CSU in die Opposition

Frank Underwood aus der vielgelobten TV-Serie „House of Cards“ brachte es einmal so schön auf den Punkt: Wenn dir nicht gefällt, wie die Karten auf dem Tisch liegen, dann wirf den Tisch um.

© Christof Stache/AFP/Getty Images

Es scheint so, als hätte die CSU in den letzten Tagen erkannt, dass Regieren um jeden Preis nicht ihre einzige Option ist – jedenfalls bezogen auf den Bund. Denn ganz offenbar lotet der Partei-Chef mit seinen engsten Beratern allmählich doch ein bislang für undenkbar gehaltenes Szenario aus: Er erklärte gestern im kleinen Kreis, dass er die These, ohne die CSU gäbe es keine Regierung, nicht unterschreiben wolle.

Bislang wurden die Aussagen Alexander Dobrindts, denen zufolge er eine Regierungsbildung für äußerst schwierig bis nahezu unwahrscheinlich halte, als schwarzmalerische Realitätsverweigerung des Wählerauftrags abgetan: Als der Versuch, sich durch Querdenken in seiner neuen Position als Landesgruppenvorsitzender profilieren zu wollen. Doch wer im politischen Betrieb nüchtern und rational an gewisse Probleme herantritt (und das dürfte bei allem Respekt wohl kaum irgendeinem gelingen, der aktiv parteipolitisch tätig ist), der muss sich aktuell eingestehen, dass dieser Gedanke vom Scheitern der Jamaika-Verhandlungen auf jeden Fall Berücksichtigung finden muss.

Unenttäuschbar
Jamaika nützt nur Merkel
Das, was die SPD bereits am Wahlabend gewissermaßen vorgemacht hatte, nämlich die vernünftige Entscheidung zu treffen, sich nach jahrelangem Gedrehtwerden durch den Merkel’schen Fleischwolf in der Opposition einem heilsamen Erneuerungsprozess hinzugeben, wurde von vielen scharf kritisiert und angegriffen. Angeblich deshalb, weil sich die Partei damit klar gegen den Wunsch der vielen Wähler richten würde, die der SPD ihre Stimme doch wohl nur gegeben hätten, damit diese auch künftig regiere.

Es ist aber ein weit verbreiteter Trugschluss, dem aktuell wohl auch Christian Lindner und vor allem Wolfgang Kubicki unterliegen, dass sich ausschließlich aus der Regierung heraus gestalten ließe. Vielleicht nicht sofort und vielleicht nicht so, wie es eine Regierung tut, aber gewiss hat die Opposition eine nicht zu vernachlässigende, sogar tragende und für die Funktionsfähigkeit der Demokratie unerlässliche Stabilisierungsfunktion.

„Opposition“ leitet sich vom lateinischen „opponere“ her und bedeutet „etwas entgegensetzen, -legen“. In der politischen Terminologie steht der Begriff für den organisierten und institutionellen Widerspruch gegen die Parlamentsmehrheit und gegen die Regierung, der sich innerhalb des Grundkonsenses der Gesellschaft entfaltet. Man kann diese Definition also grundsätzlich als etwas Positives einordnen.

Merkwürdigerweise scheint nach über zwölf Jahren Merkel-Herrschaft und vor allem nach jahrelanger „GroKo“ die Opposition in Verruf geraten. Ganz so als gelten folgende Prinzipien: Wer nicht regiert, ist out. Wer nicht mit am großen Tisch sitzt, spielt keine Rolle. Wer keine Ämter und keine entsprechende finanzielle (und auch ideelle) Ausstattung hat, der bewirkt nichts.

Eine Schande ist es, dass es der Parteienstaat in einem leise schleichenden Prozess geschafft hat, die doch so zentrale Rolle und das politische Gewicht einer authentischen und leidenschaftlichen Opposition zurückzudrängen und dass man nicht nur der Bevölkerung, sondern vor allem denen, die sich im politischen Betrieb betätigen (wollen), einen solchen Irrglauben aufgeschwatzt hat.

Opposition ist immer das Tor für Wandel, denn ein planvoll koordiniertes Opponieren gegenüber dem Amtsinhaber und der Regierung mit dem Ziel ihrer Ersetzung ist im Konzept der Demokratie der ideale Wegbereiter für einen Regierungswechsel. Der hochgeschätzte Carlo Schmid fand eine Charakterisierung, die man nicht treffender hätte formulieren können: Die Opposition kann „die Regierung von morgen“ sein; denn sie ist ständige Alternative zur Regierung.

Die Bewährungsprobe beginnt jetzt
Sebastian Kurz vor schweren Wochen oder Monaten
Eine mitunter schweigende Mehrheit, die sich teilweise einzig über das Kreuz bei der AfD zu artikulieren weiß, aber auch viele andere sehnen einen Machtwechsel herbei. Die Katze beißt sich aber in den Schwanz, wenn man zugleich mit der Forderung auf den Plan tritt, regieren zu wollen. Veränderung ist nicht nur mit einem Sitz auf der Regierungsbank möglich. Veränderung beginnt vielleicht auch einmal aus einer anderen Perspektive. Martin Schulz hat das erkannt. Und diese Erkenntnis kann man auch der CSU nur wünschen.

Woher kommt nun aber gerade bei einem so entschiedenen Verfechter der Unionsgemeinschaft wie Seehofer der plötzliche Sinneswandel, der ihn dazu bewegt, den Gedanken an eine Regierung ohne CSU-Beteiligung überhaupt zuzulassen? Woher nimmt er die derzeit so selbstbewusste Haltung, an der sämtliche Forderungen nach seinem Rücktritt abzuperlen scheinen?

Nun, es geht nicht mehr nur um eine Wahl; es geht nicht mehr nur um Mehrheiten – es geht um sein politisches Überleben, es geht um seinen Kopf. Und wer halb mit dem Kopf unter’m Arm auf einen Parteitag zusteuert, auf dem das eigene Schicksal besiegelt zu werden droht, der braucht einen guten Plan.

Seehofer scheint diesen Plan zu haben. Es brodelt nicht nur in den Unionsparteien, es brodelt in Seehofer. Und er erkennt offenbar, dass ihm in seinem ausweglosen Dilemma wohl doch eine Handlungsoption verbleibt, mit der er das zurückgewinnen könnte, was ihm aktuell zum Verhängnis zu werden droht: Glaubwürdigkeit. Die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU wäre eine Befreiung und würde die Öffnung der CSU für eine Rückbesinnung auf ihre konservativen Werte bedeuten. Der Rückzug in die Opposition böte die Chance auf echte Konvaleszenz und auf eine authentische Abgrenzung gegenüber der AfD. Und Seehofer könnte mit diesem unverblümt ehrlichen Kurs seine Position als Partei-Chef verteidigen, indem er in den Sondierungsgesprächen hart bleibt und hart verhandelt. Denn dann müsste am Ende das Ergebnis stehen, dass vor allem mit den Grünen eine Regierungsbildung unmöglich ist, an der ein Großteil der CSU ohnehin und berechtigterweise seit dem Wahlabend zweifelt.

Diese Option liegt auf dem Tisch. Neben den anderen Optionen, namentlich Regierung, Ausverkauf der CSU-Werte, Personalie Söder und Ende der Ära Seehofer. Frank Underwood aus der vielgelobten TV-Serie „House of Cards“ brachte es einmal so schön auf den Punkt: Wenn dir nicht gefällt, wie die Karten auf dem Tisch liegen, dann wirf den Tisch um.

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Kommentare ( 43 )

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John
6 Jahre her

Es wird nie wieder Ordnung im Land geben, dieser Bruch hat etwas endgültiges. Vielleicht bin ich als Berliner pessimistischer, diese Veränderungen hier sind teils schleichend, teils überfallartig gekommen und werden nicht mehr verschwinden, da müssen wir uns schon ehrlich machen.
Meine Frau (Frauenärztin) ist nächsten Monat eine Woche Probearbeiten in der Schweiz, wenn es passt sind wir Ende nächsten Jahres hier weg, finis Germania!

Ulrich Opfermann
6 Jahre her

Herr Ramsauer sagte es heute morgen im DLF und ich traute meinen Ohren kaum (ich zitiere wortgemäß): „Ich kenne die Grünen von Anfang an. Die Grünen möchten [durch das Instrument der ungesteuerten Migration] das Deutschland, wie wir es kennen, zerstören und zur Unkenntlichkeit verändern“. Wie recht er hat! Das hätte auch von einem Vertreter der AfD kommen können und das meine ich als Kompliment. Ich stimme der Autorin uneingeschränkt zu und denke, dass die CSU als kraftvolle konservative Opposition den besten Job für dieses Land machen könnte! Mit den Grünen ist kein Staat zu machen, im Gegenteil, die Grünen betreiben… Mehr

Bernd Schreller
6 Jahre her
Antworten an  Ulrich Opfermann

Wie Frau Merkel auch. Das ist ihr Auftrag. Deshalb muss sie so lang wie irgend möglich an der Macht bleiben, um so viel Zerstörung wie irgend möglich durchsetzen zu können. Und danach auf die Hacienda im Land, das nicht ausliefert.

Meerwind7
6 Jahre her

Diesen Banner können Sie vielleicht vor der Wahl in vier Jahren wieder einsetzen.

Wobei dann jeder der drei Partner sagen wird, man soll gerade ihn wählen, damit man wieder eine kleinere Koalition bilden kann.

5 Prozent weniger Wähler für die AfD, und es gäbe eine solide Mehrheit für FDP und Union.

Meerwind7
6 Jahre her

In Verhandlungen muss man geschlossen auftreten.
Den Vorsitzenden demontieren kann die CSU dann anschließend. Über Herrn Söder habe ich viele schlechte Kritiken gelesen, es gibt aber auch fähiges Personal in der CSU.

Meerwind7
6 Jahre her

Vor vier Jahren wäre eine Mehrheit von CDU und Grünen ohne die CSU möglich gewesen. Heute reicht es selbst mit der FDP nicht mehr. Bliebe die Option einer Minderheitsregierung nur der CDU.

„Opposition“ leitet sich vom lateinischen „opponere“ her und bedeutet „etwas entgegensetzen, -legen“ … setzt aber begrifflich eine Regierung voraus, gegen die opponiert wird.

Jan Schöler
6 Jahre her

Also R2G hat auch ne Mehrheit. Merkel-SPD+Schulz SPD+ Gruene…

Humerd
6 Jahre her

Horst Seehofer wird bei der Jamaika Koalition mitmachen. Mag sein, dass CSu Orts- und Landesverbände erkannt haben, dass Regieren um jeden Preis großen Schaden der CSU zufügen wird. Horst Seehofer aber macht weiter , wie bisher: laut poltern, Forderungen stellen und einknicken.

onkelotti
6 Jahre her

Interessanter Ansatz. Allerdings birgt er auch die Gefahr, dass die Abgrenzung von einer sich auf die bürgerlich-liberalen Mitglieder konzentrierenden AfD nur marginal ist und die unionsenttäuschten Wähler ihr Kreuz nächstes Mal bei der AfD machen. Oder bei der CDU, wenn ihnen die CSU schon immer zu rechts war. Ergo könnte die CSU zwischen diesen Polen zerrieben werden.

Michael Werner
6 Jahre her

Seehofer ist in Bayern unten durch. Der führt die CSU nie mehr in diese Grössenordnung, ich bin selbst Bayer und kenne meine Landsleute, die vergessen die Schwäche und Wankelmütigkeit des Heisslufthorst nie. Das beste Plakat mit der maximalen Aufmerksamkeit war… Franz Josef Strauß würde AFD wählen!

sappeur
6 Jahre her
Antworten an  Michael Werner

ZITAT: „Das beste Plakat mit der maximalen Aufmerksamkeit war… Franz Josef Strauß würde AFD wählen!“ Ja, ein gutes Plakat. Die bundesweit einheitlichen Motive waren leider ohne Biß. Aber seien wir ehrlich. Franz Josef Strauß hätte die AfD gar nicht wählen müssen, weil er dafür gesorgt hätte, daß die CSU diese Positionen selbst vertritt. Und mit „vertritt“ meine ich Taten, nicht Worte. Es ist vielleicht ein wenig gemein, vielleicht habe ich da Vorurteile, aber mir fällt bei jedem Seehofer-Artikel immer wieder die Fernsehreportage ein, in der er „Audienz“ in seinem Modelleisenbahnkeller gewährt. Bei allem Respekt vor dem Hobby an sich, aber… Mehr

Michael Werner
6 Jahre her

Der Merkel’schen Fleischwolf existiert nur, weil wir bis vor kurzem nur opportunistische Politiker im BT hatten, die rein an Ihre berufliche Karriere denken.
Ich wünschte mir Hans Werner Sinn als „finanzpolitischen Sprecher der AFD“, der einen gewissen „Altmaier“ wegen seiner Inkompetenz vorführt und seine lächerlichen Thesen zerlegt, wie damals bei Maybritt Illner. Wenn Altmaier wirklich Finanzminister wird, ist es vorbei mit Deutschland. Das müssen sie sich ansehen!!!

Hans-Werner Sinn gegen Altmaier – 16.7.2015