Europa, das sind wir! Der absolutistische Machtanspruch von EuGH, EU-Kommission und EZB

Letzte Woche hat sich unser Verfassungsgericht schützend vor die deutschen Bürger gestellt und mit der EZB und dem EuGH gleich zwei irrlichternde EU-Institutionen in die Schranken des gültigen Rechts gewiesen.

imago images / Patrick Scheiber

Man hätte es eigentlich ahnen können. Es ist noch keine Woche her, da verpasste das Bundesverfassungsgericht der EZB und dem EuGH eine ordentliche Kopfwäsche. In Brüssel und Luxemburg war man offenbar derart geschockt, dass erste Reaktionen überraschend lange auf sich warten ließen. Scheinbar waren die Eurokraten buchstäblich wie von einem Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Doch wie es auch in der Natur ist, folgt auf den Blitz stets der Donner. Für aufmerksame Beobachter waren die Gewitterwolken schon lange wahrnehmbar. 

So kritisierte in der vergangenen Woche bereits die für das blumig titulierte Ressort „Werte und Transparenz“ zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova das Urteil scharf. Auf stumme Fassungslosigkeit folgte schnell der Trotz. Über das Wochenende wurden dann auch Äußerungen von Jourovas Chefin, der deutschen EU-Kommissionspräsidentin und ehemaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bekannt. In einem Brief an den EU-Abgeordneten der Grünen Sven Giegold ließ sie den geneigten Leser wissen, dass sich die Kommission vorbehalte, die Bundesrepublik Deutschland wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vor dem EuGH zu verklagen. 

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Nun kann ich es ja noch halbwegs verstehen, wenn Eurokraten, die sich um ihre Pfründe sorgen, solche Verlautbarungen begrüßen. Und leider hat mich die Erfahrung auch gelehrt, dass in solchen Fällen auf unseren Koalitionspartner SPD kein Verlass ist, weil ihnen schon immer leicht über die Lippen ging, die Vertretung deutscher Interessen geringschätzig als europafeindlich abzutun. Über Grüne und die SED-Fortsetzungspartei ist in diesem Zusammenhang jedes Wort zuviel.

Erschreckt hat mich dann aber doch, dass sich auch Kollegen aus meiner eigenen Bundestagsfraktion derart gegen die Rechtsauffassung unseres höchsten deutschen Gerichts stellen, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung sogar titelt „Zustimmung aus CDU und SPD für von der Leyen: Vertragsverletzungsverfahren gegen Berlin sollte niemanden überraschen“. Dies impliziert ja nun gerade, dass die deutsche Politik auf ein anderes Urteil hätte hinarbeiten, zumindest aber hoffen sollen. Nun möchte ich mich keinesfalls in staatstheoretischen Betrachtungen verlieren. Jedoch stand in unserem Land doch bisher stets außer Frage, dass – wie in allen Rechtstaaten – die Rechtsprechung unabhängig zu sein hat und dass dies in besonderem Maße für die Verfassungsgerichtsbarkeit gelten muss, die darüber wacht, dass die Macht unter dem Recht ist.

Der Zorn der Eurokraten und Europafans wurde dadurch erregt, dass das Bundesverfassungsgericht es gewagt hat, eine Entscheidung des EuGH zum „Public Sector Purchase Program“ (PSPP) der EZB aus dem Winter 2018 als „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“ zu qualifizieren. Um überhaupt von der Entscheidung des EuGH abweichen zu können, musste das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass im Urteil des EuGH ein „ausbrechender Rechtsakt“ („ultra vires“) zu sehen sei. Dies ist dann der Fall, wenn eine EU-Institution den ihr von den Mitgliedstaaten zugewiesenen Kompetenzrahmen überschreitet. In diesem Fall muss das Bundesverfassungsgericht nach seiner geltenden Rechtsprechung einschreiten, um die Grundrechte der Deutschen zu schützen. Ein solcher ausbrechender Rechtsakt, so betonte Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle, könne in Deutschland keine Wirkung entfalten. 

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Diese sogenannte „ultra-vires-Kontrolle“ entspricht dabei der gültigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und wird so seit vielen Jahren an unseren deutschen Rechtsfakultäten gelehrt. Freilich stellte das deutsche Gericht in der letzten Woche zum ersten Mal in seiner Geschichte einen solchen ausbrechenden Rechtsakt fest – wie dies zuvor aber auch schon von den nationalen Höchstgerichten in Frankreich, Dänemark und Tschechien testiert worden war.

Wer, wenn nicht unser höchstes Gericht sollte die Bürger in Deutschland auch sonst letztinstanzlich vor Kompetenzüberschreitungen der europäischen Institutionen schützen? Der EuGH etwa? Eben jener Gerichtshof, der seit jeher sehr wohlwollend mit Institutionen der Europäischen Union umgeht, sich traditionell als Anwalt der „Superintegrationisten“ in der EU versteht und darüber hinaus auch selbst eine Institution der EU ist? 

Nein, gewiss nicht. Diesem selbstherrlichen und machtvergessenen Anspruch des EuGH, welcher weit über Anleihenkäufe der EZB hinausgeht, stellten sich unsere Karlsruher Richter nun entgegen. Sie können damit die Akteure der europäischen Institutionen, die EZB oder den EuGH nicht binden, wohl aber Bundestag,  Bundesregierung und Bundesbank.  

Dass es früher oder später zum Konflikt zwischen dem Deutschen Bundesverfassungsgericht und dem EuGH kommen musste, ist in der Rechtswissenschaft schon lange ein offenes Geheimnis.  

Nicht erst seit gestern muss sich das höchste EU-Gericht in Luxemburg die Kritik gefallen lassen, dass es in seiner Entscheidungspraxis das europäische Unionsrecht unzulässig auf nationale Rechtsfelder ausdehne und damit seine Kompetenzen überschreite. In manchen juristischen Kreisen wird gar davon gesprochen, dass der EuGH politisch als „Agent der Zentralisierung“ urteile. 

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof, mithin einer der angesehensten Juristen im Lande, wirft dem EuGH vor, „einseitige Entscheidungen ohne Rücksicht auf gewachsene nationale Rechtsinstitute“ zu treffen und so in Bereiche einzugreifen, welche die Mitgliedstaaten bewusst von europäischen Regeln freigehalten hätten. 

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Denn eins darf man nie vergessen: Europa ist kein Bundesstaat, sondern eine aus dem Gründungskern einer Wirtschaftsgemeinschaft weiterentwickelte Rechtsgemeinschaft in klar begrenzten Bereichen nationaler Souveränitätsausübung. Jegliche Souveränität der Europäischen Union ist lediglich abgeleitet von der Souveränität der sie konstituierenden Mitgliedstaaten. Darum heißt es in Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union auch: „Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten.“

Die Kritik an der Entscheidung der obersten deutschen Richter halte ich daher nicht nur für unangebracht, sondern auch für vollkommen unbegründet.

Letzte Woche hat sich unser Verfassungsgericht schützend vor die deutschen Bürger gestellt und mit der EZB und dem EuGH gleich zwei irrlichternde EU-Institutionen in die Schranken des gültigen Rechts gewiesen. Jetzt ist es an uns in der Politik, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dankbar anzunehmen und umzusetzen, anstatt unsere Verfassungsrichter als Europafeinde zu verunglimpfen! Der deutsche Rechtsstaat lebt und er schützt seine Bürger! Darüber sollten wir alle froh sein! 

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Kommentare ( 49 )

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Marie-Jeanne Decourroux
3 Jahre her

„Jetzt ist es an uns in der Politik, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dankbar anzunehmen und umzusetzen, anstatt unsere Verfassungsrichter als Europafeinde zu verunglimpfen!“  Von wem erwarten Sie das, sehr geehrter Herr Wilsch: von Frau Merkel? Von Ihrer Partei? Oder sogar von der SPD? Haben Sie noch nicht bemerkt, dass fast alle ihre Parteigenossen und mit diesen die ganze tonangebende politisch-mediale Klasse inzwischen zur fünften Kolonne „Europas“ mutiert ist (wobei „Europa“ als ständiger Name für die EU bereits eine Anmaßung ist …)? „…den Nutzen des deutschen Volkes mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und… Mehr

armin wacker
3 Jahre her

Freut euch einfach. Das war ja nicht nur ein Richter, der das Urteil gesprochen hat. Leider können die meisten nicht mehr Ermessen, was es heißt ein Gebet an den Vater im Himmel zu richten. Aber das Grundgesetz ist ohne seine Präambel wertlos. Was ist denn wohl die Würde des Menschen ohne Gott, der sie ihm gibt.

Rolfo
3 Jahre her

Der Richterspruch des BVG ist hörbar und interessant — aber warum erst, wenn der Chef in Rente geht? Warum immer erst dann?

Cubus
3 Jahre her

Wer das Recht anmahnt, ist ein Paria.
Oder anders gesagt, wer auf den Schmutz hinweist, ist schmutziger als der Dreck, auf den er aufmerksam macht.
Ohne Rechtsstaat keine Demokratie.
Eine lupenreine waren wir sowieso nie, aber jetzt? Und wo soll das enden?
Es kann so nur im Totalitarismus enden.
Wie konnte das geschehen?
Kauf euch das Buch „Psychologie der Massen“, dann versteht ihr, was Yascha Mounk mit „einem Experiment“ meinte, einer „Umwandlung“ oder wie Merkel sagt, der „großen Transformation“.

GUMBACH
3 Jahre her

Ja, das Urteil ist gut für den deutschen Bürger. ABER: So lange die Politik nichts daraus macht – und sie wird nichts daraus machen – wird das Urteil auch keine Wirkung entfalten können. Feige finde ich auch, dass Voßkuhle erst jetzt, fünf Minuten nach 12:00 Uhr, dieses Urteil fällen lässt. Das hätte viel, viel früher passieren müssen – jetzt ist es fast schon zu spät.

barth68
3 Jahre her

Die Aussagen unserer Regierungsvertreter und der EZB Mitte Mai 2020 sind einfach peinlich und zum Fremdschämen! Der Kommentar von Brigitte Scholtes im General-Anzeiger Bonn von gestern zur EZB passt zu dem Tenor, den die Regierung am liebsten haben möchte: Die Notenbank soll die Wirkung ihrer Geldpolitik noch deutlicher erklären, damit auch die obersten Richter der Republik sie verstehen! Für wie unbedarft hält sie unsere Richter? Es wird Zeit, dass der EuGH, die EZB und die Kommission in ihre Schranken gewiesen werden!

Hegauhenne
3 Jahre her

„Das blumig titulierte Ressort Werte und Transparenz“, also Pippifax und Gedöns.
Solche überflüssigen Pfründe werden gebraucht, um die überflüssigen Eurokraten zu beschäftigen.
Wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen?

Old-Man
3 Jahre her

Lieber Herr Willsch,sie wissen wer „ihre“ Chefin ist?,dann wissen sie auch,das gerade die „Gott-gleiche“ immer erster“Mann“ an der Spritze ist,wenn darum geht deutsches Recht,sagen wir es höflich zu minimieren??. Ist es nicht an der Regierung,gegen solche Machenschaften der EU vor zu gehen,aber anstatt dessen ihnen Vorschub zu leisten??. Es ist doch auch „ihre “ Kanzlerin,die sich nicht zu schade ist immer gegen deutsche Interessen im EU-Rat zu stimmen??. Wer als detscher/e Kanzler/in seinen Amtseid dermaßen mit Füssen tritt,der handelt auch so gegen das Grundgesetz,oder sind alle Entscheidungen der Kanzlerin seit 2015 bis heute mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen??.… Mehr

Galen
3 Jahre her

Das Verfassungsgericht schützt unsere im Grundgesetz niedergelegten Prinzipien. Seine Urteile sind auch für die Kanzlerin bindend. Wenn Sie sich und damit die Regierung dem widersetzt, haben wir einen Notstand auf den der Artikel 20 GG verweist.

GG Art 20 (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

GeWe
3 Jahre her

Das Urteil des BVG fand unter Anhängern des Case Law harte Kritik. Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV sichert der EUGH „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“, d.h. bei einem vorgelegten Fall soll er prüfen, dass eine Handlung eines Unionsorgans gegen Unionsrecht verstößt. Kann es sein dass der EUGH aber die Verträge wie eine staatliche Verfassung auslegt und sich durch ständige Kompetenzüberschreitungen durch Eingriffe in die Rechtsgebiete der Vertragsstaaten – viel zu oft unwidersprochen – mit seinen Urteilen eigenes Recht schafft, das man dann als EU Case Law bezeichnen könnte? In der Folge… Mehr