Afrika: Mehr Grzimek, weniger Böhm?

Wie der Weiße Mann regelmäßig vom Hochgefühl seiner eigenen grenzenlosen Überlegenheit hinfortgetragen wird.

© Adam Berry/Getty Images
Development Minister Gerd Mueller (CSU)

Geben ist seliger denn nehmen. Diese Binsenweisheit, ihr einzigartiger durch nichts zu leugnender moralischer Imperativ, hat seit Menschengedenken Religionsstifter, Medizinstudenten und Dichter inspiriert. Aber die im großen Stil organisierte und finanzierte Hilfe für notleidende Mitmenschen ist noch sehr jung: erst mit dem Ende des zweiten Weltkrieges kam man auf die Idee, ganzen Völkern mit Sachleistungen oder Krediten über Engpässe bei der Versorgung oder Lücken in der Infrastruktur hinwegzuhelfen. Nach und nach, auch weil die Informationsflüsse immer besser und die Zeiten, besonders in der postkolonialen Ära, immer schlechter wurden, wuchs weltweit die Zahl der Hilfsbedürftigen. Eigene Ideologien des Helfens entwickelten sich, anhand derer man sich zu den Leiden der Welt passende Problemlösungen strickte, bzw. sich selbst Empfänger für das aussuchte, was man zu geben hatte (Kalter Krieg).

Es wurde beschlossen, dass man die armen Eingeborenen nicht in dem herzzerreissenden Zustand, in dem man sie vorgefunden hatte, belassen könne. Und so wendete der besser gebildete, besser gekleidete und vor allem besser bewaffnete Europäer seine eigenen Maßstäbe an, um jenseits der eigenen Grenzen dauerhaft Glück, Wohlstand und Gesundheit zu sichern. Zu Hause war ja alles in Ordnung, unmittelbarer Handlungsbedarf nicht gegeben …

Entwicklungshilfe, Bruder des Kolonialismus

Damit ist die Entwicklungshilfe nur der kleine neureiche Bruder des Kolonialismus und entspringt diesem fatalen und zutiefst selbstsüchtigen Glucken-Instinkt, Andere erziehen und maßregeln zu müssen. Nichts befriedigt offenbar das eigene Ego mehr, als den scheinbar Dümmeren, Ärmeren, Ungebildeteren endlich mal zu zeigen, wieviel toller man ist. Kann man da Parallelen zu den klassischen Pflegeberufen ziehen? Oder gar zum Gutmeiner und seinem ständigen Drang, die Welt zu verbessern? Es drängt sich der Begriff „Helfersyndrom“ auf, gepaart mit einem Schuss Selbstverliebtheit.

Handeln statt reden
Merkel und Afrika
Dass die Rezepte, die er in seinem westlichen Goldfischglas ersinnt, letztlich alle nur an seiner eigenen Befindlichkeit ausgerichtet sind, will der klassische „aid worker“ nie wahrhaben. Wo geht die Reise hin? Immer zu den technischen Vorzügen des EFH oder Wohnblocks europäischer Prägung. Von der Wasserspülung über die Klimaanlage bis hin zur zentralen Stromversorgung, alles nur Spielzeuge des verwöhnten modernen Industriestaats, auf dessen Ballungsräume und Bevölkerung ausgerichtet, mit der Masse der Weltbevölkerung völlig inkompatibel, mehr Schaden als Segnung.

Entwicklungshilfe. Die griffige Vokabel hat im Neusprech eine rasante Transformation durchgemacht, über die „Entwicklungszusammenarbeit“ zur „Technischen Zusammenarbeit“. Jeglicher Verdacht, dass hier Irgendjemand, Irgendetwas von außen her „besser“ gemacht werden soll, wird damit offiziell entkräftet. Es hilft aber nichts, diese Art der Besserwisserei, der Kolonialpolitik mit anderen Mitteln und bloß scheinbar anderen Zielen hat sich im Kern nie geändert.

Die britische Presse ist da nicht zimperlich, sie redet meistens respektlos von „handouts“ und prangert teure Projekte an, die u.a. klimaschädliche Gasausstöße kolumbianischer Kühe verringern sollen.

Das Drehbuch ist noch älter als die vielen Hilfsorganisationen: smarte junge Männer in Tropenanzügen springen mit Elan aus Booten an Land (v.Humboldt/Orinoco) , begrüßen sich lächelnd im Eingeborenendorf (Livingstone/Stanley) oder steigen aus geländegängigen Luxusfahrzeugen ( Merkel jüngst in Afrika), um sich anschließend mit immer gleichem Erfolg unter der Überschrift „Das Leben der Anderen“ in allen Variationen dem Experiment am lebenden Subjekt zu widmen. Diese Besuche vom anderen Stern kennen mittlerweile die meisten der Adressaten so genau wie deren Ausgang: Der weiße Mann kommt, weiß alles besser, macht in einem Feuerwerk von hektischem Aktionismus und wortreichen Belehrungen selten weniger als alles falsch und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Immerhin sind diese Besuche heute durchweg friedlicher Natur, allenfalls werden Offensiven in neue Märkte gestartet. Ausnahmen wie die Opération Serval bestätigen die Regel.

Die Eliten in den Entwicklungsländern haben gelernt, dass diese Visiten aber doch für etwas gut sind: Die eigene Bevölkerung kann den Eindruck gewinnen, dass endlich etwas getan wird, der Besuch der reichen Fremden schmeichelt dem Gastgeber, und letztlich bleibt von dem vielen Geld, das herabgeworfen wurde, ein Batzen hängen (sog. trickle-down-effect“). Oft trickelt es allerdings nicht viel weiter als bis zur Führungsschicht. Der „foreign expert“ ist eine bestens etablierte und begehrte Ressource in der dritten Welt.

Niemals aber hatten die Entwicklungshelfer so viele Fans und Geld wie heute. In absoluten Zahlen gibt Deutschland fast am meisten. Kein Jahr vergeht, in dem über die westlichen Kanäle nicht der bekannte Ruf nach einer Aufstockung des lächerlich niedrigen Entwicklungshilfe-Etats, einem kompletten Schuldenerlass oder aber rundweg der Beendigung der Ausbeutung und Unterdrückung der dritten Welt erschallt. Die Bürger der reichsten Länder quittieren diese Rufe immer öfter mit gelangweiltem Überdruss, denn die ständigen Litaneien von der weltweiten Armut nerven wie das Gebettel einer Schar Slumkinder. Das ist keine Atmosphäre, in der sich irgendetwas in den Ländern der Dritten Welt zum Besseren ändern wird. Misswirtschaft, schlechtes Regierungshandeln und Korruption werden sich mit den stumpfen Instrumenten der klassischen Entwicklungszusammenarbeit nie bekämpfen lassen.

Trotzdem tuckert der Entwicklungshilfedampfer munter weiter und stößt ab und zu nebulöse Formeln wie Klimawandel, Teilhabe und Nachhaltigkeit aus. Das alle vor allem in Afrika immer nur das Armenhaus sehen, nützt der Aid-Industry bei der Aquise, wie Fritz Goergen hier zeigt. In Deutschland wird der Löwenanteil der Arbeit im „Felde“ durch die GmbH GiZ (privatisierte Verschmelzung der früheren Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, des Deutschen Entwicklungsdienstes DED und des InWEnT, Internationale Weiterbildung und Entwicklung gemeinnützige GmbH,), der führenden der über 100 in Deutschland ansässigen Nichtregierungsorganisationen übernommen. Die GtZ hatte in den Neunzigern noch das Credo, wirkliche Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu wollen. Durch hunderte gescheiterte Projekte schlauer geworden „zoppte“  (zielorientierte Projektplanung) man teils monatelang mit großem Tross, nur um das Begehren der Zielgruppe wirklich zweifelsfrei zu klären und die technischen Fallstricke zu erkennen, erst dann wurde ein Projekt eingeleitet. Bei der täglichen Arbeit, zB. In der ehemaligen Sowjetunion, bedeutete das dann, den lokalen Partnern nicht teure Technik zu schenken, für die später noch teurere Ersatzteile in Deutschland gekauft werden mussten, sondern die Organisation bezahlte auch mal leicht vor Ort reparierbare sowjetische Steinzeittechnik. Nicht alle Hilfsorganisationen handeln heute noch so selbstlos. Vielfach entsteht der Eindruck, dass hier Geld verpulvert wird, um der eigenen Industrie Aufträge zu verschaffen oder Ladenhüter los zu werden. Nirgendwo wird das so gnadenlos offenbar wie beim „Verschenken“ von Waffen.

Noch Cecil Rhodes hatte seine eigene Auffassung, wie die eingeborenen Subjekte in seinem Staat zu behandeln seien :  „… wie die Kinder“. Das würde denen, die am Liebsten nur gebrauchte Volkswagen o.ä. auf den Schwarzen Kontinent exportieren (jährlich Zehntausende), in die Hände spielen. Nichts ist wohlfeiler, als gefährliches westliches Spielzeug ohne die erforderlichen Kontrollen (TÜV usw.) in Ländern zu verkaufen, in denen weder die Spielfelder noch die Straßen ausreichend eben sind.
Die afrikanische Landschaft, aber auch Gegenden in Asien und der arabischen Halbinsel werden weiter mit den zerfallenden Überbleibseln westlichen Übereifers verunstaltet. Ganze Fabriken, Strassen, Pumpstationen, Druckereien rotten nie wirklich geliebt, aber stets vernachlässigt vor sich hin.

Dass die große Weltpolitik Hilfe vielfach nur als Mittel zum Zweck und nach Sympathie verteilt, hilft nicht. Freilich gilt die ganz radikale Lösung, die zu Entwickelnden direkt nach Europa mitzunehmen, damit sie endlich ordentlich versorgt sind, seit der Flüchtlingskrise als zu gewagt.

Einziges Rezept: Geldhahn aufdrehen
Ursachenflucht in Fluchtursachen
Der Deutsche Entwicklungshilfeminister, dessen Namen sich Fans des FC Bayern am besten merken können, möchte dem Kontinent aber am Liebsten ein ganz neues Image verhelfen. Und obwohl er sich durch eine unbedachte Äußerung (Merke: Du bist als Redner heutzutage immer „on the record“) kurz nach der Reise der Kanzlerin fast selbst um den Rang des ehrlichen Vermittlers gebracht hätte, scheint er in seinen Anstrengungen nicht müde zu werden, nun mit noch mehr Geld (550 Mio € mehr im Jahr 2017) die Attraktivität Afrikas steigern zu wollen.

Keine noch so gute gemachte Kampagne kann aber darüber hinwegtäuschen, dass Afrika und andere Entwicklungsländer sich vor allem selbst helfen müssen. Die Europäer haben eben außer bunt bedruckten Zettelchen, die sie „Geld“ nennen und der einen oder anderen Beschäftigungstherapie für Ruheständler (Senior Expert Service aus Bonn) und teenage“volontourists“ nichts wirklich Neues anzubieten.

Heute überfrachtet man Zahlungen oder Kredite an die Dritte Welt gerne mit zusätzlichen Hoffnungen: Nicht nur, dass die Elenden sich selber helfen mögen, sondern dass sie auch da bleiben sollen, wo sie sind.

Die Mär von der „Beseitigung der Fluchtgründe“ macht die Runde. Aber irgendwie will das garstige, lästige weltweite Elend einfach nicht aus den immer wieder über die Mattscheibe flimmernden Bildern verschwinden.

Emil Kohleofen ist freier Publizist.

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Kommentare ( 18 )

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18 Comments
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Etiam si omnes, ego non!
6 Jahre her

Als Angehöriger der Generation Star Trek halte ich es mit dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten weniger entwickelter Länder. Die Anstrengungen zur technischen, vor allem aber auch zur politischen und sozio-kulturellen Entwicklung muss von Innen kommen. Allerdings schließt das auch ein, dass die wettbewerbsverzerrende EU-Subventionierung insbesondere landwirtschaftlicher Güter (Hühner, Milch, Zucker) beendet werden muss.

Tip
6 Jahre her

Ivan Illich
in Entmündigung durch Experten hatte schon in den 70iger Jahren darauf hingewiesen!

ZurückzurVernunft
6 Jahre her

Fluchtursachen bekämpfen zu wollen ohne Geburtenkontrolle in der 3.Welt ist der Mega-Populismus der Anti-Populisten-Fraktion.

bernhard hügel
6 Jahre her

egal, was an hilfe in den schwellenländern,dritte-welt ländern oder sonstwo geboten wird.ES IST SINNLOS. da sich in wenigen jahren die hilfe ver-X -fachen müßte. alle hecheln der bevölkerungsexposion um lichtjahre hinterher. irgendwann kommt der punkt off no return. dann wird die weltbevölkerung von hungersnöten, krieg, seuchen und kathastrophaler umweltzerstörung auf ein erträglichen maß zurückgestutzt werden. wann dieser kipppunkt erreicht ist weiß niemand. 8milliarden?10 milliarden ? 12 milliarden? die vorboten und anzeichen dafür zeigen sich tagtäglich.hunger, terror,krieg um alle recourcen. der sturm auf die wohlhabenden länder europas und nordamerika hat begonnen.in europa begreifen manche regierungen langsam aber sicher was auf dieser… Mehr

Pe Wi
6 Jahre her

Ja, Europäer machen vieles schlechter, als besser. Durch die Versorgung der Bevölkerung in Kriegsgebieten mit Nahrungsmitteln werden Machthaber in Afrika oder Terrorgruppen erst langfristig in die Lage versetzt, permanent Krieg zu führen, so schlimm das vielleicht auch klingt. Wir sorgen dafür, dass die Bevölkerung überleben kann. Dadurch wurden ganze Dörfer geleert, Äcker nicht mehr bestellt, weil man oft mit der Nahrungsmittelhilfe gut über die Runden kommt. Menschen werden abhängig gemacht von Care-Paketen und dadurch hilflos und zum Müßiggang angehalten. Sie sind auch Zahlungsmittel für Terrorgruppen. Mit unserer Medizin ist auch sichergestellt, dass im Prinzip fast jedes Baby überleben kann. Da… Mehr

fein_geist
6 Jahre her

Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Müller äußerte jüngst bei einer seiner lustigen „Amtsbesuche“ in Afrika: „Menschen holen sich bei uns, was ihnen gehört“

Man könnte auch sagen, die bösen weißen in EUropa wurden zur entgültigen Plünderung freigegeben. Vielen Dank, keine weiteren Fragen.

Johann Vetter
6 Jahre her

Es gibt sich selbst erfolgreich entwickelnde Länder.
Zum Beispiel in Asien:

Singapur, Süd-Korea, Taiwan.
Da gibt es einigermaßen demokratische Verhältnisse und „Religion“ und Religionsführer spielen keine große Rolle.

Herr Müller von der CSU passt allerdings auch gut in das Kabinett. Mir ist nichts bekannt, dass er Probleme mit Kollegen, wie Herrn Maas, Frau Schwesig oder der Bundeskanzlerin hätte.

NoName
6 Jahre her

Entwicklungshilfe ist so rassistisch.

(Ironie)

NoName
6 Jahre her
Antworten an  NoName

Hab ich mal lieber darunter geschrieben. In diesen Zeiten… 😉

Dorade
6 Jahre her

Entwicklungshilfe und Nothilfen haben die Überbevölkerung in den Ländern nur noch gesteigert. Füttere heute einen durch dann fütterst du morgen zehn durch und übermorgen tausend. Die Natur regelt das schon von selbst. Gleichzeitig muss man natürlich die eigenen Grenzen so sichern das wirklich nieamand mehr rein kommt den man nicht gebrauchen kann.. Aber die Entwicklungshilfe -und Flüchtlingsindustrie lebt ganz gut von ihren schändlichen Handeln.

John Galt
6 Jahre her

Minister Müller hat eine sehr eigene Weltsicht, die man eher nicht in der CSU verortet, so zitiert ihn H.M.Broder zum Thema „Migration und Gerechtigkeit: Die Menschen holen sich, was ihnen gehört“.
Offenbar ist bei Minister Müller keine Neigung vorhanden, die Interessen seiner Wähler zu vertreten oder diese auch nur vor kriminellen Begehrlichkeiten zu schützen.
Leider hinter der Paywall.
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article164739412/Menschen-holen-sich-bei-uns-was-ihnen-gehoert-Bitte.html