Die Linke und ihr fragwürdiges Demokratieverständnis

In Schwerin winkten linke Parteien und CDU eine Extremistin als Verfassungsrichterin durch. Die Wahl eines Schriftstellers zum Kulturamtschef in Sachsen soll dagegen von einem Polit- und Medienorchester zum Skandal hochgeschrieben werden.

© Getty Images

Wäre der Schriftsteller Jörg Bernig Mitglied der SED seit 1976 und Angehöriger einer extremistischen Plattform – seine Wahl zum Kulturamtsleiter im sächsischen Radebeul hätte wahrscheinlich ohne größere politische Turbulenzen stattgefunden. In Mecklenburg-Vorpommern wurde bekanntlich gerade die Linkspartei-Politikerin Barbara Borchardt trotz ihrer Mitgliedschaft in der als extremistisch eingestuften Parteiplattform „Antikapitalistische Linke“ und ihrer langen SED-Karriere zur Richterin am Landesverfassungsgericht gewählt – mit Stimmen der CDU. Nur wenige Stimmen in der CDU erhoben sich überhaupt zum Protest dagegen.

Die CDU-Parteiführung schwieg dazu. Die meisten Medien berichteten nur zögerlich und gaben Borchardt selbst und ihren Verteidigern bei der SPD viel Raum.

Ganz anders nach der Wahl von Bernig zum Kulturamtschef in dem Städtchen Radebeul. Der Autor war am 20. Mai mit 17 Stimmen gewählt worden. Die CDU verfügt im Stadtrat über 9 Stimmen, die AfD über sechs. Der neue Kulturchef wurde also parteiübergreifend von Vertretern von mindestens drei Parteien in geheimer Abstimmung gekürt. Zuletzt erschien von Bernig die Essaysammlung: „An der Allerweltsecke“ in der Publikationsreihe EXIL.

Das Politik- und Presseecho auf seine Wahl las sich deutschlandweit fast wortgleich. Süddeutsche Zeitung: „CDU und AfD wählen neurechten Denker zum Kulturchef“. Sächsische Zeitung: „Neurechter Kulturchef für Radebeul“. Leipziger Volkszeitung: „Der Radebeuler Stadtrat hat Jörg Bernig zum neuen Kulturamtsleiter gewählt. Der Schriftsteller vertrete neurechtes Gedankengut und für ihn haben vor allem CDU- und AfD-Fraktion gestimmt, kritisieren Räte von Linke und Bürgerforum/Grüne. Die Entscheidung macht sie fassungslos.“

Die Einordnung des Deutschlandfunk liest sich wie ein Verfassungsschutz-Dossier: „Bernig hatte wiederholt rechte Positionen vertreten und gilt durch seine Veröffentlichungen in Medien der Neuen Rechten als ein Denker der Szene.“
Der sächsische Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Löser erklärte „die Wahl eines Neurechten“ zum „Schlag ins Gesicht für die Vielfalt der Kultur und ein fatales Signal für alle Kulturschaffenden in Radebeul und weit darüber hinaus“.

Was hat sich Bernig aus Sicht seiner Ankläger zu Schulden kommen lassen, dass er schon vor seinem Amtsantritt ein derartiges Trommelfeuer auf sich zieht? Und: Was genau ist ein „Neurechter“? Bernig, geboren 1964, arbeitete nach seinem Germanistik- und Anglistikstudium einige Jahre in Schottland, kehrte nach Sachsen zurück, war dort Redakteur bei der Dresdner Literaturzeitschrift Ostragehege, und übernahm einen Lehrauftrag an der TU Dresden. Seit 1999 lebt er als freier Schriftsteller. Für seine Lyrik und Prosa erhielt er etliche Auszeichnungen, unter anderem dem Hölderlin-Förderpreis der Stadt Homburg, den Eichendorff-Literaturpreis und den Förderpreis zum Lessing-Preis.

Das Etikett des „Neurechten“ und „Denkers der rechten Szene“ hefteten ihm 2015 Journalisten des Spiegel und andere Medienschaffende an, als Bernig sich öffentlich kritisch zu Merkels Migrationsentscheidung äußerte, und zwar in seinem Essay „Zorn allenthalben“. Der erschien allerdings nicht in einer rechten oder neurechten Zeitschrift, sondern als Gastbeitrag in der „Sächsischen Zeitung“, die teils zu Gruner + Jahr gehört, teils zur SPD-eigenen DDVG.

Die Frage ist, ob ein ähnlicher Text heute noch dort erscheinen könnte. Der Autor beschrieb darin die Stimmung in Dresden und darüber hinaus, außerdem kritisierte er, wie von etablierten Medien und Politik die Debatte über Migration fast ausschließlich nach den Maßstäben einer abstrakten Moral und in einem Gut-Böse-Schema geführt werde.

„Welch Zorn darüber, dass die Bundesregierung die Souveränität des Staates beiseitewischte und zum massenhaften un- oder kaum kontrollierten Grenzübertritt einlud, ja, aufrief“, schrieb Bernig in seinem Gastbeitrag: „Welch Zorn auch, dass uns, also dem, ganz pathetisch gesprochen, Volk, Tag für Tag gesagt wird, wie wir zu denken haben. Siehe den strafenden Ton und Blick im ,heute journal‘ des ZDF, wann immer es um Menschen geht, die Kritik an der Flüchtlingspolitik äußern.“

Bei den Lesern der Sächsischen Zeitung stieß der Text damals auf überwiegende Zustimmung. Bei überregionalen Medien nicht. Bernig „fremdelt mit seinem Land, den Politikern, den Medien und dem Kulturbetrieb“, urteilte der Spiegel 2016. Den Autor störe wohl „eine vermeintliche Political Correctness“.

Im Jahr 2016 wurde Bernig zwar zur so genanntenKamenzer Rede eingeladen, einer Vortragsreihe von Autoren, die sich mit dem literarischen Erbe Lessings auseinandersetzen. Dort stellte er fest, dass die rationale Debatte in Deutschland von den etablierten Meinungsführern immer stärker durch aggressives Moralisieren ersetzt werde. In der gleichen Rede forderte er zu einer offenen Debatte auf, lobte die vielen freiwilligen Helfer, die Migranten unterstützen, und sprach auch über seine eigene Arbeit als Sprach- und Landeskundelehrer für Asylbewerber. Der Mitteldeutsche Rundfunk sende zwar Bernigs Kamenzer Rede – so wie die Reden seiner Schriftstellerkollegen in der Veranstaltungsserie vor ihm. Die ARD-Anstalt verschob die Ausstrahlung am 7. Dezember 2016 allerdings ins Nachprogramm um 22.20 Uhr und versah sie mit dem distanzierenden Hinweis, sie gebe ausschließlich die persönliche Meinung“ des Autors wieder.

Nach seiner Wahl zum Kulturbürgermeister halten ihm linke Politiker jetzt Veröffentlichungen in dem Debattenheft „Tumult. Magazin für Konsensstörung“ vor. Außerdem, empört sich der Radebeuler Linkspartei-Politiker und Stadtrat Daniel Borowitzki, habe Bernig einmal einen Gastbeitrag für das Magazin “Sezession“ geschrieben. Dieses Magazins werde geleitet von Götz Kubitschek, und dessen „Institut für Staatspolitik“ wiederum werde „seit kurzem vom Verfassungsschutz beobachtet“. Das ist unkorrekt; der Verfassungsschutz führt das Institut als Verdachts- und nicht als Beobachtungsfall. Und anders als die frisch gewählte Mecklenburger Verfassungsrichterin Borchardt gehört Bernig dadurch keiner extremistischen Plattform an, noch nicht einmal einer radikalen. Auch in seinen Texten findet sich nichts Extremistisches.

In etlichen aufgeregten Medienbeiträgen heißt es, Bernig glaube an die These des Bevölkerungsaustauschs durch Migration. Nur: So dezidiert liest sich das nicht in seinen Schriften. Dafür anderswo: Im Oktober 2019 forderte der Zeit-Autor Christian Bangel in einem Artikel dezidiert Zuwanderung vor allem in Ostdeutschland, um dort politische Mehrheitsverhältnisse zu ändern:
„Wer den Osten dauerhaft stabilisieren will, der muss vor allem für eines kämpfen: Zuwanderung. Massiv und am besten ab sofort. Zuwanderung aus dem Westen, Binnenzuwanderung aus den großen Städten in die ländlichen Räume, und ja, auch gezielte Migration aus dem Ausland. (…) Und nur dann ist es möglich, dass auch dort ein Miteinander von Generationen, Milieus und Hautfarben entsteht, die eine Partei wie die AfD mit ihren weißen Hoheitsfantasien schon heute an vielen Orten Deutschlands lächerlich erscheinen lässt.“

Der Linkspartei-Politiker Borowitzki hält Bernig auch vor, zu den
Erstunterzeichnern der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ zu gehören, die den Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in der Migration fordert. Sie sei, so Borowitzki, „verfasst von neurechten Szenegrößen wie Eva Herman, Thilo Sarrazin, Max Otte und Götz Kubitschek“. Bei dieser Behauptung handelt es sich um frei erfundenen Nonsens, der offenbar dazu dienen soll, Bernig gleich noch einmal mit Kubitschek in einen Topf zu rühren.

Nach der Wahl der bekennenden Linksextremistin Borchardt zur Verfassungsrichterin bemüht sich die SPD in Mecklenburg-Vorpommern um Normalität. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Philipp da Cunha (SPD), sagte der Zeit, er habe keine Zweifel an der persönlichen Eignung Borchardts für dieses Amt. Dass sie Mitglied der „antikapitalistischen Linken“ sei, habe er nicht gewusst. Er kenne Borchardt seit 2008, sagt da Cunha. „Als jemand, der das System stürzen will, ist sie mir nicht aufgefallen.“

Mit der Wahl Bernigs, der die Demokratie nicht zugunsten einer sozialistischen Diktatur beseitigen will, aber eben die Migrationspolitik der Regierung Merkel und die etablierten Medien kritisiert, wollen sich die linken Parteien in Sachsen offenbar nicht abfinden. Der Radebeuler Linkspartei-Politiker Daniel Borowitzki rief nur leicht verklausuliert Künstler dazu auf, die Zusammenarbeit mit dem neuen Kulturamtschef zu boykottieren: „Die KünstlerInnen der Stadt werden nun schwer in der Lage sein, mit einer politisch so brisanten Person zusammenzuarbeiten.“

In ihrem Online-Artikel verlinkte die Süddeutsche Zeitung direkt auf Borowitzkis Webseite, die diesen Aufruf enthält.

Wer sich für Bernigs angebliche Abweichlereien interessiert, dem sei dringend seine Sammlung von Essay „In der Allerweltsecke“ zur Lektüre angeraten, oder zum Kauf empfohlen, das außerhalb der Großverlage in einer Reihe mit dem programmatischen Namen „Exil“ erschienen ist. 


Von Dirk Schwarzenberg


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Kommentare ( 41 )

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41 Comments
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Gerro Medicus
3 Jahre her

Links und Demokratieverständnis? Ist das nicht ein Oxymoron?
Für Linke ist die Demokratie doch nur Mittel zum Zweck. Ist dieser mit ihrer Machtübernahme erreicht, geht es totalitär weiter. Dann wird aus der Demokratie ausgestiegen. Konnte man überall beobachten, wo diese linken …. an die Macht kamen.

Schöner Artikel dazu auf Sciencefiles: Sozialistisches Lumpenproletariat zerstört den demokratischen Grundkonsens.

Leider war dieses Lumpenproletariat bisher auf dem Vormarsch. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Brotfresser
3 Jahre her

Natürlich haben die Linken Probleme mit einem (vermeintlich) „neurechten Denker“. Würde doch wohl jedem so ergehen, der traditionell so wenig Glück beim Denken hat wie die Linken, oder?
Oder, um es mit Danisch zu sagen: Dumm, korrupt, verlogen (Stichwort doppelte Maßstäbe…).
Und so ist die „antikapitalistische Linke“ Borchardt als Verfassungsrichterin auf der einen Skala voll im grünen Bereich (pun not intended!), Knabe, Kemmerich, Bernig et al. hingegen absolut im tiefroten Bereich (gefahrentechnisch, nicht politisch !) des anderen Maßstabes oder sogar außerhalb seiner Skalierung.

zaungast
3 Jahre her

Die Umschreibung der Geschichte geht weiter. Nach dem de facto-Ende von Hohenschönhausen wird Verfassung von Alt-Kommunisten geschützt. Einfach toll ! Wie geht es weiter ? Da nach dem selektiven Geschichtsbild der Alt-und Neukommunisten die Rote Armee Deutschland befreit hat, wäre es an der Zeit, das Land mit Stalin-Denkmälern zu überziehen. Pech für Herrn Bernig, dass er in seiner Jugend nicht ein FDJ-Jubelgedicht verbrochen hat – zumindestens eine Johannes R.Becher -Medaille sollte für die Förderung neudeutsch-kritischer Literatur gestiftet werden. Dann könnte manch eine unbegabte Kultur-SchreiberIn von Zeit, Spiegel und SZ zu ephemeren literarischen Ruhm kommen.

schwarzseher
3 Jahre her

Die Wahl der SED-Genossin Borchardts zur Verfassungsrichterin und der Deutschland-verrecke-Roth zur Bundestagsvizepräsidentin, während der Bundestag unbescholtenen Kandidaten der AfD beharrlich die Bundestagsvizepräsidentschaft verweigert, zeigt einmal mehr die weit verbreitete Verlogenheit, den grenzenlosen Opportunismus und die mafiöse Mentalität der Politikerkaste.

Rambatuba
3 Jahre her

Alles deutet darauf hin, dass wir schleichend bereits im 3. linksextremistischen System angekommen sind.
Ein bürgerlicher Ministerpräsident wird per Ordre du Mufti unter Beifall des Regierungs- und Medienapparates zugunsten eines sozialistischen abgesetzt, obwohl Grün-Rot-Blutrot gar keine Mehrheit hatte.

Ein offen linksextremistischer SED-Kader wird unter beredtem Schweigen der Einheitsmedien in ein hohes Richteramt gewählt, während ein Unbescholtener als Kulturamtschef mit vom linksgrün-sozialistischen Mainstream abweichender Meinung von Relotius-Spiegel, Hetzjagd-Zeit und Konsorten unter Regierungszustimmung zerrissen wird.

Es stehen dunkle(rote) Zeiten bevor.

Johanna
3 Jahre her

Wann wird „In der Allerweltsecke“ im Shop von Tichy wieder zu haben sein?

Johann Vetter
3 Jahre her

@tswan: Wenn Sie die CDU als das „Problem“ benennen, dann benennen Sie schon die „Richtigen“.

Die FDP mit Herrn Lindner, etc., passt da auch prima dazu, wie verschiedene Vorgänge gezeigt haben (z.B. „Null“ Probleme mit einem Linken-Ministerpräsident – unakzeptabel ist der FDP-Ministerpräsident).

Herr Söder und die CSU braucht auch nicht vergessen werden.
Die Grünen wurden ausdrücklich gestern beim „virtuellen“ Parteitag „gelobt“.
Die AfD, der Feind, wurde in üblicher Weise erwähnt.
Zu der Richter-Wahl in Mecklenburg-Vorpommern fiel Herrn Söder nichts ein oder es ist nicht so wichtig oder was auch sonst.

RandolfderZweite
3 Jahre her

„Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.“ (Transparency International) Was mich stutzig macht, es geschieht am hellichten Tag und vor aller Augen, aber kaum jemand regt sich auf! Fatal an der Geschichte ist, dass man dies als Notwendigkeit betrachtet und mit dem Kampf gegen vermeintlich „rechts“ begründet! Wir durchleben hier das zweite Kapitel bei der Abschaffung unseres Rechtsstaates wie wir ihn einst kannten! Die Meinungsvielfalt wird durch eine linksgrüne Ideologie ersetzt, mit der Unterstützung von sämtlichen etablierten Altparteien! Die Besetzung der wichtigen rechtsstaatlichen Organe hat schon längst begonnen und hält Einzug in alle Lebensbereiche. Die Folgen,… Mehr

Gerro Medicus
3 Jahre her
Antworten an  RandolfderZweite

Sie haben es ganz richtig erkannt: Der Protest gegen die immer offener exekutierte Rechtsbeugung und Rechtsverachtung wird mit dem Kampf gegen rechts weitestgehend zugekleistert. Seit dem Wegschließen der Ermittlungsergebnisse des NSU-Untersuchungsausschlusses für 120 Jahre bin ich der Auffassung, dass es sich dabei um Erkenntnisse von Staatsverbrechen und Staatsterrorismus handelt, die unsere Regierung und den Verfassungsschutz, die beide möglicherweise tief darin verwickelt sind, hinwegfegen würde. Diese Kräfte brauchten einen Nukleus, um ihren immer hysterischer werdenden Kampf gegen rechts theatralisch begründen zu können. Die NSU-Affäre war dazu die Stunde Null! Und die immer krimineller agierende SPD war und ist einer der Haupttreiber.… Mehr

Dieter Rose
3 Jahre her

„An seinen Früchten
sollt ihr ihn erkennen . . . “
so war’s doch bisher.
oh, diese vermeintlich
gutmeinenenden Gutmenschen.

HavemannmitMerkelBesuch
3 Jahre her

Deutschland, Dich zu lieben fällt mir schwer! Wieder haben die Auge um Auge Kommunisten die Macht