Kein Geld mehr von den Eidgenossen

Mit der sogenannten Kohäsionsmilliarde will die Schweiz die EU geneigt und gnädig stimmen. Aber jetzt reicht’s.

Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Die Schweiz ist kein Mitglied der EU. Nach anfänglich hier und dort verbreiteter Europhorie für einen Beitritt ist inzwischen eine satte Mehrheit der Eidgenossen Auffassung: und das ist gut so. Nur die ewiggestrigen Sozialdemokraten haben das Ziel des EU-Beitritts noch in ihrem Parteiprogramm, möchten aber nicht gerne daran erinnert werden.

Selbst die Gewerkschaften in der Schweiz sind ranzig geworden, seit sie gemerkt haben, dass in der Umsetzung eines verhandelten neuen Rahmenabkommens in der Schweiz besser ausgestaltete Schutzrechte für Arbeitnehmer auf EU-Niveau heruntergefahren werden müssten. Zudem kommt es bei den immer noch wehrwilligen Eidgenossen nicht gut, wenn man sie quält. So hat die EU beispielsweise die Anerkennung der Schweizer Börse für den Handel mit EU-Papieren, eigentlich ein rein formaler Akt, nur um ein Jahr verlängert. Und droht nun damit, das auslaufen zu lassen, da es nicht genügend «Fortschritte» in den Verhandlungen über das Rahmenabkommen gebe. Ohne zu berücksichtigen, dass ein «wie du mir, so ich dir» von der Schweiz die EU-Börsenhändler viel mehr schädigen würde. Ein weiteres nicht erfülltes Begehren der Schweiz ist der freie Marktzugang ihrer Finanzdienstleister in der EU, wie er umgekehrt gewährt wird.

Ein weiterer Stein des Anstosses ist schon lange die Personenfreizügigkeit, also die unkontrollierte Einwanderung von EU-Bürgern in die Schweiz – und in ihre Sozialsysteme. Hier herrscht in der Schweiz ein nicht unüblicher Schwebezustand. Auf der einen Seite wurde von der Bevölkerung die sogenannte «Masseneinwanderungsinitiative» der Schweizerischen Volkspartei (SVP) angenommen. Sie fordert auf Verfassungsebene eine Kontrolle und allfällige Beschränkung der Zuwanderung, was gegen die von der EU zum Fundamentalrecht erhobenen Personenfreizügigkeit verstösst. Verstiesse, denn die Initiative wurde einfach gesetzlich vom Parlament nicht wirklich umgesetzt.

Nun geht es aber mal wieder ums Portemonnaie, und da ist der Schweizer empfindlich. Genauer um die sogenannte Kohäsionsmilliarde. Zum zweiten Mal soll die Schweiz über zehn Jahre verteilt 1,3 Milliarden Franken aufwerfen – für die Förderung des Zusammenhalts in der EU und von neuen Mitgliedern. Selbst ein Parlamentarier der normalerweise nicht auf Krawall gebürsteten und staatstragenden Partei FDP (liberal) meinte in der Länderkammer, im Ständerat: «Ich habe wirklich genug, gepiesackt zu werden.» Also knüpfte die Kammer ihre Zustimmung zur Zahlung an die Bedingung, dass die EU keine «diskriminierenden Massnahmen» gegen die Schweiz ergreift.

Die EU war während den ganzen Verhandlungen mit der Schweiz in der Zwickmühle, dass sie hier keine Zugeständnisse machen wollte, um auch gegenüber Grossbritannien auf dicke Hose machen zu können. Oder umgekehrt, die EU hatte Angst, dass jedes Entgegenkommen gegenüber den Eidgenossen auch von Grossbritannien eingefordert werden würde. Ein Ausdruck typischer Arroganz der Eurokraten in Brüssel, denn die Schweiz ist wirklich und bestimmt nicht Mitglied und will daher auch nicht austreten.

Der Anlass für das Gezerre ist der gleiche wie bei Grossbritannien: Die EU will für einen erleichterten Markteintritt in ihren Binnenmarkt eine ganze Reihe von Bedingungen stellen. Verständliche und absurde, die sonst in keinem Freihandelsabkommen vorkommen. Eben beispielsweise die Personenfreizügigkeit. Es kommt hinzu, dass die EU zwar der grösste Aussenhandelspartner der Schweiz ist. Sie exportierte 2017 insgesamt 49 Prozent oder für knapp 295 Milliarden Franken Waren und Dienstleistungen in die EU. Aber bereits 48 Prozent der Exporte, Tendenz steigend, gehen in die USA und nach China.

Wichtiger noch: Die Schweiz importiert aus der EU für 262,6 Milliarden. Sie hat also ein Handelsbilanzüberschuss von fast 30 Milliarden. Das bedeutet, dass jedes weitere Piesacken die EU mehr treffen würde als die Schweiz. Die zudem, pro Kopf gerechnet, Exportweltmeister ist und schon immer bewiesen hat, dass sie flexibel und schnell reagieren kann, wenn es darum geht, neue Absatzmärkte zu finden. Die sie auch nicht, wie der Exportriese Deutschland, zuvor selbst vorfinanziert.

Noch vor einem Jahr hatte die abtretende Bundesrätin Doris Leuthard dem abtretenden EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei dessen Besuch in Bern (mit der üblichen Kussattacke) zugesagt, dass diese 1,3 Milliarden «ohne Verknüpfung mit politischen Interessen» gespendet werden, also einfach ein Geschenk unter Freunden. Natürlich schwang da die Hoffnung mit, dass man mit der EU endlich einmal zu Potte käme mit den ewig andauernden Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen, mit dem alle bilateralen Beziehungen geregelt werden sollten. Aber Juncker ist bekannt dafür, dass er jede und jeden abknutscht, das hat nichts zu bedeuten.

Das zweite Problem mit der Kohäsionsmilliarde ist ihre Verwendung. Was genau bedeutet «Know-how aus den Alpen für die Karpaten», mit dem Polen beglückt werden soll? Wissen die vielleicht nicht, dass Berge steil sein können? «Eigene Kompetenzen einschätzen und die rumänische Arbeitswelt kennenlernen», ob das einen einzigen arbeitslosen Rumänen eingliedert? Tschechien wird mit einer «verbesserten Wiedereingliederung von Straftätern» beglückt, die nicht gerade als Dritt-Welt-Land bekannte Insel Malta mit der Installation eines Tomographen und der «Verbesserung der Krebsdiagnostik». Natürlich ist die Verwendung solcher üppigen Gelder in Ländern, die, nun, um es politisch korrekt auszudrücken, eine gewisse Ferne zu rechtsstaatlichen Verhältnissen und eine gewisse Nähe zu Korruption und Missbrauch haben, nicht unproblematisch.

Auch wenn die «Selbstbestimmungsinitiative» der SVP, die den Vorrang der Schweizer Verfassung vor nicht bindenden internationalem Recht festschreiben wollte, krachend an der Urne gescheitert ist (übrigens ebenso wie die Initiative, den Kühen ihre Hörner zu lassen): Wenn’s an den Geldbeutel geht, reagiert der Schweizer empfindlich. Sollte auch der Nationalrat (Schweizer Bundestag) die Auszahlung an solche Bedingungen knüpfen, dann muss der Bundesrat (die Regierung) wohl zähneknirschend darauf verzichten, 1,3 Milliarden Franken Steuergelder über die EU regnen zu lassen. Und vielleicht merken es dann die Eurokraten, die in einem morschen Gebilde sitzen, bei dem ein Mitglied gerade good-bye sagt und die immerhin drittgrösste verbleibende Wirtschaftsmacht eher unfreundlich «va fan culo», dass ein weniger überhebliches Verhältnis zur Wirtschaftsmacht Schweiz keine schlechte Idee wäre.

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Kommentare ( 14 )

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Augustiner Edelstoff
5 Jahre her

Guter Bericht, aber nicht ganz richtig, den neben der SP den „Sozialisten“ sind grosse Teile der Grünen, der FDP und der CVP im Bundesrat für einen Eintritt zur EU!
Vor allem so ungute Personen wie Johann Schneider-Ammann oder Moritz Leuenberger der immer noch im EU Parlament sein Unwesen treibt, sind eine Gefahr für die Souveränität der Schweiz.
Ihm wird nachgesagt, das er einer der Erfinder des globalen Flüchtlingspakts ist.
Dann ist da noch der WEF und die economiesuisse, zwei extreme Pressuregroups die immer für mediale Falschinformationen sorgen um die Bürger für einen Eintritt zu „begeistern“.

Mozartin
5 Jahre her

Dabei ist es ganz einfach? Personenfreizügigkeit sollte nicht als fundamentales Recht gesehen werden, sondern als transzendentales, eines, in Bezug auf das den Staaten mindestens Strukturvorgaben, temporäre Gegenmassnahmen oder im Notfall ein Veto gewährt werden sollten, wenn es eben der Wohlfahrt, dem Zukommen dieser Staaten dient und Zusammenwachsen nicht verhindert. Dafür müßte es ein europäisches „Ministerium“ geben. Ich sage mal so, mit ausreichendem brainstorming hätter der Brexit verhindert werden können und durch Leute, die nicht nur in Einbahnstrassen fahren können. Deshalb fand ich die kolportierte Bemerkung von AKK witzig und aufschlussreich, dass sie gerne Auto fahre. Sie kann also vor und… Mehr

horrex
5 Jahre her

Wunderbar!
Wie ich an anderer Stelle heute (Visegrad) auch schon schrieb:
Ein weiterer „Stein wird aus der Wand gebrochen.“
Wie meinte Oma immer:
Dummheit und Stolz wachsen auf demselben Holz.
Oder: Der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht.

Ecke
5 Jahre her

Kann das ein, dass sie eventuell Deutschland unter Merkel Regierung meinten?
„eine gewisse Ferne zu rechtsstaatlichen Verhältnissen und eine gewisse Nähe zu Korruption und Missbrauch haben, nicht unproblematisch“.

jboese2
5 Jahre her

Egal, wenn die Schweiz eine Milliarde weniger zahlt, zahlt Deutschland eben eine Milliarde mehr. Der gefrässige Moloch in Brüssel will weiter gemästet werden.

giesemann
5 Jahre her

Na ja, dann sollen die Schweizer eben ihre 30 Milliarden Überschuss woanders verdienen, von mir aus in Afrika oder sonstwo … . Die EU kann ohne den relativ kleinen Markt CH ganz gut zurecht kommen, oder? Wer macht da auf „dicke Hose“? Hoffentlich kein Hosen … .

beat126
5 Jahre her

Anzumerken bleibt vielleicht noch, dass die Schweiz ihre Waren in bar bezahlt und vor allem in einer besonderen Währung.

Harry Charles
5 Jahre her

DIE SIND SCHLAU und halten ihr Geld zusammen. Werfen es nicht für diese marode EU zum Fenster raus. Dabei sind 1,3 Milliarden ja fast noch Peanuts im Vergleich zu den Abermilliarden, die bei uns für die €-“Rettung“ vergeudet werden. Unser Land blutet aus. Statt in guten Zeiten Rücklagen zu bilden (so was gab es schon mal, sog. Julius-Türme) für schlechte Zeiten, die immer kommen. Wenn unser Land weiter so regiert wird (und so schlimm die €-Katastrophe allein für sich genommen schon ist, sie ist ja nur eine unter vielen) muss einem Angst und bange werden.

Karli
5 Jahre her

Der Schweiz geht es auch ohne Euro und EU recht gut und bei Großbrittanien wird es nicht anders sein.

BK
5 Jahre her

1 Milliarde klingt nicht viel. Bei nur 8 Millionen Schweizern, sind sie im Verhältnis zu Deutschland aber auch ein Nettozahler, und pro Kopf auf gleichem Niveau. Für mich ist es völlig unverständlich, warum Deutschland jedes Jahr 10 Milliarden an die EU verschenkt, um im Gegenzug mit osteuropäischen Arbeitskräften beglückt zu werden, die hier für ordentlich Lohndumping sorgen, und so manchem Bauarbeiter, LKW-Fahrer bereits den Job gekostet haben. Statt dessen könnte ich mir vorstellen, Kredite an andere Länder zu vergeben, um dort die Wirtschaft anzukurbeln. Aber 100 Jahre nur zahlen, und eine Billion zu verlieren, ist für Deutschland ein schlechter Deal.