Das Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden

Gute Laune ist besser als schlechte. Daher: Was zu guter Laune führt, das ist besser als das, was zu schlechter führt. Entsprechend: Was zu schlechter Laune führt, das sollte man grundsätzlich unterlassen.

Shutterstock

Aus dieser buttermesserscharfen Logik folgt: Es könnte heute zu schlechter Laune führen, die Liste der Menschenrechte zu lesen und sie mit Politik und Debattenlage abzugleichen – also ist es zu unterlassen.

Wir heißen nicht Hase

Man kann ja mal die allgemein anerkannten Menschenrechte durchgehen (die vollständig neutrale Wikipedia listet sie), doch man könnte dann auch feststellen, dass heute grundlegende Rechte im Namen der »Moral« beschnitten und ausgehebelt werden, und eine solche Feststellung wäre eventuell schlecht für die gute Laune!

Da wäre etwa das Eigentum (gilt nicht wenn Staat bei Wohnungsbaupolitik versagt oder in Fällen akuter Umweltmoral, die natürlich nicht für die Moralisten gilt, die dürfen weiter fliegen und Diesel fahren, und wie!). Da wäre das Recht auf Unversehrtheit (ach ja…), die Unschuldsvermutung (die nicht gilt, wenn Minister und Aktivisten via »Hashtag« den empörten Mob gegen dich aufheizen) – die vollständige Liste der Menschenrechte durchzugehen, könnte Teile der Bevölkerung amüsieren.

Wir heißen nicht Hase, sondern euch hoffen, und in diesem Geiste also: Gerade weil es die Menschenrechte immer schon schwer hatten, will ich hier und heute ein dringend notwendiges neues Menschenrecht formulieren!

Ich will in Ruhe gelassen werden

Ich erkläre, fordere und formuliere heute das Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden:

Alle Menschen sind mit dem unveräußerlichen Recht geboren, in Ruhe gelassen zu werden, wenn sie in Ruhe gelassen werden wollen.

(Notiz: Ein Leser wies mich darauf hin, dass Roland Baader einen Gedanken in sehr ähnlichen Worten formulierte, wenn wohl auch womöglich in weniger sarkastisch-polemischem Geist, und es ist selbstredend möglich, dass ich es irgendwann gehört habe und es dann unbewusst in mein eigenes Denken übernahm, und dass es dann heute morgen, als ich wie üblich nach der Nachrichtenlektüre in mich hineinhorchte, wieder als Stoßseufzer herauskam: »Ach, lasst uns doch einfach in Ruhe!« – Die konkrete Formulierung Baaders ist etwa im Titel eines Buches über ihn enthalten: »Der Freiheit verpflichtet: Das einzig wahre Menschenrecht ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden«, derzeit wohl nicht lieferbar. Menschenrechte sind nicht meine Erfindung, und dieses gewiss auch nicht. Ich erlaube mir also, nachdem dieser Vermerk eingetragen ist, extra ermutigt in dieselbe Kerbe zu hauen!)

Ich will heute zuerst einmal in Ruhe gelassen werden von durchgeknallten Kindern und ihren Weltuntergangsphantasien. Ich will in Ruhe gelassen werden von Behörden, die mein Auto fernsteuern können (siehe auch sun.co.uk, 13.4.2019). Ich will in Ruhe gelassen werden von Heuchlern, welche die Armen, Aggressiven und Abenteurer einladen, aber dann nicht ihr eigenes Viertel, sondern das meinige zum Gästezimmer der Welt erklären. Ich will extra in Ruhe gelassen werden von Gleichschrittmarschierern, die »wir sind mehr« für ein Argument halten.

Ich will in Ruhe gelassen werden von jenen, die in allen blauäugigen Heile-Welt-Multikulti-Vorhersagen tragisch falsch lagen, und die dennoch weiter große Töne posaunen.

Ich will in Ruhe gelassen werden von Konzernen, die mir Abhörgeräte ins Zimmer stellen. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von archaisch veranlagten Mitbürgern, die eines meiner Kinder als weniger wert betrachten, weil es ein Mädchen ist. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von feministisch veranlagten Mitbürgern, die eines meiner Kinder als weniger wert betrachten, weil es ein Junge ist. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von jedem, der mich verachtet, weil ich das »falsche« Geschlecht habe (männlich) oder die »falsche« Hautfarbe (rosa mit Bart).

Ich möchte in Ruhe gelassen werden von Haltungsjournalisten, Journalismuspreisträgern und anderen Gestalten, deren Wort weniger wert ist als Second-Hand-Hygienebedarf. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von frühgescheiterten Millenials, die uns erklären möchten, was Gut sei und was Böse, wie man zu leben und zu fühlen habe – auf dass man so unglücklich und verbittert werde wie sie selbst.

Zuletzt, wissend um die religiösen Leser unter Ihnen, und als jemand, der heilige Bücher liest und zitiert, erkläre ich: Ich will in Ruhe gelassen werden von Religionen – ich studiere ja selbst manche der Lehren, doch das ist privat – es ist mein angeborenes und unveräußerliches Recht, nicht von Religionen gedrängt zu werden, ihrer Bronzezeit-Moral zu folgen (noch lästiger: einer ad-hoc nach politischer Windrichtung erfundenen Moral), oder ich müsste zum gleichen unsichtbaren Freund reden wie jene. – Wenn Religionsvertreter dann auch noch ansetzen, von PR-Leuten designte Weltuntergangs-Prophetinnen mit dem biblischen Jesus zu vergleichen (bild.de, 13.4.2019), dann sollen mich solche Religionen bitte doppelt in Ruhe lassen.

Zweifellos ein Grund

Wie kann es gelingen, das Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden, weltweit bekannt zu machen? Was wäre eine kluge Strategie?

Ich sollte meine Forderung des Menschenrechtes, in Ruhe gelassen zu werden, höheren Autoritäten vorlegen – den Vereinten Nationen etwa?

Ich könnte es einem der Länder im UN-Menschenrechtsrat zur Debatte vorschlagen. Sollte ich mich an Katar oder doch lieber an China wenden? Ich könnte Saudi Arabien bitten, die wissen es ja zu schätzen, auch mal in Ruhe gelassen zu werden, sei es von Hunden (nzz.ch, 10.9.2006) oder von Ungläubigen (Wikipedia: Mecca).

Jedes Menschenrecht braucht einen Mutigen, der es erklärt und einfordert. In diesem Geiste: Ich erkläre es hiermit zum Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden, wenn man in Ruhe gelassen werden will.

Im Privaten setzen es ja bereits einige von uns um! In Ruhe gelassen zu werden, wenn man in Ruhe gelassen werden will, das ist ein Grund für gute Laune, und was für gute Laune sorgt, das ist zweifellos gut.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 45 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

45 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
F.Peter
4 Jahre her

Schon ein Aphorismus bekundet doch: Lächle, denn es könnte schlimmer kommen. Ich lächelte und es kam schlimmer……..

BK
4 Jahre her

Finde ich gut, nur das Foto oben sieht doch etwas trist aus. Würde gern eine Community auf Lanzarote oder so gründen. Allein dem guten Wetter wegen. Man geht surfen oder kiten, sitzt abends lange unter freiem Himmel, und niemand kommt vorbei, der wegen der GEZ lästig wird.

BK
4 Jahre her
Antworten an  BK

Dann müssen Sie sich in der DDR wohl abmelden, aber berichten Sie doch mal von Ihren Erlebnissen!

BK
4 Jahre her
Antworten an  BK

Wirklich übel was Sie da beschreiben, und so ähnliche Dinge habe ich auch schon erlebt. Sie eröffnen ein Konto im Ausland, kassieren Zinserträge, die Bank wird übernommen, sie holen das Geld zurück. Und nach Jahren, die Bank gibt es längst nicht mehr, meldet sich das Fianzamt, kommt mit der damaligen Gesamteinlage, als einzige Zahl die sie haben daher, und will dies als angeblichen Zinsertrag versteuern. Wenn man fragt, wie hoch denn die Zinsen damals waren, kommt „weiß ich nicht“ als Antwort. Wie hoch denn die eigene Einlage bei Minimalzinsen gewesen sein muss, erhalten Sie die gleiche Antwort. Wenn Sie da… Mehr

Unterfranken-Pommer aus Bayern
4 Jahre her

Ganz persönlich und aus gegebenem Anlass: das Notre-Dame in Paris abbrennt, das will ich nicht lesen. Nicht sehen. Nicht hören. Nicht wissen. Nicht heute. Nicht in 100 Jahren. Verflucht noch einmal!

Bernhard F.
4 Jahre her

M.E. ist das ein frommer aber leider wenig zielführender Wunsch 😉 Wir leben davon und damit und wir entwickeln uns dadurch weiter, weil wir nicht in Ruhe gelassen werden. Wer ja zur Demokratie sagt, der sagt auch ja dazu, nicht in Ruhe gelassen zu werden. Die Demokratie gibt Jedem das Recht, jeden noch so dussligen Gedanken in die Welt setzen zu können. Sie gibt Anderen das Recht, diese dussligen Gedanken als beflügelnd anzusehen und mir gibt sie das Recht, diese dussligen Gedanken entweder zu ignorieren oder dagegen zu opponieren. Fragen Sie mal die Leute, die heute zu denen gehören, die… Mehr

bfwied
4 Jahre her
Antworten an  Bernhard F.

Man muss das Recht haben, dusslige Gedanken in die Welt zu setzen, aber man darf kein REcht dazu haben, diese dussligen Gedanken mit fiesen Mitteln geradezu mit Gewalt in die Wirklichkeit umzusetzen. Diese dussligen Gedanken-Leute wenden Gewalt an durch neue Gesetze und durch Missachtung von anderen grundlegenden Gesetzen. Wer andere daran hindert, seine Meinung kundzutun, wendet Gewalt gegen das grundgesetzliche Recht auf freie Meinungsäußerung an. Es ist jedoch sehr stark verästelt. Wer seine Meinung bekundet, wird häufig an seiner Arbeit behindert, er bekommt nicht die Universitätsstelle, er wird nicht befördert, er wird an Universitäten geschnitten, und er wird in manchen… Mehr

Bernhard F.
4 Jahre her
Antworten an  bfwied

Soll ich mich jetzt dafür bedanken, bfwied, daß Sie mir die Kompetenz absprechen, „Dinge komplexer“ betrachten zu können? Alles, was Sie schreiben, ist ja richtig. Kein Widerspruch meinerseits. Nur leider, m.E., am Thema vorbei. In einer Demokratie geschehen nun mal Dinge auf eine Weise, die mit meiner (und vielleicht auch Ihrer) Ansicht nicht übereinstimmen. Das heißt: „Man“ läßt mich nicht in Ruhe. Das kann ich geschehen lassen oder ich kann dagegen opponieren. So, wie ich es schrieb. Was, wenn meine Opposition zwecklos ist? Was tun, wenn sich rd. 80% meiner (und vielleicht auch Ihrer) Meinung nicht anschliessen wollen – aus… Mehr

Reinhard Schroeter
4 Jahre her

Chapeau Herr Wegner ! das was Sie da so schreiben, ist genau das was ich auch empfinde. Nur, ich kann es so wie Sie einfach nicht in Worte fassen, bin weder Schriftsteller, Publizist , nicht Mal ein Abitur habe ich. Wenn dann meine Gedanken und Gefühle dann doch an eine geneigte Öffentlichkeit gelangen, weil Sie sie so treffend wiedergegeben, versöhnt mich das mit meiner mangelhaften intellektuellen Bildung. Obwohl ,so richtig als Mangel empfinde ich das ja nun auch nicht. Ich kann arbeiten und zupacken ,bringe mein Leben selbst auf die Reihen und das kann einem ja auch das Gefühl eines… Mehr

bfwied
4 Jahre her
Antworten an  Reinhard Schroeter

Sie fehlen im Grunde nirgendwo! Wäre die Bildung noch so wie vor einem Jahrzehnt und früher, hätten wir keine von der UNESCO geforderte Bildungsreform, so gäbe es keinen Fachkräftemangel. Wir haben Millionen Menschen, die nicht als Fachkräfte taugen – man kann es nicht anders ausdrücken. Wir hätten genug Ärzte, wenn sie besser bezahlt würden – 6500 arbeiten woanders, meist in der Schweiz. Es gäbe Lehrer, wenn die Arbeitsbedingungen besser wären und man nicht nur FRauen einstellen würde – hier schreit keine Feministin nach Gleichstand wie bei der Feuerwehr!! Es gäbe Bäcker, wenn man nicht jeden Beliebigen aufs Gymnasium lassen würde,… Mehr

Tee Al
4 Jahre her

Wie schrieb mir vor Kurzem ein guter Freund aus Alabama:
„Please keep me in your prayers. I just got diagnosed with the last stage of not giving a fuck“
Frei übersetzt (für die, die des Englischen nicht so mächtig sind)
„Betet für mich, bei mir wurde gerade das Endstadium von ‚ Ich gebe einen Sch…’diagnostiziert“
Ich glaube er ist schon weiter als Sie und ich Herr Wegner.
Man muss dies den ganzen Wahnsinnigen , „die uns in Ruhe lassen sollen“ einfach mal sagen….und zwar als Antwort auf alles, was sie entgegnen.

Imre
4 Jahre her

Ihr Wunsch ist absolut nachvollziehbar, und die meisten hier Lesenden werden das auch gut nachvollziehen können. Diese wissen bzw. ahnen ja zumindest, in welch dunkle Gassen bzw. knietiefen Morast die Weichenstellungen unserer Vorturner den Karren Deutschland noch lenken werden. Wir werden auch jede Menge Körperkraft und klaren Verstand brauchen, wieder, trotz jeder Menge falscher Propheten und Ahnungsloser, das Gefährt auf festen Grund zu ziehen. Erholungsphasen für die graue Masse vor außergewöhnlicher Belastung derselben sind deshalb sinnvoll…

holdtheline
4 Jahre her

Ist in Deutschland nicht möglich. Wird auch nur ansatzweise nicht mehr möglich sein.

Argumentationsethiker
4 Jahre her

Herr Wegner, wenn man ethische Prinzipien verkündet, dann sollten man auch die logischen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Aus der Ethik folgt immer unmittelbar die politische Philosophie. Aber anstatt die Systemfrage zu stellen, fordern Sie lediglich Teile der Gesellschaft auf, diejenigen Handlungen zu unterlassen, die gegen Ihren Willen in Ihr privates Leben eingreifen. Warum aber sollten “ durchgeknallte Kinder und ihre Weltuntergangsphantasien“, „archaisch veranlagte Mitbürger“, “ feministisch veranlagte Mitbürger“, „Haltungsjournalisten, Journalismuspreisträger und andere Gestalten“, „frühgescheiterter Millenials“ und religiöse Fundamentalisten SIE in Ruhe lassen? Aus Respekt vor Ihrem Selbsteigentum und Ihrem Recht auf Selbstbestimmung? Aus Höflichkeit? Niemand von denen wird Ihrer Aufforderung folgen.… Mehr

rainer erich
4 Jahre her

Volle Zustimmung : Erstaunlicherweise gibt es immer noch sehr Viele, die die zwingende Verbindung zwischen staatlichen Systemen, gleich welcher „ Art und Güte“, und deren früheren oder späteren unweigerlichen Folgen für „ den einzelnen Menschen“ nicht erkennen ( wollen). Sobald man – warum auch immer – einen Staat will, muss man Menschen wollen, die diesen Staat repräsentieren und vertreten. Plato hat das damit verbundene Dilemma mit einer zwingenden „ Qualität“ dieser Vertreter ( Philosophen) natürlich vergeblich zu lösen versucht. Offenbar hält sich der Glaube !, die auf diese Stellen Berufenen würden den Bürger „ in Ruhe lassen“ ( volles Verständnis… Mehr

Reimund Gretz
4 Jahre her

Ideologien und die Beschäftigung mit dem politischen Gegenspieler bestimmen die Politik in Deutschland! Die Politik in Deutschland befindet sich auf Irrwegen mit fatalen Auswirkungen für Deutschland. Der Index nach unten kann nicht mehr geleugnet werden. Der dilettantisch angegangenen Energiewende soll ein noch weniger durchdachter Mobilitätswandel folgen. In der Bildung geht es mehr rückwärts als voran. Bei der Migration unterbleiben die erforderlichen Maßnahmen. In der Digitalisierung wurde man von vielen Ländern überholt. Anstelle von wichtigen Weichenstellungen beschäftigt man sich mit Genderwahn, Toiletten für das dritte Geschlecht usw. Mit der Klimahysterie verfolgt man nur das Ziel neue Steuereinnahmen zu generieren. Wie Großprojekte… Mehr