Altersbestimmung: „Eingriff in das Menschenwohl“ und „zu teuer“

Für die Betreuung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings müssen Monat für Monat zwischen fünf- und achttausend Euro aufgebracht werden. Österreich hat bereits 2009 in Zweifelsfällen eine „Altersbegutachtung“ durch Röntgenärzte vorgeschrieben.

© Oli Scarff/AFP/Getty Images

Am 27. Dezember 2017 wurde die fünfzehnjährige Mia V. in einem Drogeriemarkt im rheinland-pfälzischen Kandel von dem angeblich ebenfalls fünfzehnjährigen Afghanen Abdul D. erstochen. Abdul ist seit Frühjahr 2016 in Deutschland; er genießt den Status eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings. Die sog. Qualitätsmedien bequemten sich erst nach Tagen zu Berichten darüber, als im Netz massive Proteste gegen das Verschweigen der Mordtat laut geworden waren. Und auch sonst gab es nicht wenige, die sofort die Beschwichtigungsmaschinerie anwarfen. In einem Interview mit „Focus“ unter der Überschrift „Pädagoge gibt Einblick in Psyche des Täters“ meinte ein Münchner Sozialpädagoge namens Andreas Dexheimer etwa: Diese Mordtat sei das Ergebnis einer narzisstischen Kränkung. Ein verqueres Frauenbild in muslimisch geprägten Kulturen sieht Dexheimer nicht als Hintergrund, denn das Frauenbild von jungen Afghanen sei von Wertschätzung geprägt. Diese Wertschätzung gelte ebenfalls jüngeren Frauen oder Gleichaltrigen. Dexheimer hat angeblich Erfahrung mit 10.000 Flüchtlingen.

Nun hat sich die Debatte um „Kandel“ bzw. die Frage nach einer medizinischen Altersbestimmung eines jungen Flüchtlings ins sehr Grundsätzliche verlagert. Denn Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun. Oder eben den Rechts(wege)staat bis zu dessen Knebelung auszudehnen.

Konkret: Wer auch nur einen kurzen Blick auf das im Internet verbreitete Bild von Abdul D. wirft, sieht, dass es sich hier nicht um einen Fünfzehnjährigen, sondern wohl um einen 25 bis 30 Jahre alten jungen Mann handelt. Eine solche Abweichung vom behaupteten Alter ist übrigens nichts Neues. Bereits im Mordfall Maria L. in Freiburg stellte der Vater des Mörders Hussein K. fest, dass sein Sohn nicht 17, sondern 33 Jahre alt sei.

Da das Alter eine maßgebliche Rolle bei Fragen des Asylrechts, des Aufenthaltsstatus, der Strafmündigkeit und auch der Schulpflicht spielt, ist es nicht belanglos, ob die Behörden um das Alter eines „Schutzsuchenden“ wissen. So lief denn über die Feiertage eine öffentliche Debatte an, ob man nicht mit Hilfe medizinischer Verfahren (vor allem Röntgenbilder der Handwurzel) ermitteln solle, ob es sich bei einem Flüchtling um einen minder- oder ein volljährigen handle. Nach derzeitigem Rechtsstand darf ein Flüchtling diese Untersuchung generell ablehnen, ohne dass ihnen ein draus Nachteil entstehen darf.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte eine „strikte Regelung für eine medizinische Altersüberprüfung von allen ankommenden Flüchtlingen, die nicht klar als Kinder zu erkennen sind“. Dafür werde sich die CSU in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD einsetzen. „Noch immer täuschen zu viele Flüchtlinge ein jugendliches Alter vor“, sagte er der Funke-Mediengruppe. Auch der CDU-Vizevorsitzende Thomas Strobl sprach sich in der Welt am Sonntag dafür aus, das Alter von Asylbewerbern konsequent von Ärzten überprüfen zu lassen. Saarlands Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) und CDU-Bundesvize Julia Klöckner äußerten sich ähnlich, ebenso der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU). Mayer konkret: Hier überwögen die öffentlichen Interessen des Staates klar gegenüber den Persönlichkeitsinteressen der Betroffenen. Mayer begründet dies damit, dass „mit dem Status der Minderjährigkeit zahlreiche Privilegien wie eine deutlich aufwendigere Betreuung und ein Abschiebeverbot verbunden sind“.

Es ist jedenfalls wichtig, das genau Alter zu kennen. Nicht nur aus strafrechtlichen Gründen. Unbegleitete Minderjährige genießen in Deutschland andere Rechte als Erwachsene. Sie müssen zum Beispiel anders untergebracht werden, und sie müssen zur Schule gehen (wobei einige deutsche Länder die Schulpflicht mit Blick auf Flüchtlinge zum Teil bis zum 25.Lebensjahr gestreckt haben.) Auch haben Familien der Minderjährigen besondere Reiserechte innerhalb Europas.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer schlägt eine Umkehr der Beweispflicht vor: „Wer Röntgen als unzumutbaren Eingriff wertet, könnte übrigens einen anderen Weg wählen: Wer nicht nachweisen kann oder durch eine Untersuchung nicht belegen will, dass er unter 18 Jahren alt ist, wird als Erwachsener behandelt“, schrieb Palmer auf Facebook. Die AfD stellte klar, sie fordere genau solche Tests „seit rund zwei Jahren“. Selbst SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, selbst Arzt, mischte sich ein: Die Röntgen-Methoden, schrieb er, seien „genau genug“, um die Volljährigkeit von Flüchtlingen zu bestimmen. Führende Rechtsmediziner bestätigten dies bereits 2016 im Deutschen Ärzteblatt: „Die Anwendung des Mindestalterskonzepts stellt sicher, dass das forensische Alter der begutachteten Person keinesfalls zu hoch angegeben wird, sondern praktisch immer unter dem tatsächlichen Alter liegt. Liegt das ermittelte Mindestalter oberhalb der juristisch relevanten Altersgrenze, ist das Überschreiten dieser Altersgrenze mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen.“

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, im Nebenberuf Röntgenarzt, ansonsten Multifunktionär auch im Weltärztebund und in der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, sieht das ganz anders: „Die Untersuchungen sind aufwendig, teuer und mit großen Unsicherheiten belastet“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Wörtlich: „Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl“, meinte er. Montgomery weiter: „Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.“
Montgomery gibt damit einer Phalanx an Nein-Sagern Flankenschutz. Zum Beispiel der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer; sie lehnt weitergehende medizinische Untersuchungen ab. Sie ist sich hier einig mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, der in umwerfender Logik hinausposaunt: „Wenn Leute wie im Zoo begutachtet werden, habe ich da nach meinen Wertvorstellungen Probleme mit.“ Die „Linke“ im Bundestag bezeichnete eine flächendeckende Altersklärung als „grundrechtswidrigen Unfug“. Gegen eine medizinische Altersbestimmung stehen zudem unter anderem der „Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, das Deutsche Kinderhilfswerk, die Ärzteorganisation IPPNW und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
Apropos „teuer“: Für jedes Altersgutachten bezahlt zum Beispiel die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie etwa 1500 Euro. Zum Vergleich: Für die Betreuung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings müssen Monat für Monat zwischen fünf- und achttausend Europa aufgebracht werden.

Österreich übrigens hat bereits 2009 in Zweifelsfällen eine „Altersbegutachtung“ durch Röntgenärzte vorgeschrieben.

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Kommentare ( 178 )

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Schreiber
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Kraus, eine Röntgenuntersuchung bedarf nach deutschem Recht, RöV §§ 23 und 25 (neu Strahlenschutzgesetz) einer medizinischen (!) Indikation, ausgenommen sind hier angeordnete Untersuchungen in Strafprozessen. Eine Altersbestimmung außer zu medizinischen Zwecken ist also rechtlich nicht zulässig. Das gilt unabhängig davon, dass trotz überwiegender Meinung (die auch bestritten wird) eine Altersbestimmung zur Grenzsetzung 18 Jahre durchaus bejaht wird. Will man also wie in Österreich Röntgenuntersuchungen für genau diesen Zweck zulassen, muss das Gesetz geändert werden. So einfach ist das. Ein Arzt, der eine solche Untersuchung mit Röntgen durchführt mach sich also strafbar. Für Rückfragen stehe ich gerne zur… Mehr

didi80
6 Jahre her

hallo geht’s noch natürlich müssen wir unbedingt wissen wie alt jemand ist wenn wir ihn in D aufnehmen ,hervorragend hegen umsorgen und vertätscheln . Wer bei uns und von uns was will muß mitmachen bei seiner Altersfeststellung ,wer das nicht will kann gehen ,wir heben keinen zurück .
Es wird keiner gezwungen in D zu bleiben .

H. Wagner
6 Jahre her

Es ist erstaunlich, dass man bei Untersuchungen von Ötzi oder altägyptischen Mumien beinahe noch den Geburtstag der Verstorbenen feststellen kann, dies aber bei Asylanten nicht möglich sein soll. Ebenso erstaunlich ist es, dass es aus medizinischer Sicht ungefährlich sein soll, bei Frauen regelmäßige Mammographie-Untersuchungen der Brust durchzuführen, während das Röntgen der Asylanten-Hand zu gefährlich sein soll.

Renate Schmid
6 Jahre her

Übrigens werden ankommende Flüchtlinge meist routinemäßig mit einer Thorax-Röntgenuntersuchung auf TBC überprüft – soviel zum Thema „Gesundheitsbelastung“ und „zu teuer“. Geschätze Zahl 61.000 Minderjährige halten sich derzeit hier auf und die Asylindustrie profitiert prächtig…Unfassbar!

Thomas Heck
6 Jahre her

Ich plädiere ja immer noch für die kostengünstigste Methode der Altersfeststellung. Keine ärztliche Untersuchung notwendig, keine Röntgenstrahlung. Eine simple Passkontrolle bei der Einreise klärt alles. Kein Pass, keine Einreise.

Landdrost
6 Jahre her

So so. Ein MUFL kostet 5000 EUR im Monat, soviel wird die einmalige Untersuchung noch nicht einmal kosten. Das Fraunhofer Institut hat jetzt einen Ultraschall-Scanner vorgestellt der zumindest Anhaltspunkte für weitere Untersuchungen gibt. Das muss kommen.

Michel Rieke
6 Jahre her

§ 1631d BGB
Beschneidung des männlichen Kindes

(1) 1Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. 2Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Wolfgang M
6 Jahre her

Hr. Montgomery wirft Nebelkerzen: „„Die Untersuchungen sind aufwendig, teuer und mit großen Unsicherheiten belastet“, „Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl“. Es muss nicht jeder Flüchtling untersucht werden, sondern diejenigen, die zum ersten keine oder keine glaubwürdigen Papiere mitbringen und die zum Zweiten an einem wichtigen Altersabschnitt liegen. Normalerweise ist nur jünger als 18 wichtig. Wer älter angibt, braucht nicht untersucht zu werden und wer offensichtlich ein Kind ist, auch nicht. Im deutschen Recht gibt es auch noch andere Altersstufen. Die müssen nur untersucht werden, wenn ein entsprechendes Ereignis vorliegt, z.B. bei einer… Mehr

Klaus K.
6 Jahre her

Interessant in bezug auf die ja ach so schädliche Röntgenuntersuchung zur Altersfeststellung: Mit Presseveröffentlichung vom 26.10.2017 informierte das Fraunhofer-Institut, dass es ein mobiles Ultraschallgerät zur schnellen Feststellung von Altersmerkmalen entwickelt habe!!! Fehlt nun das Geld oder eher die Absicht zur weiteren Verschleierung des tatsächlichen Alters?

Fred Müller
6 Jahre her

Man kann nur sagen: „Wo kein Wille, dort auch kein Weg“
Der Fehler liegt nicht im System, sondern hat System. Diesen jetzt den so schon überlasteten Hausärzten überhelfen zu wollen, zeigt nur, dass man sich derer Ablehnung von vorn herein bewusst war !
Und siehe da, das Fraunhofer Institut bringt die Lösung, aber niemand aus dieser Asyl-Mafia will sie.
https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2017/oktober/medica-2017-fraunhofer-zeigt-ultraschall-handscanner.html