Kein Asyl: Pech für den braven Herrn Nhan

Bayerns Behörden schoben einen kranken vietnamesischen Regimekritiker ab – weil es so leicht war. Viele Abschiebe-Kandidaten aus Afrika dürfen dagegen bleiben. Es genügt, dass sie sich wehren.

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Symbolbild

Deutschland tut sich schwer mit dem Abschieben. Nur sehr wenige Ausreisepflichtige müssen das Land wirklich verlassen. Die Zahl der Abschiebungen sinkt seit 2016. Im Jahr 2018 wurden 23.600 Personen zwangsweise außer Landes gebracht – etwa 1,5 Prozent weniger als 2017. Die Zahl der „freiwilligen Ausreisen“, obwohl stimuliert mit Geldprämien, brach 2018 im Vergleich zum Vorjahr sogar um 46 Prozent ein.

Mittlerweile musste das Bundesinnenministerium einräumen, dass 2018 etwa jeder dritte Abgeschobene wieder illegal nach Deutschland einreiste.

Besonders langsam handeln Behörden allem Anschein nach bei Gefährdern beziehungsweise notorischen Straftätern. Dafür wurde jetzt in Bayern ein Exempel statuiert: An einem hochqualifizierten, kranken Vietnamesen, der in seiner Heimat wegen „Propaganda gegen den sozialistischen Staat“ fast zwanzig Jahre im Gefängnis saß, und weiter verfolgt wird: Nguyen Quang Hong Nhan. Ein knappes Dutzend Polizisten holte ihn am Dienstag vergangener Woche von seinem Zuhause in Nürnberg ab, von Beamten wurde er gemeinsam mit seiner Frau in ein Flugzeug verfrachtet und in die Heimat abgeschoben, wie seine anwesende 19-jährige Tochter erzählte. Sie bat die Beamten nach ihrer Schilderung, die Medikamentenversorgung ihres Vaters sicherzustellen, der nach einem Schlaganfall auf Arzneien angewiesen ist, und ihn zur seiner Abschiebung ärztlich untersuchen zu lassen – beides vergeblich. Die Abschiebepapiere seien nur so kurz vorgezeigt worden, dass sie die Formulare nicht habe lesen können.

Der Vietnamese und seine Familie leisteten keinerlei Widerstand. Deshalb wurden sie dann auch tatsächlich abgeschoben – während viele Abschiebungen ja an gewalttätigem Widerstand der Betroffenen oder dem Fehlen von Papieren scheitern. Nach der Zwangs-Rückkehr in den sozialistischen Staat wurde Nhan vierzehn Stunden verhört, so die Tochter: „Wohin sie meinen Vater danach brachten, ist mir nicht bekannt.“

Nhan ist genau der Fall, den die Väter unseres Grundgesetzes mit Artikel 16 („politisch Verfolgte genießen Asyl“) im Auge hatten: Er gilt als einer der wichtigsten vietnamesischen Autoren und Kämpfer für die Menschenrechte. Nach den fast zwei Jahrzehnten als politischer Gefangener war er 2017 und 2019 für den Literaturnobelpreis nominiert; er ist für den Robert-Kennedy-Preis von Human Rights vorgeschlagen, ebenso für den Václav-Havel-Menschenrechtspreis. Als Ex-Häftling durfte Nhan in Vietnam nicht einmal einen Reisepass besitzen. Als Begleitperson für seine minderjährige Tochter, die zu einem Klavierwettbewerb reiste, konnte er 2016 das Land schließlich doch verlassen.

Laut Radio Free Asia haben die Repressionen gegen Regimegegner in Vietnam wieder erheblich zugenommen. Menschenrechtsaktivisten klagten demnach im Dezember über die Festnahme von 200 politischen Gegnern. Auch der Tochter Nhans selbst, die hier in Deutschland studiert, droht jetzt die Abschiebung. Sie wurde nach eigenen Angaben nur deshalb nicht mit abgeschoben, weil sie keinen gültigen Reisepass hatte. Sie, die auch publizistisch tätig ist, fürchtet, diese Woche abgeschoben zu werden. Die Behörden mauern derweil.

Die Abschiebung erfolgte, obwohl noch eine Klage gegen die Ablehnung des Asylfolgeantrags anhängig war. Obwohl die Familie beantragt hatte, nach Kanada weiterzureisen, um dort Asyl zu bekommen. Und obwohl die kanadische Regierung sich offen gezeigt haben soll, den Antrag zu prüfen. Wozu Nhan zur kanadischen Botschaft nach Wien hätte fahren müssen; sein Antrag, die Residenzpflicht für Nürnberg dafür aufzuheben, wurde allerdings abgelehnt. „Ich finde schon, dass es hilfreich gewesen wäre, wenn es da nochmal eine Nachfrage gegeben hätte, wie jetzt der Stand ist, anstatt jetzt still und heimlich einfach abzuschieben“, klagte Nhans Anwalt Manfred Hörner.

Das harte Vorgehen gegen Nhan hat aber noch aus einem anderen Grund einen besonders bitteren Beigeschmack: In einer Operation des vietnamesischen Geheimdienstes wurde der frühere kommunistische Funktionär Trịnh Xuân Thanh und seine Begleiterin am 23. Juli 2017 mitten in Berlin in einen Transporter gezerrt und dann auf unbekanntem Weg nach Vietnam verschleppt. Ein beispielloser Vorgang, der zu einem besonderen Fingerspitzengefühl im Umgang mit Verfolgten aus Vietnam hätte führen müssen – und zu einem intensiven Nachdenken bei den Behörden, für welchen Personenkreis der Asylartikel eigentlich gilt.

Mitte März hatte die im letzten Moment gescheiterte Abschiebung eines abgelehnten 21-jährigen Asylbewerbers aus der Elfenbeinküste in München für Aufmerksamkeit gesorgt. Der Mann sollte nicht in sein Heimatland gebracht werden, aber – als so genannter Dublin-Fall – nach Italien, wo er schon Asyl beantragt hatte. Als er seine Beine gegen die Treppe der Maschine LH 1856 von München nach Mailand stemmte, brachen die drei zur Begleitung abgestellten Bundespolizisten die Abschiebung nach zehn Minuten ab.

In den sozialen Netzwerken wurde die Abschiebung des kooperationswilligen Dissidenten Nhan mit Galgenhumor kommentiert. Ein Facebook-Nutzer schrieb: “Der Mann erfüllt alle Voraussetzungen für eine Abschiebung. Gut integriert fester Wohnsitz, gültige Papiere und immer erreichbar, alt, krank, und deshalb muss die Polizei keine Angst haben, des weiteren gibt es keine rachsüchtige gewalttätige, nicht lokalisierbare Lobby, die auf Rache sinnt.”

Die Causa Nhan ist kein Einzelfall. So ist Publico der Fall eines russischen Regimekritikers bekannt, gegen den in seiner Heimat Hetzaktionen bis hin zu Todesdrohungen und Strafverfahren laufen – dem aber bisher trotzdem Flüchtlingsschutz verweigert wurde. Der Mann möchte zu seiner Sicherheit anonym bleiben.

Was den vietnamesischen Autor betrifft: Er wird nicht illegal nach Deutschland zurückkehren. Auch in dieser Beziehung macht er also keinen Ärger.


Der Beitrag ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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Kommentare ( 131 )

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131 Comments
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thepiman
5 Jahre her

Seit wann ist Vietnam den sozialistisch?

BarackoBarner
5 Jahre her

Bin ich der einzige, der sich mittlerweile täglich für sein eigenes Land schämt? Aber machen wir uns nichts vor. Es ist zu spät. Wenn sogar heute noch 85% diejenigen immer und immer wieder wählen, die für die Zustände verantwortlich sind, müssen wir zugeben: alle diese Leute sind damit einverstanden bzw als Resultat von Indoktrination und Bildungskatastrophe nicht in der Lage, klar zu sehen. Sie sind einverstanden mit Blutopfern für die hohe Moral. Mit kaputten Bildungslandschaft. Mit der Zerstörung aller Werte (z.B. Abtreibung bis zur Geburt). Mit der Aufgabe unserer Verteidungsfähigkeit. Und und und. Es ist zu spät und wir müssen… Mehr

Pete M.
5 Jahre her

Die Sache hat mindestens zwei Seiten:
– Vietnamesen sind/gelten als fleißig und intelligent. Die passen nicht in das neue Menschenbild von dummen Wählern.
– Weshalb man jedoch um den halben Erdball reisen muss um Asyl zu beantragen hat aber trotzdem einen faden Beigeschmack. Liegt es doch an hohen Sozialleistungen, guter medizinischer Versorgung die Laos, Kambodscha oder andere nahe liegende Nachbarstaaten nicht leisten können oder wollen?

elly
5 Jahre her

„Unter den Ausreisepflichtigen ist längst bekannt: Wer vor den Augen der Piloten ein bisschen Rabatz macht, wird garantiert vom Flug ausgeschlossen. Danach geht es zurück in die Unterkunft, das Katz-und-Maus-Spiel beginnt von Neuem – Ende offen. Auf dem Landweg ist es das Gleiche. Polizisten fahren immer häufiger quer durch die Republik, um Flüchtlinge zu Sammelabschiebungen zu bringen. Das schwer Erträgliche: In der Regel wissen die Beamten, dass sie die Kandidaten wieder mit nach Hause nehmen – weil sie kurz vor Abflug einen Aufstand machen. Ein Irrsinn auf dem Rücken der Polizei.“ https://www.merkur.de/lokales/erding/erding-ort28651/asyl-erding-polizei-abschiebungen-staat-laesst-sich-vorfuehren-12140242.html Dank der Flüchlingshelfer, der Asylindustrie und der Gutmenschen… Mehr

Nachdenklich
5 Jahre her

hier die Fortsetzung (bin wohl auf der falschen Taste gelandet): zur Landtagswahl habe „abkaufen“ lassen.

Nachdenklich
5 Jahre her

Lieber StefanB, Sie sprechen mir aus der Seele! CSU UND Freie Wähler= unwählbar. Bin jeden Tag dankbar, dass ich mir von beiden nicht die Stimme zur Landtagswahl h

Sabine W.
5 Jahre her

Ich weiß, dass ich mich überflüssigerweise nur noch zu Wort melde, weil eigentlich alles schon gesagt/gefragt wurde. Dennoch: Wer scheinbar asylbedürftig und -berechtigt ist, wird abgeschoben, während hunderttausende testikelschaukelnde Männer, die außer dem Wunsch nach einem ‚besseren Leben‘ nichts vorzuweisen haben, unter dem Deckmantel des ‚Asyls‘ weiterhin in Hundertschaften aus sicheren Dublin-Staaten (selbst wenn sie dort abgelehnt wurden) k***frech in D einmarschieren darf? Und wenn’s beim 1. Mal nicht klappt – macht nichts… 180°-Drehung um die eigene Achse und direkt wieder ‚Asyl‘-Ruf bei der Bundespolizei. Wieder rein – neues Verfahren. Aber ein wirklich Berechtigter wird abgeschoben? Dieses Land ist irre,… Mehr

Abifiz
5 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

Nebenbei:
Bitte, bitte, als Nicht-Deutscher und als Nicht-Deutsch-Muttersprachler, der als fremder Israeli Deutsch zu schätzen gelernt hat, erflehe ich Schonung für die von den (meisten) Deutschen von Herzen geschmähten und mißhandelten deutschen Sprache: Nicht „scheinbar“, bitte! Das hieße, daß Herr Nahn NUR dem Scheine nach asylberechtigt gewesen sei, in der WIRKLICHKEIT aber ganz und gar nicht. Sie meinen „anscheinend“: Dem Scheine nach UND gemäß der Wirklichkeit asylberechtigt. Zwei völlig entgegengesetzte Bedeutungen, die im Strudel der enthusiastisch besinnungslos betriebenen Kreolisierung des Deutschen verrührt und verklebt werden. Hauptsache man „beherrsche weltmännisch“ bad English…

Sabine W.
5 Jahre her
Antworten an  Abifiz

Lieber Abifiz, schön, Sie wieder zu lesen. Ich hatte mir schon Gedanken um Ihren Verbleib gemacht. Das meine ich übrigens ohne jegliche Ironie. Ich wollte den Asylstatus des Herrn Nhan mit dem Wort ’scheinbar‘ auch nicht wirklich anzweifeln, nur sind wir Bürger weiterhin angewiesen auf Informationen aus 3. Hand, von denen wir nicht wissen, ob sie harten Fakten (die wir nicht kennen) entsprechen oder nur eben aus 3. Hand kommen (die natürlicherweise durch persönlich wahrgenommene Filter gelaufen ist) – daher mein ’scheinbar‘. Und, ehrlich gesagt, krame ich nicht den DUDEN aus, bevor ich hier einen Kommentar schreibe. Daher kann es… Mehr

Sozia
5 Jahre her

Es ist unerträglich, dass auf der einen Seite massenhafter Asylmissbrauch besonders durch Angehörige der Maghreb-Staaten geduldet wird und echte politisch Verfolgte dann auf so grauenvolle Weise ihren Peinigern ausgeliefert werden. Dieser Staat ist nur noch eine einzige Schande für uns, das Merkel-Unrechtsregime, das täglich immer deutlicher sein hässliches Gesicht zeigt, kann nicht länger toleriert werden! Merkel muss weg und mit ihr dieser ganze politische Filz, der wie eine Krake unser ganzes Land erstickt. Weg mit diesen Leuten!

Abifiz
5 Jahre her

Ich bin zutiefst erschüttert! Die Abschiebung des kranken vietnamesischen Menschenrechtlers ist ein – öffentlich weitestgehend beschwiegener – evidenter, kruder und grausamster Verfassungsbruch und ein Hohn allen demokratischen und gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber.

Wird mit Sicherheit völlig ungeahndet verbleiben.

Deutschland taumelt und strudelt in den Abgrund. Die Leitmedien feiern Hochamt. (Hab’ übrigens von jenem Vorgang um den Herrn Nhan weder von FAZ noch von WELT erfahren!) Die Politiker entwickeln neue Visionen und Versionen ihres eigenen Narzißmus. Die Juden verlassen das Land. Die Illegalen tanzen.

Und der Michel?! Der Michel schnarcht befriedigt laut und fest.

Alles bestens also…

Petra-Karin
5 Jahre her
Antworten an  Abifiz

Er wird keinen Clan, keine Pro-Asyl-Gruppe oder ähnliches im Rücken gehabt haben, die dafür gesorgt hätte, dass die geplante Abschiebung öffentlich wird und im radio stündlich verkündet, damit sich Abschiebungsgegner am Flughafen einfinden, um das zu verhindern.
Jene Gruppen protegieren offensichtlich eine andere Klientel.

benali
5 Jahre her
Antworten an  Abifiz

@ Abifiz

Wenn Donald Trump Ähnliches gemacht hätte, würden ARD und ZDF Sondersendungen ohne Unterlass bringen, die FAZ würde mindestens halbseitig Frauke Steffens aus New York zu Wort kommen lassen, mit Plagiaten aus den weltweit größten FakeNews Verbreitern CNN, MSNBC, New York Times und Washington Post.

Wenn Frau Merkel die FDGO demontiert und lächerlich macht, dann ist das nicht erwähnenswert…

Sani58
5 Jahre her
Antworten an  Abifiz

Ich schnarche nicht. Aber ich/wir sind zu wenige.

Snakebite
5 Jahre her

Für „Regimekritiker“, die nur keine Lust auf Wehrpflicht haben, zählt also der Asylparagraph… Für Regimekritiker, die schon für ihre Kritik im Gefängnis saßen (und/oder schlimmeres befürchten müssen) zählt der Asylparagraph nicht!? Frage mich seit 2015 schon lange, ob ich auch irgendwo Asyl bekommen hätte, wenn ich meine Wehrpflicht (bzw. einen Ersatzdienst) nicht abgedient hätte und statt dessen irgendwo Asyl beantragt hätte? „Nhan ist genau der Fall, den die Väter unseres Grundgesetzes mit Artikel 16 („politisch Verfolgte genießen Asyl“) im Auge hatten […]“ Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes rotieren doch schon seit Jahren in ihren Gräbern! Und Nhan wird nur… Mehr