Mein Land, dein Land – Deutschland?

Das Projekt der Wiedervereinigung beruhte auf der Vorstellung des Volkes, dass es da etwas gab, das über die Mauer hinweg verband und wert war, wieder zusammenzukommen. Das Projekt der Eliten beruht auf der Vorstellung, dass sich das Volk 1989 geirrt hat.

„Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Alexander Gaulands Satz, gesprochen in dem Moment der Wahlnacht, als alle Aufmerksamkeit auf der AfD lag, markierte mit Präzision und hoher rhetorischer Durchschlagskraft die Bruchstelle, die durch die Gesellschaft verläuft. Sie dreht sich einzig um die Frage: Wem gehört dieses Land?

Vor ihrer Beantwortung bedarf diese Frage zuerst einer Erklärung dahingehend, warum sie sich überhaupt stellt. Die vergangenen Jahre, vielleicht sogar die letzten zwei Jahrzehnte, stellen den Versuch eines gesellschaftsverändernden Projekts dar; ein Projekt, welches von den Eliten der Gesellschaft, also „von oben“, initiiert und durchgeboxt worden ist. Das Gegenteil davon verkörpert eine friedliche Revolution „von unten“ wie die in der DDR, welche zur Wiederherstellung der deutschen Einheit geführt hat. Während das Projekt der Wiedervereinigung auf der Vorstellung des Volkes beruhte, dass es da etwas gab, das die Deutschen über die Mauer hinweg verband und das es wert war, wieder zusammengebracht zu werden, so beruht das jüngere Projekt der Eliten auf der Vorstellung eben dieser, dass sich das Volk 1989 geirrt hat.

Revolution West von oben, Revolution Ost von unten

Der Startschuss fiel etwa mit Gerhard Schröders erster Initiative für die doppelte Staatsbürgerschaft. Seitdem hat sich das gesellschaftliche Establishment, welches überwiegend aus Westdeutschland stammt, darauf eingeschossen, dass die Deutschen im Grunde gar nichts zusammenhält. Weder sind sie ein Volk, denn „Volk“ klingt völkisch-biologistisch und erst recht sind sie keine Nation, denn dieser Gedankengang wäre nationalistisch. Auch für eine deutsche Kultur stehen die Chancen nicht gerade rosig, denn die Staatsministerin für Integration Özoguz hat behauptet, abseits der Sprache wäre keine deutsche Kultur zu identifizieren. Konsequent zu Ende gedacht mündet diese Behauptung im Gedankengang: Angenommen, sie wäre wahr, was würde die Anwesenden in Deutschland dann noch verbinden? Hochdotierte Akademiker in Kommissionen, Denkfabriken, Stiftungen und den Medien scheinen immer geradezu erleichtert zu sein, wenn sie darauf antworten können: Gar nichts – außer vielleicht der Wohlfahrtsstaat, der auf anonymisierte und sterile Art und Weise Geld zwischen Zahlern und Empfängern zirkulieren lässt.

Dresden und Schwarzwald
Populistischer Mummenschanz zum Tag der Einheit
Mit der von ihnen kolportierten politischen Kultur, die sich in den USA unter Obama und in Deutschland unter Merkel zur vollen Kraft entfalten konnte, haben die Eliten jahrelang Schwerstarbeit geleistet, deren Erfolge sich sehen lassen können: Sie haben systematisch das zerstört, was unter dem Begriff des „sozialen Kapitals“ einer Gesellschaft zusammengefasst wird. Dieses soziale Kapital findet seinen Ausdruck in der intuitiven Ahnung der Bürger, dass es etwas Gemeinsames gibt, mit dem sie alle vertraut sind und das sie miteinander teilen. Dies vereinfacht ihre Kooperation und hält ihr Zusammenleben intakt. Bildhaft gesprochen ist das soziale Kapital dort am höchsten, wo die Haustüren unabgeschlossen bleiben können.

Soziales Kapital leichtfertig beschädigt

Wie so viele wirkmächtige Faktoren des Alltags macht sich das soziale Kapital aber erst dann so richtig bemerkbar, wenn es nicht mehr da ist, entweder in einem fremden Land oder in der eigenen Nachbarschaft. Seine Dezimierung, sei es durch seine schlichte Negierung, oder den vom Establishment gefeierten Zuzug von Millionen, die mit den Deutschen noch nicht einmal mehr die Sprache teilen, hat die deutsche Identität in die Identität von Gruppen zersplittert, zwischen denen kein Vertrauen in Gemeinsamkeiten mehr herrscht.

Diese Gruppen grenzen sich nicht nur scharf in ihren Wertvorstellungen voneinander ab, sie sind auch, was ungleich problematischer ist, nicht mehr in der Lage und nicht mehr willens, über diese unterschiedlichen Wertvorstellungen hinweg miteinander zu kommunizieren oder gar zu kooperieren.

Helds Ausblick, 19-2016
Deutsche Einheit 2016 – der heimliche Abschied
Befeuert wird diese Zersplitterung noch durch eine Politik, die diese Identitäten nicht wieder zu überwinden sucht, sondern sie sich zu eigen macht, indem sie bestimmte Gruppen ausselektiert und sie zu den Opfern anderer Gruppen stilisiert, so dass die Feindseligkeiten und Gräben sich vertiefen. Im Ergebnis schwärmen die einen von einem weltoffenen, bunten Deutschland und hassen alle, die diesen Traum nicht teilen, während die anderen diese Leichtfertigkeit verachten und befürchten, dass dieses Deutschland nicht viel mehr als den Namen mit dem gemein haben würde, was sie ihre Heimat nennen. Die Möglichkeit, dass beide noch zum Gespräch am selben Tisch zusammenkommen, ohne sich wechselseitig vorzuhalten, nicht zu Deutschland zu gehören, scheint ferner denn je.

Eliten-Versagen

Die Eliten schlagen sich natürlich, anstatt zu einen, auf die ihnen genehme Seite, weshalb ein Bundespräsidenten so verletzend von einem „hellen“ und einem „dunklen“ Deutschland sprach, während die Bundeskanzlerin sich ganz von dem Land lossagte, in dem man kein freundliches Gesicht mehr zeigen könne. Sie, die am wenigsten dafür getan hatten, um diese Entwicklung aufzuhalten, beschwerten sich am lautesten über ihre Folgen.

Identität ist nicht austauschbar
Deutschland und Identität
Die AfD ist als relativ junge Erscheinung die Verkörperung all dessen, was dem Projekt der Eliten noch im Weg zu stehen scheint. Sie entspringt natürlich selbst dem Bemühen, das Gemeinsame und Verbindende unter den Deutschen aufzulösen, denn die AfD ist die erste politische Bewegung, die offen und erfolgreich diejenigen abgrenzt und hinter sich versammelt, die Widerspruch einlegen möchten. Das heißt, auch sie ist der politische Sendbote einer weiteren Gruppe, nicht eine einigende Kraft.

Ihr Einzug als drittstärkste Fraktion in den deutschen Bundestag ist ein Fanal des Versagens der Eliten, welche alles in ihrer Macht Stehende getan hatten, um dies zu verhindern. Vornehmlich westdeutsche Spitzenpolitiker hatten das Maximum an Feindseligkeit gegen die AfD abgefeuert, kulminiert in der Aussage des gescheiterten Kanzlerkandidaten: „Die AfD gehört nicht zu Deutschland“.

Schon alles vergessen?
Deutschland wanderte in die Bundesrepublik ein
Die wütenden, zornigen Reaktionen auf Gaulands Worte vom Wahlabend waren somit schlicht ein Ausdruck der Angst, die Deutungshoheit über das Thema Deutschland zu verlieren, in dem Moment, als besagter Gauland die Dreistigkeit besaß, ebenfalls einen Anspruch auf das Land zu erheben. Dieser wurde nicht nur von den üblichen Journalisten so vehement zurückgewiesen, dass dabei klar wurde, dass allein die Vorstellung eines anderen Deutschlands einem ganz persönlich empfundenen Angriff auf Lebensstil und Freiheit gleichkam. Die Ankündigung der AfD, sich „ihr“ Land zurückzuholen, bestätigte in den Köpfen des Establishments das Bild einer unheimlichen, schwarzen Macht, die aus dem Dunkel heraus nach ihnen griff und drohte, ihrem Leben, so wie sie es kannten, ein Ende zu bereiten. Man sollte sie zu diesem emotionalen Schockerlebnis beglückwünschen – denn zum ersten Mal fühlten sie sich wahrlich so, wie sich der durchschnittliche AfD-Wähler bereits seit Jahren gefühlt hat, als Globalisierung und Masseneinwanderung ungeahnt über ihn hereingebrochen sind.

Neugründung notwendig

Mehr als diese gemeinsame Erfahrung gibt es am Tag der deutschen Einheit nicht an Einheit zu zelebrieren. Die AfD wird in den kommenden vier Jahren vom Bundestag aus wie ein Bulldozer durch die politische Kultur walzen und dabei zwar vieles niederreißen, worauf sich die Macht der Eliten stützt, aber auch vieles demolieren, was aus den besseren Tagen deutscher Demokratie stammte. Die Eliten wiederum wissen, dass für sie jetzt alles auf dem Spiel steht – ihre Macht, ihr Einfluss und ihre Privilegien. Sie werden zu jedem Mittel greifen, um diese zu verteidigen und dabei nicht einmal mehr den Anschein von Fairness zu erwecken versuchen. Ihr fortgesetztes Versagen, egal ob an der Spitze der Politik, der Medien oder der Konzerne, wird einen hohen Preis einfordern. Deutschland läuft Gefahr, allein schon in der geistigen Vorstellung noch lange umstritten zu bleiben. Ob aus diesen Ruinen wieder ein einig Vaterland auferstehen wird – dafür bräuchte es schon einen Moment von der Größe eines 9. November 1989.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 48 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

48 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Cathys
6 Jahre her

Richtig, MERKEL ist noch NICHT fertig, wie sagte Václav Claus, IN DEUTSCHLAND ENTSCHEIDET SICH DAS SCHICKSAL EUROPAS!!!!

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her

ach, ich denke, dass zwischen Ihnen und mir noch viel, viel ehr Übereinstimmungen sind. Ich meine doch zwischen uns (den „Nazis“) und denen (die „Gutmenschen“)

Jens Frisch
6 Jahre her

Es gibt – je nach Medium – 200-550 tausend „Ausreisepflichtige“ Personen. Was würde wohl passieren, wenn 550 tausend Steuerpflichtige ihrer „Pflicht“ nicht mehr nachkämen?!
Von der Einreise ohne Passdokument mal ganz zuschweigen:

„Nimm einem Staat das Recht weg, was ist er dann anderes als eine Räuberbande“ (Augustinus)

Peter G.
6 Jahre her

Sie sprechen etwas an, was – nach Wunsch der Eliten – das Einwanderungsland Deutschland von „klassischen“ Einwanderungsländern unterscheidet: In diesen haben Einwanderer spätestens nach 1 bis 2 Generationen ein neues Vaterland, dem sie loyal und emotional verbunden sind. Dass solches hier gar nicht gewünscht ist, weist deutlich auf die angestrebten Verhältnisse.

Peter G.
6 Jahre her

Traurig ist, dass viele Menschen glauben, sich bei vorsichtiger Kritik an der Ent-Nationalisierung des eigenen Landes beim Zeitgeist entschuldigen zu müssen. Vergeblich, denn in den Augen derer, die zur Zeit den Ton angeben, ist jeder Abweichler ein Rechtsextremist.

Meykel
6 Jahre her

Was meiner Meinung nach immer übersehen wird, es ist keine große Weltverschwörung, die hinter der unsäglichen Politik der Merkel- Regierung steckt, sondern reine und pure Feigheit. Feigheit bei der Energiewende, Feigheit bei der Bankenrettung, Feigheit bei der Eurorettung und Feigheit bei der Flüchtlingskrise. Und wenn, was im Moment nicht zu erwarten ist, die Russen kommen, wird man auch feige wie die Merkelregierung ist, sie bis zum Atlantik durchwinken. Natürlich nicht ohne die Europäer hinterher aufzufordern, möglichst viele russische Soldaten in ihren Ländern aufzunehmen. Verbunden mit großer Entrüstung, daß diese einen Teufel tun werden. Für Feigheit vor dem Feind steht der… Mehr

MarHel
6 Jahre her

Ich sehe es anders als der Autor: Ich meine es handelt sich nicht um ein vergleichsweise junges Elitenprojekt, sondern um das Ergebnis vieler Jahrzehnte Bildungsgestaltung in der Zeit seit 1950. Es gehörte nun einmal zum gesellschaftlichen Grundkonsens, alles Nationale mit den Nationalsozialisten in Verbindung zu bringen, so dass entsprechende Rituale wie etwa in den USA üblich hier völlig aus der Übung kamen. Dazu sind die in der DDR Sozialisierten ein zusätzlicher Sonderfall, die Stolz auf ein Land bekunden sollten (mussten), dass es jetzt gar nicht mehr gibt und das die Meisten eher hassen gelernt haben. Ich persönlich sehe es auch… Mehr

Walter Knoch
6 Jahre her

Danke Herr Backhaus für Ihren ruhigen, sachlichen und präzisen Beitrag. Ich weiß (oder glaube zu wissen), dass sich Nationen verändern, Fremde aufnehmen. Ein ganz normaler Vorgang in der Geschichte. Doch diese Änderung, so sie sozialverträglich und ohne scharfe Brüche vonstatten gehen soll, muss sich evolutionär, organisch, dem Menschen angemessen entwickeln. Wo das Staatsvolk zur Wanderdüne oder gar zum Treibsand wird, fehlt jede zurechenbare Verantwortlichkeit. Die staatliche Ordnung wird so, ohne gewachsenen Loyalitäten, zwangsläufig eine repressive Ordnung werden. Der Mensch lebt und fühlt (so glaube ich wenigstens) in konzentrischen Kreisen: das Maß an Verbundenheit nimmt von dem Nahen über das weiter… Mehr

Cornelius Angermann
6 Jahre her

Der Wählerauftrag für die AfD kann zumindest für den jetzigen Moment nicht sein, zu einen. Wenn man ehrlich ist, hat keine Partei diese Aufgabe, sondern lediglich, soviele Stimmen hinter sich zu vereinen, dass man an die Hebel der Macht kommt und die Richtung bestimmen kann. Die AfD muss zunächst die verheerenden Folgen der Regierungspolitik entlarven, indem sie diese öffentlich darlegt und unter dem Mäntelchen des Schweigens, das die Regierungsparteien darüber ausgebreitet haben, hervorzerrt, mit nackten Zahlen und Fakten und dem Verdeutlichen, was dem deutschen Steuerzahler dadurch weggenommen wird. Das Vorgehen muss einem klaren Plan folgen: Widerlegung der Behauptung, es gäbe… Mehr

treu
6 Jahre her
Antworten an  Cornelius Angermann

Sie können in diesem Land leider keinen Sieg des Verstandes und der Vernunft über Ideologie und Wahn erwarten. Friedrich Nietzsche hatte recht, als er sagte: „Der Irrsinn ist bei
Einzelnen etwas seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten
die Regel.“

satya_prevails
6 Jahre her

„Wem gehört dieses Land?“
Eigentlich eine sehr einfache Frage.
Denen, die sich mit den höchsten geistig-kulturellen Errungenschaften identifizieren.

Das sind nicht die gegenwärtigen Eliten, denn in deren Reden kommt bspw. die geistige Reife eines Kant oder die Harmonie eines Bach nicht zum Vorschein.

Kann man dies von unserer Elite erwarten? Ja, denn sonst ist es nicht die Elite.