SATURN – Opas trauriger Gefühlshaushalt

Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit die letzte Bastion großer Wertvorstellungen. Kann traurig machen ... oder glücklich. Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann beruhigt in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.

Screenprint: Youtube/Saturn

Freunde, jetzt reichts! So haben wir nicht gewettet. Die BILD-Zeitung macht uns eindeutig klar, dass wir bei Betrachtung dieses SATURN-Spots zu weinen haben und zeigt im Sinne eines „Jetzt-helfe-ich-mir-selbst-Ratgebers“ zahlreiche Zeitgenossen, die gerade einen Werbespot betrachten und dabei vor sich hinflennen. Die Werbung hat einen neues Thema entdeckt: Den traurigen Opa. Machte im letzten Jahr noch der einsame Großvater Furore, der über den Versand der eigenen Todesanzeige die Familie wieder zusammenführte und ein „wirklich wichtiges Thema“ verdeutlichte, so hat der diesjährige Opa sein Gedächtnis fast vollständig verloren und bekommt kurzerhand eine „Virtual Reality-Brille“ aufgepflanzt, damit er sich an früher erinnern kann. Dass das  Ding ziemlich rabiat über die Rübe gezogen wird, macht das nachfolgende Ergebnis vergessen: Er kommt wieder zu Bewusstsein. Technik hat schon immer schlechte Zeitgenossen begünstigt …

Die Werbung hat ja recht: Als Mann ohne Eigenschaften laden die Lichtimpulse unsere verschütteten Erinnerungen auf, auf das wir vom Pflegeheiminsassen wieder zum Individuum werden. Dabei müssen wir uns nichts vormachen; das Leben ist ziemlich simpel: Wir wachen auf. Wir machen was, wir gehen schlafen … das wiederholen wir ungefähr 22.000 Mal und dann sterben wir.

Dass die Dramaturgie auf einen Elektronikfachmarkt verweist, stimmt nachdenklich. Der Not der Konsumenten, alles überall zu bekommen, steht auf der Seite der Anbieter, kaum noch etwas leisten zu können, was sie von anderen unterscheidet. Ziel der coolen Werberelite muss es also sein, nicht den Unternehmensnutzen, sondern „das gute Gefühl“ zu erzeugen. Der Jurist und Corpsstudent Karl Marx hatte diesen Zusammenhang bereits im „Kapital Band I“ unter dem Begriff des „moralischen Verschleißes“ ausgeführt – und zwar richtig gut! Da kann so manche „Strategieabteilung“ noch etwas lernen. Das moderne Geschäft ist also nichts anderes als die Verkörperung einer Versprechung, die über die Realität hinausgeht, ja hinausgehen will. Sie schafft Idealtypen, die sich ob ihrer Unerreichbarkeit umso prägender in unsere Emotionalwelten einschleichen sollen. Der Anbieter lädt sich mit Hilfe der Werbung nicht mehr nur mit „guten Gefühlen“ auf,  sondern er stellt sie fast vollständig in den Mittelpunkt. Die Emotionen an sich sind bedeutungsoffen, universell und fundamental – sie sind Perspektiven der Sinnstiftung, die aber nichts mehr mit dem Unternehmen selbst zu tun haben. Muss ja auch nicht: Konsum ist in den seltensten Fällen sinn-, sondern eher lustvoll.

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Ein Blick in die Wirtschaftspresse offenbart: Saturn geht’s so lala und muss sich irgendwie von seinem firmeninternen Bruder Media Markt differenzieren. Eine heikle Aufgabe, die anscheinend die Werbung besorgen soll, weil es leistungsspezifisch keine Unterschiede gibt. Nur gut, dass die Jungs und Mädels der Werbeagentur Jung von Matt nach der CDU nun auch ein weiteres Schlachtschiff konsequent versenken dürfen. Zumindest erhalten die jungen Leute, die in einer solchen renommierten Agentur für Hungerlöhne schuften und mit Billigpizza bis Nachts um 2 Uhr bei Laune gehalten werden, die Möglichkeit, die Monat-um-Monat verschobenen Besuche beim Großvater im nahegelegenen Augustinum wieder gut zu machen … zumindest indirekt, indem sie ganz viele traurige Opas, die aussehen wie Fotokopierer mit Beinen, über den Bildschirm schlurfen lassen und den Rest der Welt aufrütteln, während sie selbst auf ihre Smartphones Apps hämmern.

Die Kreationsleistung reduziert sich auf ein bloßes Wieder-Wieder-Wieder-Inszenieren des traurigen deutschen Opas. Wer da letztes Jahr warb, weiß man gar nicht mehr … ist ja nur Werbung. Die entscheidende Frage, ob es denn etwas bringt, also Geld verdient wird, ist blasphemisch. Es handelt sich doch schließlich um „Image-Werbung“, die muss nur Gefühl erzeugen … man ist ja schließlich nicht mehr im 19. Jahrhundert. Gnade uns Gott, wieviele Opas vor Weihnachten Tränen-Sturzbäche erzeugen werden. Ein Stakkato aus Filzpantoffeln, Flanellhemden und Teewurst.

Hat eigentlich jemand bemerkt, dass die gesellschaftliche Stellung des Opas ins Wanken gerät? Nicht nur Frauen- und Familienbilder unterliegen einem Wandel, auch der Opa ist heute endlich ein anderer: Das Bild des emotionslosen, blasmusiktirilierenden Fensterbankobservators ohne Tiefe wird langsam oder stetig ersetzt durch den „fühlenden alten Mann“. Überall taucht er auf: Im Roman, im Theater, ja selbst im Altenheim hat man ihn gesehen. War die „Emotion“ bis vor kurzem der Oma vorbehalten, darf nun auch Opi weinen, seinem „ES“ freien Lauf lassen. Das ist die eigentliche Revolution des Rollenbildes – fernab vom Gendergedöns. Ich freue mich bereits ein empathischer Opa zu werden.

Soviel Wandel in einer einzigen Werbung: Somit lässt sich leicht vorhersagen, dass wir bald alle nur noch wimmernd die Werbung betrachten werden, weil uns Kinder, Frauen, Männer und Greise die wirklich „wichtigen Dinge des Lebens“ verdeutlichen. In der zeitgenössischen Werbung verdichtet sich die Tendenz der Verschmelzung von Lebenserfahrung, Marketing und Technologie in eingängiger Weise.

Wo sind wir bloß angekommen? Darauf erst einmal die Virtual-Reality-Brille ´drüberziehen.


Dr. Oliver Errichiello ist Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg und der Hochschule Luzern. Er hat zahlreiche Bücher zum Thema „Marke“ geschrieben.

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Kommentare ( 14 )

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Doris die kleine Raupe Nimmersatt
6 Jahre her

Welcher „Opa“ hat sich eigentlich für diese Werbung so zum Affen gemacht?

old white man from black forrest
6 Jahre her

Ja, der Grat ist schmal vom agilen, weltreisenden Senior, zu dessem finalen Lebensglück nur noch Viagra fehlt, um Frauen im Alter seiner Enkelin zu beglücken – und dem senilen Alten im Altersheim.
Ja, da kullern die Tränen, wenn er sich bei den seltenen Visiten an nichts mehr erinnern mag. Wehe aber, man müsste sich mal ein-zwei Tage um den Opa – mit all seinen Gebrechen und Schrullen kümmern. Man würde nicht vor Glück – sondern vor Wut schreien.

Rainer Franzolet
6 Jahre her

Ich schaue nie Werbung. Wozu auch. Ich frage mich immer, warum da immer so viel Wind gemacht wird? Das Leben ist zu kurz, um es für solchen Unsinn zu verschwenden.

frank
6 Jahre her

Jede Sekunde zählt und jede Sekunde Werbung ist Zeitverschwendung, daher je schlechter die Werbung desto mehr Zeit verbleibt durch gesteigerte Motivation zum Abschalten. MEHR SCHLECHTE WERBUNG!

von Kullmann
6 Jahre her

Dem Opa die virtuelle Brille mit dem virtuellen Pflegepersonal. Dem Enkel die virtuelle Brille mit dem virtuellen Opa. Das macht Staat aus Familie.

dunkelstrasse48
6 Jahre her

Wir belieferten früher ein Altersheim täglich mit Medikamenten. Erst holten wir die Rezepte ab, dann lieferten wir später das Verordnete aus. Die Patienten, die nicht bettlägerig waren, saßen immer dicht gedrängt im Fernsehraum, Abfahrtslauf den ganzen Tag, Riesenslalom 4,38 Sekunden Vorsprung, Hurra. War wie sprechende Fototapete, im Sommer Zoofernsehen. Ich finde, das ist Rassismus gegen alte Menschen. Opamißbrauch. 🙁 Ich hoffe, meine Enkel blättern mit mir dann mal die alten Fotobücher durch, schauen die selbst gemachten Diafilme an, mit menschlicher Ansprache. Saturn ist für mich keine Marke mehr, genauso wenig wie „Ich bin doch nicht blöd“. So was löst immer… Mehr

T. Pohl
6 Jahre her
Antworten an  dunkelstrasse48

„Dann lieber gleich zu Amazon, da muß man nicht blöd sein.“ Doch da ist man schon ziemlich blöd, weil man damit den Einzelhandel mit seinen Arbeitsplätzen in der Fläche zerstört, weil man einer Firma zu Umsatz verhilft, die ihre Mitarbeiter miserabel bezahlt und ihre (allergrösstenteils nicht in D oder der EU versteuerten) Gewinne (die haben meines Wissens noch nie eine Dividende ausgeschüttet) vollständig dazu benuzt ihre Marktmacht zu vergrössern und den Wettbewerb zu zerstören. Warum die Kartellbehörden nicht gg. Amazon wegen ihrer Marktübermacht angehen, verstehe ich nicht. Die Schweiz hat deswegen zum 1.1.2018 die Umsatzsteuer auf elektronische Produkte für schweizer… Mehr

dunkelstrasse48
6 Jahre her
Antworten an  T. Pohl

Sorry, aber zwischen Amazon, Saturn und Mediamarkt sehe ich keinen großen Unterschied. Die unüberschaubare Metro-Group versteuert ihre Gewinne auch dort, wo’s am günstigsten ist. Und das Personal überschlägt sich im allgemeinen nicht bei der Beratung. „Einzelhandel“ für z.B. Elektrogeräte, Küchengeräte, Unterhaltungselektronik, Computer gibt es ja kaum noch, das sind alles Ketten, und die empfehlen die Produkte, die sie günstig in Mengen gekauft haben. Also informiere ich mich erst mal ganz genau im Internet aus unterschiedlichsten Quellen, damit man mir nicht ein X für ein U vormacht, bevor ich losziehe. Der Einzelhandel sollte nicht jammern, sondern sich seinen Platz suchen mit… Mehr

Gustav Jaspers
6 Jahre her

Lieber Oliver, entschuldige das Ikea-Du, aber als digital halbwegs gebildeter Opa schlage ich vor: wir setzen solche Firmen auf unsere großväterliche Black-List. Von Firmen, die so werben, kaufen wir nichts. UND wir sorgen dafür, dass unsere Kinder und Enkel das genauso halten. Dann hört der Spuk bald auf.

Helga Schäfer
6 Jahre her

Grad angeschaut. Soviel Kitsch, mir hat es die Kopfhaus zusammengezogen. Es ist nicht zu ertragen.

T.K.
6 Jahre her

Hamburg, das ist doch die Stadt, in der anscheinend niemand zu G20 einen Reff- von einem Diebesknoten unterscheiden kann.
Da kennt man sich mit Image aus.

Bildungsferner Abgehängter
6 Jahre her

Entschuldigung, auch wenn es ein klein wenig am Thema des Artikels vorbei gehen mag. Aber verstehe ich richtig, alte Menschen sollen jetzt digital sediert werden? Auch wenn das ganze als Hilfeleistung kaschiert wird, den eigenen verschütteten Erinnerungen wieder auf die Spur zukommen, so kann ich darin nur einen weiteren neoliberalen Schritt erkennen nicht mehr ökonomisch produktive Existenzen, ohne Erbarmen, kostensparend und für die Allgemeinheit möglichst geräuschlos, zu entsorgen. Tut mir ja leid, wenn ich träume, aber wie wäre es demgegenüber, die Arbeitswelt ließe es zu, daß sich Familienangehörige die Zeit nehmen könnten, sich selber ausreichend um ihre Angehörigen zu kümmern?… Mehr