Drei starke Gründe für den Nationalstaat

Der weltoffene Nationalstaat ist immer noch der bei weitem beste Ordnungsrahmen für eine größere historisch gewachsene Gemeinschaft.

In den 70er Jahren zeigte mein Erdkundelehrer unserer Klasse ein weltbekanntes Foto: Die Erde als wunderschöne Murmel aufgenommen während der Apollo-8-Mission 1968.

Dieses Bild „Earthrise“ nutzte der Lehrer kurzerhand für eine „erdkundliche“ politische Propaganda: „Könnt ihr auf der Erde irgendwelche Staatsgrenzen erkennen?“ – „Nein!“ „Deshalb geht unsere Erde auf eine allumfassende Weltregierung zu, wo dann endlich die globalen Probleme wie Krieg, Armut und Umweltzerstörung gemeinsam gelöst werden können. Die UN ist der erste kleine Schritt in diese notwendige Richtung.“

Damals war ich als Kind angetan von der Weltsicht meines Lehrer, die ja sogar noch „faktenbasiert“ mit einem Foto unterlegt war.

Heute frage ich mich allerdings, warum ausgerechnet ein weltweites Staatsmonopol für kreative und zukunftsweisende Politik stehen soll. Und damit bin ich schon mitten drin im Thema.

Erstens: Ich liebe Nationalstaaten, weil ich ein Liberaler bin.

Freiheit, Wettbewerb und Vielfalt – das liegt mir als Liberalem am Herzen. Darum gut, dass es in Europa viele unterschiedliche Staaten und Nationen gibt. Was für ein fruchtbarer Wettbewerb an Regierungen und situationsangepassen Lösungswegen.
Zudem steigert die Vielzahl an Staaten im Extremfall die Optionen, innerhalb von Europa auswandern zu können, falls einem die Politik im eigenen Land über lange Zeit fundamental nicht passen sollte.

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Warum also sollten wir diese Vielfalt an Staaten und Regierungen durch einen europäischen Superstaat vernichten? Ein europäischer Superstaat, der weltweit die Oligarchisierung der Macht fördern würde. In dieser Hinsicht können die aufkommenden neuen „rechten” Parteien in ganz Europa verstanden werden als eine Art „Anti-Kartell-Kraft in der Hand des Bürgers“, die versucht, verbraucherunfreundliche Zusammenschlüsse von Nationalstaaten zu verhindern.

Zweitens: Ich liebe Nationalstaaten, weil ich ein Konservativer bin.

Der Konservative will „bewahren“. Ein Konservativer ist also erst dann bereit, eine Neuerung zu implementieren, wenn begründet absehbar ist, dass die Neuerung mehr Nutzen als Schaden bringt.

Wenn in den Nationalstaaten die Sozialsysteme, der Grenzschutz, die Bürgernähe, die Demokratie besser funktionieren als in dem Übernationalstaat EU, warum sollte ich dann meinen Nationalstaat aufgeben? Ich tausche ja auch nicht freiwillig einen Mercedes gegen einen Dacia ein.

Immer mehr Bürger in ganz Europa erkennen, dass wir zum Beispiel mit dem übernationalen Euro gegenüber den alten wirtschaftsangepassten Währungen einen höchst klapprigen Dacia erhalten haben, der vielleicht nach Corona schon wieder ernsthafte Probleme haben wird, durch den TÜV zu kommen.

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Toll, wenn die Welt sich international bei der Flugsicherung auf weltweite Standards geeinigt hat. Toll, wenn wir internationale Handelsabkommen bilateral oder multilateral abschließen, sofern sie sich danach bewähren und zu einer Win-Win-Situation führen. Toll, wenn wir Umweltprobleme international angehen. Das alles geht wunderbar mit gut funktionierenden Nationalstaaten.

Aber bitte „keine Experimente“, wie es die „alte Rechte“ fortschrittlich auf den Punkt gebracht hatte: „Keine Experimente“ mit unausgegorenen International-Utopien, die sich schon bei dem zweiten Schritt ihrer Realisierung als politische Torheiten entlarven.

Drittens: Ich liebe Nationalstaaten, weil ich für klare Verantwortungsstrukturen bin.

Wenn ich in Deutschland die Politik nicht mag, dann weiß ich sehr genau, wen ich bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr wähle. Wenn ich mit der EU-Politik unzufrieden bin, dann kann ich nur schwammig vermuten, wo die Verantwortlichkeit liegt: Bei einigen der 27 Staatspräsidenten, bei der Kommission, bei der EZB-Notenpresse, im EU-Parlament oder im EU-Rat oder doch bei irgendwelchen Hinterzimmerkungeleien?

Bei einem konvergent-divergenten Konglomerat von 500 Millionen Menschen können die demokratischen Sonntagsreden schneller als gedacht im autoritären Staats-Bürokratismus (ver)enden. Nicht nur in der Coronakrise hat sich das Prinzip der klaren ländernahen Verantwortungsstrukturen zum wiederholten Male bewährt.

Aus diesen drei Gründen sollte die EU unbedingt ein Zusammenschluss kleinerer souveräner Staaten bleiben oder wieder werden. Das war ihr Erfolgsrezept. Und damit könnte die EU auch in Zukunft wieder zum Erfolgsmodell werden.

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Das war auch ihr Friedensrezept. Denn es dient nicht dem Frieden, wenn ein Staat mit seinem eigenen Flüchtlingskonzept übergriffig in die Souveränität eines anderen Landes eingreifen will. Es dient auch nicht dem Frieden, wenn einige Staaten sich hoch verschulden und dann übergriffig von anderen Staaten verlangen, dass jene für die fremden Schulden den Kopf hinhalten müssen. Und es dient ebenfalls nicht dem Frieden, wenn die solideren Staaten übergriffig Oberlehrer-Troikas in die hoch verschuldeten Ländern schicken, damit diese endlich mal Haushaltsdisziplin lehren.
Das Friedensprojekt Europa droht zu zerbrechen, wenn die Staaten sich nicht gegenseitig in ihrer Souveränität und Andersartigkeit respektieren.

Wir brauchen mehr Europa.
Ja. Aber weniger ist mehr!

Weniger Staaten sollen übergriffig in die Souveränität der anderen Staaten hineinreden und über sie bestimmen wollen.

Weniger Zentralismus, damit die vielen großartigen Nationen Europas in Subsidiarität ihre eigenen Kräfte entfalten können.

Weniger moralinsauere Phrasen von einer angeblichen „Wertegemeinschaft“, mit denen Politiker vorschnell Sachfragen moralisieren, statt nüchtern nach Minimallösungen zu suchen, die allen souveränen Partnern gerecht werden.

Die jetzige dysfunktionale Schuldenhaftungs-EU ist ein guter Beleg dafür: Der weltoffene Nationalstaat ist immer noch der bei weitem beste Ordnungsrahmen für eine größere historisch gewachsene Gemeinschaft.

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Kommentare ( 57 )

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Walter Knoch
3 Jahre her

Anekdotische, meine Anmerkungen: Der Bremsweg des großen Tankers -des Superstaats – ist sehr, sehr lang: Sprich, falsche Entscheidungen führen dann zu maximalen Risiken, im Extremfall zur totalen Katastrophe. Ein Hoch auf die kleine Einheit und den freien partnerschaftlichen Wettbewerb um die beste(n) Lösung(en). Ein Hoch auf die Freiheitlich Demokratische Grundordnung, die den Staat auf die Setzung des Rahmens beschränkt. Ohne Grenzen wäre nie auch nur eine Zelle entstanden. Semi-permeabel, halbdurchlässig, heißt das Zauberwort. Grenzen bringen sowohl Einschränkung als auch Freiheit. Sie erst ermöglichen eine Zuordnung und das Tragen von Verantwortung. Das Bekräftigung, eine Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzip ist die Antwort auf… Mehr

GeWe
3 Jahre her

Herr Zorn hängt einem nie bezweckten Konzept der EU an. Die aus den Verträgen entstandenen Institutionen sind nicht auf einen späteren rechtsstaatlichen Bundesstaat, sondern auf einen sozialistischen Zentralstaat ausgelegt. Die EU-Institutionen und die rot-grünen Fanatiker fördern die Auflösung der Nationalstaaten durch die anhaltende Massenimmigration. Aus der Klammer der gemeinsamen Sprache wird ein Sprachengemisch der Immigranten und Autochthonen, das eine kulturelle Identität auslöschen wird. Das allerdings unter Inkaufnahme späterer sozialer und religiöser Konflikte. Der zweite Fehler im rot-günen Konzept ist der Euro. Mitterand bezeichnete die DM als eine wirtschaftspolitische Atombombe. Mit dem Euro hat er sie posthum bekommen. Die spannende Frage… Mehr

Anti-Merkel
3 Jahre her

„Deshalb geht unsere Erde auf eine allumfassende Weltregierung zu, wo dann endlich die globalen Probleme wie Krieg, Armut und Umweltzerstörung gemeinsam gelöst werden können. Die UN ist der erste kleine Schritt in diese notwendige Richtung.“ — genau mit dieser Meinung bin ich auch aufgewachsen – und denke immer noch, dass eine Welt, in der das funktioniert, gut wäre — aber die EU hat mir gezeigt, dass es (jedenfalls noch) nicht funktionieren kann. Eine „höhere Ebene“ führt automatisch dazu, dass es noch eine Schicht Politiker gibt, die noch weiter weg von der Bevölkerung sind. Und weil die EU und ähnliche Bündnisse… Mehr

Hannibal ante portas
3 Jahre her

Ich finde Ihren Artikel zur Diskussion Nationalstaat versus EU sehr interessant und auch anregend: Sie sollten aber schon beschreiben, was ein Nationalstaat ist. Die Idee des Nationalstaates wurde überall in Europa wirklich erst im 19. Jh. die wichtigste staatstheoretische Strömung auch wenn die Idee viel älter ist. Ich verkürze jetzt extrem, aber alle Menschen gleicher Sprache (und Kultur) wollten in einem gemeinsamen Staat leben. In vielen Teilen Europas stellte dies eine gewaltige Herausforderung an die herrschenden Verhältnisse dar: in Italien und Deutschland entstanden erfolgreiche Vereinigungsprozesse. Östlich dieser beiden Länder gab es quasi nur Österreich(-Ungarn) und Russland: die hatten als Vielvölkerstaaten… Mehr

achijah
3 Jahre her
Antworten an  Hannibal ante portas

Sie haben vollkommen Recht, aber ich wollte den Artikel nicht überfrachten. Die spannende Frage, was ein Nationalstaat kennzeichnet – inwiefern er eine gleiche Sprache braucht, kompatible Religionen und Weltanschauungen und eine einigermaßen ähnliche Wirtschaftskraft – bräuchte wohl doch dann mindestens einen eigenen Artikel.

Hannibal ante portas
3 Jahre her
Antworten an  achijah

Danke für Ihre Reaktion auf meinen kleinen Beitrag: gemeinsame Sprache (Kultur) war zumindest zu Beginn dieser Bewegung schon das tragende Element. Eben gerade im Gegensatz zur religiösen Identität. Diese war zwar immer noch stark, aber nicht mehr entscheidend. Das nationale Moment überwog in so vielen unterschiedlichsten Gesellschaften Europas (von Albanien bis Deutschland). Aber natürlich hatte auch diese Nationalstaatsidee eine Entwicklung: von der gemeinsamen Kultur kamen so manche zu einer einzigen Rasse (was dies beim Menschen auch immer sein sollte) im eigenen Land. Das war dann der theoretische Unterbau für die Katastrophe des Dritten Reiches. Jede Ideologie kann schnell die Beziehung… Mehr

moorwald
3 Jahre her

Wie es manchmal in der Geschichte passiert: Die EU wird an ihren „Erfolgen“ zugrundegehen. Man kann auch sagen: sie übernimmt sich. Inkompetenz und Ineffizienz lassen sich eine Weile kaschieren und überpielen. So werden z.B. im Gefolge von „Corona“ unvorstellbare Summen – nicht erwirtschaftet, sondern schuldenfinanziert – verteilt. Jeder weiß, daß diese Schulden nie zurückgezahlt werden. Wie wird man sie los? Zunächst geht es ganz munter weiter. Nullzinsen sind leicht zu bedienen, und die Tilgung wird so weit gestreckt, daß bis dahin sowieso keiner mehr daran glaubt. Aber irgendwann ist die Kreditwürdigkeit dahin, dann kriegen die möglichen Gläubiger kalte Füße. Um… Mehr

StefanB
3 Jahre her

Alles sehr richtig. Aber die grenzenlose Zentralisierung ist leider, leider „alternativlos“. Und so sieht es auch die große Mehrheit, derer, „die schon länger hier leben“. Allerdings nicht im Wege eigener Erkenntnis, sondern durch alternativloses Nachplappern der ihr vorgegebenen linksgrünen Sprechblasen.

Johann Thiel
3 Jahre her

Gute Zäune machen gute Nachbarn.

Britsch
3 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Einfache Wahrheiten aus der Realtät des Zusammenmlebens sind oft am treffendsten. Dies können Viele meist oft eher Praxisfemde nicht gebrauchen. Da würde dann ja z.B. die ganzen, etliche „Forschung“ bezüglichj zusammenleben wegfallen. Was wäre z.B. wenn die Steuer vorgaben so geändert worden wären, daß eine Steuererklärung Tatsächlich auf einen Bierdeckel paßt? Wie Viele die sich z.B. nur damit beschäftigen neue Vorschriften zu „entwickeln“ und dann für jede neue weitere, weil sich in der Praxis reausstellt, daß die Neue Vorschrift ohne weitere Vorschrift wieder nicht der Realität ganz gerecht wird. Wie viele z.B. Steuerberater oder Leute die Steuerspar“modelle“ austüfteln könnten damit… Mehr

Wolfgang Brauns
3 Jahre her

Ich gehe inzwischen sogar soweit, daß jeder der derzeitigen Nationalstaaten (weltweit) durch Aufteilung „friedlicher“ im Inneren würde !
Dann könnten die Sunniten ohne Beeinträchtigungen durch die Schiiten, die Sozialisten ohne die Kapitalisten, usw. usf.

Ostfale
3 Jahre her

Ein zum Thema des Beitrages Herrn Zorns passendes Fundstück aus dem Netz: „Der Populismus ist der Schrei der Völker, die nicht sterben wollen.“ Großer Satz! Er stammt von Philippe de Villiers. „Villiers will in seinem Buch aufzeigen, ‚dass das heutige Europa, ohne Körper, ohne Kopf, ohne Wurzeln, ohne Grenzen, keine falsche Umsetzung darstellt. Die geöffneten Archive liefern den Beweis: Das dekonstruktive Gen, das die Europäische Union unterhöhlt, befand sich in der DNA der ´Gründerväter. Das Programm war von Anfang an festgelegt. Sie wussten, was sie taten und was sie wollten: eine gehirnlose Governance, um sich auf einen globalen Massenmarkt zuzubewegen.… Mehr

awilson
3 Jahre her
Antworten an  Ostfale

Ja, ein großer und prägnanter Satz. Und auf dem Fuße die Gegenfrage: Was wollen denn dann diejenigen Völker, in denen der sogenannte Populismus nur eine kleine Minderheit erreicht?

Ostfale
3 Jahre her
Antworten an  awilson

Vielleicht ganz einfach, ihren (den sie zufriedenstellenden) Status quo ihres Landes leben?! Zu simpel?

giesemann
3 Jahre her

Zum Glück sind wir nicht mit Berlin allein. Via Brüssel/EU-Europa wird so mancher Quatsch der Weiberwirtschaft in Berlin gebremst. Der Club-Med bremst vielleicht die Arbeitswut der Deutschen, auch nicht schlecht. Außerdem hat Corona geholfen bei der Erkenntnis: Es geht auch mit viel weniger Gewese um die Maloche. Die meisten Jobs sind langweilig und schlecht bezahlt. Bestes Beispiel: Die Südanrainer bremsen die Invasion, obwohl die Deutschen den Magneten auf Höchstleistung aufgedreht haben und das immer noch tun. Wenn die Deutschen dann endlich kein Geld mehr haben, um es den Immis zu schenken, damit die das dann via Western Union in die… Mehr