Warum die SPD optimistisch in die Koalitionsverhandlungen gehen kann

Wenn jemand in den Koalitionsverhandlungen dazugewinnen wird, dann die SPD - und es steht zu befürchten, dass diese Zugewinne auf dem Gebiet der Einwanderungspolitik zu verzeichnen sein werden.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Die Bewertungen der 56%-Zustimmung der Sozialdemokraten zur neuerlichen Großen Koalition fallen fast durchweg negativ aus. „Die Zwergen-SPD“ wird die Partei von der FAZ genannt – und man muss sich schon sehr zum Narren gemacht haben, um sogar von dieser anständigen Zeitung verspottet zu werden. DIE ZEIT warnte die Partei vor einem knappen Abstimmungsergebnis mit dem Argument, die SPD drücke damit aus, sie sei innerlich sowohl zu schwach, um zu regieren, als auch zu schwach, um sich in die Opposition zu wagen. Ebenfalls nicht gespart wird mit Prügel für den Parteivorsitzenden, dessen Rede allgemein enttäuscht zu haben scheint – was aber zumindest die Frage aufwirft, bei welchen Gelegenheiten sich Martin Schulz denn bisher als mitreißender Redner ausgezeichnet habe.

Wie dem auch sei, die Prognosen zur Überlebensfähigkeit der SPD fallen angesichts der wahrscheinlich fortgesetzten Juniorpartnerschaft an der Seite der Union nicht gerade rosig aus. Allerdings lohnt es sich, den Blick auch auf die unmittelbar anstehenden Tagesordnungspunkte der Politik zu richten. Dort dominieren unzweifelhaft die baldigen Koalitionsverhandlungen – und für deren Ausgangslage ist das knappe Votum des Parteitags für die SPD nicht notwendigerweise ein Grund zum Verzweifeln.

Um dies zu verstehen, ist es hilfreich, die potentiellen Verhandlungsergebnisse nicht als lineare Funktion der Stärke der jeweils verhandelnden Parteien zu erklären, sondern sie als Resultat von strategischen Interaktionen zwischen den Verhandlungspartnern zu deuten.

Im Grunde nehmen Union und SPD an einer zweistufigen Verhandlungsprozedur teil, bei der die Sondierungen die erste und die eigentlichen Koalitionsverhandlungen die zweite Phase darstellen. Jede Partei will im Endeffekt das Maximum ihrer jeweiligen Positionen durchsetzen, allerdings unter der Einschränkung, dass die jeweils andere Partei noch so viel auf der Hand hält, dass sie weiterhin in die Koalition einwilligt. Das Verhandlungsgeschick besteht dann natürlich darin, das, was man dem Verhandlungspartner preisgeben muss, auf das absolut notwendige Minimum zu reduzieren. Im Idealfall ist der potentielle Koalitionär am Ende der Verhandlungen indifferent zwischen der Zu- und der Absage des Koalitionsdeals – das, was er erhält, ist nur marginal besser als das, was er preisgeben muss. Nicht durch Zufall erinnert diese Situation an aus der Mikroökonomik bekannte Optimalitäts- und Gleichgewichtsbedingungen.

Die enge zeitliche Abfolge von Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen führt zwei interessante Dynamiken in diesen Prozess ein: Erstens sind die Ergebnisse der Sondierungen nicht in Stein gemeißelt, sondern können potentiell von beiden Parteien in der Koalitionsrunde wieder aufgeschnürt und nachverhandelt werden. Zweitens hat der SPD-Parteitag den Sozialdemokraten die Gelegenheit gegeben, ein nach außen sichtbares Signal zu senden, wie gut die Union in den Sondierungen verhandelt hat.

Der Parteienstaat bebt
SPD scheinbar allein zuhaus'
Angenommen, die Abstimmung auf dem SPD-Parteitag hätte in einer großen, gar überschwänglichen Mehrheit für die dritte GroKo unter Angela Merkel resultiert. Dies hätte der Union signalisiert, dass die SPD bei den Sondierungen womöglich zu gut weggekommen sein könnte, denn anscheinend ist es letzterer sehr leichtgefallen, sich für das „Ja“ zu entscheiden. Dadurch hätte die Union einen klaren Anreiz erhalten, die Sondierungsergebnisse in den Koalitionsverhandlungen wieder aufzuschnüren und zu Lasten der SPD zu verändern, in dem Wissen, dass es noch einen bequemen Puffer der Zustimmung gibt, in dessen Rahmen die Sozialdemokraten etwas preisgeben können. Das heißt, ein starkes positives Votum des Parteitags hätte die SPD-Unterhändler für ihren anstehenden Auftrag nicht gestärkt, sondern sie stattdessen vielmehr in eine missliche Lage gebracht. Denn ein darauffolgendes Nachgeben in den Koalitionsverhandlungen hätte gewiss einigen Erklärungsbedarf für die Parteibasis nach sich gezogen.

Die knappen 56%, mit denen die Funktionäre der Sozialdemokraten jetzt in die nächste Runde gehen, signalisieren vor allem eins: Bis hierhin und nicht weiter. Ja, die SPD-Führung ist schwach und ihr Rückhalt in der Partei ist bröckelig, aber genau deswegen sollte es – so die unterschwellige Botschaft – die Union besser nicht riskieren, ihren erhofften Koalitionspartner nochmals in die Ecke zu quetschen, denn mit den verhandelten Sondierungsergebnissen ist sie gerade so daran vorbeigeschrammt, die Implosion der gesamten SPD-Parteispitze auszulösen.

Mit Blick auf die bevorstehende zweite Etappe der Verhandlungen weiß die SPD allerdings nun, dass die Union die GroKo einerseits mit Nachdruck will und andererseits dank Merkels Prinzipien- und Wertelosigkeit auch noch über allerlei Spielraum verfügt, um der SPD nun entgegenzukommen. Die CSU versucht dies offensichtlich im Vorfeld abzublocken, aber letztendlich wird ihr mal wieder nichts anderes übrigbleiben, als bei der Kanzlerin um Gnade zu betteln.

Das Wahlergebnis von CSU-Chef Söder in der kommenden bayerischen Landtagswahl wird für Angela Merkel jedoch kaum eine bindende Nebenbedingung in ihrem Kalkül darstellen. Von daher ist eine Prognose recht simpel: Wenn jemand in den Koalitionsverhandlungen dazugewinnen wird, dann die SPD – und es steht zu befürchten, dass diese Zugewinne auf dem Gebiet der Einwanderungspolitik zu verzeichnen sein werden.

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Kommentare ( 71 )

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Peter Kaiser
6 Jahre her

Ich versuchs mal pragmatisch: 12 Jahre Merkelpolitik waren nur ein verwalten Deutschlands. Man kann aber nicht nur Frau Dr. Merkel die Schuld geben. Ich sehe in der derzeitugen Situation in Deutschland ein Kollektivversagen von Regierung, Politik und Staatsmacht. Wenn das so weitergeht, ist Deutschland nach der vierten Legislaturperiode abgewirtschaft.

Wolfgang Scholl
6 Jahre her

Die Ausgangslage ist doch wohl einfach so: AM will auf jeden Fall ihr Amt behalten. Und die CDU-Abgeordneten folgen wie eine Hammelherde, weil sie sonst auch ihre Pöstchen verlieren. Folglich war das Abstimmungsergebnis beim SPD-Parteitag ziemlich nebensächlich; der ganze Parteitag war nur Theater. Auch wenn das Ergebnis 50,0001 gelautet hätte. Die SPD kann in den Koala-Verhandlungen jeden Preis verlangen, weil – siehe oben.
Den Preis zahlen die Bürger – besser gesagt, der Teil der Bürger, der mit Intelligenz und Fleiß den Wohlstand des Landes erarbeitet hat.

Strato
6 Jahre her

Die Probleme der SPD begründen sich nicht darin, wieviel sozialdemokratische Projete in einer GroKo umsetzen kann. Das Problem besteht darin, daß man das Migrationsproblem nicht als ein solches erkennen will oder kann.

Felix Schmidt
6 Jahre her

Es wird in der Tat spannend. Werden die Zugeständnisse an die SPD zu gross, wird die CSU (noch mehr als ohnehin) in Bayern baden gehen.
Es wäre besser, Merkel und Seehofer würden zurück treten und den frei machen für eine wirkliche bürgerlich-konservative Regierung.

Ute Iwan
6 Jahre her

In Davos:

„Wir haben 2015 eine Migrationswelle erlebt, weil wir außenpolitisch zu schwach waren“, sagte die Bundeskanzlerin. „Jetzt müssen wir lernen, unsere Außengrenzen zu schützen.“

Wenn die Frau auch nur noch einen einzigen Funken Intelligenz besitzt, kann sie sich jetzt gar nicht mehr auf Familiennachzug einlassen.

Homeland-Bewohner
6 Jahre her

Egal was bei den Verhandlungen herauskommt, für die schon länger hier Lebenden wird es eine kapitale Nullnummer. Und teuer… (in mehrfacher Hinsicht)

m.s
6 Jahre her

Die Parteien sind völlig realitätsfremd, aber sie werden sich einigen, nicht zum Wohl von Deutschland, sondern aus reiner Machtgier !

Marc Hofmann
6 Jahre her

Das Problem für die SPD, für die CSU, für die CDU und die FDP wie auch den Grünen ist, dass diese Parteien sich so auf die Merkel konzentiert haben, dass Sie schon keine eigene Wahrnehmung im Volk mehr zu verzeichnen haben. Merkel ist das größte Problem für diese Parteien und nicht die AfD. Merkel nimmt NIE eine Position ein…Merkel übernimmt nur Positionen, die ihr nützlich sind um ihre Macht zu stärken bzw. zu halten. Merkel wildert immer und überall…bei allen Parteien und ihre eigene Partei = Union lässt Merkel dabei freie Hand. Egal was die SPD also in dieser Groko… Mehr

mfohr
6 Jahre her

da selbst jeder unterbemittelte Bürger dieses Procedere abschätzen kann, werden beide Blöcke beim nächsten Wahlgang heftig eins auf die Mütze bekommen. es sei denn, die CDU findet endlich eine charismatische Führungsfigur.

Schlewig
6 Jahre her

FAZ – anständigen Zeitung? Wenn, dann war es einmal so.
Aber sie haben Recht, die SPD macht sich zum Obernarren. Sie gehört bei allen ihren Verdiensten auf den Müllhaufen der Geschichte.