Konsumphilosophie à gogo 1: Pepsi – Freiheit in Dosen

Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit als letzte Bastion großer Wertvorstellungen. Das kann traurig machen ... oder glücklich. Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann ganz beruhigt in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.

PepsiCo

Der Mensch denkt, manchmal denkt er nicht. Und wenn er nicht denkt, dann glaubt er. Irgendetwas muss er ja tun. Er ist in einer scheußlichen Lage. Es soll vor Smartphone, selbstfahrenden Autos und obligatorischen Feuermeldern Menschen gelebt haben, die den Impuls des Glaubens kannten und ihn von der Religion auf andere Bereiche ausweiteten. Viele dieser Menschen setzten sich für die soziale Gleichheit ein, andere für die Wissenschaft, einige auch relativ schnell für den Feldhamster.

Nun ist es eine solche Sache mit dem Glauben. Nachdem der Glaube nicht mehr als eine demütige Herausforderung verstanden wird, sondern als ein Ausdruck der Gefühle, kann alles Glaubensinhalt werden und so sind alle Herausforderungen der Welt die Start-Ups von heute.

Wenden wir uns deshalb zwangsläufig der Marke Pepsi zu, die vor einigen Tagen mit einem „Werbespot“ für Aufmerksamkeit sorgte. Inzwischen wurde das Filmchen wieder zurückgezogen, da sich einige Menschen böse verstimmt und ärgerlich wurden. Warum:  Der Film zeigt die für eigentlich nichts berühmte Kendall Jenner, die sich einer Demonstration anschließt und kurz vor der Eskalation zwischen Polizei und Protestierenden, die Situation mit der Handreichung einer Pepsi-Dose befriedet. Das sei, unangemessen, respektlos, unglaubwürdig und lächerlich, sagt die empörte Öffentlichkeit. Und irgendwann hat das auch das Unternehmen brav eingesehen und sich entschuldigt.

Besonders widerwärtig war, so die Mehrheitsmeinung, dass die Anti-Trump- und Black-Lives-Matter-Proteste zu einer possierlichen Folklore-Veranstaltung in perfekter HD-Romanik degenerierten und zu allem Überfluss, die „gute, weiße Frau“ (nicht auszudenken, wenn es ein weißer Mann gewesen wäre), eine angespannte Situation zum Guten löst. Nun lehrt die Geschichte, dass jede Instanz ihr ureignes Personal besitzt. Der Held verkörpert Spitzenleistungen in jeweils aktueller Gestalt, denn nur den nennen wir so, der uns am besten zeigt, was wir können. Als Herkules bei den Griechen, als Cäsar bei den Römern, als Luke Skywalker im Sternenkrieg  … unangepasst, einsam, tapfer geht er (pardon, SIE) voran. Sie verantwortet Leistung, kämpft alle Gefahren nieder und führt die ihm Anvertrauten zu Erfolg und Sieg. Die Sanftmut einer Pepsi-Dose mag da die Heroik so richtig in den Sand setzen und das Selbstbild zerstören … wer mag das schon und erst Recht noch von der Werbung?

Schreiben wir, wie es ist: Der Held der Moral ist immer die Kriegerin … der Held der Ethik immer die Erzieherin. Kendall Jenner ist nichts von beidem, sondern nur eine Prominente ohne Eigenschaften (und obwohl quicklebendig seit kurzem ohne Vater). Gerade diese Eigenschaftslosigkeit ist allerdings der Schlüssel für Erfolg im Jahr 2017: In Politik, Wirtschaft und Werbung. Denn Eigenschaften bedingen, dass einigen Menschen eben diese besonders gut und andere besonders schlecht finden. Das macht die Marke zur Marke. Das Gesetz im klassischen Marketing ist allerdings seit etwa einer Generation, möglichst allem und jedem ein Angebot zu machen. Wer aber alles ist, ist nichts. Früher nannte man das: Omnis determinatio is negatio (Spinoza). Wenn also heute Werbeexperten Pepsi vorwerfen, „Politik für Verkäufe“ zu instrumentieren, dann ist das – wie so oft – falsch. Das Problem ist nämlich nicht, Politik zum Inhalt von Werbung zu machen, sondern Politik ohne Politik, d.h. ohne „Position“ zu illustrieren. Eine Haltung hätte nämlich einige Kunden verärgern können, aber das will man ja nicht …

Der Held der Moral ist immer die Kriegerin … der Held der Ethik immer die Erzieherin

Ein Großteil der Menschheit glaubt heute viel eher an Netflix, Xbox und Oreo (wie die neueste Google-Jugendstudie It`s Lit nachgewiesen hat) und nicht an die Heiligen Teresa von Avilar, Johannes vom Kreuz oder an die Thesen von Antonio Gramsci.  Es gibt Partnerbörsen im Internet, die das Persönlichkeitsprofil der Aspiranten auf Basis der Auswahl der Lieblingsmarken erstellen … das kann einen belasten, aber – nicht außer Acht lassen – das Ziel der Zivilisation ist es, uns vergessen zu machen, dass das Leben eigentlich ein äußerst profanes Intermezzo darstellt. Man könnte auch sagen, die eigene Unwichtigkeit überspielen.

Vor diesem Hintergrund hat die (starke) Marke eine entscheidende Rolle übernommen: Sie füllt die Sinnleere der universellen Postmoderne. Und das macht sie gut. Nicht auszudenken, wieviele Kriege es mehr gäbe, wenn sich Männer nicht auf den Erwerb eines Mercedes-Benz fokussieren könnten … Der wirklich kluge französische Philosoph Alain Finkielkraut macht deutlich, dass erst aus der Eingewobenheit in kulturelle Zusammenhänge Werte wie Verantwortung und Freiheit entstehen. Schließlich gilt: „Wenn ein Mensch nur Mensch ist, dann ist er kein Mensch mehr.“

Und so haben wir ein profundes Problem: Hat uns nicht die gute Naomi Klein unter dem Schlachtruf „No Logo!“ noch vor kurzem erklärt das Marke und Freiheit die Protagonisten eines substantiellen Kampfes sind (und wurde dadurch zur globalen Bestsellerautorin)? Ja, aber viele haben Recht und nur einige wenige Wahr. Der gute, (und inzwischen) alte Marxist Wolfgang Haug schrieb nämlich bereits 1971 in der „Kritik der Warenästhetik“ vom „Bedeutungsdings“ der Ware: „Immer mehr Waren werden sich zunehmend in eine Richtung ändern, an deren Extrem das reine `Bedeutungsding ́ steht. Der Richtungsausdruck `Bedeutungsding ́ soll besagen, daß der Realitätsgrad und die Seinsart des Warenkörpers als Gebrauchswert sich verschieben weg vom einfach scheinenden `äußeren Gegenstand, der durch seine physischen Eigenschaften bestimmte menschliche Bedürfnisse befriedigt ́, in Richtung auf zunehmende Akzentuierung des Bedeutenden und Beziehungsvollen der Ware.“

„Bedeutungsdings“

Das war ziemlich cool, denn mit diesem Wort faszinierte er und finanzierte sich sein Studium. Und jetzt wird deutlich, dass die große Aufregung um einen vermeintlich „unpassenden“ Werbespot, die große unbewusste Sorge verdeutlicht, dass es die Marke ist, die bereits längst die Bedeutungshoheit über die Welt übernommen hat. Dieses böse, böse Gerät. Der Vorgang der Empörung, den die Psychologie als Kontrollillusion bezeichnet, schenkt den Menschen vermeintliche Sicherheit in der Vorstellung, die Welt sei noch nicht verloren.

Klar ist: Der Pepsi-Spot ist viel eher eine Dokumentation des Ist-Zustandes als ein Werbefilm. Das kann zu Depressionen führen oder zu einem gutmütigen Lächeln. Es war schon immer die Rolle des „ewigen Zweiten“ (neben Coca-Cola) die Wahrheit auszusprechen, während der Erste sich in Allgemeinheiten suhlt. Sollte man Pepsi danken? Wahrheit ist schmerzlich. Aber es hat nie irgendjemand behauptet, dass alles besser wird, aber vielleicht amüsanter. Pepsi sagt das besser: „Refresh your world.“

Dr. phil. Oliver Errichiello ist Sozioökonom und Psychologe. Er ist Geschäftsführer der Markenberatung Büro für Markenentwicklung in Hamburg und Dozent für Markensoziologie an der Universität Hamburg und der Hochschule Luzern. Errichiello ist Autor mehrerer Bücher zu den Themen „Markenführung“ und „Individualisierungswahn“.

Im Sommer erscheint seine neueste Veröffentlichung „Philosophie der Marke“.

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Kommentare ( 27 )

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27 Comments
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6 Jahre her

In Anbetracht der mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizeitausendschaften ohne die wir seit 2016 weder Silvesterfeiern, Karneval, Oktoberfest, Weihnachtsmärkte und Fussballspiele mehr besuchen können, ist din „Schiessbefehlkampagne“ an Dreistigkeit nicht zu überbieten.

Ich vermute auch, dass die „unschönen Bilder“ die Merkel befürchtet hat, auf gewaltbereite Migranten zurückzuführen sind.
Und in Marxloh, am Cottbusser Tor, am Görlitzer Park oder den anderen „No go“ – Areas will in Wirklichkeit auch keine vernünftiger Mensch mehr leben, da kann man die Biateng-Aussage noch so lange strapazieren um davon abzulenken.

Und „look what happened in Sweden last night“ hat sich ja auf traurige Weise auch betätigt.

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6 Jahre her

Bei Merkel passt da besser der abgewandelte Media Markt-Slogan:
„ICH BIN DOCH BLÖD“

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6 Jahre her

Bei Merkel passt eher der abgewandelte Media Markt – Slgan:
„ICH BIN DOCH BLÖD“

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6 Jahre her

Didi Mateschitz hat mit Red Bull das Marketing neu definiert.
Ich hoffe inständig, dass ihm das mit seinem Anti-MSM Projekt auch gelingt.

Illusionslos
6 Jahre her

Werbung lügt, Religionen lügen und Politiker lügen. Der Mensch hat sich daran gewöhnt, er braucht die Lügen und falschen Versprechungen, weil die Wahrheiten das Leben unerträglich machen. Erinnert mich irgendwie an die Situationen im 1500 JH während der ausufernden Pest überall in europäischen Städten. Wie reagierten die Menschen darauf ? Sie lebten als gäbe es kein Morgen im wahrsten Sinne des Wortes, es wurde gehurt, gesoffen und gefressen was das Zeug hält, weil man nicht wußte, ob man am nächsten Tag noch lebt. Also nur noch einmal alles auskosten, was das Leben zu bieten hat. Auf die Versprechungen der Religionen… Mehr

Alexander Wildenhoff
6 Jahre her

Werter Herr Errichiello – ich habe die letzten Jahre den Abstieg des Magazins SPIEGEL vom Nachrichtenmagazin zur Illustrierten verfolgt und mich gefragt, an was das liegen könnte. Ich glaube, es liegt an dem Überhandnehmen der Infomercials dort – das sind als Informationen getarnte und bezahlte Werbeanzeigen. Allerdings so schlecht gemacht, dass fast jeder Leser es merkt. Ihr Artikel hier ist erheblich besser. Sie haben aber recht – es geht um das Bedeutungsdings. Und Markenführung, die Sie ja in Ihrem Unternehmen verkaufen, muss Marken, die hohl sind, mit Bedeutung aufladen. Fasziniert hat mich der Spruch von Avis: WE ARE ONLY NUMBER… Mehr

bucklalpi
6 Jahre her
Antworten an  Alexander Wildenhoff

Werbung dient doch in erster Linie dazu, bei einem Produkt wie Cola bspw., bei dem es genügend Auswahl gibt, meine Auswahl zu Gunsten des Werbenden zu beeinflussen. Finde ich grundsätzlich gut. Ich kann mich für ein Getränk entscheiden, das sich lediglich in Geschmacksnuancen vom anderen unterscheidet – oder vom Preis. Anders in der politischen Werbung. Hier geht es doch um nichts Greifbares, sondern um Inhalte. Wenn sich nun z.B. Frau Merkel oder Herr Schulz hinstellen, stundenlang – statt konkreter Aussagen nur herumschwurbeln, ihre Wahlaussagen aber von Werbeagenturen ausarbeiten und verkünden lassen, ist das eine bodenlose Frechheit und ein Dummverkaufen des… Mehr

Marcus Starkenberg
6 Jahre her
Antworten an  bucklalpi

Nach meinem Verständnis geht es bei Werbung darum, einen Handlungsimpuls zu setzen. Nach dem Impuls sollen Sie ein bestimmtes Produkt kaufen. Die Parteien wollen, dass Sie nach dem Impuls die bestimmte „Idee“ kaufen und sie wählen.
Eine Wahl haben Sie bei Parteien doch auch, auch wenn die Werbung bei allen nach Ihrer Ansicht gleich doof ist: Sie MÜSSEN nicht wählen, Sie dürfen. Zumindest noch.

Isis Thanatos
6 Jahre her

Die Strategie der Gesinnungspartnerschaft mit dem Konsumenten ist nicht neu und war immer schon shwierig und sogar gefährlich, wenn sie lediglich als Ranschmeisserei ans Publikum praktiziert wird. Das ist hier passiert und das Publikum merkt natürlich, wenn die Solidarität der Marke nur quasi vorgetäuscht ist. Vermutlich ist die Strategie auch keiner Marke zu empfehlen, die eine soziodemographische Gesamtheit ansprechen möchte. Der Fall ist trotzdem hoch interessant. Ich habe einiges dazu gelesen und dabei zum ersten Mal gesprüt, wie wirklich tief verletzt viele Non-Whites in den USA sind, dass so viele Weiße Trump gewählt haben. Da fühlen sich viele buchstäblich verraten,… Mehr

Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her

Wenn auch das Lauteste gegen Pepsi nichtsbedeutend ist, dann ist Pepsi der King.

Für eine Werbung nicht schlecht gedacht. Obwohl es nur Brause ist.

Aber man sieht auch, wo sie verhängnisvollerweise hinläuft. Nicht zuletzt, weil sich auch die Politik der Werbewissenschaft bedient. Marken als Sedativum vorbeugend vor der Realität? Alle Bluna, oder was?

Aber man sieht auch, wie der Schuss nach hinten losgehen kann. Gottseidank! Werbung – der verbreitetste und „selbstverständlichste“ aller Fakes. Kranke Hirne, kranke Realität mit großer Bedeutung aber wenig Sein.

NoName
6 Jahre her

Wenn Sprache auf den Strich geschickt wird, nennt man das „Werbung“.

Blaue vom Himmel
6 Jahre her

Das Gesicht der Frau mit der Dose: Absolut inhaltsleer wie das Gesicht eines frisch geborenen Kindes. Ist dies das neue zu installierende Ideal? Ein Rohling dem man nach Bedarf irgendetwas aufstanzen kann? Lebend in einer Pipi Langstrumpf Welt? „Die possierliche Folkloreveranstaltung in HD Romantik“ . In Wirklichkeit ein explosives Pulverfass. Also eine Entfremdung und Verdrehung der Realität. Passend gemacht für den Konsumenten, der nichts mehr mit den unangenehmen Seiten des Lebens zu tun haben möchte. Also der immer öfter in Erscheinung tretenden Generation Snowflake. Die Wahrnehmung nur noch nach Zumutbarkeit und einem Weichzeichner. Bedenklich, bedenklich, bedenklich. Und genau dieses Prinzip… Mehr

Heinrich Löwe
6 Jahre her
Antworten an  Blaue vom Himmel

„Das Gesicht der Frau mit der Dose: Absolut inhaltsleer..“ Das mag sein, aber die Frau ist einfach atemberaubend und zum Niederknien schön, und das macht den Effekt aus.
Oder bin ich hierher Einzige, der das so sieht

Blaue vom Himmel
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Löwe

Alles was bei Ihnen angekommen ist, ist dass der Werbeträger hübsch ist? O.K.

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Löwe

wie kann ein inhaltsleeres Gesicht schön sein?

Maria sem Véu
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Löwe

Das Gesicht der jungen Frau wurde mehrfach schönheitsoperiert und die Lippen aufgespritzt. Sie war ein sehr hübsches Mädchen, aber jetzt sieht das Gesicht leider aus wie eine starre Maske.
Ich weiss das, weil ich die einschlägigen Zeitschriften mit den bunten Bildern lese. Vielleicht hat ja auch ihr Ex-Vater (nun Frau) ihr Tipps gegeben.