Ist Demokratie noch zeitgemäß?

Politische Parteien versuchen sich nur noch gegenseitig zu schaden. Sie suchen keinen Dialog mehr, es geht nur darum, Wahlen und Abstimmungen zu gewinnen. Es geht nicht mehr um die Sache, es geht ums Erscheinungsbild. Eine Streitschrift zur Lage.

Es bewegt sich fast nichts mehr in der Republik.
Die Hauptschlagadern Schiene, Straßen, Netzverbindungen, Funkmasten und Stromleitungen werden grundsätzlich von Bürgerinitiativen, Interessengemeinschaften, NGOs und Oppositionellen be- und letztendlich verhindert. Parallel entwickelt die Politik ständig neue Verordnungen, Richtlinien und Gesetze, die in einer kaum bewältigbaren Bürokratie enden.

Züge, PKW und LKW, mobile und stationäre Datenverarbeitungsgeräte sowie elektrische Endverbrauchsgeräte sind in immer besserer und modernerer Ausführung verfügbar. Allein, es fehlt die entsprechende Infrastruktur zu deren Benutzung.

Immer wieder wird China als Beispiel herangezogen um aufzuweisen, wie schnell andere Länder imstande sind, nötige Infrastrukturen auf- und auszubauen. Der Vergleich hinkt allerdings gewaltig, da es in China nahezu keine Opposition oder Bürgerinitiativen gibt, die sich den Plänen der Regierung erwähnenswert widersetzen könnten.

Blicken wir mal zurück in unsere Geschichte: Am 07.12.1835 fuhr die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth. Einzige Bedenken der damaligen Zeit kamen von Ärzten, die annahmen, dass die Wahnsinnsgeschwindigkeit von 35 km/h dem Gehirn der Fahrgäste schaden würde. Sonstige Bürgerbewegungen und -proteste: Fehlanzeige.

Man denke an den Bau des Nord-Ostsee-Kanals. Damals gab es nur einen nennenswerten Gegner, Feldmarschall Graf Helmuth Karl Bernhard von Moltke. Kein Mensch interessierte sich dafür, dass es dabei zu Veränderungen von Fauna und Flora, zu Trennungen von Mäusefamilien, Tod von Echsen und sonstigem Getier kam. Es wurde gebaut, übrigens innerhalb der Kostenschätzungen. Hätte der Graf sich durchgesetzt, gäbe es heute die meistbefahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt nicht.

Es gibt zahllose Beispiele. Der Bau von Schienen, Stromführungen, Telefonleitungen, Straßen und Kanälen wurde politisch beschlossen und dann realisiert. Beispiel olympische Spiele in München 1972. Wenn es all diese Bedenkenträger, Zukunftsverweigerer und Zauderer in den 60er Jahren gegeben hätte, wären nicht nur die olympischen Sommerspiele 1972 in München verhindert worden, sondern München hätte weder S- noch U-Bahnnetze.
Und heute? Keine Straße, Brücke, Autobahndrehkreuz, Schienentrasse, kein Funkmast, Windrad, Photovoltaikanlage, Kraftwerk, Neubau, Strommasten, Erdkabel oder Flughafen kann neu gebaut werden ohne ewige Streitereien, Gerichtsprozesse und Bürgerinitiativen.

Es herrscht Stillstand durch Demokratie!

Wie wäre es, wenn wir alle Projekte einfach sein lassen? Nur noch flicken und reparieren, was nötig ist? Keine Veränderungen mehr, lassen wir es einfach sein! Geben wir einfach den Zweiflern nach! Denen, die sagen „Es ist genug, uns reicht die gewonnene Modernität so wie sie ist und es geht uns doch gut so, wie es ist“. Wir würden sehr viel Geld sparen, die Gerichte entlasten und es würde – vermeintlich – Frieden einziehen in unserem Staat.

Okay, wir geraten schon jetzt immer mehr ins Hintertreffen und sind in vielen wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Bereichen nicht mehr „vorne mit dabei“ in der Welt. Aber vielen Menschen scheint dies nichts auszumachen und egal zu sein. Zukunft ist für die meisten einfach nur Quatsch. Es muss nicht immer alles weiterentwickelt werden. Den Status Quo zu bewahren scheint das einzige Ziel zu sein.

Die Demokratie hat ausgedient!

Politische Parteien versuchen sich nur noch gegenseitig zu schaden. Sie suchen keinen Dialog mehr, es geht nur darum, Wahlen und Abstimmungen zu gewinnen sowie dem politischen Gegner Schaden zu zufügen. Schöne rhetorisch geschliffene Reden mit oft leeren Worthülsen werden in den Parlamenten beklatscht. Manche Politiker entwickeln sich zu Rockstars und werden von der eigenen Partei gefeiert.
Es geht nicht mehr um die Sache, es geht ums Erscheinungsbild.

Parlamentssitzungen verkommen zu Showveranstaltungen fürs Volk, das wirklich glaubt, in den Sitzungen werden Veränderungen beschlossen. Es heißt dann, die eine oder andere Partei hätte einstimmig abgestimmt. Und dem Volk wird vorgegaukelt, dass tatsächlich alle Mitglieder der entsprechenden Fraktion der gleichen Meinung sind. Es kommt nicht mehr darauf an, was der betreffende Politiker am Pult sagt. Es kommt darauf an, welcher Partei er angehört.

Unsere Demokratie zerfällt!

Nicht die Politik bestimmt oft die Weiterentwicklung, sondern unpolitische Gruppierungen. Sie flechten still ihre Netzwerke und agieren gerne im Hintergrund. NGOs sind ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft. Aber sie entwickeln sich zu politischen Parallelgesellschaften, wenn sie politische Beschlüsse in Frage stellen, verzögern oder gar torpedieren. Es ist feige, aus dem Hintergrund anzugreifen, aber selbst unangreifbar bleiben zu wollen. Indem man sich als moralische Instanz versteht, die über alle Kritik erhaben ist. Wenn Organisationen politisch mitsprechen möchten, warum bilden sie dann keine Partei? Das passt doch nicht zu einer Demokratie.

Wie wäre es, wenn wir unsere nötigen Infrastrukturmaßnahmen endlich konzentriert angehen würden? Wenn wir endlich mal wieder agieren und nicht nur reagieren würden? Wenn wir endlich herangehen an die wichtigen und nötigen Projekte, die uns unseren Wohlstand für die Zukunft erhalten? Wenn endlich die Menschen, die an die zukünftigen Generationen denken, aufhören zu schweigen und ihre Stimme laut und klar gegen die ganzen Zauderer, Zweifler und Bedenkenträger erheben. Wenn die politischen Parteien endlich aufhören, Scheingefechte zu führen und gemeinsam Zukunftsprojekte vorantreiben? Denn Stillstand heute bedeutet Rückstand morgen.

Demokratie hat Zukunft!

Wir müssen Demokratie (wieder) neu denken und neu erfinden. Wie seinerzeit, als die Erfindung des Buchdruckes dazu führte, dass die Bürger plötzlich Zugang zu Informationen hatten und sich eine Meinung bilden konnten. Die Folgen waren Kriege und Revolutionen, das Machtkartell von Kirche und Adel stürzte ein. Es entstand eine mündige Gesellschaft, die eine Meinung vertrat und dafür auch kämpfte. Doch im Zuge zunehmender Überflutung mit Informationen, Meinungen, alternativen Wahrheiten und Talkshows ist die Gesellschaft immer passiver und desinteressierter geworden. Demagogen und Populisten haben leichtes Spiel, da nicht mehr Objektivität und Fakten zählen, sondern Likes in den sozialen Medien. Der Physiker und Philosoph Eduard Kaeser spricht hier von einer „Demokratie der Nichtwissenwollengesellschaft“.

Damit Politik wieder in der Gesellschaft ankommt, müssen die Bürger sich stärker beteiligen können, aber dies dann auch mitverantworten. Wenn eine politische Entscheidung für ein Projekt getroffen wurde, dann muss dieses Projekt auch ohne Wenn und Aber durchgezogen werden. Wir haben eine parlamentarische Demokratie und wenn Mitmenschen die Entscheidungen der jeweils regierenden Parteien nicht gefällt, haben sie, alle vier respektive fünf Jahre, die Möglichkeit durch ihre Stimmabgabe eine Veränderung der politischen Richtung herbei zu führen.
Und wir brauchen für eine Erneuerung der Demokratie den unternehmerischen Politiker, der die Sorgen und Ängste beim Bürger abholt. Der sich nicht nur als Repräsentant des Staates versteht, also wörtlich „Vorhandenes wieder zeigt“, sondern aktiv neue Inhalte und Politik anbietet. Dann kann auch Demokratie wieder gelingen.

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Kommentare ( 55 )

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55 Comments
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Andreas Lange
5 Jahre her

Bei allem Respekt, Herr Duin: was Demokratie am dringendsten braucht, ist mehr Ehrlichkeit. Dazu gehört auch, dass man nicht erst mit „Rechtsblinken“, u. a. mit der Forderung nach schnelleren Abschiebungen, dem 5%-Ghetto entkommt, um dann auf Länderebene mit schwarzen (Armin „Ali“ Laschet) und sogar rot-grünen Abschiebungsgegnern um der Pöstchen willen ins Bett zu steigen. Und selbst der LV, dessen Landesvorsitzender Sie bis 2017 waren, kritisiert aktuell gemeinsam mit SPD, SED und Grünen die Forderungen von CSU und AfD nach schnelleren Abschiebungen. Der APO-Dichter Arnfrid Astel schrieb irgendwann in den 1970ern über die FDP: „Ein Liberaler sitzt zwischen zwei Stühlen auf… Mehr

Keineangstvorniemand
5 Jahre her

Die Demokratie ist nicht schlecht. Klagen gegen Projekte sollten nur bei persönlicher Betroffenheit möglich sein. Die NGOs müssen nicht verboten werden, allerdings sollte die staatliche Finanzierung eingestellt und das Verbandsklagerecht abgeschafft werden. Zurück zum Baurecht von 1870.

hassoxyz
5 Jahre her

Warum haben wir soviel Stillstand in unserem Land ? Warum bewegt sich so gut wie nichts in Sachen Infrastrukturausbau, in Sachen Bildung, von der andauernden Migrationskrise ganz zu schweigen ? Die Antwort ist so primitiv wie einleuchtend. Den Menschen, vor allem denen im Westen, geht es offenbar so gut, daß sie glauben, weitere Verbesserungen bzw. Veränderungen in unserem Land für unnötig zu halten. Vielleicht müssen sich die Verhältnisse hier erst so drastisch verschlechtern, daß die Mehrheit der Menschen aus ihrer Lethargie erwacht, ihr Wahlverhalten fundamental ändert und auf die Straße geht. Im Osten haben wir bereits so eine Situation, weil… Mehr

Ralf Poehling
5 Jahre her

Das Problem ist eigentlich nicht die Demokratie, sondern ihre Abwesenheit.
Halbstaatliche NGOs und Lobbygruppen der Wirtschaft nehmen die (jeweils anderen) Parteien in der Zange, während die Zahl der Nichtwähler ins Kraut schießt.
Wir müssen zurück zu „One Man One Vote“, brauchen ein Verbot jeglicher Einflussnahme auf die Politik und ein gesamtgesellschaftliches Engagement in der Politik von arm bis reich. Von Arbeiter bis zum Großindustriellen.
Ein echter politischer Wettbewerb um die besten Ideen, ohne parteipolitische Tricks und doppelte Böden.
Echte Demokratie ist anstrengend und sie funktioniert nur dann, wenn wirklich alle ehrlich und ergebnisoffen mitmachen.

Gerro Medicus
5 Jahre her

Das Problem wäre ganz einfach zu lösen: Verbot aller NGOs, mindestens jedoch Entzug der Gemeinnützigkeit und des Klagerechts. Ausschreibungen von Großprojekten 6 Monate öffentlich machen und mit einem Verfalldatum für Einsprüche versehen, eben innerhalb der 6 Monate. Einsprechende sind beweispflichtig. Juchtenkäfer, Mopsfledermäuse oder sonstiges Getier, das noch niemals jemand in der zur Rede stehenden Gegend gesehen und nachgewiesen hat, sind kein Hemmnis! Spielen bei Windrädern ja auch keine Rolle! Sondergerichte für schnelle Entscheidungen über Einsprüche mit zeitlichen Vorgaben für deren Dauer, z.B. 3 Monate, keine Revisionsmöglichkeiten. Einsprüche und Klagen, die nachweislich unbegründet sind, müssen kostenpflichtig abgewiesen werden. Blockadedemos, die durch… Mehr

Ivan Ivanov
5 Jahre her

Um zu sehen, wie eine moderne Infrastruktur und ein moderner Staat aussehen, braucht man nicht so weit – nach China – zu reisen, es reicht nur hier um die Ecke zu schauen – in Holland. Deutsch – Niederländische Grenze wirkt wie Zeitgrenze zwischen 20. und 21. J.h. Übrigens, in Holland alles wird so schnell gebaut und modernisiert ohne jeglicher Begrenzung der Demokratie.

Martin L
5 Jahre her

Es ist alles eine Machtfrage: Im alten Rom waren die Römer extrem stolz darauf, dass sie freie Römer sind, ohne König oder Herrscher wie andere Völker. Aber als Rom immer größer und größer wurde, konnte einzelne Adlige mit den Heeren, die sie kommandierten, die Macht an sich reißen. Die Republik hat immer weniger funktioniert. Am Ende haben sich die Römer damit abgefunden, dass ein einzelner Diktatur (Cäsar, Princeps oder wie auch immer genannt) sie regiert.

Th.F.Brommelcamp
5 Jahre her
Antworten an  Martin L

Der Zerfall des römischen Reiches ging mit dem Aufstieg einer rückwärts gewandten orientalischen Religion im Reich daher. Verdummung und blindes Glauben an einer neuen Religion der Klimakirche werfen uns heute wieder in das Mittelalter zurück. Dumme Wähler wählen dumme Politiker. Dumme Politiker können nicht dafür, das gewählt werden.

bkkopp
5 Jahre her

Der ‚unternehmerische Politiker‘ fällt natürlich nicht vom Himmel, und wir können uns ihn auch nicht backen. Die Parteien bringen ihn nicht hervor, auch eine FDP nicht, die dem Unternehmertum zumindest nicht feindselig gegenübersteht. Wir können nur in die Parteien gehen, Mitgliedbeiträge bezahlen und den Funktionären und ganz besonders den Mandatsträgern in den Parlamenten ganz gehörig auf die Nerven gehen. Wenn das Millionen machen, dann ist eine Richtungsänderung von unten nach oben denkbar.

Stranzl
5 Jahre her

Die Realität ist doch Beweis genug dafür, dass Demokratie mit bezahlten Politikern nicht funktioniert. Lassen wir doch mal Drogenabhängige ganz demokratisch entscheiden, ob sie lieber einen Entzug machen oder weiterhin Stoff wollen. Egal ob sich die Leute damit selber schaden die Politiker und ihre Hofberichterstatter werden das Wahlergebnis als Beweis einer starken Demokratie bejubeln.

beat126
5 Jahre her

Der Autor hat Recht, wenn er sagt, „Wir haben eine parlamentarische Demokratie“, wenn er ausschliesslich die Politik damit meint. Eine Demokratie besteht aber nicht nur aus Politik, sondern auch aus der Justiz, also der zweiten Hälfte einer Demokratie, wo die mühsam erarbeiteten Kompromisse der Politik als Gesetze durch Personen vor Gericht eingefordert werden können. Und genau hier hat der Autor nicht Recht, wenn er glaubt ein Machtkartell bestünde nicht mehr. Solange sämtliche demokratisch entschiedenen Vorlagen unter Vorbehalt des BVerfG sind, hat er eben keine parlamentarische Demokratie mehr. Er hat ein parlamentarisches Politsystem. Der Vorbehalt trifft sogar auf GG-Änderungen zu, wer… Mehr