Ärmer werden mit Kevins SPD

Während Kevin Kühnert Bürger enteignen will, macht Sebastian Kurz sie reicher: ein aktuelles Lehrstück über Rechts und Links.

© JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Zum 1. Mai legte der Juso-Vorsitzende und ideelle SPD-Chef Kevin Kühnert in einer ZEIT-Vorabmeldung seine Pläne zur Einführung des Sozialismus in Deutschland dar, nicht schwammig, sondern sehr konkret am Beispiel der Enteignung von BMW. Der Vorschlag fand große Beachtung, anders übrigens als die fast zeitgleich vorgestellte Steuerreform, die Sebastian Kurz in Wien vorstellte. Beide Meldungen gehören zum besseren Verständnis der Gegenwart zusammen, einschließlich ihres jeweiligen Medienechos.

In dem ZEIT-Interview begründet Kühnert, warum wir alle um Enteignungen nicht herumkommen: „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“

Das trifft sogar zu.

Am Beispiel des Autoherstellers BMW exerzierte er dann durch, wie die Plünderung von Eigentum vonstatten gehen soll: „Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ,staatlicher Automobilbetrieb‘ steht oder ,genossenschaftlicher Automobilbetrieb‘ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht.“

Jedenfalls müsse die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werden. „Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt.“

In aller Regel schließt eine Kollektivierung auch aus, dass es Profite gibt, selbst dann, wenn ein Unternehmen – etwa die größte Erdöl-Förderfirma Venezuelas – auf den ersten Blick so wirkt, als wäre sie unruinierbar.

An dem von ihm gewählten Beispiel BMW lässt sich gut erklären, was reaktionäre Politik regressiver Linker heute bedeutet. Das Unternehmen hat nämlich nicht einen Eigentümer, sondern ziemlich viele. Manche davon wohnen wahrscheinlich auch in Kühnerts Nachbarschaft, der eine oder andere hatte zu Zeiten, da das gegenwärtige Führungskollektiv die SPD alten Typs noch nicht überwunden hatte, womöglich sogar sozialdemokratisch gewählt. Die Bayerische Motoren Werke AG zeichnen sich durch einen ziemlich großen Streubesitz aus – er liegt bei 53,2 Prozent. Susanne Klatten und die Familie Quandt, die meist als Eigentümer genannt werden, halten gerade 21,1 Prozent der Aktien.



An der Börse gehört die BMW-Aktie zu den langweiligen Papieren, die sich über Jahre hinweg ohne extreme Schwankungen bewegen, und eine zwar nicht gewaltige, aber zuverlässige Dividende ausschütten. Für Investoren mit großer Gewinnerwartung kommt sie deshalb nicht in Frage, dafür um so mehr für Wertpapiereinkäufer von Lebensversicherungen und Betriebsrentenfonds. Wer eine Lebensversicherung, einen Riester-Vertrag oder eine branchenspezifische Zusatzaltersvorsorge besitzt, der ist auch mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Eigner von BMW-Aktien. Und jeder Käufer eines Aktienfonds, der den Dax abbildet, sowieso. BMW gehört also schon einem Kollektiv: nämlich denjenigen, die Anteile an dem Konzern erworben haben, weil sie glauben, dass nur sie selbst sich aus dem Elend erlösen können. Wahrscheinlich sind mehr Einzelpersonen auf die eine oder andere Weise an BMW beteiligt als über das Mitgliedsbuch an der SPD.

Um die Überwindung des Kapitalismus voranzutreiben – in Kühnerts Heimatstadt Berlin ist der Kapitalismus übrigens schon so gut wie abgeschafft – will der Juso-Vorsitzende die BMW-Aktionäre also enteignen, was nur konsequent ist. Denn erst dann kann ein kevinistisches Kollektiv entscheiden, dass es BMW in dieser oder irgendeiner anderen Form nicht mehr braucht. Solange die Altersvorsorge von ein paar hunderttausend Menschen daran hängt, dass BMW noch Gewinne einfährt, solange wird das Management dafür sorgen, dass Gewinne nach Investitionen und Steuern nur an die Anteilseigner verteilt werden, und die Eigner wiederum, so kapitalistisch, so unflexibel, werden darauf dringen, dass das so bleibt. Ohne Enteignung ändert sich daran in der Tat nichts.

Und jetzt der Blick nach Wien, wo Bundeskanzler Sebastian Kurz, den Kühnert wenn nicht gerade für einen Neonazi, so doch zumindest für neonazinah hält,

seine Steuerreform für die kommenden Jahre vorstellte. Seit Anfang 2019 gilt in Österreich schon der sogenannte Kinderbonus von 1.500 Euro, der dazu führt, dass eine Normalverdiener-Familie mit zwei Kindern ungefähr ein Monatsgehalt netto pro Jahr mehr bekommt. Die neue Steuerreform sieht zusätzliche Entlastungen von 8,2 Milliarden Euro bis 2022 vor – erst durch die Reduzierung von Sozialabgaben 2019, ab 2021 auch durch die Senkung der Einkommenssteuer. Von dem ersten Schritt profitieren Arbeitnehmer, beim zweiten profitieren sie mit.

Die beiden Modelle zeigen also sehr eindrücklich den Unterschied zwischen progressistischer und reaktionärer Politik. Während Kühnert, wenn man ihn ließe, Bürger zum Zweck der Kollektivierung gern pauperisieren und wieder zu den Verdammten dieser Erde machen würde, verfolgt der rechte Kurz mit seinem noch rechterer Koalitionspartner das Ziel, ihnen mehr von ihrem erarbeiteten Geld zur Verfügung zu lassen, auf dass sie damit privat, erratisch und staatlich unangeleitet tun können, was sie für richtig halten.

Wie gut sich mit dem ersten Weg der Kapitalismus und am Ende auch der privatanarchische Konsum von Lebensmitteln und Toilettenpapier überwinden lässt, dafür bietet Venezuela derzeit eine praktische Anschauung, ein Land, in dem so genannte Collectivos im Auftrag eines Präsidenten für Ordnung sorgen, der gewissermaßen den konsequentesten Gegenentwurf zu Kurz darstellt.

Und nun zum jeweiligen Medienecho. In deutschen Medien kam Kurz’ Steuerreform nur spärlich vor, in der Tagesschau etwa nur ganz am Rande eines größeren Berichts, in dem es ausschließlich über die FPÖ und deren Streit mit einem dortigen öffentlich-rechtlichen TV-Moderator ging.

Die Tagesschau lieferte zu der Steuerreform keine eigenen Informationen, sondern verlinkte nur einen Beitrag des ORF.

Kühnerts Aufforderung zur Plünderung wurde von etlichen Qualitätsmedien fast kommentarlos wiedergegeben, jedenfalls ohne Einordnungshilfen wie „linkspopulistisch“ und „krude“, und auch ohne beigefügte Empörungstweets und Forderungen nach Parteiausschluss.

Schließlich hatte der Juso-Vorsitzende auch keine Kritik an der Imagekampagne der Bahn vorgetragen wie Boris Palmer, sondern nur vorgeschlagen, den Wohlstand in Deutschland im Zuge einer gründlichen Durchkollektivierung zu vernichten.

Am 26. Mai findet die Europawahl statt. Viele Politiker überlegen derzeit, wie sie diesen Wahlgang attraktiver für die Bürger machen könnten. Es wäre ganz einfach: Jeder EU-Bürger sollte eine Partei wählen können, deren Politiker für Brüssel und Straßburg antreten. Von den gut 62 Millionen deutschen Wahlberechtigten könnte dann jeder, der es wünscht, die Partei von Sebastian Kurz ankreuzen.

Umgekehrt stünde es jedem Polen, Italiener und sogar noch jedem Briten frei, sich für die SPD Kevin Kühnerts zu entscheiden.

Völker hören die Signale einem bekannten, wenn auch von der Kühnertpartei schon glücklich überwundenem Liedgut zufolge ziemlich gut. Es gibt also nichts zu befürchten.


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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Kommentare ( 72 )

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mlw_reloaded
4 Jahre her

Was Kühnert da eigentlich will, ist was auch die Wohnbauenteigner wollen: Niedgetriebene Umverteilung. Da hat ein Jemand aus wenig viel gemacht, oder aus nichts etwas. Mittels Innovation oder Investition, meist unter Eingehen von Risiko. Die Linken sehen darüber hinweg, sie sehen nur: Da ist ein dicker saftiger Batzen Kapital. Wie unsozial! Kollektivieren ist angesagt. Alle sollen etwas davon haben, vor allem jene, die nicht an der Schaffung beteiligt waren. Das ist nicht gerecht, das ist im Gegenteil zutiefst ungerecht. Der Sozialismus erschafft nichts, er nährt sich nur aus dem, was vor ihm kapitalistisch erzeugt wurde.

Fuerstibuersti
4 Jahre her

Um es mit Herrn Broders Worten zu sagen: „Der Kevin ist nicht grundsätzlich dumm, er hat nur sehr viel Pech beim Nachdenken.“

Skeptischer Zukunftsoptimist
4 Jahre her

Gebt den Kindern das Kommando,
sie berechnen nicht, was sie tun.
Die Welt gehört in Kinderhände..

..Greta… Kevin …
dazu noch durchgekna…. Vorstellungen der Jusos über
Abtreibung u.s.w. rücken heutzutage immer mehr
in den Focus.
Altersweisheit (Weitblick, Erfahrung, Verantwortung, Gespür),
welche über Generationen unumstritten war und als wichtiges Zahnrad für ein Funktionieren menschlicher Gemeinschaft galt, zählt anscheinend heute nicht mehr so viel- eben auch ein Zeichen einer dekadenten Gesellschaft.

Cicada3301
4 Jahre her

Wie kann man den Sozialismus am besten beschreiben?:
Gulag, Verfolgung Andersdenkender, Ermordung Andersdenkender, Unterdrückung, Unfreiheit, Armut, Hunger… Wer will sowas?
Die linke Ideologie hat noch nie funktioniert! Selbst China ist größtenteils vom planwirtschaftlichen Sozialismus abgerückt. Das sollte doch allen zu denke geben!

Bambu
4 Jahre her

Mit Riester hat sich der gute Kevin offenbar noch nicht beschäftigt. Ihm scheint nicht bewusst zu sein, dass ein Teil der Altervorsorge in Kapitalgesellschaften angelegt ist. So ist ihm auch nicht bewusst, dass er damit auch diejenigen enteignet, welche dem Plan der SPD gefolgt sind, einen Teil ihrer Altersvorsorge auf dieser Basis abzusichern.

AnSi
4 Jahre her

Jawoll! Ich würde auch lieber Salvini, Orban oder Kurz wählen wollen! Unsere verblendeten unqualifizierten Schnarchnasen braucht doch kein Mensch.

hassoxyz
4 Jahre her

Die Jusos waren schon immer deutlich radikaler und linker als ihre Mutterpartei. Kai-Uwe Benneter z.B. forderte noch Anfang der 70er Jahre eine Öffnung der SPD zu den Kommunisten. Die Jusos forderten Anfang der 80er Jahre die Verstaatlichung aller deutschen Schlüsselindustrien und den Austritt aus der NATO. Franziska Drohsel war Mitglied in der kommunistischen Rote-Hilfe und mußte sie erst auf massiven Druck der Parteiführung verlassen. Und jetzt fordert Kevin Kühnert die Enteignung von Großbetrieben und Landbesitzern. Der Unterschied zu damals dürfte sein, daß solche radikalen Positionen innerhalb der SPD inzwischen weit verbreitet, vielleicht sogar mehrheitsfähig sind. Das ist die logische Konsequenz… Mehr

Hadrian17
4 Jahre her

Eine amüsante Vorstellung … ein großer erfolgreich agierender Industriebetrieb wird verstaatlicht, die Manager hurtig durch für die anstehenden Aufgaben durchweg beruflich ungebildete, wenn überhaupt mit Studienabschlüssen versehenen Politzirkusmitglieder ersetzt. Die erste Vorstandssitzung drehte sich wohl um die Frage der ausreichenden Anzahl von Gendertoiletten in den Betrieben, die Anschaffung von Sport-BHs für die weiblichen „Werktätiger*innen“, die Einführung „moderner“ Sprache und die Bildung einer Arbeitsgruppe, welche bisher produzierten Produkte im Sinne der Klimagerechtigkeit noch im Angebot zu halten sind. Warum erinnert mich das alles immer wieder an Asterix? Empfehle die Lektüre der „Trabantenstadt“; dort wo die mit Wohnungen beschenkten Legionäre eine Eigentümerversammlung… Mehr

Bambu
4 Jahre her
Antworten an  Hadrian17

Man muss mittlerweile sogar die Frage stellen, ob überhaupt noch etwas verstaatlicht werden kann, denn die neuen irrsinnigen Umweltvorgaben der EU haben definiv das Potential die Unternehmen ganz zu vernichten

Markus Gerle
4 Jahre her

Man sollte endlich mal der Frage nachgehen, warum die Deutschen so staatsgläubig und daher anfällig für Sozialismus (unabhängig, ob National davor steht oder nicht) sind. Das habe ich so extrem noch bei keinem anderen Volk erlebt. Noch nicht einmal bei den Franzosen. Und schon gar nicht bei Völkern, die lange unter dem Joch des Sozialismus leiden mussten.

antizeitgeist
4 Jahre her

Kevin hat Probleme beim Denken.