Hart aber Fair oder härter: Lieber Mega- oder lieber Giga-Lockdown?

Bei Plasberg hält man die Frage, ob der Lockdown zu mild ist, für die einzig kontroverse Frage zu den neuen Corona-Maßnahmen. Es folgt ein ungebremstes Beschleunigungsrennen, bis die Schallmauer knallt: "Von mir aus können wir alles verbieten"; der Rest ist "antiautoritärer Kindergarten".

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Bald ist Weihnachten – Zeit, dass uns ein Panel im Öffentlich-Rechtlichen erklärt, wie das Fest zu feiern ist. „Macht zu die Tür, die Fenster auf – sieht so das Fest der Vernunft aus?“ fragt Frank Plasberg bei „Hart aber Fair“. Denn natürlich sind sich eigentlich alle schon vor Beginn der Sendung einig. Das ist bei der Besetzung auch nicht überraschend: Niedersachens Ministerpräsident Stephan Weil „diskutiert“ mit der Infektologin Susanne Herold, der Kabarettistin Margie Kinsky, der evangelischen Pastorin und lesbischen Influencerin Ellen Radke und dem „SüZ“-Journalisten Werner Bartens.

Die Rollen in dieser meinungstechnischen Einheitsfront sind klar: Margie Kinsky ist Mutter von sechs Kindern und damit für eine Teilnahme an der Sendung qualifiziert. Mit den Corona-Maßnahmen hat sie natürlich kein Problem: „Von mir aus können wir alles verbieten“ wirft sie schnell zum Beginn der Sendung ein. Damit ist der Ton auch schon gesetzt: Kritisiert werden die Maßnahmen eigentlich nur, weil sie zu spät gekommen sind. Hinterfragt wird nicht, alle sind sich einig, sich über die Feiertage gemäß der Bestimmungen einzumauern. Süddeutsche-Redakteur Werner Bartens schießt in diesem Segment den Vogel ab und nennt die Zeit des „Lockdown Light“ einen „antiautoritären Kindergarten“. Selbst Pfarrerin Ellen Radke versucht nicht wirklich, das christliche Familienfest Weihnachten zu verteidigen. Stattdessen liefert sie eine kritische Queer-Perspektive auf die Corona-Regeln. Bei solcher Besetzung hat selbst Stephan Weil Probleme, das als zu zögerlich geframte Handeln der Ministerpräsidentenkonferenz zu verteidigen.

Heft 01-2021
Tichys Einblick 01-2021: Wer schützt unsere Demokratie vor Corona?
Mit dem Argument, dass man aber auch auf die Wirtschaft Rücksicht nehmen musste, läuft der Niedersachsen-MP ins leere. Nichtmal Frank Plasberg greift es auf. Der Eintrag eines Zuschauers im Gästebuch, der sich freimütig dazu bekennt, die Coronaregeln zu missachten (Die Regierung schreibe ihm nicht vor, wie er Weihnachten zu feiern habe), wird einige Zeit später unisono mit betroffenem Unverständnis verurteilt. Danach wird der Konsens der Hardliner auch nicht weiter gestört. Im Zweifel wäre ja auch noch Dr. Herold da. Die Lungenfachärztin entgegnet jedem Funken Abweichlergeist mit dem nuancierten Argument, die- oder derjenige solle dann doch einfach mal ein paar Coronapatienten beim Sterben zusehen. „Es geht den Staat nichts an, wie ich mit der Familie Weihnachten feiere.“ – diese Aussage von Friedrich Merz sei nicht mit dem Zustand auf Intensivstationen vereinbar, erklärt sie uns. Das Totschlagargument „Wenn du mir nicht zustimmt förderst du den Tod von Menschen“ hat weiterhin Hochkonjunktur im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen.

Dann fällt Weihnachten eben mal aus 

Die beste Perfomance des Abends legte – das war relativ schnell klar – Moderator Plasberg hin. Wie er eine Runde mit kaum mehr Meinungspluralismus als in der Volkskammer eigentlich am Laufen halten konnte, erschließt sich mir Stunden nach der Sendung immer noch nicht. Sein Einspielen von Zuschauerfragen brachte immerhin sowas ähnliches wie Dissens ins Studio. Plötzlich wird auch echtes Regierungsversagen diskutiert: Warum wurden nach der ersten Welle nicht ausreichend FFP2-Masken beschafft? Warum ermöglicht man nicht mit Schnelltests ein normales Weihnachten? Susanne Herold wischt das natürlich direkt vom Tisch: Da die Tests keine hundertprozentige Genauigkeit garantieren, seien sie quasi wertlos. Man ist sich weiterhin einig, keinerlei persönliche Freiheit zuzulassen, solange auch nur ein Funken Risiko besteht. Diesen antiautoritären Kindergartenfehler hat man immerhin schonmal gemacht. Eine Zuschauerin kritisiert, man müsse sich auf der Arbeit „tagtäglich dem Virus aussetzen“, nur um dann Zuhause eingesperrt zu werden. Sie fragt: „Warum Bitteschön dürfen Gottesdienste stattfinden?“ Stephan Weil entgegnet, die Kirchen hätten gut vertretbare Angebote gemacht. Genauso wie die Gastronomen – doch warum man die trotz ausgereifter Hygienekonzepte in den Lockdown schickt, will schon wieder keiner fragen.

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Wie bereitwillig alle Anwesenden die Feiertage fast schon übererfüllten Coronaregeln unterordnen, ist frappierend. Dass die Messe zum Beispiel „mal“ ausfällt, ist für Margie Kinsky überhaupt kein Problem. Und da sie, wie sie bekundet, in Rom mit Tiberwasser getauft wurde, kann sie wahrscheinlich für Millionen deutscher Katholiken sprechen. Dass Religion immer noch ein Grundrecht ist, hatte Stephan Weil vorher schon erklären müssen. Sie hat es Minuten später schon wieder vergessen – als gute Coronabürgerin hat Kinsky wahrscheinlich auch das eigenständige Zuhören aufgegeben, nur für den (in einer ÖR-Talkshow faktisch ausgeschlossenen) Fall, dass sie etwas Maßnahmenkritisches hört. Erneut sind es in diesem Segment die Zuschauer, die Maßnahmen – und Regierungskritik in die Diskussion einbringen.

Generell ist die Linie klar: An der Pandemie haben im Zweifel nur unverantwortliche Bürger schuld. Regierungsversagen steht nicht zur Debatte – anstatt der klaren Forderung, dass der Staat Rahmenbedingungen für unsere Freiheit auch in Coronazeiten schaffen muss, ist es eben weiterhin die Pflicht der Bürger, Covid in Isolation auszusitzen, bis es verschwindet. Mal wieder besprechen fünf Gäste in freundlicher Atmosphäre, wie einig sie sich doch sind, und erteilen dem Bürger (der an der ganzen Lage ja sowieso schuld hat) nonchalant Ratschläge für das Eremitenleben über die Feiertage, dessen wahre Problematik sie alle nicht so ganz zu verstehen scheinen. Es ist ein trostloses Schauspiel: Am Ende werden Zuschauer, die Montagabends Fernsehen schauen, vom Sofa aus klügere Debattenbeiträge liefern, als alle Show-Gäste zusammen.

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Kommentare ( 55 )

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55 Comments
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Steffen Jonda
3 Jahre her

Ich bin begeistert und zuversichtlich – anders möchte ich dies nicht kommentieren.

Frank Mertens
3 Jahre her

Zuerst wieder vielen Dank an den Autor für seine Aufopferung für die Leser.
Beeindruckend ist die Weiterentwicklung des Staatsfernsehens bei der Installation und Aufrechterhaltung der Meinungsdiktatur. Die Macher des Schwarzen Kanals wären heute neidisch auf ARD und ZDF. Unkritische Propaganda vom Schlimmsten.
Die Macher scheinen keine Ehre mehr zu haben, ansonsten müssten Sie sich eigentlich schämen da Sie entgegen jedem journalistischen Kodex agieren. Der Bürger der den Mist noch freiwillig sieht und glaubt, scheint kein Gehirn mehr zu haben. Ich versuche immer noch tolerant gegenüber anders Denkenden zu sein, es fällt mir aber zunehmend schwerer.

fatherted
3 Jahre her
Antworten an  Frank Mertens

Keine Angst….immer weniger schauen zu. Die Einschalt-Quoten sind frei-erfunden. Sogar meine 85 jährige Mutter, die sich diese Diskussionen immer gern anschaute….sagt heute….das, dass alles Blödsinn ist und weder ein Erkenntnisgewinn noch ein Meinungsaustausch mehr stattfindet. Ich gehe davon aus, dass ARD und ZDF in 10 Jahren nur noch 5 Mio Zuschauer (inkl. Internet) haben werden…evtl. sogar weniger.

Dr. Rehmstack
3 Jahre her

Das ist richtig, es gibt eindeutig weniger positive Grippeabstriche aus den Sentinel Praxen (pM aus einem großen nordeutschen Labor), anscheinend gibt es eine Art Verdrängungswettbewerb unter den Viren bei begrenztem „Wirtsmaterial“.

old man from black forrest
3 Jahre her

Solche Kapazitäten wie die Lungenfachärztin kenne ich: meinem krebskranken Vater habe ich „beim Sterben zugesehen“. Ich weiß, wie qualvoll man sterben kann. Dazu gehört immer noch die Würde des Sterbenden und derjenigen, die Ihn begleiten müssen. Millionen junger Männer sind qualvoller und würdeloser auf den Schlachtfeldern gestorben als es sich diese Lungenfachärztin vermutlich vorstellen kann. Warum klagt sie nicht an, daß trotz aller bisherigen alternativlosen Maßnahmen so viele qualvoll sterben müssen? Warum zeigt sie nicht mit dem Finger auf die, die heute wie damals die Verantwortung tragen?

Hans Schmidt
3 Jahre her

„Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben und das sollten wir nicht tun.“ Mit diesen Worten versucht Angela Merkel uns vom vermeintlich todbringenden Besuch bei Opa und Oma abzuhalten. Nach den offiziellen Statistiken sind in 2020 bis heute 22.634 Menschen an oder mit Corona gestorben. 2017/2017 sind ca. 25.100 Menschen an Grippe gestorben. Warum, Frau Merkel, haben Sie damals eigentlich keinen Lockdown mit massiven Kontaktbeschränkungen verhängt, wenn doch der Schutz des Lebens abaolute Priorität hat?

Detlev Schmidet
3 Jahre her
Antworten an  Hans Schmidt

Und bitte bedenken Sie das die 22.634 schon kumuliert sind aus 2 Grippesaisons, denn eigentlich war die letzten Grippesaison im April 2020 zuende und seit Oktober läuft eine neue. Aber beim Zählen gibts dann keinen großen Reset.

Michael M.
3 Jahre her

Jeder halbwegs normal denkende schaut sich diesen Käse doch eh nicht an. Talkshows kann man wenn überhaupt nur noch bei Servus TV (Hangar 7, da war der Herr von der Süddeutschen übrigens auch schon, allerdings gab es da auch den ein oder anderen Gegenspieler und dann war sehr schnell Schluß mit dem überheblich/arroganten Getue des selbsternannten Experten) anschauen. Sobald bei ARD und ZDF das C-Wort, egal in welchem Kontext auch immer, auftaucht schalte ich um, aus oder gar nicht erst ein (das gilt insbesondere auch für die Nachrichtenendungen) und es geht mir seitdem ich so verfahre deutlich besser mit diesem… Mehr

Riffelblech
3 Jahre her

Welche Kritik erwarten wir denn bloß in einer Sendeanstalt ,die ihre Berechtigung doch ausschließlich in dem stringenten Erhalt der Zwangsbeiträge sieht.
Da könnte die Regierung Klodeckel als wirksamste Maßnahme gegen den Virus anbieten ,die würden es bedingungslos gutheißen .
Hier ist der Spruch schon richtig : nach dem Fressen kommt die Moral „ .
Mir erschließt sich eigentlich nicht ,warum TE einen solchen Trash eigentlich kommentiert und aufarbeitet.
Lasst uns einen eigenen Rundfunksender aufmachen ,suchen wir uns Verbündete in den Alternativen Medien ,ich glaube die Spendenbereitschaft wäre riesig .

macrotrader
3 Jahre her

Es ist unerträglich, wie im ÖR diese Sendungen nur noch ihre eigenen Claqueure einlädt. Diese beweihräuchern sich absolut vernunftsbefreit selbst und stehen vorauseilendend Gehorsam demonstrativ für noch mehr Verbote. So dass sich der verängstigte Zuschauer schon über das Glück von Muttis vergleichsweise laschen Lockdown freuen kann.
Wo soll das nur enden ….?

Last edited 3 Jahre her by macrotrader
Karli
3 Jahre her

Dieser Lockdown ist ein Offenbarungseid der Unwissenden. Unverhältnismäßig, unausgewogen, blind. Die Herrschaften sind nicht in der Lage, Infektionswege zu gewichten. Ich würde für jeden Infizierten mindestens 25 Parameter anonymisiert in eine Datenbank eingeben und auswerten, für KI ist das ein Klax.

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Karli

Darum geht es aber nicht.
Das, was sie tatsächlich vorbereiten, wird hinsichtlich der Wucht der Auswirkungen unübertroffen werden. Und das weltweit.

Karli
3 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Können sie das näher erklären?
Vielen Dank!

Andreas M
3 Jahre her

Lass die jaulen, das Gros der Bevölkerung sieht es offenbar eher wie der Herr, der bekannt hatte, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie er Weihnachten feiert. Nur, dass die das nicht so an die große Glocke hängen. Ein Blick in die Einkaufszentren und auf die Straßen in den letzten Tagen zeigt deutlich, was die Leute mehr fürchten: die Seuche oder die Maßnahmen einer übergriffigen Regierung.