Plädoyer gegen den Ökologischen Totalitarismus

Ökologie ist das moderne Heilsversprechen für den frustrierten Bürger. Die Umweltreligion nimmt für sich die einzige Wahrheit in Anspruch und bedient sich klassisch autoritärer Instrumente. Doch vielleicht kann die „Raumpatrouille“ unsere Demokratie noch retten. Ein Gast-Essay von Alexander Fritsch

© Izaak Raajmakers

„Und wie die Hortensien seid ihr
bald grün, bald rot, bald blau,
am Ende gar missfärbig –
ich kenn‘ euch genau.“
(Goethe – Sämtliche Werke, Band 39)

Prolog

Auf welchen Pfaden der nächste Bundeskanzler die reichlich gebeutelten Deutschen in die kommenden internationalen ökonomischen und politischen Schlachten auch führen mag, eines ist so gut wie sicher: Die Fahne, die er hochhält, wird nicht nur schwarz-rot-gold sein, sondern auch grün.

Denn unser Land benötigt ökologische Nachhilfe: Diese Ansicht jedenfalls ist weitgehend schon ein Gemeinplatz. In den Medien sowieso (was nicht weiter verwundert, bilden doch unter den Journalisten die Grünen-Sympathisanten die mit Abstand größte Gruppe) – von apokalyptischer Existenzangst bleiben aber auch bisher eigenständige und undogmatische Köpfe nicht verschont.

Deutschland erliegt – schon seit geraumer Zeit und zuletzt immer stärker – einer kollektiven Selbsttäuschung, einem parteiübergreifenden politischen Fundamentalirrtum: dem Glauben an das ökologische Heilsversprechen.

Die Folgenlosigkeit von Politik

Immer offensichtlicher ist Politik erfolglos. Das macht den Politikern und dem Publikum gleichermaßen schwer zu schaffen. Zu deutlich, als dass dabei das Blut noch ruhig fließen könnte, haben sich gesellschaftliche Vorgänge von politischen Einflussversuchen abgekoppelt (manche ziehen daraus irritierend resignative Schlüsse):

  • Keiner schafft es, die Schwerkriminalität spürbar zurückzudrängen (manche ziehen daraus den Schluss, Kriminalität erst gar nicht mehr zu bekämpfen, sondern als eine Art Folklore ins Alltagsleben zu integrieren).
  • Keiner schafft es, dass Frauen sich nachts wieder in die U-Bahn oder in moderner Badekleidung ins Schwimmbad trauen können (manche ziehen daraus den Schluss, die Beschlagnahmung des öffentlichen Raumes durch aggressive junge Frauenverächter einfach zu leugnen).
  • Keiner schafft es, die Staus auf den Straßen aufzulösen (manche ziehen daraus den Schluss, nicht mehr den Stau zu bekämpfen, sondern die individuelle Mobilität).
  • Keiner schafft es, die teilweise verheerenden Auswirkungen der Globalisierung vor allem auf niedrige Einkommensklassen abzufedern (manche ziehen daraus den Schluss, die dauerhafte Entfremdung der unteren sozialen Schichten vom Arbeitsleben für unabänderlich zu erklären, die Betroffenen chronisch staatlich zu alimentieren – und sie damit als selbstverantwortliche Existenzen de facto aufzugeben).

In einem Land wie Deutschland, das sich jahrzehntelang ganz gut auf die Problemlösungsfähigkeit seines politischen Systems verlassen zu können meinte, muss das zu mitunter panischen Angstzuständen führen – und zu umfassender Desorientierung. Verstärkt wird das durch den Eindruck, dass der Einzelne immer weniger Einfluss auf das Gemeinwesen nehmen kann. Wenn schon die Politiker offensichtlich hilflos sind (und sich zur Entschuldigung gerne auf „Sachzwänge“ oder auf die nicht beeinflussbaren Launen der Weltkonjunktur berufen), welche Rolle kann da noch der Durchschnittsbürger mit seinen individuellen Gestaltungsversuchen spielen?

Das läuft nun aber dem (als anthropologisches Grundmuster jedem Menschen innewohnenden) Wunsch zuwider, sich seinem Haufen, seiner Gruppe, seinem Gemeinwesen zugehörig zu fühlen – denn dieses Zugehörigkeitsgefühl hängt maßgeblich auch am Gefühl, mitgestalten zu können. Die Möglichkeiten des Durchschnittsbürgers, das Gemeinwesen mitzugestalten, scheinen in zentralen Bereichen (siehe oben: Sicherheit, Verkehr, Wirtschaft) heute aber kleiner denn je (jedenfalls nach allgemeiner Wahrnehmung – und die allein zählt hier).

Psychologisch zwangsläufig zeugen unzählige Initiativen und Aktionen im ganzen Land vom Wunsch der Menschen, doch noch „selbst etwas bewirken zu können“. Kinderladen-Gründungen, Protestaktionen, Bürgerinitiativen lassen sich auch so analysieren und zumindest teilweise erklären. Meist entfalten diese Unternehmungen allerdings eine negative Energie. Die meisten Bürgerinitiativen wollen verhindern: eine neue Bahntrasse oder ein Flüchtlingsheim nebenan. Das hat eine innere Logik, denn bei der Verhinderung von irgendetwas wird der direkte Zusammenhang zwischen der eigenen Aktion und deren Erfolg besonders schnell sichtbar.

Fast alle Bereiche der „großen“ Politik sind in dieser Hinsicht in ihrer jahrzehntelangen Entwicklung ziemlich durchkonjugiert: An der Weltwirtschaftslage kann der Einzelne nur denkbar wenig ändern. Auch an der Kriminalität nicht – es sei denn, er wäre selbst Verbrecher, aber dann dürfte ihm das Problembewusstsein abgehen. Und den Stau kann man persönlich nur bekämpfen, indem man nicht mehr fährt – dann hat man von freien Straßen aber auch nichts mehr.

Die Umwelt bildet hier eine große Ausnahme. Ökologie ist im öffentlichen Bewusstsein mittlerweile sogar überwiegend der Sphäre von individuellem Handeln zugeordnet. Jeder Einzelne, so der allgemeine Glaube, kann die Umwelt wirksam schützen: durch private Abfalltrennung, durch Glas- und Papiersammeln, durch Bio-Produkte auf dem Einkaufszettel. Ökologie ist damit ein außerordentlich wohltuender Gegenentwurf zum großen Politikbetrieb – denn hier kann der Einzelne tatsächlich noch etwas bewirken (meint man jedenfalls).

Verstärkt wird die Anziehungskraft dieser Idee durch eindrucksvolle Beispiele direkter Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge: Gibt es nicht zahllose Beispiele, wo festes Auftreten einer Bürgerinitiative (vorzugsweise in Großstädten) die Trockenlegung eines Feucht-Biotops verhindert hat? Ökologie als Politik-Konzept erfüllt die anderswo abgewiesenen Sehnsüchte der Menschen nach Mitwirkung und gutem Handeln. Jeder will gerne zu den Guten gehören, und der demonstrativ umweltbewusste Mensch gilt als besonders gut.

Die Ökologie als Zuflucht

Die emotionale Wirkung der Ökologie ist derart stark (und von interessierter Seite auch nach Kräften betont worden), dass auch nur halbwegs nüchterne Überlegungen in der Umweltdebatte schon längst keinen Platz mehr haben.

Ökologie ist die Zuflucht vor den Enttäuschungen der sonstigen Politik. Ökologie gibt neue Hoffnung, dass man doch auch selbst noch etwas ändern und bewirken kann. Und, wie praktisch, Ökologie ermöglicht bei alldem auch noch ein gutes Gewissen. Ökologie ist zum umfassenden deutschen Politik-Ersatz aufgestiegen, zur seelenmassierenden Chimäre des frustrierten Bürgers. Damit eignet sich Ökologie bestens für das Ausfechten alter Konflikte unter neuen Vorzeichen. Früher war man gegen den Stau, weil da alle stehen mussten. Heute wird die Verkehrspolitik vom Umweltgedanken beherrscht – und man ist gegen den Stau, noch mehr aber gegen das Auto, und zwar nicht mehr aus Gründen des Verkehrsflusses, sondern des Umweltschutzes. Gegen Atomtests demonstrierte man früher aus Angst vor Krieg – heute aus Sorge um die von den Tests beeinträchtigte Umwelt. Mit Ökologie werden immer häufiger Vorhaben begründet, hinter denen sich seit jeher und tatsächlich ganz andere, nämlich ideologische Ziele verbergen.

Das Endlosthema Tempolimit ist ein populäres Beispiel für den Missbrauch der Ökologie als Vorwand: Nicht nur, dass der ökologische Nutzen eines Autobahn-Tempolimits wissenschaftlich als unbedeutend gilt und das Tempolimit somit nur symbolische Funktion haben kann. Vor allem die Argumente in der Diskussion zeigen, wie dem Publikum ökologischer Sand in die Augen gestreut wird. Denn es ist eine Illusion zu glauben und einfach falsch zu behaupten, in anderen Ländern dieser Erde sei das Tempolimit auf Autobahnen aus ökologischen Gründen eingeführt worden. Ökologie war vielleicht die Begründung, der Grund war einfacher: Senkung der volkswirtschaftlichen Kosten durch rasereibedingte Unfälle (und in den USA ersparte das Tempolimit den Autoherstellern eine unangenehme Diskussion über die Fahrtüchtigkeit amerikanischer Autos bei höheren Geschwindigkeiten). Wohl dem, der für ein politisches Vorhaben ökologische Argumente findet (und seien sie noch so weit hergeholt). Eine wie auch immer geartete „Umwelt“-Begründung sichert weitgehende Immunität gegenüber kritischen Stimmen. Ökologie ist gut, und wer will schon gerne böse sein?

Ökologie appelliert an das Gewissen. Die Öko-Diskussion ist zum neuen, tragenden Pfeiler der politischen Korrektheit geworden. Es findet gar keine Auseinandersetzung mehr darüber statt, in welchem Ausmaß Politik ökologisch orientiert sein sollte. Wer Ökologie als ultima ratio jeglichen politischen Handelns relativiert (selbst ohne sie in Frage zu stellen), ist ein schlechter Mensch. Ökologie dient heute der subkutanen Verabreichung eines schlechten Gewissens an alle Nachfrager und damit der Verhinderung einer wirklich politischen Diskussion – ähnlich wie die Schlagworte Flüchtlinge, Gender oder Europa.

Es ist kein Zufall, dass das strukturell hochemotionale Thema Ökologie schon Mitte der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der dogmatischen Linken in Deutschland systematisch besetzt wurde. Ökologie hat als Rechtfertigung für den unausrottbaren Wunsch, alle Menschen zu belehren und zwangsweise zu beglücken, nach und nach die freigewordene Stelle des Sozialismus eingenommen. Das Prinzip und die Methode sind gleichgeblieben, nur das Etikett wurde ausgetauscht. Mit „Ökologie“ lassen sich wieder autoritäre Gesellschaftsentwürfe begründen und unter Umgehung einer rationalen öffentlichen Debatte auch transportieren. Fatalerweise – genau wie beim Topos der „sozial gerechten Gesellschaft“ – verhindert diese links-dogmatische Vereinnahmung des Ökologie-Motivs eine (zwingend notwendige) ernsthafte und sachliche gesellschaftliche Diskussion über die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Der Umweltfeind als Wunschgegner

Die in Deutschland gängigen Grundannahmen in der ökologischen Diskussion sind schwammig. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die Ziele als naturphilosophisch fragwürdig und die Mittel als machtpolitisch unverantwortlich. Nicht nur darüber, wie die Natur erhalten werden soll, gehen die Ansichten weit auseinander. Schon die Antwort auf die Frage, was denn überhaupt unter Natur zu verstehen ist, bleibt ungeklärt. Deutschland besteht fast ausschließlich aus Kulturlandschaften, das heißt aus von Menschen bearbeiteten Flächen und Wäldern. Für viele Großstadtkinder ist das schon das Äußerste an Natur, das sie vertragen; als Steigerung vermuten einige nur noch den Dschungel. Für tatsächlich in Urwaldgebieten lebende Menschen dagegen haben die deutschen Landschaften praktisch nichts Natürliches mehr. Trotz dieser offenkundigen und grundlegenden Ungereimtheit wird – alles für die „Natur“ – von Öko-Extremisten gefordert, der Mensch müsse „als Welt-Kulturleistung Evolutionssteuerung“ betreiben. (Das schrieb allen Ernstes 1995 der FDP-Politiker Peter Menke-Glückert.) Das weitere Schicksal nicht nur der Menschheit, sondern gleich der ganzen Evolution soll demnach politisch gelenkt werden. Das muss man sich wohl vorstellen wie die Fünf-Jahrespläne des Politbüros, freilich in etwas gehobenem Maßstab: Gottes Land in Menschenhand. Die sozialistische Planwirtschaft hat nicht funktioniert, und nun das: die ökologische Planevolution?

Aus der Evolution kann man nicht austreten wie aus einer Partei. Wir sind Teil der Evolution, auch wenn wir gerne deren Kontrolleur wären. Die Vorstellung, der Mensch sei das Maß und der oberste Architekt aller Dinge des Lebens, offenbart ein zutiefst materialistisches Menschenbild und eine überholte technokratische Naturvorstellung. Es ist ein Ausdruck von Allmachtswahn. Zur Allmacht gehört, als andere Seite derselben Medaille, die Allverantwortlichkeit. Dass es Baumsterben, ausgerottete Tierarten und dramatische Klimaveränderungen in der Erdgeschichte immer wieder und schon lange vor Erscheinen des homo sapiens gab, passt nicht in das Bild des schuldigen Menschen – und darf deshalb nicht mehr geäußert, am besten auch nicht mehr gedacht werden. Sanktion bei Zuwiderhandlung: Stigmatisierung als Klima-Leugner, oder noch besser als blinder, unverbesserlicher Weltzerstörer. Würden dabei nicht wertvolles Holz vernichtet und böse Emissionen freigesetzt, die Schriften solcher ökologischen Unmenschen wären von den Umweltschützern schon längst publikumswirksam verbrannt worden – zur allgemeinen Schärfung des richtigen ökologischen Bewusstseins und damit nur zum Besten der Natur, versteht sich.

Es ist eine bodenlose und für ihr Menschenbild typische, unverschämte Anmaßung der Öko-Bewegung, allen nicht ganz so militanten Mitmenschen zu unterstellen, umweltfeindlich zu sein. Den als Feindbild gepflegten notorischen Umwelt-Rambo gibt es in Wahrheit fast überhaupt nicht. Immer mehr Bürger trennen Müll, sammeln Papier und Altglas, kaufen umweltverträgliche Produkte. Kein Mensch, auch nicht der letzte wirtschaftsgläubige, industriehörige Ignorant, möchte gerne schmutzige Gewässer, Smogalarm und tote Wälder. Sorge um die Umwelt und ihre Erhaltung ist kein Privileg grünstichiger Aktivisten. Die dauernde gegenteilige Behauptung der Ökopaxe erinnert an die Paranoia von christlich-extremistischen Sekten. Bei den Einen wie bei den Anderen herrscht der Glaube, dass nur sie die Auserwählten sind und dass alle anderen in der Hölle schmoren – oder es zumindest müssten.

Es muss gefragt werden, welche höhere Instanz den Menschen dazu berufen haben soll, die Natur zu „retten“ – und vor wem. Die Vorstellung, dieser Planet könne am Menschen zugrunde gehen, ist falsch. Zugrunde geht im Zweifel nur der Mensch am Planeten. Wenn der Mensch es übertreibt, wird die Erde ihn abschütteln wie der Hund ein lästiges Insekt. Die Natur braucht den Menschen nicht. Umweltschutz, dem anmaßenden Irrtum darf man nicht erliegen, verhindert nicht das Ende der Evolution, auch nicht das Ende der Natur – sondern allenfalls das Ende des Menschen. Es ist ein wahrhaft omnipotenter Wahn zu glauben, wir müssten die Natur vor einer wie auch immer gearteten (von Menschen verschuldeten) Katastrophe bewahren. Die Natur kennt keine Katastrophen. Katastrophen kennt nur der Mensch.

Es ist dies der Kernpunkt, an dem der weltanschauliche und der operative Konflikt in der ökologischen Debatte offenbar werden: Es geht nicht um die Erhaltung der Natur, es geht um das Überleben des Menschen. Es geht nicht um Umweltschutz, es geht um Menschenschutz. Und das ist nicht dasselbe.

Der Begriff „Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen“ macht das klar: Denn als Alternative zu den natürlichen sind auch andere Lebensgrundlagen denkbar. Dass der Mensch ausschließlich mit Hilfe künstlicher, technischer Lebensgrundlagen existieren könnte, ist ein häufiges literarisches und cineastisches Motiv – und ein sehr populäres dazu: In der deutschen (!) TV-Serie „Raumpatrouille“ der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts (!!) zum Beispiel lebte die Menschheit in Glasstädten auf dem Grund der Ozeane, weil die Erdoberfläche bei einem apokalyptischen Krieg (!!!) unbewohnbar geworden war. Und das Leben außerhalb der Erde, auf künstlichen Raumstationen oder weit entfernten Planeten, beschäftigt seit mindestens hundert Jahren unsere Fantasie.

Der Irrsinn des „Ökologischen Imperativs“

Wenn es darum geht, das Überleben der Menschheit zu sichern, ist die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen offenbar nur eine Möglichkeit. Denkbar und möglich (und das heißt nicht etwa: wünschenswert) ist auch, dass die Art homo sapiens die biologisch bald nicht mehr im bisherigen Sinn bewohnbare Erde als homo faber durch technologische Lebenserhaltungssysteme künstlich bewohnbar hält. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Ich persönlich will das nicht. Ich will für meine Kinder und mich Luft zum Atmen, Spaziergänge ohne Sauerstoffgerät und Tierfilme im Fernsehen (weil es auch tatsächlich noch wildlebende Tiere gibt). Ich bin dagegen, den Planeten technisch so herzurichten, dass der Mensch überlebt, aber außer dem Menschen alles abstirbt. Aber ich bin nicht dagegen, weil ich etwa glaubte, die Menschheit könne so nicht überleben. Wir könnten sehr wohl überleben, so wie diese ganzen Endzeit-Kino-Filme es darstellen. Ich will es nicht.

Aber es gibt keine allgemein gültige moralische Verpflichtung zum ökologischen Handeln. Welcher Demokrat wollte wirklich die eigenen Moralmaßstäbe zum allgemeinen Gesetz erheben? (Und dann wie durchsetzen? Mit Waffengewalt?) So unangenehm es ist: Wir müssen akzeptieren, dass über die Zukunft unseres Planeten eine gemeinschaftliche Entscheidung zu fällen ist. Wollen wir unseren Planeten so erhalten, wie er ist, um unser Überleben auf Erden zu sichern – oder wollen wir unsere Umgebung so (um)gestalten, dass der Mensch unabhängig vom jetzigen Biosystem Erde eine Zukunft hat? Das Ergebnis ist offen. Und die Entscheidung kann nur per politischem Interessenausgleich erfolgen – mit der Gefahr, dass das Ergebnis nicht gefällt. Die Alternative ist eine Auseinandersetzung um die richtige Öko-Politik per bewaffnetem Straßenkampf.

Es gibt keinen, gar keinen Grund, weshalb diese Frage dem demokratischen Interessenausgleich entzogen werden sollte. Der „ökologische Imperativ“ (Hans Jonas, Klaus Meyer-Abich) ist ideologisches Blendwerk zur Rechtfertigung einer Öko-Diktatur. Und niemand soll glauben, in einer Öko-Diktatur würden nur die ökologischen Fragen diktatorisch entschieden. Ein bisschen Totalitarismus gibt es nicht.

Das Zutrauen in die pluralistische Entscheidungsfindung verlässt beim Thema Ökologie aber auch immer mehr Demokraten – im gleichen Maße wächst das fluchtartige Zutrauen in zentrale Lenkung und Planung. Gedanklicher Endpunkt ist eine Umwelt-Weltpolizei. Man ist erschrocken bis entsetzt: Mit welcher Begründung schafft man denn dann nicht auch eine NATO-angebundene Welt-Drogenkommission, oder ein militärgestütztes Welt-Sittendezernat? Auch auf diesen beiden Gebieten gibt es internationale Abkommen, die nicht eingehalten werden. Wie kommen Demokraten auf die Idee, plötzlich einer Welt-Zentralgewalt zu vertrauen? Und wie entsteht die unglaubliche Anmaßung zu entscheiden, welcher Anlass (hier wohl: „ökologische Notwendigkeiten“) zur Einrichtung einer speziellen Weltpolizei mit Militärkompetenz ausreicht?

In der Öko-Bewegung zeigt sich, dass nicht nur in der deutschen Linken, sondern zunehmend auch in bisher zutiefst demokratischen Milieus die nationalistische Grundüberzeugung tiefe Wurzeln geschlagen hat, nach der am deutschen Wesen die Welt genesen soll. In der Meinung, unser Land sei in seiner Geschichte schlechter gewesen als alle anderen, wird jetzt der Versuch unternommen zu beweisen, dass man künftig besser sein will als alle anderen. Es ist nur folgerichtig, dass Robert Habeck, der Günther Jauch der Öko-Bewegung, die „deutsche Vorreiterrolle“ zu seiner Lieblingsfloskel erkoren hat. Dem deutschen militärischen Imperialismus der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts folgt nun der deutsche ökologische Imperialismus des 21. Jahrhunderts. Die grundsätzliche, das Wesen der Demokratie ausmachende Achtung vor anderen Weltentwürfen bleibt dabei auf der grünen Strecke.

Der Abschied von der Demokratie

Von der SPD über die FDP bis hin zur CDU – nach und nach akzeptiert die deutsche Parteienlandschaft klammheimlich das Motto: „Von den Grünen lernen heißt siegen lernen.“ Nach außen werden, schon aus Selbstachtung, vehement die Unterschiede herausgestellt – nach innen wird die allgemeine Ansicht akzeptiert, dass das Überleben der jeweils eigenen Partei vorwiegend von den Grünen bedroht ist.

Diese Analyse ist gängig, bequem – und falsch.

Die Außendarstellung einer Partei wird an der Oberfläche dominiert von Personen und von populären Themen. Die emotionale, mediale Wirkung, die eine Partei erzielt, trifft aber erstens tiefere Schichten und hängt zweitens auch von tiefergehenden Zusammenhängen ab. Der emotionale Eindruck einer Partei wird maßgeblich mitbestimmt von dem allgemeinen Politikangebot, das sie macht – also von dem Eindruck, mit welcher Herangehensweise eine Partei Probleme anpackt.

Die Grünen haben in der Tat zurzeit starke Figuren und das populärste Thema: die Ökologie. Da können sich die anderen Parteien noch so verrenken: Sie werden nicht mehr zu Öko-Parteien. Das ist auch gut so: Der gesellschaftliche Bedarf daran ist gedeckt. Unabhängig davon, was die Funktionäre und auch die Parteimitglieder sich wünschen, hat jede Partei im politischen Spektrum eine Funktion. Die Funktion der Grünen ist das Wachhalten des ökologischen Bewusstseins. Diese Funktion erfüllen sie eher über. Es hat keinen Mehrwert, wenn andere Parteien in Konkurrenz zu den Grünen beweisen wollen, die besseren Ökologen zu sein. Diesen Kampf kann man nicht gewinnen. Auch mit den in der Tat besseren Lösungsvorschlägen ist den Grünen die Hauptvertretung des Themas Ökologie nicht streitig zu machen. Mit den Grünen um die Vorherrschaft in der Ökologie-Frage ringen zu wollen, ist absurd (genauso, wie es der Versuch der Grünen wäre, das Thema Innere Sicherheit besetzen zu wollen).

Entscheidend ist die Struktur hinter dem Thema: Denn sowohl im Umweltbereich als auch sonst haben die Grünen totalitäre, in jedem Fall undemokratische Ansätze. Dem wird entgegengehalten, die Umweltbewegung und auch die Grünen hätten sich im Gegenteil um die Basisdemokratie besonders verdient gemacht. Das ist, mit Verlaub, eine groteske Verklärung der grass roots democracy. Unter dem Deckmantel der Basisdemokratisierung wurden in Wahrheit demokratisch getroffene Mehrheitsentscheidungen ausgehebelt, wenn sie einer (grünen und umweltbewegte) Minderheit nicht gefielen.

Die Folgen waren und sind ein dramatischer Autoritäts- und damit Entscheidungs- und Funktionsverlust unserer politischen Institutionen. Statt an den demokratischen Entscheidungen mehr Menschen zu beteiligen (was in der Tat noch heute ein vernünftiges Ziel ist), wurden die Entscheidungsprozesse nur atomisiert: Es ist kein Fortschritt, wenn jeder Quertreiber im Umkreis von hundert Kilometern den von einem gewählten demokratischen Gremium beschlossenen Bau einer der Allgemeinheit dienenden Bahntrasse oder Müllverbrennungsanlage gerichtlich ins Nirwana hinein verschleppen kann. Die Verdienste der Umweltbewegung für die Schärfung des gesellschaftlichen Umweltbewusstseins kann niemand mehr bestreiten. Dass die Bewegung (und die aus ihr hervorgegangene grüne Partei) der politischen Kultur in Deutschland gutgetan hätte, ist dagegen nur ein Gerücht.

Epilog

Die Grünen machen das allgemeine Angebot eines autoritären Politikverständnisses. Die Grünen sind keine leidenschaftlichen Demokraten, und ihre Anhänger dürften sich nicht nur wegen des Themas Ökologie zur Öko-Partei hingezogen fühlen, sondern mindestens auch wegen dieses Angebots eines autoritären Politikverständnisses. Das zu übernehmen, würde bedeuten, dass freiheitliche Parteien die demokratischen Grundwerte aufgeben, auf denen unser Land gebaut ist.

Mittlerweile fehlt es in Deutschland an einer Kraft, die das ernsthafte Angebot eines (anti-grünen) freiheitlichen Politikverständnisses macht. Selbstverständlich braucht unsere Gesellschaft auch ökologisches Bewusstsein in allen Politikfeldern. Selbstverständlich muss auch jede andere Partei weiter nach besseren Öko-Konzepten suchen, als die Grünen sie anbieten. Aber es fehlt nicht noch mehr Öko-Wahn. Wir brauchen kein weiteres ökologisches, sondern ein neues ökonomisches und politisches Gewissen für die individuelle Freiheit.

Deutschland braucht, so dringend wie selten, freiheitliche Ansätze für die Herausforderungen unserer Tage. Ökologische Herausforderungen sind dabei, ökonomische, politische. In diesem Klima wird die Freiheit des Einzelnen am stärksten nicht durch Umweltgefahren bedroht – sondern durch eine raumgreifende politische Grundhaltung, die (zum Beispiel in der Umweltdebatte) den demokratischen Pluralismus mehr oder weniger offen für gescheitert erklärt und freiheitliche Lösungen für die moderne Gesellschaft leugnet, in der Ökologie wie auch sonst.

Das ist die Aufgabe: Wir müssen nicht grüner werden, sondern freiheitlich bleiben.


Alexander Fritsch, 52, lebt als freier Publizist in Berlin. Von 2011 bis 2015 war er Vorsitzender des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg (JVBB) und Mitglied des DJV-Gesamtvorstands.

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Kommentare ( 70 )

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didipe
4 Jahre her

Toller Artikel, der m.E. in einem zentralen Punkt nicht stimmt: Den Grünen geht es nicht (mehr) um Ökologie, sondern um Klimaschutz und Windkraft, daß ist bei weitem nicht das Gleiche.

Alter weiser Mann
4 Jahre her
Antworten an  didipe

@didipe oben (kein Antwortknopf vorhanden) Zugegeben es ist nicht eineindeutig formuliert. Ich meine wir brauchen uns um die Ökologie wenig zu kümmern im Gegensatz zur Ökonomie. Die Rescourcen welche wir als Menschen immer benötigen werden, nehmen wir uns ungefragt. Denken Sie nur ans Atmen. Insoweit brauchen wir die Ökologie und beeeinflussen sie passiv. Aber zu denken, die Natur benötigt den Menschen, das ist ein großer Irrtum. Dazu noch zu meinen wir Menschen könnten eine Natur aktiv ändern, ist surreal. Es sei denn wir schaffen die Menschen ab, oder noch besser alle Säugetiere. Aber wegen ein paar Windräder und Solarzellen erreichen… Mehr

Dedaidn
4 Jahre her

Danke für diesen Beitrag!

Ich z.B. bin ein Freund von La Rouche, der von jeher auf souveräne Länderregierung mit einer nationalen Währung und globaler Zusammenarbeit und Entwicklung steht (La Rouches 4 Gesetze)

Andreas Lange
4 Jahre her

Ein schöner Artikel, vielen Dank dafür! Besonders gefallen hat mir der folgende Satz, der die Doppelzüngigkeit der Grünen sehr schön auf den Punkt bringt: „Es ist kein Fortschritt, wenn jeder Quertreiber im Umkreis von hundert Kilometern den von einem gewählten demokratischen Gremium beschlossenen Bau einer der Allgemeinheit dienenden Bahntrasse oder Müllverbrennungsanlage gerichtlich ins Nirwana hinein verschleppen kann.“ ´Ähnliches denke ich jedes Mal, wenn ich Robert Habeck sagen höre, wir müssten etwas für die Digitalisierung und den Mobilfunkausbau tun. Dabei waren es doch gerade die zutiefst technikfeindlichen Grünen, die bis in die 1990er darauf bestande haben, keine Computer in ihren Fraktionen… Mehr

AlFrit
4 Jahre her

Hallo,

vielen Dank für das Lob.

Fröhlicher Gruß,
A. Fritsch

AlFrit
4 Jahre her

Hallo, vielen Dank für Ihren Kommentar. Für Ihre Kritik bin ich aufrichtig dankbar, nur so entsteht eine echte Diskussion. Und wo zwei einer Meinung sind, ist sowieso einer überflüssig. Bitte gestatten Sie mir zu Ihren Anmerkungen noch ein paar von mir: 1. Sie haben einerseits recht mit den Ursprüngen der Öko-Bewegung. Andererseits haben diese Ursprünge mit dem im Text behandelten Hauptpunkt – der Aufgabe freiheitlicher Werte zugunsten eines ökologischen Pseudo-Ziels – aus meiner Sicht nichts zu tun. Das Framing kann ich auch nirgendwo erkennen: Ich schildere, wie schon seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts orthodoxe Linke das Umweltthema aufgegriffen haben,… Mehr

Hoffnungslos
4 Jahre her

Sehr gute Analyse Herr Fritsch! Wir brauchen kein autoritäres, nur scheinbar ökologisches Politikverständnis! Wir brauchen eine offene, öffentliche, freie Diskussion über alle anstehenden Themen, an der sich alle Bürger beteiligen können!

AlFrit
4 Jahre her
Antworten an  Hoffnungslos

Hallo,

vielen Dank für das Lob.

Fröhlicher Gruß,
A. Fritsch

Wolfgang M
4 Jahre her

Die Grünen sind so stark, weil sie von den linksgrünen Medien gefördert werden. Das Problem ist deshalb nicht grüne Partei allein. Bei antidemokratischem Verhalten fällt mir als erstes die Kanzlerin ein, die ohne Parlament die Schließung von Atomkraftwerken beschlossen hat. Das ist übrigens die Ursache, warum Deutschland seine CO2-Ziele für 2020 nicht erreicht. Warum wird darüber nicht gesprochen? Als zweites fallen mir die offenen Grenzen seit 2015 ein. Dazu gab es auch keinen Beschluss des Bundestages, nur den humanitären Imperativ der Kanzlerin. Im Grundgesetz steht, dass wer aus einem sicheren Land einreist, kein Asyl genießt. Das wurde einfach nicht mehr… Mehr

Gerhard
4 Jahre her

Die Grünen gleichen als Partei einer Wassermelone: Außen grün, innen rot! Und richtig, die waren schon immer so!

Robert Tiel
4 Jahre her
Antworten an  Gerhard

Die braunen Kerne nicht vergessen…

Andreas aus E.
4 Jahre her

Ihrem Kommentar schließe ich mich an – Daumen hoch.

Andreas aus E.
4 Jahre her

Man sollte Ökologie nicht mit dem Klimawahn verwechseln und schon gar nicht die „Grünen“ als Öko-Partei bezeichnen.

AlFrit
4 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Hallo,

das ist ein wichtiger Punkt.
Ein gutes Thema für einen anderen Beitrag.

Fröhlicher Gruß,
A. Fritsch

Robert Tiel
4 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Das ist genau richtig. Umweltschutz hat so gar nichts mit „Klimaschutz“ zu tun.
Umweltschutz ist richtig und nötig. Wird aber von den Grünen hintergangen. Oder ist die Rodung des Märchenwalds für Vogel- und Insektenschredderanlagen irgendwie Öko..?