Hans-Georg Maaßen: Der StaSi wurde schon 1988 klar, „dass die DDR kollabieren würde“

Der frühere Präsident des Bundesverfassungschutzes sprach auf der "Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz" in Erfurt unter anderem über die Naivität des Westens während der Wende von 1989/90. Und er sagt, wie man mit schmutzigen Tricks fertig wird, die Kommunisten auch heute anwenden.

imago images / Stefan Zeitz

Wir treffen Hans-Georg Maaßen, früher Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und mittlerweile Mitglied der WerteUnion als wohl prominentesten Gast der sogenannten „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ in Erfurt. Er saß da auf einem Podium zum Thema „30 Jahre Wiedervereinigung“ unter anderem neben der früheren DDR-Bürgerrechtlerin und Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld und der stellvertretenden Chefin der WerteUnion Simone Baum. Maaßen gab zuvor einige seiner Eindrücke aus Geheimdiensperspektive auf den Mauerfall und die Wiedervereinigung wieder. Der StaSi sei, so Maaßen schon 1988 klar geworden, dass „dass die DDR kollabieren würde.“ So dränge sich die Frage auf, ob die Mauer wirklich nur wegen der Bürgerproteste gefallen sei. „Die Oppositionskraft war vom KGB selbst erfunden worden“, außerdem sei so manches 1989 merkwürdig gewesen. Es habe sehr viele erwiesene, enttarnte und mutmaßliche „Inoffizielle Mitarbeiter“ (IM) der Stasi gegeben. Und dann seien plötzlich lauter Organisationen wie Pilze aus dem Boden geschossen, die Geld, Personal und Räume zur Verfügung hatten.

1989 seien aber auch in der Bundesrepublik sehr viele Fehler gemacht worden: „Die Gefahr aus dem Osten wurde unterschätzt“, sagt Maaßen. Es sei „ein fataler Fehler“ gewesen, die „Ost-CDU in die CDU zu integrieren“ und naiv zu glauben, dass die Ost-CDU sich ideologisch von der SED unterschieden hätte. Die Kommunisten hätten dann nämlich vor allem subversiv daran gearbeitet, ihren Gegner zu zersetzen. Das MfS wäre unterschätzt worden und man habe auch nicht darüber nachgedacht, welche Ziele der sowjetische KGB in Russland verfolgte.

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Moderator Klaus Kelle stellte dann die naheliegende Frage: „Kann es sein, dass die Frau, die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende ist, damals unterwegs war dort und hat quasi nichts gemerkt?“ Herr Maaßen seufzte nur: „Ich möchte es mir einfach machen. Diese Frage sollten Sie ihr direkt stellen.“  

Im Anschluss sprach TE mit Hans-Georg Maaßen. 

TE: Viele haben sich ja gewundert, dass Sie hier sprechen. Haben Sie hier heute eine bestimmte Mission?

Maaßen: Nein, ich bin eingeladen worden. Und ich schaue mir immer die Einladungen an, ob ich sie annehme oder nicht annehme, und ob das passt, ob ich Zeit habe. Und weil ich Herrn Kelle kenne, weil im letzten Jahr Kristina Schröder hier war – im vorletzten Jahr war, glaube ich, Jens Spahn hier – habe ich es als eine Ehre empfunden, hier eingeladen zu werden, und deswegen bin ich auch gekommen. 

Es gab ja im Vorfeld dieser Veranstaltung einige Unruhe, auch in der Presse, auch innerhalb der WerteUnion, dass Leute nicht einverstanden waren, dass Sie hier sprechen. Was sagen Sie denen?

Es ging nicht um mich, sondern darum, ob die WerteUnion, die innerhalb von CDU/CSU eine Politikwende erreichen will, auch an Veranstaltungen, die keine Parteiveranstaltungen sind, auftreten soll. Nachdem in den Vorjahren Jens Spahn und Kristina Schröder teilnahmen und ich den Veranstalter persönlich kenne, hatte ich keine Bedenken teilzunehmen. Und es war gut, dass ich teilnahm und die Gelegenheit hatte, für christdemokratische Positionen und für eine Politikwende in der CDU und in Deutschland zu werben.

Und hier vor Ort im Gespräch mit den Leuten, was ist da Ihr Anliegen?

Ja, mein Anliegen ist, dass die Menschen vielleicht klarer sehen und verstehen, was hier in dem Land passiert. Denn das Verstehen ist der erste Schritt, um Änderungen durchführen zu können. Und wie auch Hannah Arendt mal gesagt hat: „Das Entscheidende im Leben ist zu verstehen, was eigentlich passiert.“ Und ich wollte heute in meinem Vortrag den Menschen dabei helfen, ein wenig jedenfalls, Einsicht in Abläufe zu bekommen, die man so nicht wahrnimmt und auch anders einordnet. 

Sie haben auf dem Podium gerade in Bezug auf Kommunisten gesagt: Wir spielen Fußball, die spielen American Football. Also die Kommunisten kämpfen mit anderen Mitteln als das bürgerliche Lager. Was folgt denn daraus? Wie sollte man denn Ihrer Meinung nach mit diesen Methoden umgehen?

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Eigentlich sind die Mittel, ich sage mal im Bild gesprochen American Football, nur dann wirksam, wenn man es einfach nicht merkt. Sobald man es merkt, dann verlieren sie auch an Wirkung. „Name it, blame it, shame it“, sagen meine amerikanischen Kollegen. Aussprechen, kritisieren: „Hier wird foul gespielt, das ist nicht dieses Spiel. Das ist American Football“. Klarmachen, das, was hier im Kleinen passiert, ist Ausgrenzung. Name it: Das ist Ausgrenzung, das ist Stigmatisierung, sowas findet in einer totalitären Herrschaftsform statt, aber nicht in einer freiheitlichen Demokratie. Leute zu neutralisieren, indem man sie an den öffentlichen Pranger stellt, nicht mehr mit ihnen spricht oder sie einlädt, das sind Verfahren aus totalitären Staaten. Das muss man aussprechen, das muss man mit Namen kritisieren, und dann verliert vieles an Wirkung. Die schmutzigen Tricks funktionieren dann nicht mehr, wenn die Menschen merken, das ist eine Technik, die hier angewandt wird, und das ist unfaires Spiel.

Wie ist denn Ihr allgemeiner Eindruck gewesen von der Veranstaltung? Sie sind ja heute dazugekommen, aber vielleicht konnten Sie ja schon mit ein paar Teilnehmern sprechen. Wie finden Sie es hier?

Ich habe heute eine lebhafte Diskussion erlebt von nicht nur aufgeweckten Menschen, sondern von hoch politisch denkenden Menschen. Und es ist leider nicht ein Ausschnitt aus der Gesellschaft, weil die Gesellschaft aus meiner Sicht zu einem sehr hohen Anteil unpolitisch ist. Viele Menschen sind politisch unreif und nicht in der Lage, politische Themen einzuordnen und zu analysieren oder zu reflektieren. Und das ist hier anders, das sind Menschen, die vielleicht nicht gerade die jüngsten sind, aber es sind Menschen, die ebenfalls schon Lebenserfahrung und Berufserfahrung haben, die in der Lage sind, politische Sachverhalte zu sehen und einzuordnen, und die sich hier auch austauschen, um sich vielleicht zu bestätigen, aber auch, um zu sehen, dass sie nicht die politischen Geisterfahrer sind, sondern die politischen Geisterfahrer sind vielleicht ganz andere. Sind vielleicht diejenigen, die im Mainstream das Sagen haben.

Sie haben gerade selbst angesprochen: Es sind alle nicht gerade die jüngsten hier. Ich würde schätzen, der Altersdurchschnitt liegt hier bei 60 Jahren. Was denken Sie denn, warum sind hier so wenige junge Leute da? Warum wollen so wenige junge Leute heute konservativ sein, beziehungsweise interessieren sich für konservative Politik?

Ich glaube, das ist relativ einfach zu beantworten. Der erste Punkt ist: Junge Menschen haben kaum Lebenserfahrung. Das können sie natürlich auch nicht haben. Aber das bedeutet, dass sie das nicht reflektieren und einordnen können, was sie in der Schule, an der Universität oder in den Medien hören oder lesen. Und der zweite Punkt ist: Schulen, Universitäten und die Medien sind zu einem großen Teil links ausgerichtet. Man könnte soweit gehen, zu sagen, das ist politische Manipulation, was dort teilweise betrieben wird. Wenn junge Menschen in ihrem Elternhaus oder durch Freunde nicht eine andere Weltsicht vermittelt bekommen, laufen sie natürlich im Mainstream mit. Sie sind mangels politischer Reife auch nicht in der Lage, diesen Mainstream wirklich einordnen zu können. Bei denjenigen, die das Glück hatten, ein anderes Elternhaus zu haben oder andere Lehrer zu haben, anders sozialisiert zu sein, ist es anders. Aber ich habe den Eindruck, dass dies heutzutage die Allerwenigsten sind. Und dazu muss auch die Fähigkeit gehören, auch gegen den Mainstream zu schwimmen. Und das verlangt schon eine besondere Charakterfestigkeit. Die Kombination, Elternhaus oder Lehrer zu haben, die die jungen Menschen kritisch gegenüber dem Mainstream erziehen oder unterrichten, und zugleich über eine Charakterfestigkeit zu verfügen und sich zu sagen, ich gehe auch dahin, wo vielleicht andere sagen „Was machst du da? Gib dich nicht mit den Schmuddelkindern ab“ das gibt es selten.

Vielen Dank!


Das Interview führte Pauline Schwarz

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Kommentare ( 86 )

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HavemannmitMerkelBesuch
3 Jahre her

Maaßen taugt vor Präsident! Mit ihm hätten wir die so unendlich aufgetürmten Probleme aller Art die der Neokommunismus unter den Alt- und Neukadern der roten Brut verursachte, nicht. Nicht mehr Viele allerdings können verstehen und nachvollziehen, das intelligente hochkarätige Demokraten wie Maaßen, Vaatz oder Lengsfeld nicht konsequent aus Parteien austreten, die ihre Ansichten überhaupt nicht mehr verkörpern oder verkörpern wollen und die diese mit undemokratischen Staasimethoden zu umerzogenen Abnick und Klatschroboter-Parteien deformierten Menschenansammlungen durch ihren Verbleib natürlich trotzdem weiterhin wirkstark und mächtig scheinen lassen. Mal anders gesagt, wären alle die, die spätestens 1991 aus der SED austraten bereits konsequent 1988… Mehr

Vogelfrei
3 Jahre her

Mich wundert, dass Maaßen zwei Aspekt nicht nennt:
1. Die vielen vielen Millionen, die die SED-Bonzen zur Seite geschafft haben. Dieses Geld bedeutet Macht.
2. Die Informationen über die die hervorragenden DDR-Geheimdienste ganz sicher verfügt hatten. Ohne das Erpressungspotential solcher Informationen sind viele Vorgänge in der deutschen Politik nicht verständlich. Das gilt schon für die Zeit vor 1989 (Beispiel: Was hat ausgerechnet Strauss in den 80ern veranlasst, die SED mit Milliardenkrediten zu retten?)

Der Michel
3 Jahre her

Die WerteUnion ist ein Altherrenclub – was Leute wie Maaßen, Vaatz oder auch Otte an diesem Kaffeekränzchen finden ist mir schleierhaft. Zu glauben, eine solche, innerhalb der CDU als Giftküche betrachtete Splittergruppe könne die vermerkelte Partei von innen heraus reformieren ist in meinen Augen hoffnungslos naiv (vielleicht habe ich aber auch nur nicht genug Einblick; dann bitte ich um Aufklärung!). Warum haben Hochkaräter wie die oben Genannten nicht den Mumm in den Knochen, geschlossen aus dieser angehenden Kaderpartei auszutreten und sich entweder einer bereits bestehenden Partei anzuschließen, die in ihren Zielen besser passt (nein – das muss nicht notwendig die… Mehr

Georg51
3 Jahre her

Seit vielen Jahren habe ich mich mit dem Zustand dieses Staates und dem zuvor erfolgten Zusammenbruch beschäftigt. Nach meinen Einsichten und Überlegungen bin ich fest davon überzeugt, daß der StaSi der DDR und der KGB die etwas aus dem Ruder gelaufene „Wende“ aktiv herbeigeführt haben. „Wir sind das Volk“ ist nicht zufällig auf der Straße entstanden, sondern eine Injektion in die gesteuerten ahnungslosen bewegten Bürger. Ein Slogan, aufgesaugt und wirksam. Schaut man sich die Bilder vom „Sturm“ auf die Zentrale in Lichtenberg an, dann sieht wer es sehen will die jungen Lederjacken, welche schnell noch ihre Akten entwendet haben. Flugzeuge… Mehr

Vogelfrei
3 Jahre her

Junge Leute haben, so meine Erinnerung an meine Jugendzeit, einen natürlichen Hang zur Rebellion. Sie sehen, dass die Dinge nicht perfekt sind und wollen das ändern. Natürlich fehlen ihnen, da hat Herr Maaßen sehr recht, die Kenntnisse und die Lebenserfahrung. Dass sie die Kenntnisse nicht haben, liegt an den schlechten, oder vielmehr erfolgreich indoktrinierenden Schulen, da hat er erneut recht. Aber es gibt einen weiteren Faktor: Junge Leute wollen zu den Guten gehören, auch unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile, das unterscheidet sie oft von den älteren (die vielfältigen Zwängen unterworfen sind, oder sich unterwerfen lassen). Leider sind die Jungen in dem… Mehr

Sargas
3 Jahre her

“ … die WerteUnion, die innerhalb von CDU/CSU eine Politikwende erreichen will“ und deren Mitglied H.G. Maaßen mittlerweise ist.

CDU und CSU sind kaputt, werden nie mehr, was sie vielleicht nur in unserer verklärten Erinnerung einmal waren. Rettung kann nur von außen kommen. Es ist eine höchst bedauerliche Talent- und Energieverschwendung, wenn Maaßen bei der WU mitmischt und so unfreiwillig als konservatives Feigenblatt dient oder sich um Reform einer reformunfähigen Organisation bemüht.

Sofort austreten und eine seriöse nationalkonservative Partei gründen sollte er! Ich wäre Mitglied Nr. 2.

Igel
3 Jahre her

Interessante Denkanstöße von Herrn Dr. Maaßen. Wer die „Nationale Front“ der DDR noch kennt, kann seine Gedanken gut nachvollziehen. Aber es betrifft auch die FDP. Und ich denke mittlerweile, dass die Stasi sowohl die SPD als auch die Grünen bereits viel eher unterwandert haben. Das begann schon mit dem Tamtam um die gefakte Biermann-Ausreise. Auch die Finanzierung des Pahl-Rugenstein-Verlags durch die DDR ist ein Beispiel: DuR-Redakteure damals Frank Walter Steinmeier (heutzutage Protegierung linksradikaler „Singegruppen“), Brigitte Zypries (später lange Zeit Justizministerin). Die Grünen wären ohne die Vereinigung mit Bündnis 90 als Splittergruppe an der 5%-Hürde gescheitert. Der damalige Auslandsgeheimdienstchef Markus Wolf… Mehr

Thorsten
3 Jahre her

Die Werteunion erinnert immer mehr an die durch wenigen DDR-Bürger, die an den Sozialismus glaubten und nur die Führung austauschen wollten.

PS in den sowjetischen Gulags sagten aufrechte Kommunisten auch immer: „wenn das Stalin wüßte“ (und er wusste es)

Fred Schneider
3 Jahre her

Für mich ist Herr Maaßen nicht erst seit gestern ein ganz klarer Kanzlerkandidat. Seine öffentlichen Auftritte und Stellungnahmen und die hier bzw. im Magazin wiedergegebenen Interviews haben mich von seiner Person überzeugt. Leider ist er in der falschen Partei, sofern sie sich weiterhin inhaltlich und personell in dieser politischen Qualität zeigt. Er ist Verwaltungsfachmann, kennt also den Apparat und verfügt schon lange über internationale Kontakte. Die berufliche Qualifikation ist somit gegeben, was man von unseren Regierenden nicht immer positiv behaupten kann. Darüber hinaus unterstelle ich ihm ein überdurchschnittliches Pflichtbewusstsein mit der zweifelsfreien Gabe, einem ausgesprochenen Amtseid auch treu Folge zu… Mehr

Politkaetzchen
3 Jahre her

Die Menschen, besonders die Westdeutschen, haben einfach ein sehr naives Bild von Kommunismus: In der Theorie würde es ja doch so toll funktionieren, wenn andere sich nicht bereichern wollen würden.