CDU wirft den antitotalitären Grundkonsens über Bord

RotGrünRot und CDU machen bei einer Verfassungsänderung gemeinsame Sache: Mit einem Nebel an Schlagworten, undurchdachten Wertungen und falschen Schlussfolgerungen. Ein Politologe warnt.

imago images / Eckhard Stengel

Die Freie Hansestadt Bremen soll eine neue Landesverfassung bekommen – mit neuen Widerstandsrechten, Widerstandspflichten und Staatszielen. Am 14. Mai soll darüber in der Bürgerschaft beraten werden. Es liegen dazu zwei weitgehend wortgleiche Anträge vor. Der eine stammt von der CDU, die ihren Antrag am 3. März 2020 einbrachte. Der CDU-Antrag will eine Ergänzung des Artikels 65 („Staatsziele“) um einen neuen Absatz 2. Der CDU-Vorschlag hat folgenden Wortlaut: „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.“

Zwei Monate später, exakt am 5. Mai 2020, hat die RGR-Koalition, also die rot-grün-rote Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei ihren Änderungsantrag eingebracht. Sie will Artikel 19 (Widerstandrecht und -pflicht) durch folgenden 2. Abschnitt ergänzt haben: „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischer und faschistischer Bestrebungen, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische, antisemitische und weitere menschenverachtende Hetze nicht zuzulassen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jeder und jedes Einzelnen.“

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Wo ist der Unterschied zwischen beiden Anträgen? Der auffallendste ist wohl, dass der RGR-Antrag „gegendert“ ist: „… jeder und jede Einzelne…“ Aber etwas anderes fällt auf: Die CDU hat RGR quasi die Vorlage geliefert. Vor allem macht die CDU jetzt stramm ebenfalls auf Antifa. Das kann man lächerlich finden, oder aber man kann der CDU ab sofort attestieren, dass sie den antitotalitären Grundkonsens, zumindest in Bremen, über Bord geworfen hat. Der zweite Unterschied steckt in der Einfügung: „und weitere menschenverachtende Hetze”. Eine Generalformel, unter der jeder und alles verfolgt werden kann.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass auch die FDP im Boot sitzt und die Bekämpfung von NS-Gedankengut als Staatszielbestimmung begrüßt. Es sei „völlig richtig, sich ganz klar gegen nationalsozialistische und antisemitische Tendenzen zu stellen“, sagte Fraktionschefin Lencke Wischhusen. Keine Zustimmung allerdings wird die Verfassungsänderung von der dreiköpfigen AfD-Gruppe erhalten. Der Vorstoß sei „völlig überflüssig“ und schränke die Meinungsfreiheit ein, urteilte AfD-Sprecher Magnitz.

Doch zurück zur CDU: Und wo bleibt der antitotalitäre Aufschrei aus Berlin, aus dem Kanzleramt, aus der CDU-Zentrale? Wo hört oder liest man etwa wie anlässlich einer Wahl in Thüringen, dass der Vorgang in Bremen „ein unverzeihlicher Vorgang“ sei, der „rückgängig“ gemacht werden müsse, weil er einseitig sei?

Politologe Stephan Luft: „Ein Nebel an Schlagworten“

Wenigstens gibt es einen renommierten Mann in Bremen, der diese Verfassungsänderung kritisch unter die Lupe nimmt: Stephan Luft. Er ist Politologe und Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Uni Bremen. Und er ist Insider: Von 1995 bis 1999 war er Sprecher des Innenressorts, von 1999 bis 2004 stellvertretender Regierungssprecher. In einem Interview mit dem Weserkurier spricht er Klartext.

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Stephan Luft sagt, niemand könne etwas dagegen haben, dass sich die Politik gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus stelle. Das komme ja bereits jetzt in der Präambel der bremischen Landesverfassung vor. Wenn die Verfassung allerdings wie geplant geändert werde, so Luft, seien die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr. Vor allem weil die geplante Änderung – außer beim Antisemitismus – aus einem Nebel an Schlagworten, undurchdachten Wertungen und falschen Schlussfolgerungen bestehe. Beispiel: Die Koalitionsparteien würden laut ihrer eigenen Antragsbegründung die Möglichkeiten ja jetzt schon ausgedehnt sehen wollen, etwa zur Bekämpfung von „Islamfeindlichkeit“ und „Antifeminismus“. Wie solche Anti-Haltungen aber definiert werden könnten, sei nicht präzise festlegbar, so Stephan Luft weiter. Oder mit anderen Worten, die Stephan Luft so nicht gebrauchte: Der willkürlichen Auslegung dieser neuen Passage der Verfassung ist Tür und Tor geöffnet, womöglich bis hin zu Einschränkungen islamkritischer Wissenschaft.

Da RGR (23+16+10=49 Sitze) nicht über die für eine Verfassungsänderung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit (56 von 84 Sitzen) verfügt, wird es jetzt darauf ankommen, wie sich die CDU verhält. Wetten, dass sie mitmacht! Denn für eine andere Variante hat die CDU nach dem von ihr vorgelegten, mit dem RGR-Antrag nahezu identischen Änderungsantrag wohl nicht genug Mumm, nämlich auf Artikel 125 der Landesverfassung zu bauen. Dort steht: „Ein Beschluss auf Abänderung der Verfassung kommt außer durch Volksentscheid nur zustande, wenn die Bürgerschaft mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder zustimmt.“ Warum also kein Volksentscheid? Die Bremische Landesverfassung macht es mit den Artikeln 69ff. möglich. Aber die CDU übt sich lieber in Antifa und blendet politisch-historisch korrekt andere menschenmordende Totalitarismen inkl. Islamismus aus.

Der Vollständigkeit halber: Vergleichbares hatte Anfang März 2020 bereits die CDU-geführte Kenia-Koalition Sachsen-Anhalts (bestehend aus CDU, SPD und Grünen) inszeniert. Man hat dort den Verfassungsartikel 37a eingefügt. Er lautet jetzt: „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.“

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Kommentare ( 36 )

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John Sheridan
3 Jahre her

Das Gesetze bzw. Änderungen nur noch „schwammig“ formuliert werden, ist doch die volle Absicht. So kann man zum eigenen Nutzen das Gesetz positiv, zum Nachteil Anderer negativ auslegen. D.h. Normen zur Gesetzgebung werden absichtlich ausser Kraft gesetzt.

Cethegus
3 Jahre her

Eine in Gesetzesform gegossene Nazikeule!

Juhu, da freuen sich alle Anhänger einer einheitlichen Linksrepublik.

Jetzt brauchen wir noch eine rote Nationalfahne, eine andere Nationalhymne und Arabisch als 2. Sprache…

Mir graut nur noch vor dem was hier inzwischen alles möglich ist!!!!!

Contenance
3 Jahre her

Lässig.

Jetzt wird also die TAZ verboten und der deutsche UN-Botschafter Heusgen angezeigt? Und Maas muss wegen Unterstützung eines antisemitischen Regimes zurücktreten?

Positive Entwicklungen!

Wittgenstein
3 Jahre her

Lieber Herr Kraus,

die berechtigte Bekämpfung nationalsozialistischen Gedankengutes, des rechten Faschismus und des Antisemitismus scheint das Trojanische Pferd, die berechtigte Bekämpfung linksfaschistischen Gedankengutes und des linken Antisemitismus zu unterbinden, ebenso wie andere linksideologische Bestrebungen, den Staat zu kapern und die freien Bürger zu drangsalieren und zu kujonieren.

Insoweit bekämpfen diese „freien Hansestädter“. exakt das, was jahrhundertelang einen wesentlichen Teil ihrer Identität ausmachte und worauf sie und auch ich zurecht ein wenig „stolz“ sein konnten.

Mayor Quimby
3 Jahre her

Wie lautet eigentlich die allgemeine, anerkannte Definition von „Faschismus“?

Oder gibt es da sogar mehrere? Weiß das jemand?

Da liegt m.E. die größte Gefahr, daß das jeder definieren kann, wie es gerade passt.

Mayor Quimby
3 Jahre her
Antworten an  Mayor Quimby

Meine Frage war gar nicht persönlich gemeint; die (richtige) Aussage „Faschismus dagegen ist gut eingeführt und klar negativ besetzt“ ist für mich genau das Problem – es ist ein in böser Absicht gut eingeführter und klar negativ besetzter, aber absichtlich völlig inhaltsleer gehaltener Begriff, in den jeder hineinkippen kann, was ihm gerade mißfällt; und das ebenfalls in böser Absicht. Die Aussage: Das und jenes ist demokratisch (autokratisch, …) läßt sich an Hand der Definition von ‚demokratisch‘ (‚…‘) überprüfen; die Aussage: „Das ist faschistisch!“ jedoch nicht; absichtlich nicht. Sie dient ausschließlich der Zielmarkierung. Die hier angeführte mögliche Definition „Befürwortung der Unterteilung… Mehr

hassoxyz
3 Jahre her

Wer hat von dieser mehrheitlich linksgrünen CDU noch erwartet, daß sie bürgerliche Interessen, also Positionen der rechten Mitte vertritt. Die meisten CDU-Landesverbände sind Mitte-Links bis links von der Mitte, daher ist auch der nach wie vor große Rückhalt für Merkel zu erklären. Die CDU-Bremen ist eindeutig links von der Mitte, also sehr rot-grün nah. Sie ist pro Islam, pro Massenmigration, pro MultiKulti, pro Klimaidiotie, pro Gendergaga und absolut Merkeltreu. Was unterscheidet eigentlich noch die Merkel-CDU von den klassischen Linksparteien ? Viel ist das nicht mehr. Die Gemeinsamkeiten scheinen jedenfalls wesentlich größer zu sein als die Unterschiede. Die Saar-CDU, wo AKK… Mehr

Biskaborn
3 Jahre her

Fazit, die CDU ist mittlerweile längst zu einer weiteren Linkspartei geworden. Ebenso übrigens die FDP. Das nicht nur in Bremen. Jämmerlich wie insbesondere CDU/CSU und FDP ihre einstigen Werte über Bord geworfen haben um dabei zu sein beim Linksschwenk der Gesellschaft. Sehen das die Mitglieder an der Basis auch so und machen sie eifrig dabei mit?

Coco Perdido
3 Jahre her

Die „Verantwortung jedes Einzelnen“ bei der Nichtzulassung besagter Bestrebungen, ist auch eine unklare Sache, wenn es darum geht, welche Mittel er einsetzen kann und darf, ohne selber gegen Recht zu verstoßen.

Das Einspannen der Einzelnen in eine Verantwortung, ganz unabhängig um welchen Verfassungsgegenstand auch immer es geht oder künftig gehen könnte, eine schräge Sache, da der Einzelne als Nichtverursacher keine Verantwortung dafür haben kann, was andere tun. Für die Aufrechterhaltung der Ordnung ist der Staat mit seinem Machtmonopol zuständig, nicht jeder der Einzelne.

Marcel Seiler
3 Jahre her

Die Anti-Nazi-Religion, die Deutschland erfasst hat, die Religion der Verdammnis ohne Vergebung, wie sie von unseren Staats-„Spitzen“ am 8. Mai gerade wieder einmal wieder zelebriert wurde, schlägt erneut zu. Sie macht Deutschland zu einem geduckten, ängstlichen, ressentimentgeladenen Land, in dem die freie Meinung kaum noch in der Erinnerung leben wird.

Im Deckmantel ihrer Bekämpfung kommt die Nazi-Diktatur zurück.

Tizian
3 Jahre her

Alles gut und richtig, was der ehrenwerte Herr Luft sagt. Sie werden es dennoch machen. Ganz einfach weil sie es können. Und natürlich auch wollen. Nicht nur um die AfD plattzumachen und von den heißbegehrten Töpfen und Trögen endgültig zu vertreiben, sondern auch um ihre politische Macht gegenüber dem Bürger zu sichern und weiter Schritt für Schritt zu erweitern.