Fantasiewissenschaft und intellektuelle Unredlichkeit

Nicht harte Erkenntniswissenschaft, sondern die weiche Mutmaßung aus Modellierungen und Simulationen soll durch ihre Schreckensszenarien die Legitimität der Corona-Maßnahmen begründen. Das verletzt den Grundsatz gesetzgeberischer Rationalität. Von Rudolf Brandner

hZu den rechtsphilosophischen Grundlagen des modernen Staates – also der Demokratie – gehört mit der Anerkennung des Bürgers als mündiges Subjekt der Grundsatz gesetzgeberischer Rationalität, mit den Worten Hegels: «Das Recht, nichts anzuerkennen, was Ich (sic) nicht als vernünftig einsehe, ist das höchste Recht des Subjekts». Dieses Recht schließt die Pflicht des Subjekts ein, seine Vernunft an den objektiven Sachlagen selbst auszubilden, ist also keine Geschmackssache subjektiver Beliebigkeiten (Rechtsphilosophie, § 132). Bezogen auf die Corona-Krise besagt das Rationalitätsprinzip, dass es einzig und allein um das Verhältnis von zwei Größen geht: den wissenschaftlichen Erkenntnisstand in Sachen Covid-19 als Grundlage der Legitimität der getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung. Diese müssen dem rationalen Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen und für alle Bürger gleichermaßen einsichtig sein.

Nur unter dieser Bedingung kann der Staat seine maßgebliche Schutzfunktion für das Leben seiner Bürger durch gesetzgeberisches Handeln, das bis in die Aufhebung seiner Grundrechte reicht, in Anspruch nehmen.

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Nun ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand in Sachen Corona, der politisch und medial zur Legitimation der Maßnahmen herangezogen wird, mehrfach äquivok (vieldeutig). Diese Vieldeutigkeit, zum Beispiel ob ein PCR positiv Getesteter auch ein «Infizierter» qua «Kranker» ist, führt dann zu irreführenden Begründungen, die nicht leisten, was sie leisten sollen – die Legitimation der Maßnahmen. Zu diesem Rationalitätsdefizit kommt noch hinzu, dass die Maßnahmen selbst das Gemeinwohl massiv gefährden und mehr Schaden anzurichten drohen, als es das Virus überhaupt könnte. Sie werden von den Bürgern als unverhältnismäßig (irrational) erfahren – eine Erfahrung, die zunehmends in Massendemonstrationen ihr legitimes Widerstandsrecht beansprucht, aber Politik und Medien versuchen dies durch Unterstellungen und Diffamierungen zu delegitimieren. Der öffentliche (veröffentlichte) Diskurs verstößt damit rechtsstaatswidrig gegen das der Rationalität immanente Prinzip intellektueller Redlichkeit: Das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit demokratischer Öffentlichkeit und ihr Rationalitätsprinzip wird unterminiert und potenziert sich durch den illegitim erfahrenen Eingriff in die bürgerlichen Grundrechte zu einer Vertrauenskrise in die demokratischen Institutionen selbst.

Zahlreiche, von Politik und Medien verbreitete Bedeutungsverwischungen (Äquivokationen) des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes sind mittlerweile allseits bekannt und sollen hier nicht mehr ausführlich dargelegt werden. Dazu gehört vor allem das Operieren mit absoluten statt mit Verhältniszahlen und die defizitäre Erkenntnisbasis der PCR Tests für die Einschätzung der Gefahr des Virus für die Gesamtbevölkerung (Infektion-Todes-Rate: infection fatality rate). Angesichts einer inflationär zunehmenden Zahl von nicht validierten (!) PCR Tests unterschiedlicher Qualität (Stand 9/2020: 479) und einer nach wie vor nicht nach den Kochschen Postulaten erfolgten amtlich bestätigten Isolation des Virus ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand vielfach labil, aber gerade wegen dieser Labiltät auch einem vielfachen Bedeutungsmissbrauch ausgesetzt: Der PCR Nachweis von RNA-Molekülen wird (unabhängig von Kreuzreaktionen und falsch positiv Getesteten) mit «Infizierten» (in absoluten Zahlen, nicht proportional bezogen auf die Anzahl der Getesteten) gleichgesetzt, obgleich der Test keinerlei diagnostische Validität hat. Von «Infizierten» qua «Kranken» kann deshalb keine Rede sein, zumal weit mehr als 80 Prozent davon keinerlei Krankheitssymptome zeigen und nur ca. 5 Prozent ernsthafte, hospitalisierungsbedürf­ti­ge Verläufe aufweisen, überwiegend in einer eng umgrenzten Risikogruppe (> 60 Jahre), die oft an Vorerkrankungen und altersbedingten Schwächungen des Immunsystems leiden. Entsprechend geringfügig ist auch die durch Obduktionen ermittelte Letalitätsrate (Prof. Püschel), die meist im Umfeld der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt. Mortalitätsangaben bleiben im ganzen äußerst diffus, da nicht unterschieden wird, wer an oder wer mit Covid-19 verschieden ist. All diese bewusst und wissentlich in den Medien betriebenen Äquivokationen, die eine absolute Zahl positiv Getesteter als «Kranke» qua «Todesgeweihte» (morituri) unterstellen, sind intellektuell unredlich und verdienen mehr als nur eine Rüge des Presserates. Denn zum harten Kern des wissenschaftlichen Erkenntnisstand gehört, dass Covid-19 kein «Killervirus» ist, der ein Massensterben auslöst. Damit aber entbehren die staatlichen Maßnahmen jeder Legitimität.

Der medial vorgetäuschte Grund der Legitimität – nicht das Motiv – liegt auch in einem durch die digitale Datenverarbeitung äquivok gewordenen Wissenschaftsbegriff, der nicht mehr unterscheidet, was einem empirisch bewährten, festen theoretischen Erkenntnisstand angehört und was aufgrund statistischer Erhebungen in Modellrechnungen und Computersimulationen eingeht, die durch die Auswahl ihrer Parameter immer schon Erwartungswerte präjuduzieren. Sie sind deshalb besonders anfällig für psychologisch erwünschte oder ideologisch und politisch gewollte Modellierungen, um bestimmte Handlungsoptionen auszulösen.

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Das Problem ist auch aus der Klimadebatte bekannt. Jenseits eines harten Kerns wissenschaftlicher Erkenntnisse siedelt sich ein weites Feld von digital modellierten Mutmaßungen an, die als Erwartungsentwürfe zukünftiger Szenarien, am liebsten «worst case» Szenarien, dem Alarmismus einer medialen Aufregungskultur das Wort reden. Aber auch algorhithmisch generierte Mutmaßungen bleiben Mutmaßungen: Sie sind keine «wissenschaftlichen Erkenntnisse», sondern Imaginationen, Ein- und Vorbildungen zukünftiger Möglichkeiten, deren realgeschichtliche Plausibilität ganz von den gewählten Ausgangsgrößen und den sie bestimmenden Interessen abhängt.

Indem nun beides: der harte Erkenntnisstand und die virtuelle Welt digitaler Modellierung – als «Wissenschaft» bezeichnet wird, wird der Wissenschaftsbegriff selbst äquivok und bezeichnet zwei gänzlich inkommensurable Größen: Erkenntnisse und Mutmaßungen. Diese verstecken sich gerne unter dem Mantel «wissenschaftlicher Voraussagen», was sie ganz und gar nicht sind, da solche nur innerhalb des festen Theoriegefüges physikalischer Gesetze möglich sind.

Es ist diese schon seit Jahrzehnten fortgesetzte Aufweichung des Wissenschaftsbegriffes, die in der Corona-Krise die Legitimation der Maß­nahmen besorgt. Nicht die harte Erkenntniswelt der Wissenschaft, sondern die weiche Mutmaßungswelt von digitalen Modellierungen und Computersimulationen soll durch ihre Schreckensszenarien von Hunderttausenden, gar Millionen Toten die Legitimität der Maßnahmen begründen. In seltener sophistischer Verkehrung wird dann behauptet, dass jene Schreckensszenarien ausblieben, sei eben diesen Maßnahmen zu verdanken. Was sich schon durch die Chronologie der Ereignisse leicht widerlegen lässt und auch dem harten Kern der wissenschaftlichen Erkenntnisse widerspricht. Die Legitimation beruht auf einem äquivoken, sachlich mehrdeutigen Wissenschaftsbe­griff und bezieht sich darin auf ein außerwissenschaftliches Mutmaßen: auf eine Phantasie- und Pseudowissenschaft («fanta-scienza»), die in der modernen, rationalitätsbasierten Demokratie keine Legitimität mehr begründen, nur Massenhysterie auslösen kann. Es ist der medienpolitische Kollaps demokratischer Rationalität – mit welchen existentiellen, ökonomischen und politischen Folgen, wird sich noch zeigen.


Rudolf Brandner

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Kommentare ( 96 )

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Frau W. aus D. an der E.
3 Jahre her

Richtig. Die Grundlagen aller Corona-Maßnahmen waren wissenschaftliche Prognosen, deren Richtigkeit damit begründet wird, dass sie nicht eingetroffen sind, weil man Maßnahmen ergriffen hat.

8flieger8
3 Jahre her

Danke, dass das mal jemand so klar sagt. Das muss man sich mal klarmachen und überlegen, was es für unser Leben bedeutet.

Bundesbuerger
3 Jahre her

Viele und gekoppelte Variablen; nicht-lineare Zusammenhänge; dynamische, teilweise chaotische Verläufe, die auch noch ortsabhängig sind. „Albtraum“, anders kann man solche Randbedingungen nicht nennen, wenn daraus mathematische Modelle entstehen sollen. „Nicht belastbar“, vulgo „Blödsinn“, sind Szenarien, die auf Basis solcher Albtraum-Modelle entstehen. „Verantwortungslos“, vulgo „irre“, eine Politik, die darauf gestützt immer wieder Worst-Worst Cases annimmt, um Lock Downs zu exekutieren, ganze Branchen, Säulen der Volkswirtschaft, über die Klippe zu schieben, …

blackhero68
3 Jahre her

Eine (nicht zu erwartende) Rüge des Presserates wäre gar nicht notwendig, wenn sich diejenigen, welche sich als Journalisten bezeichnen, auf ihre Aufgabe der Recherche mit nachgelagertem Denken besinnen würden und nicht in den Status der Miethure einiger Politdarsteller verfielen. Und weil die Filterblase so schön kuschelig ist, engagiert der denkfaule Journalist irgendeinen genauso denkfaulen Faktenchecker, der möglichst schnell das bestätigt, was der Pseudojournalist im Auftrag seines Herrn hören möchte. Abgenickt und ganz schnell in die Sushi-Bar und sich um wichtigeres kümmern.

Fritz Rau
3 Jahre her
Antworten an  blackhero68

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Naivität!- Glauben Sie denn im Ernst, daß es Zufall ist, wenn die «Altmedien»/sic!) zwischen München und Hamburg ibkl. die ÖR unisono aus einem Loch pfeifen?- Daß die also alle zu dumm sind, um die wissenschaftlichen Basisinfos (z.B. beim RKI, bei Wodarg, Bhakdi/Reiss, Schiffmann etc.) zu verarbeiten? – Und der so viel (auch hier mitunter) gescholtene Deutsche Michel: was soll er denn denken, wenn er sich ausschließlich aus diesen Kanälen informiert?- Wir stehen mitten in einem medialen Informationskrieg, in dem die intellektuelle Redlichkeit nur noch von wenigen, wie TE oder ichgut,com etc. hochgehalten wird, ansonsten aber Betrug,… Mehr

Marzo Matto
3 Jahre her

Theorien und algorithmischen ermittelte Vorhersagen sind ein unverzichtbarer Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit. Essentiell ist der Abgleich mit experimentellen Fakten und tatsachenbasierten Erkenntnissen. Vorhersagen, die nicht verifiziert werden können oder gar nicht erst verifizierbar (s. Stringtheorie) sind, sind letzten Endes – egal wie aufwendig sie erzeugt wurden – nicht mehr als Spekulationen, allenfalls Denkmodelle . Das gilt ganz besonders für die vielen apokalyptischen Klimaprognosen. Wären die Modelle so leistungsfähig wie stets von den Propagandisten behauptet, sollte es möglich sein, das Klimageschehen der letzten 1000 Jahre halbwegs zuverlässig zu replizieren. Das wird nicht nur wegen der erratischen und dürren Datenlage nicht gelingen, sondern… Mehr

Deutscher
3 Jahre her

Ich kenne nur eine einzige Person, die Corona hatte und habe von keinem Bekannten gehört, dass er einen Bekannten habe, dessen Bekannter es auch hatte. Dafür kenne ich ne Menge Leute, die im privaten Kontakt mit Fremden eine Maske tragen und ich komme beruflich in viele Häuser. Die Kinder tragen in der Schule Maske, aber davor und danach nicht, wenn sie zusammen spielen oder sich sonstwie treffen. Die hochwertigen FFP3-Masken, die man anfangs keinesfalls tragen sollte, weil sie nichts nützen würden – aber nun ist man verpflichtet, irgendeinen Stofflappen vor Mund und Nase zu halten, der tatsächlich nichts bringt? Und… Mehr

Fritz Rau
3 Jahre her

…mehr als nur eine Rüge vom Presserat? – Ich denke, allen Leitmedien, die so gravierend gegen das Prinzip intellektueller Redlichkeit und Sachlichkeit verstoßen, sollte das Abo gekündigt werden (gerade auch in Arztpraxen und allen möglichen Warteräumen). Und keiner sollte mehr hinter die Bezahlschranke zurückgehen. Auch von den öffentlich-rechtlichen sollte eine umfassende Diskussion verlangt werden (durch organisierten Gebührenboykott), siehe auch die Petitionhttps://www.openpetition.de/petition/online/ard-sondersendung-wie-gefaehrlich-ist-corona

SuGie
3 Jahre her

Vielen Dank für diesen Artikel!
Man könnte glatt zu der Überzeugung gelangen, dass sich gerade eine Handvoll sehr einflussreicher Menschen einfach mal ihre Welt gestalten, wie sie sie haben schon lange haben wollten und dafür die Wissenschaft für sich gewinnen konnte. Aber das ist ja eine Aluhut-Therorie…
Ob der unten stehende Link, aus dem offensichtlich hervorgeht, dass bereits im Jahr 2017 Covid-19 Test-Kits in rauen Mengen bestellt wurden, ebenfalls einen Aluhut verdient, würde mich wahnsinnig interessieren. Fake News??

https://wits.worldbank.org/trade/comtrade/en/country/ALL/year/2017/tradeflow/Imports/partner/WLD/nomen/h5/product/382200?s=09

Rainer Neuhaus
3 Jahre her

Nein, das ist eben kein Unfug, was H. Brandner schreibt.

Valide mathematische Modelle funktionieren nur und ausschließlich auf der Basis entweder;

a. Annahmen als Parameter, die auf der Grundlage allgemeiner Erfahrungswerte beruhen
b. Annahmen als Parameter, die auf der Grundlage konkreter Messergebnisse einen Verlauf fortschreiben, sei es als Regression oder andere mathematische Verfahren.

In beiden Fällen ist aber das Ergebnis, streng wissenschaftlich betrachtet, eben KEINE gesicherte Erkenntnis, sondern eine Theorie, die es zuerst zu prüfen und zu validieren gilt. Wie der H. Brandner schon betont, eine „Mutmaßung“.

Rainer Neuhaus
3 Jahre her
Antworten an  Rainer Neuhaus

Nee.

Im konkreten Fall Corona reden wir über statistische Modellierung von komplexen, chaotischen Entwicklungen und eben nicht von Entwicklungen die ein determiniertes Ergebnis erwarten lassen.

giesemann
3 Jahre her

Dialektik vom Feinsten, Daumen hoch, @Soeren H.