Wohlfahrtsindustrie

Wo die Faktenlage ein ganz anderes Bild zeichnet, kann der öffentliche Glaube nur ein eingeredeter sein. Ein Hohn, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband mit der von ihm selbst den Bürgern eingeredeten Lagebeurteilung die eigene Lagebeurteilung begründet.

© Andreas Schlegel/Getty Images

Der Paritätische Gesamtverband erhebt die eigene erfolgreiche Indoktrination der Bevölkerung in den letzten Jahren zur maßgeblichen Faktenlage, um die Umverteilungsspirale weiter anzukurbeln. Wenn die gegebene Situation schon keine Anhaltspunkte für die angeblich ja immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich hergibt, dann muss eben die selbst erzeugte gefühlte Wahrnehmung herhalten.

In der Pressemitteilung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom 12.04.2017 wird die Sozialpolitik der eigentlich ja sehr sozialdemokratisch geprägten Bundesregierung gegeißelt. Das „Kabinett“ des Paritätischen Gesamtverbandes um den Verbandskönig Ulrich Schneider geruhte, sich mit dem fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zu befassen und befand die daraus gezogenen Schlüsse für „heiße Luft“ und ein „Sammelsurium von Konjunktiven“. Sein Majestät selbst lässt sich verlautbaren: „Der Umfang der sozialen Polarisierung steht in einem krassen Gegensatz zu den nun veröffentlichten Plänen und angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung.“

Das harsche Urteil wird mit der Faktenlage des über 700 Seiten starken Berichts begründet. Ausführlich in der Pressemitteilung zusammengefasst, in einem ganzen Satz: „Der Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiere beispielsweise, dass 84 Prozent der Bevölkerung zwischen 2010 und 2015 eine Zunahme von Armut festgestellt hätten und dass in der Vergangenheit auch Kinderarmut und Ungleichheit gewachsen seien.“

Schneider und Paritätische leben von Propaganda

Bei derart umfassenden Beweisführungen in formellen Verbandsverlautbarungen beginnt man die Dimension des postfaktischen Zeitalters zu ahnen. Warum etwas begründen, wo man doch DIE Instanz in Sachen Wohlfahrt im Lande ist. Halten wir uns an das dünne Haar, das Schneider glaubt, in der Suppe gefunden zu haben.

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Armut für Alle
Zum einen also „dass 84 Prozent der Bevölkerung zwischen 2010 und 2015 eine Zunahme von Armut festgestellt hätten“. Das wurde durch eine Repräsentativbefragung im Auftrag des BMAS herausgefunden: 44% der Befragten gaben an, dass sie meinen, der Anteil armer Menschen hätte stark zugenommen und 40% meinen, er hätte etwas zugenommen. Wen wundert es aber, dass die Bürger so empfinden, wenn es ihnen Verbände wie der Paritätische jahrein jahraus einbläuen. Am laufenden Band werden da neue Höchststände der Armut und Verelendung proklamiert. Wenn Schneider und Konsorten den Mund aufmachen, quillt gewiss ein neuer Superlativ des sozialen Niedergangs heraus.

Das kann nicht spurlos an den Menschen vorübergehen – unabhängig von ihrer eigenen tatsächlichen Wohlfahrt. Unlängst hab ich bei einer Podiumsdiskussion der Körber-Stiftung in Hamburg das große, bunt gemischte Auditorium gefragt, ob irgendjemand im Saal widersprechen würde, dass es uns allen im Großen und Ganzen laufend besser geht. Niemand hat sich gemeldet. Auf die Frage aber, ob man der Meinung wäre, dass die Ungleichheit zunimmt, gingen die meisten Hände hoch. Man spürt selber gar kein Problem, glaubt aber, dass da irgendwo bei irgendwem eines sein müsste. Und nachdem die wirkliche Faktenlage ein ganz anderes Bild zeichnet, kann dieser öffentliche Glaube nur ein eingeredeter sein. Ein Hohn, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband nun just die von ihm selbst den Bürgern eingeredete Lagebeurteilung nutzt, um die eigene Lagebeurteilung zu begründen.

Die wirkliche Wirklichkeit fasst der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht schön zusammen: „Zehn Jahre nach Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise steht Deutschland heute – insbesondere auch im internationalen Vergleich – sehr solide da. Kontinuierliches Wirtschaftswachstum, die höchste Beschäftigtenzahl und die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit sowie steigende Reallöhne, zuletzt vor allem für Geringverdienende, sind ein weiterer Ausdruck dieser ökonomischen Stabilität. Das Volkseinkommen ist im Berichtszeitraum deutlich gestiegen. Dabei sind die Arbeitnehmerentgelte stärker gestiegen als die Gewinneinkommen (Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen).“

Real geht es dem meisten besser

Das reale Einkommensniveau steigt und die relativen Maße der Armutsgefährdung und Ungleichheit sind konstant und im internationalen Vergleich unauffällig. Der Gini-Koeffizient als Ungleichheitsmaß der Einkommen pendelt in Deutschland seit mehr als zehn Jahren konstant knapp unter 0,3. Die Länder die im OECD-Vergleich hier etwas bessere Kennzahlen aufweisen, wie Slowenien (0,26) oder die Tschechische Republik (0,26), haben ein deutlich geringeres Einkommensniveau (insgesamt überhaupt merklich ein wenig besser stehen tatsächlich wohl nur die skandinavischen Länder da).

 Gleichzeitig haben wir in Deutschland sozialversicherungspflichtige Rekordbeschäftigung, niedrige Arbeitslosigkeit (in Bayern zum Beispiel an der Grenze zur Vollbeschäftigung) und die verfügbaren Einkommen steigen konstant derart, dass sie die Teuerungsrate überwiegen. Wir haben also real mehr bei gleicher Ungleichverteilung. Wohlstand für alle.

Das andere „Argument“ in der Pressemitteilung des Paritätischen, „dass in der Vergangenheit auch Kinderarmut und Ungleichheit gewachsen seien“, ist – mit Verlaub – ein Witz. Wen interessiert, was in der Vergangenheit mal gewachsen oder geschrumpft ist? Jetzt ist die Ungleichheit zuletzt tatsächlich sogar leicht gesunken. Nicht der Rede wert. Wichtig ist aber, dass es keinen Umschwung zum Schlechteren gibt und schon gar keinen Trend. Und wichtig ist, dass alle an erwirtschafteten Wohlfahrtszuwächsen teilhaben können.

Kinderarmut?

Zum Schluss noch ein Wort zur Kinderarmut. Einmal abgesehen davon, dass auch hier die unsinnige relative Definition von Armut einen falschen Eindruck erweckt – relativ werden auch bei steigendem Niveau immer annähernd gleich viele Kinder „arm“ sein –, sind doch 600.000 Kinder in Verhältnissen mit angeblich „erheblichen materiellen Entbehrungen“ eine erschreckende Zahl.

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Zuerst einmal muss man sich da allerdings bewusst sein, dass diese Daten durch Befragungen erhoben werden. Wer in wenig üppigen materiellen Verhältnissen lebt, wird sich kaum besser reden – eher umgekehrt. Und man wird gewiss alles Illegale – zum Beispiel Schwarzarbeit – verschweigen. Auch die immer wieder gerne angeführten Zahlen von Eltern, die zur Tafel gehen, leiten in die Irre: Natürlich nutzen die Leute die Tafeln, wenn sie tendenziell einen knappen Geldbeutel haben, das lässt aber keine Rückschlüsse zu, ob eine echte Notwendigkeit besteht – und das eingesparte Geld durchaus verständlicher Weise nicht für Sky-Abos, mobile Datentarife, Spielautomaten, Alkohol oder Zigaretten ausgegeben wird.

Schließlich besteht das größte Risiko für Kinder in eher ärmlichen Verhältnissen aufzuwachsen, wenn sie in einen alleinerziehenden Haushalt geraten. Jede fünfte „Familie“ mit minderjährigen Kindern in Deutschland sind inzwischen Alleinerziehende. Ohne mich in die Lebenswegentscheidung von einzelnen irgendwie einmischen zu wollen: Das ist ein kulturelles Desaster der Verantwortungslosigkeit. Angesichts dieser Entwicklung – innerhalb einer Generation hat sich der Anteil Alleinerziehender fast verdoppelt – muss die Frage erlaubt sein, ob wir mit den staatlichen Sozialtransfers und Fürsorgemaßnahmen in der jetzigen Form nicht nur helfen, sondern auch überhaupt erst das Milieu dafür schaffen.

Ich maße mir nicht an, darauf schon die letztgültige Antwort parat zu haben, aber auf so eine Überlegung kommt man beim Paritätischen Gesamtverband vermutlich erst gar nicht. Das braucht einen aber auch nicht zu wundern. Die Aufgabe dieser Dachorganisation von Sozialverbänden ist es „zur Erhaltung, Zusammenarbeit und Neugründung von Organisationen und Einrichtungen der Sozialarbeit“ beizutragen. Es geht also gar nicht um die Wohlfahrt unserer Gesellschaft, sondern um die der Mitgliedsverbände. Das muss man wissen, bevor man alles, was aus diesem Haus kommt, für bare Münze nimmt.

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Kommentare ( 27 )

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Niels Dettenbach
6 Jahre her

Tatsächlich ist es wohl so, das die deutsche Wirtschaft nich trotz staatlicher Regime funktioniert und die Menschen faktisch immer mehr verdienen. Dem entgegen allerdings steht eine exorbitante Staatsverschuldung bei immer weiter steigenden Stern und Abgaben – direkt wie indirekt – die sich erheblich auf die Kaufkraft auswirken. Der mittels staatlicher EZB Druckerpressen derzeit fast schon mit Gewalt verbilligte Euro entspricht einer staatlichen Enteignung bisher nur in der DDR und unter den Nazis bekannten Größenordnung, wenn auch durch die Hintertür. der Staat frisst sich fett – so wundert wenig, das die Privatvermögend er Deutschen zu den geringsten in Europa gehören. Wozu… Mehr

Klaus J. Reupold
6 Jahre her

…schließlich besteht das größte Risiko für Kinder in eher ärmlichen Verhältnissen aufzuwachsen, wenn sie in einen alleinerziehenden Haushalt GERATEN (!!!)

Maas, oh Maas, wo haben Sie Ihre Muttersprache und Takt mitbekommen?
Sie scheinen in Ihrem Erbenleben nicht weit über Rosenheim und Ihren Unternehmerverband hinausgekommen zu sein, denn spätestens in der Münchner City wären Ihnen die bemitleidenswerten Gestalten jeglichen Alters aufgefallen, die in Abfallkörben nach Pfandflaschen und Essensresten suchen. Menschen wie Sie vermuten dahinter sicher Leute, die einfach auffallen wollen.

Ich werde meine kostbare Zeit künftighin Herrn Wallasch und der genialen Blackbox reservieren. Ignoranz findet sich in den ÖRMSM genug.

F.Peter
6 Jahre her

Wenn es mal ehrliche Zahlen zu den tatsächlichen Zustände in diesem Land gibt, und diese vernünftig aufgeschlüsselt um nachvollziehbar zu sein, dann bin ich gerne bereit darüber zu diskutieren!
Solange aber über einen politisch kreativ erstellten sogenannten Armutsbericht berichtet wird, interessieren mich weder dieser Bericht noch die dazu geführten zwangsläufig nutzlose Diskussionen!

T. Pohl
6 Jahre her

Ulrich Schneider erinnert mich immer an Gewerkschaftler die das zig-fache mit nach Hause nehmen, als die Leute für die sie angeblich „kämpfen“.
Es ist sein „Job“ so zu reden. Dafür wird er fürstlich entlohnt.

Justin Cool
6 Jahre her

Mir bläut niemand ein, dass ich arm bin, auch kein Herr Schneider und sein Bericht, den ich nie gelesen habe. Ich bin arm, weil ich keinen Job in Brandenburg finde, weil ich gesundheitlich eingeschränkt bin und zur Grundsicherung noch bei der Tafel um Essen bitten muss. Weil größere Ausgaben wie Zahnersatz mich finanziell überfordern. Weil ich jeden der wenigen Euros dreimal umdrehen muss, bevor ich ihn ausgebe. Weil ich nichts gegen die ständigen Stromkostenanstiege, die Mietsteigerungen tun kann. Der Autor kennt solch ein Leben nicht, er lebt in seiner eigenen Wohlstandsblase und kann so über angeblich nur propagierte Armut schwadronieren.… Mehr

Katharina
6 Jahre her
Antworten an  Justin Cool

100 % Zustimmung!

Theo Wessel
6 Jahre her

Für echten Journalismus (für den ich auch noch zahlen soll) erwarte ich aber eine deutlich bessere Recherche. Davon ab springt der Liberalismus im Kommentar ja quasi schon über den großen Teich.

Also das ist a) weit ab von fundiert und sachlich und b) weit weg von jeder Realität.

Sie dürfen es gerne nochmal probieren und wir können uns das Ganze gerne auch mal zusammen angucken, aber der Kommentar ist gelinde gesagt Schrott.

Duke
6 Jahre her

Wir haben vielleicht kein größeres Problem mit Armut, dafür aber umso mehr mit Sozialer Ungerechtigkeit besonders bezogen darauf, dass die einen eine politisch schwierige Lage völlig ungeniert ausnutzen um sich die Taschen auf Kosten der Steuerzahler vollzustopfen. Das sind derzeit zuallererst die gigantisch aufgeblähten Wohlfahrtsverbände. Wenn mittlerweile die Wohlfahrtsverbände die größten Arbeitgeber in Deutschland sind und die Anzahl der Veschäftigten deutlich die Anzahl der Arbeitnehmer in der produktiven Automobilindustrie übersteigt, dann läuft was schief und der Staat frisst sich, im übertragenen Sinne, gerade selbst auf. Ermöglicht wird all das nur dadurch dass die deutschen Arbeitnehmer die höchste Abgabenlast in den… Mehr

Andrea Dickerson
6 Jahre her

Ich habe die altertümliche Einstellung, daß Wohlfahrt auf Freiwilligenbasis von Spendern finanziert wird, einzelne Bürger und Geschäftsleute, und laßt sie dann meinetwegen ein paar Steuern abschreiben. Geleitet und bearbeitet wird das von Freiwilligen. Das ist Wohlfahrt. Steuergelder haben hier nichts zu suchen, auch nicht bezahlte Angestellte, und Anrufe an mích, was bedeutet, daß man Spender- oder Steuergelder dafür ausgegeben hat, nichtöffentliche Telefonnummern zu kaufen. Wenn man dann hört, welche Prozentanteile tatsächlich an Bedürftige gehen, nämlich fast nichts, spendet man nicht mehr, außer man weiß, daß Wohlfahrt tatsächlich so gehandhabt wird, wie oben beschrieben – freiwillig ohne Bezahlung und ohne Staatsbeteiligung,… Mehr

jackhot
6 Jahre her

…die Trolle der Industrie- und Bankenlobbyisten…..
wenn man einige Kommentare so liest…

Gerd
6 Jahre her

Die segensreiche Parität in Einkommen und Vermögen gab es in Deutschland leider nur in der DDR. Da müssen wir unbedingt wieder hin, soziale Gerechtigkeit nach Schulz kann es nur im Sozialismus oder Kommunismus geben. Ein Jammer, dass dieses Vorzeigeland DDR untergegangen ist, wo doch dort alles so schön paritätisch war und es keine Armen gab. Ein Trostpflaster gibt es allerdings: Die von Merkel, Schulz & Co. angetriebene Armuts-Zuwanderung führt zu einer Senkung der Armutsgrenze. Damit sind plötzlich viele nicht mehr arm, die es gestern noch waren. Wie gut, dass es die Statistik gibt. PS: In Venezuela kann man sehen, wie… Mehr

AlfredE
6 Jahre her
Antworten an  Gerd

Auch in der DDR gab es richtige Millionäre und Bürger, die so richtig viel Geld verdient haben.

Auch Armut gab es in der DDR, und das nicht nur bei Rentnern, die mit 400 DDR-Mark auskommen mussten.

BINE
6 Jahre her
Antworten an  AlfredE

„Auch Armut gab es in der DDR, und das nicht nur bei Rentnern, die mit 400 DDR-Mark auskommen mussten.“
Dabei kosteten z.B. die Wohnungsmieten um die 50 Mark und ein Fahrschein beim ÖNV 10 Pfennig. Armut ist relativ.

AlfredE
6 Jahre her
Antworten an  BINE

„Armut ist relativ“

deshalb ist ja dieser Deutschland Armutsbericht eine populistische Farce