Der Sultan von Brunei, wir und der Toleranz-Irrtum

Der Sultan von Brunei fordert »Toleranz« dafür, dass dort demnächst Schwule zu Tode gesteinigt werden sollen. Die, ihr die Intoleranten tolerieren wollt, merkt ihr jetzt ENDLICH, wie defekt euer »Toleranz«-Begriff ist?

AFP/Getty Images

Siebenundfünfzig Kilometer sind nicht 150 Kilometer – ein trivialer Fakt, der am 23. September 1999 dem Bodenteam der Mars Climate Orbiter extra schmerzlich bewusst wurde.

Die NASA hatte eine Sonde zum Mars geschickt, und man weiß bis heute nicht, ob die Mars Climate Orbiter abgestürzt ist oder ins Weltall geschleudert wurde.

Die Erbauer der NASA-Sonde hatten in metrischen Einheiten gerechnet, die Software am Boden rechnete allerdings mit imperialen Einheiten, also mit Pfund; so gab die Software um mehr als das Vierfache falsche Korrektur-Befehle an die Sonde. Die Mars Climate Orbiter umrundete den Mars, doch sie tauchte nie wieder aus dem Funkschatten des Mars auf, zumindest nicht als Funksignal.

»Menschen machen manchmal Fehler«, kommentierte Edgar Weiler von der NASA den Verlust der Mars Sonde (siehe etwa cnn.com, 30.9.1999), »das Problem hier ist nicht der Fehler, es war das Versagen von NASAs Entwicklungsprozessen (wörtlich: ›systems engineering‹) und der gegenseitigen Kontrollen in unseren Abläufen, diesen Fehler zu entdecken. Deshalb haben wir das Raumschiff verloren.«

Democracy, human rights and the rule of law

Der kleine Staat Brunei (etwa 430.000 Einwohner, 5.675 Quadratkilometer) liegt in Südostasien, im Norden der Insel Borneo; in der Nähe finden sich zum Beispiel Thailand und Malaysia.

Brunei hat viel Öl, kann also praktisch machen, was es will, solange es einigermaßen brav im großen Weltkonzert mitspielt. Brunei wird von Sultan Haji Hassanal Bolkiah Mu’izzaddin Waddaulah ibni Al-Marhum Sultan Haji Omar ‚Ali Saifuddien Sa’adul Khairi Waddien regiert, kurz: Hassanal Bolkiah.

Brunei ist ein ehemaliges britisches Protektorat (unabhängig seit dem 1.1.1984), und als solches hat es noch immer Verbindung zum Garanten europäischer Stabilität und Meinungsfreiheit, Großbritannien (mein Sohn Leo würde an dieser Stelle fragen: »Meinst du das ironisch, Papa?«, und ich würde nicken, und seufzen), so besuchte Bolkiah etwa in den 70-er Jahren eine britische Militärakademie. Brunei ist heute Mitglied des »Commonwealth of Nations« (einst als »British Commonwealth« bekannt), ein Bund von Staaten, die größtenteils ehemalige britische Kolonien sind, heute aber geeint sind durch ihre Wertschätzung für »Demokratie, Menschenrechte und den Rechtsstaat« (»democracy, human rights and the rule of law«, siehe commonwealth.org/our-charter).

Herr Bolkiah wurde am 5. Oktober 1967 als Sultan eingesetzt; er ist nicht nur einer der reichsten Männer der Welt und Chef des Sultanats Brunei, sondern, unter anderem, auch Verteidigungs-, Außen-, Premier- und Finanzminister – sowie Hüter der Staatsreligion. Am 1.1.1984 wurde nicht nur die Unabhängigkeit besiegelt, sondern auch die »Malaya Islam Baraja« erklärt, die »Malaisch-islamische Monarchie«, welche sämtliche Einwohner motiviert, die Lebensregeln und Lehre des Islams zu achten. Die deutsche Regierung protestierte nachträglich gegen Bolkiahs Vermengung von Staat und Religion, indem sie ihm 1998 das Bundesverdienstkreuz verlieh (siehe etwa bild.de, 3.4.2019). (Randnotiz: Bolkiah hat so viele Orden und Auszeichnungen, dass er aufpassen sollte, nicht noch für einen Journalisten gehalten zu werden – ein guter Ruf ist schnell ruiniert!)

Ende 2013 kündigte Bolkiah an, die Strafen der Scharia in Brunei durchsetzen zu wollen, also etwa Handamputation für Diebstahl und Steinigung für Ehebruch, zunächst nur für Muslime (siehe etwa theguardian.com, 22.10.2013) – wenige Monate zuvor hatte er sich noch zum Schäkern und Lachen mit Barack Obama getroffen (washingtonpost.com, 12.3.2013), und schon da sollte klar gewesen sein, wohin die »Reise« für Brunei geht (dailymail.co.uk, 27.3.2019, meine Übersetzung: »Schwuler Sex und Ehebruch werden mit Tod durch Steinigung bestrafbar sein…«).

2019 wird nun in Brunei »durchgezogen«, was seit buchstäblich Jahren angekündigt war – und sich seit Jahrzehnten abzeichnete. Es wurden konkrete Gesetze erlassen beziehungsweise verschärft, die unter anderem Schwule das Leben kosten könnten – und plötzlich, nach jahre- und jahrzehntelanger Ankündigung, wird das Versprochene auch eingehalten – und plötzlich geben sich westliche Politiker ganz doll überrascht und »empört«. Wer hätte gedacht, dass ein religiöses Gesetz, das den Tod für Homosexualität fordert, den Tod für Homosexualität mit sich bringen könnte?

Es ist konsequent

Indes, es ist 2019, und Bolkiah mag mit diesen und jenen Attributen bezeichnet werden können, doch Dummheit gehört, anders als bei manchen unserer »Guten«, gewiss nicht dazu.

Auf die internationalen Vorwürfe und Boykottaufrufe gegen ihn (unter anderem von Geistesgrößen wie Trump-Hasser und Kaffee-Verkäufer George Clooney) reagiert er, indem er das Bullshit-Vokabular der Guten und Selbstgerechten aufgreift und gegen sie wendet.

Brunei fordert in einem Brief an das EU-Parlament »Toleranz, Respekt und Verständnis« für seine Politik ein.

Es ist konsequent.

Gewinnen durch Unterwerfung

»Toleranz« ist ein quasi-religiöses, aber unlogisches Propaganda-Wort.

Wie ich im Text »Unsere tödliche Toleranz« (12.12.2018) ausführte, bedeutet Toleranz sowohl wörtlich als auch praktisch »Duldsamkeit«. – Dulden und Erdulden werden zum Wert-an-sich erklärt.

Erfolgreiche Kulturen, Nationen und Völker haben die Eigenschaft, gegenüber allem, was ihr Fortbestehen gefährdet, »intolerant« zu sein.

Vertun wir uns nicht: Der Westen ist nicht durch Toleranz, sondern durch Intoleranz an den entscheidenden Stellen erfolgreich gewesen. Es waren nicht Toleranz und gefühlte Wahrheit, sondern gewonnene Schlachten (ob gegen das Osmanische Reich oder gegen NS-Deutschland) und Wissenschaft, welche den Westen dahin brachte, wo er vor der Selbstzerstümmelung durch linksgrünen Wahn war.

Die DDR wollte einst überholen ohne einzuholen. Linksgrüne wollen gewinnen durch Unterwerfung. Beides ergibt keinen Sinn, beides scheitert.

Der Moralbegriff des Sultans von Brunei mag uns brutal und archaisch erscheinen, aber er ist logisch. Der Toleranzbegriff linksgrüner Träumer mag denen fortschrittlich und moralisch erscheinen, doch er ist logisch inkohärent. Ein archaischer, aber stimmiger Begriff wird einen fortschrittlichen, aber unlogischen Begriff besiegen.

Christopher Street Day und Freibier

Nicht nur Zentimeter und Kilogramm, sondern alle unsere Begriffe sind wie Maßeinheiten, mit denen wir die Welt zu verstehen versuchen, um dann Vorhersagen zu treffen.

Wenn ich beispielsweise sage, »das da ist ein LKW«, und »der LKW fährt«, dann weiß ich, dass ich aus dem Weg gehen sollte, um nicht umgefahren zu werden.

Wenn ich einen »politisch korrekten« Begriff von LKW hätte, könnte ich sagen: Es ist intolerant, zu meinen, dass ein nahender LKW mich umfahren könnte – und dann werde ich eben umgefahren.

Der Sultan von Brunei haut den Guten und Empörten ihren lächerlich inkohärenten »Toleranz«-Begriff um die Ohren. Der Westen hat das Erdulden de facto auch von Unrecht zum »Wert an sich« erklärt – also soll er jetzt bitte konsequent sein. Was hat man denn erwartet, das passieren würde, wenn ein Land sich zum islamischen Königreich erklärt? Christopher Street Day und Freibier? Die islamische Monarchie als Multikulti-Stadtteilfest mit Falafel-Stand und Betroffenheitskerzenkette?

People sometimes make errors

Toleranz ist ein defekter, unlogischer Begriff (siehe wieder »Unsere tödliche Toleranz«). – »People sometimes make errors« kommentierte die NASA einst den Absturz der Mars-Sonde. – »Jetzt sind sie halt da« und »es sterben mehr Menschen durch Badezimmer-Unfälle« – ähnlich lapidar kommentieren heutige Falschberechner die Folgen ihrer falschen Begriffe.

Der Unterschied zwischen der NASA und den Toleranzbesoffenen von heute: Die NASA mochte ein unerfahrenes und suboptimal zusammenarbeitendes Team an jene Mission gesetzt haben, doch sie wusste nicht vorab von ihrem Fehler. Nach der Katastrophe verbesserte sie die Abläufe (andere Fehler führten zu anderen Unfällen, doch auch aus denen wurde gelernt).

Die Guten und Selbstgerechten des heutigen Westens könnten ja dazulernen, sie könnten ja mitbekommen, wohin ihre defekten, falschen Begriffe führen – doch sie beschließen, es nicht zu tun.

Säßen Gutmenschen an der Spitze der NASA, würde man den Absturz der Mars Climate Orbiter entweder leugnen oder die Schuld bei Kritikern suchen, die ja nur hasserfüllte Rassisten seien, welche die unterschiedlichen Maßeinheiten populistisch gegeneinander ausspielen wollen.

Ins Absurde

Wenn Ingenieure mit falschen Maßeinheiten rechnen, fallen Raumschiffe vom Himmel – oder verschwinden auch mal ganz in diesem. Wenn Politiker und Meinungsmacher aufgrund defekter Begriffe handeln und die öffentliche Meinung beeinflussen, ist das Leid der einfachen Bürger und der zivilisatorische Rückschritt ganzer Kontinente die Folge.

Ich weigere mich, das Erdulden zu feiern. Der Sultan von Brunei macht sich über moralbesoffene Schwätzer lustig, und – dem ach-so-leer wirkenden Himmel sei es geklagt! – sein Witz ist leider auf bitterste Art wirklich witzig (und das, ob er als Witz gemeint war oder nicht), denn er greift einen echten Schmerz auf, einen Schmerz, den wir tatsächlich spüren, und überdreht ihn ins Absurde.

Ich will nicht, dass meine Kultur sich blamiert, weil uns unsere defekten Fake-Begriffe ins Gesicht zurückgeworfen werden. Ich will keine Bullshit-Begriffe wie »Haltung« und »Toleranz« gepredigt bekommen, und erst recht nicht von Leuten, die uns allen als Beleg dafür dienen, dass Dummheit und Bosheit sich im Effekt nicht unterscheiden.

Es tut mir weh, wenn ein Sultan von Brunei sich über meine und unsere Kultur lustig machen kann, es ist mir im Wortsinn »peinlich«.

Ich will nicht »erdulden«, ich will echte Werte – und Christopher Street Day und Stadtteilfeste und Freibier!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Kommentare ( 74 )

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Marie-Jeanne Decourroux
4 Jahre her

Wie bei »Biedermann und die Brandstifter«: Erst wenn’s lichterloh brennt, schauen sie mal ins Programm (Koran, Hadithe, Scharia…).

FrankZZZ
4 Jahre her

Witzig fand ich, daß dieser Sultan das Bundesverdienstkreuz erhalten hat.
Mir ist schon seit Jahren aufgefallen, daß jeder der irgendwie bekannt ist, das Ding nachgeworfen bekommt. Hatte selbst einen Kollegen, der es bekommen hat, weil er Trainer einer Kindermannschaft eines bekannten Fußballvereines war.
In manchen Ländern ist dies eine Ehrung. Hier heißt es offenbar bei den Politikern : „Wer hat noch nicht ?“

harcpilota
4 Jahre her

🙂 – ganz ihrer meinung, Achso!

schukow
4 Jahre her

**

Toleranz hat nichts mit »Erdulden« zu tun, denn sie kann nur von demjenigen geübt werden, welcher in seinem Willen dazu frei ist. Sie von jemandem einzufordern, der schon nackt vor dem Henker kniet, ist nur noch die Verhöhung eines Opfers.

Der selbstgerechte »Gutmensch« ist der größenwahnsinnege »Herrenmensch« in seiner enharmonischen Verwechselung. Von daher hat sich in diesem Land eigentlich kaum etwas geändert in den letzten 150 Jahren. Warum wir es immer wieder schaffen, daß die
Dümmsten und Borniertesten an die Spitze des Staates gelangen, weiß ich auch nicht.
Es scheint aber hoffnungslos zu sein.

Achso
4 Jahre her

UmToleranz zu erklären,braucht man keinen Sultan.
Da ist Gerhard Polt immer noch der genialste. Yes !

Martin L
4 Jahre her

„Witzig“ finde ich ja auch all die „Geschichten“ aus Dubai, ein total beliebtes Urlaubsland des Westens. Immer wieder gibt es Geschichten von vergewaltigten westlichen Frauen, die eine Anzeige erstatten und dann wegen „außerehelicher Unzucht“ eingesperrt werden. Sie werden derzeit immer noch auf westlichen Druck aus der Haft entlassen, aber vielleicht irgendwann nicht mehr.

benali
4 Jahre her

Mein erster Besuch in Brunei war 1996, gefolgt von sehr, sehr vielen weiteren, beruflich. Das Land und seine Bürger waren weltoffen. Der Ölreichtum erlaubte dem Sultan auf Einkommenssteuern und Beiträge zur Gesundheitsvorsorge zu verzichten. Wer bauen wollte, bekam ein großzügiges staatliches Darlehen. Im Royal Yacht Club wurde oft und ausgiebig gefeiert, mit Alkohol!!! Im Royal Polo und Reit Club war alles so überaus vornehm, dass man sich kaum traute, die Toiletten zu benutzen. Als sich in Deutschland Internet noch wenig verbreitet hatte, gab es in Brunei ein stabiles und für deutsche Verhältnisse „schwindelerregend schnelles“ Internet. Im Hotel konnte man live… Mehr

Petra-Karin
4 Jahre her
Antworten an  benali

Und was lernen wir daraus ?

zaungast
4 Jahre her

Dem Sultan muss man für seinen rhetorisch geschickt platzierten Text dankbar sein. Den Konflikt zwischen Werten universaler Geltung und den ebenso universal gelten sollenden partikularen Werten kann man exemplarisch gar nicht präziser demonstrieren. Aber wer merkt das schon? Wenn man besoffen ist vor Güte nach dem Motto „andere Länder andere Sitten“ und alle sind gleich gut, dann sieht man nicht die Falle, in die man gerät. Meine Frage ist: welche der liebgewonnenen Minderheiten wird der Islamophilie als erste geopfert – hängt das vielleicht auch von der pekuniären Kraft der jeweiligen Pressure-Group ab? Das Moraltheater ist nur noch lächerlich. Sie haben… Mehr

Det
4 Jahre her

„Wer hätte gedacht, dass ein religiöses Gesetz, das den Tod für Homosexualität fordert, den Tod für Homosexualität mit sich bringen könnte?“
Und in Sure2, 191 steht „Und tötet Sie (die Ungläubigen), wo immer ihr sie findet“. Wer hätte gedacht, dass das einmal den Tod bringen wird?

Det
4 Jahre her

Ist doch wie mit „Nazi“. Von Untermenschen reden, Nachbarn mit Krieg überziehen und Juden auslöschen. Eine halbe Stunde Koran lesen und man weiss was los ist.