Die Grünen können Volkspartei werden – sie brauchen dafür nur ein anderes Volk

In ihrem Thesenpapier verraten die grünen Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck ungewollt die Illiberalität ihrer Ideologie.

© Sean Gallup/Getty Images

Die Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, haben in der WELT ein Thesenpapier veröffentlicht, in dem sie den Weg ihrer Partei zur Volkspartei skizzieren. Schaut man großzügig über die vielen Phrasen hinweg und bemüht sich, die Substanz des grünen Entwurfs zu fassen, so fällt als Erstes auf, dass die Grünen sich als SED redivivus empfinden, denn „es braucht eine Partei, die vorausdenkt, damit die Politik ihre Gestaltungskraft wiedererlangt.“ Nicht nur, dass diese EINE Partei, aus Trittinschem Geist, von Habeck und Baerbock geschweißt, immer recht hat, weil sie die einzige ist, die vorausdenkt und hinter der sich das Volk zu versammeln hat, macht sie auch alle anderen Parteien überflüssig. Wer benötigt eine Partei, in der nicht gedacht wird? Aus der Sicht der grünen Vorausdenker wird weder in der FDP gedacht, noch in der CDU, weder in der SPD noch bei den Linken, in der CSU sowieso nicht und schon gar nicht in der AfD. Auf die Grünen kommt es für die Grünen an. Und weil das so ist, wird sich das ganze Volk hinter der neuen, vorausdenkenden Einheitspartei versammeln.

Grüne als neue SED?

So wie die SED sich als Vorhut der Arbeiterklasse verstanden hatte, der eine „historische Mission“ aufgegeben war, sehen auch die Parteivorsitzenden der Grünen ihre Partei wörtlich als „Vorhut“. Nur geht es nicht mehr um die Arbeiterklasse, die es aus grüner Sicht gar nicht mehr gibt, weil Roboter deren Tätigkeiten verrichten. Nein, die Grünen sehen sich nun gar als „Vorhut der Breite der Gesellschaft.“ Um Vorhut zu sein, „müssen“ sich die Grünen allerdings, heißt es im Papier, „radikalere Antworten zutrauen, um Halt zu bieten.“ Sich radikalere Antworten zutrauen, anzuhören, oder sich zutrauen, radikalere Antworten zu geben?

Radikaler im Vergleich wozu? Wenn die Grünen radikalere Antworten im Sinne von extremen Lösungsvorschlägen geben möchten, würden sie in den Wettbewerb mit der NPD treten müssen. Es geht jedoch nicht darum, dass radikale, sondern darum, dass richtige Antworten auf gesellschaftliche Entwicklungen gefunden werden.
Radikale Antworten wären übrigens auch nur sinnvoll, wenn man damit meint, dass man zur Wurzel (radix) vordringen will, doch dann müsste es in dem Thesenpapier heißen, dass die Grünen radikale Antworten geben wollen, nämlich, die, die bis zu den Wurzeln des Übels reichen, denn radikalere Antworten helfen nicht, weil sie sich eben nicht bis zu den Wurzeln vorarbeiten.

Dem alten Rechts-Links-Schema pfropfen die beiden grünen Vorhutdenker die Auseinandersetzung zwischen Liberalität und Illiberalität auf und merken nicht, wie sehr sie sich dabei als illiberal demaskieren.

Die Illiberalität der Grünen

Die Autoren schreiben, dass die allgemeinen, womit gesellschaftliche Bedingungen gemeint sind, so reformiert werden müssen, „dass die unterschiedlichen Lebensweisen zueinander finden können.“

Heißt im Klartext: Durch Verbote, durch Denunziation von Lebensvorstellungen, die nicht der grünen Ideologie entsprechen, durch positive Diskriminierung sollen die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass die von den Grünen kanonisierte Lebensweise für alle als verbindlich erklärt werden kann. Das ist nicht nur illiberal, das ist sogar totalitär. Spöttisch könnte man auch sagen, eine Konsequenz grüner Sozialtechnik besteht darin, die Lebensweise der Menschen und die der Roboter, von denen es im Text der grünen Vorhutdenker nur so wimmelt, „zueinander finden“ zu lassen.

Die Vernichtung vieler Jobs

In der neuen schönen grünen Dystopie stören die vielen Jobs, die „an der Kohleindustrie und auch am fossilen Verbrennungsmotor hängen“, die man deshalb abschaffen will. Damit die Abschaffung dieser Jobs nicht zum sozialen Sprengstoff wird, muss die „Transformation dieser Industriezweige … klar strukturiert, staatlich flankiert und gemeinsam mit den Beschäftigten angegangen werden …“.

Wohin diese Industriezweige transformiert werden sollen, darüber schweigen sich die Vordenker aus. Wohin also mit den vielen Beschäftigten, darüber verlautbaren die grünen Meisterdenker kein Wort, geschweige denn eine Idee. Ob nun „strukturiert, staatlich flankiert“ oder unstrukturiert und staatlich nicht flankiert die Reise ins Nirvana geht, bleibt vom Ergebnis her egal. Die Grünen wollen Industriezweige überführen, wissen aber nicht wohin – so etwas nennt man nicht überführen, sondern vernichten.

Viel wird in dem Text deklariert. So möchte man die Ökologie mit dem Sozialen verbinden, indem man das Okölogische kurzerhand zum Sozialen erklärt. Über diesen rein semantischen Hütchenspielertrick hinaus findet sich keine Idee.

Weil die Parteivorsitzenden keinerlei Vorstellung davon besitzen, wie sie in der Praxis ihre Weltbeglückung durchsetzen können, muss der Nationalstaat, der demokratische Überprüfbarkeit bedeutet, vernichtet werden. Denn: Was die Grünen an Volkserziehung vorhaben, „geht nur europäisch, weil der Nationalstaat zu klein ist, um das Große allein zu regeln.“

Es bedarf repressiver, verwaltungstechnischer Mechanismen, die nur von einer Europäischen Kommission ausgehen können, die nicht zur Wahl steht und deshalb auch keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Die grüne Idee benötigt große Strukturen, um überprüfbare Verantwortlichkeit aufzulösen In der schönen neuen grünen Welt existiert keine konkrete gesellschaftliche Verantwortung mehr. Freiheit oder Liberalität ohne Verantwortung führt jedoch zur Verwahrlosung. Verwahrlosung schafft keinen Zusammenhalt, sondern nur den Kampf aller gegen alle, eine Gesellschaft, in der der Mensch des Menschen Wolf ist.

„Wer ein Land ,great‚ durch Nationalismus machen will“, schreiben sie, „macht es in Wahrheit klein.“

Wie das? Für sein Land einzustehen, Verantwortung zu übernehmen, seine Heimat zu lieben und sie groß machen zu wollen – groß an Kultur, an menschlichem Fortschritt, groß an Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität, groß an wirtschaftlicher, technologischer und wissenschaftlicher Leistungskraft -, macht das Land doch nicht klein, sondern wahrhaft groß. Wenn alle Menschen dieser Erde für ihr eigenes Land, für ihre Heimat, ihre Nation einstehen würden, wie reich würde dann unser Planet werden? Es geht nicht darum, das andere schlecht zu machen, sondern darum, das eigene gut zu machen. Oder wie es bei Johann Wolfgang von Goethe in den Xenien heißt: “ Ein jeder kehre vor seiner Tür,/Und rein ist jedes Stadtquartier.“ Wie groß würde die Erde als Konzert der Vaterländer sein? Was heißt denn Nation? Schlicht und ergreifend leitet sich der Begriff, den die Grünen fürchten wie der Teufel das Weihwasser, aus dem Lateinischen von „nasci“ (natus sum), von „geboren werden“ her. Was ist also daran schlecht, wie Voltaire sagen würde: „Cela bien dit, … mais il faut cultiver notre jardin“ („Gut gesagt, aber unser Garten muss bestellt werden“). Was also ist falsch daran, unseren Garten gut zu bestellen? Nur so werden wir auch etwas übrig haben, um in Ansehung unserer Möglichkeiten einigen, leider nicht allen zu helfen, die Hilfe nötig haben. So geht verantwortliche Politik. Davon sind die Grünen, die gern Volkspartei werden wollen, viele Gedanken weit entfernt.

Das Volk der Grünen

Die Grünen haben die simple Wahrheit nicht begriffen, die Milton Friedman aussprach: Man kann offene Grenzen haben, man kann einen Sozialstaat, aber man kann nicht beides zugleich haben. Doch hat die Wirklichkeit im grünen Denken einen schweren Stand. Die Konsequenz grüner Politik würde die Verdrängung der „deutschen Oma“ von der Tafel bedeuten, die Verdrängung der alleinerziehenden Mutter vom Wohnungsmarkt, schlechte Schulbildung für deren Kind, die Diskriminierung ihres Kindes auf dem Pausenhof, weil sie es nicht auf eine teure Privatschule schicken kann. Vielleicht nicht in den Träumen der Grünen, aber in der sozialen Wirklichkeit. Darin besteht die asoziale Konsequenz grünen Vordenkens, denn: „Wir müssen Raum schaffen für das individuelle Glück, gleich woher jemand kommt …“. Jedem, ganz gleich woher er kommt, wird das Recht erteilt, am deutschen Sozialstaat zu partizipieren, ohne in die Sozialkassen einzuzahlen, als ob die ein Füllhorn wären, das sich von allein wieder auffüllt.

Das Konkrete, das Praktische wird dann im Alltag, an dem Ort, den die grünen Vordenker nicht kennen, immer neu ausgehandelt und richtet sich nicht mehr nach Recht und Gesetz, sondern nach der Stärke der Ellenbogen. Raum schafft man, indem man exmittiert und verdrängt. Frei nach Bertolt Brecht ließe sich fragen:

„Wäre es da
Nicht einfacher, die Grünen
Lösten das Volk auf und
Wählten ein anderes?“

Unterstützung
oder

Kommentare ( 142 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

142 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Andokides
6 Jahre her

„Nicht nur, dass diese EINE Partei, aus Trittinschem Geist, von Habeck und Baerbock geschweißt, immer recht hat, weil sie die einzige ist, die vorausdenkt und hinter der sich das Volk zu versammeln hat, macht sie auch alle anderen Parteien überflüssig. Wer benötigt ..“
Ob Herr Voßkuhle in seiner „weisen Vorausschau“ hinsichtlich der Populisten auch an die GRÜNEN dachte?

Hoffnungslos
6 Jahre her

Das ist wohl eher Geschmacksache.

Mozartin
6 Jahre her

Ganz ehrlich? Ich weiss nicht ob Herr Mai der Richtige ist, über die Grünen zu schreiben. Nur weil Trittin mal evtl. stark links-orthodox verortet war, heisst das nicht, dass sich die Grünen von der SED her begreifen liessen. Bei den Linken passt das, wenn, dann besser. Nein und es wäre bedauerlich, wenn Jürgen Trittin diesen meinen Beitrag nicht lesen würde, geht es doch um Herausforderungen für die Grünen, gewissermassen theoretischer Art. Mich würde interessieren ob Teile der Grünen nicht eher vergleichbar wären mit Grillos Partei als mit der SED und ob es offizielle Kontakte gibt? Hat sich Tichys Einblick schon… Mehr

Thomas Rießinger
6 Jahre her

Die Grünen dokumentieren wieder einmal ihre offenkundige Verfassungswidrigkeit. Nur dass es leider keine Konsequenzen hat.

Ben Krüger
6 Jahre her

Ich kenne die Grünen nur aus den Medien. Im richtigen Leben ist mir davon noch kein Exemplar begegnet. Aber ich bin auch sehr froh drum, dass ich bisher nur diese schrägen Sprüche aus dem TV kenne. Ich kann es mir selbst überhaupt nicht vorstellen, so leben zu wollen. Die Klamotten von der Kleiderspende, oder man tauscht mal untereinander, fährt in schmuddeligen Straßenbahnen zur Arbeit, isst höchstens Tofuwurst, oder trinkt komischen Biowein, hat ständig Panik wegen der Umwelt, und hat Spaß an nichts. Für mich sind das Extremisten der übelsten Sorte, nicht ganz so schlimm wie Stalin oder Mao, aber weit… Mehr

1 Kamel kommt selten Allein
6 Jahre her

@Nichts weiter als Phrasen,

Sie hätten es auch aus einer anderen (kurzen) Perspektive zusammenfassen können: Entchristianisierung, verbunden mit Chistenhaß und -verfolgung.

Aljoscha Boesser
6 Jahre her

Eine Sekte (Die Grünen) hat es geschafft, ihre Ideologie in die Köpfe der Gesellschaft zu pflanzen. Das Paradigma ist festgefahren. Von den Überzeugungstätern mehr zu verlangen, über ihren Teller hinweg zu sehen, ist quasi unmöglich geworden. Sie wurden so programmiert, dass das eigene Leiden nicht wahrgenommen werden kann, nur das der anderen. Das Migranten dabei noch eine Rolle spielen, grenzt an ein Wunder, denn nur Nicht-Menschliches hat das Recht auf Existenz.
Das Gefäß ist voll, wie es wieder entleert werden kann, um wieder offen für neues zu sein, weiß ich nicht.

Frank Stefan
6 Jahre her

Dieses Thema offenbart (wieder mal) das Problem des Parteien-Staates: eine Partei will mit ihrer ganz speziellen Ausrichtung das Sagen über das ganze Volk haben. Wenn sich diese eine Partei nur auf ihr Klientel beschränken würde, wäre nichts einzuwenden, dann wären die Grünen „green Scientology“ und nur für ihre „follower“ und gut ist es. Beschränkung gibt es aber nicht, bei deren Allmachts-Phantasien. Böse Parallelen aus der Geschichte drängen sich auf.

Heinz Raschein
6 Jahre her

Die Grünen sind schon heftig dabei, ein neues Volk zu wählen. Das Mittel der Wahl ist die unkontrollierte Massenimmigration. Sie dient den Grünen zum strategischen Ziel, Menschenmaterial als Wählerschichten zu importieren. …

Eberhard
6 Jahre her

Nur mal einen kurzen Blick zu Anne Will. Dieseldiskussion. Nico Roßbach schwärmt von Elektromobilität. Diskussion landet bei fehlenden Ladesäulen für E-Auto-. Dazu der fachmännische Einwurf von Katrin Göring Eckart: Einfach doch an Straßenlaternen Ladestationen und schon kaufen alle E-Autos. So fremd jeglicher Realität argumentieren Grüne immer. Millionen von E- Autos, abends ans Netz. Alle Staßenlaternen aus, wegen Überlastung. Abhängig von gleichzeitiger Ladung eventuell wegen Überlast Ausfall der ganzen Stromversorgung einer Region. Unser gesamter derzeitiger Netzausbau ist überhaupt nicht auf solche Situationen ausgerichtet. Halbwahrheiten und unfertiges gehört eben zum Handwerkszeug der Grünen. Schnell wieder zurückgeschaltet. Energie ist zu kostbar für solches… Mehr