie dieses Ziel auf sichere, geordnete und reguläre Weise verfolgen können.“ Migration als Weg zur Erlangung der in der UN-Menschenrechtskonvention verheißenen Menschenwürde und der UN-Migrationspakt als Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels – wer behauptet, der Migrationspakt sei ein erster Schritt, Migration zu einem Menschenrecht zu machen, trifft damit jedenfalls die Intention des UN-Generalsekretärs.
  6. Dass Regierungen ihre Politik mit beschönigenden Darstellungen den Wählern anpreisen, ist normal. Dass eine internationale Vereinbarung aber bereits in ihrem Text eine völlig unrealistische, die Wirklichkeit total verzerrende Sicht ihres Regelungsgegenstandes gibt (Migration führe immer zu Wohlstand für alle usw.) und dass die an der Vereinbarung beteiligten Staaten sich ausdrücklich verpflichten, diese verzerrende Sicht innerstaatlich mit Staatspropaganda durchzusetzen, ist nicht nur außergewöhnlich – es ist antidemokratisch.

Dietrich Murswiek ist emeritierter Professor für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht an der Universität Freiburg im Breisgau.


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