Hayek und die Europäische Union

Es muss freiwillige vertiefte Zusammenarbeit dort geben, wo ein Konsens erzielt werden kann. Dieser Konsens muss nicht für alle Zeiten gelten, sondern Mitgliedsstaaten müssen ein Recht erhalten, Kompetenzen zurückzufordern.

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Friedrich August von Hayek gibt tiefe und zeitlose Anregungen, welchen Wert ein Projekt wie die Europäische Union auf der einen Seite haben kann, aber gleichzeitig auch, welche Gefahren eine solche Gemeinschaft birgt, wenn sie auf den falschen Prinzipien beruht.

In dem Aufsatz „Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse“ von 1939 schreibt Hayek im Kontext des aufkommenden Zweiten Weltkrieges von den Gefahren des nationalistischen Protektionismus, der schlussendlich in den Krieg zwischen den Völkern münden kann. Seine Lösung für die Zukunft ist eine ökonomische Union der europäischen Länder, welche als Hauptzweck die Sicherung des Friedens und die Förderung von Wohlstand durch einen gemeinsamen Binnenmarkt hat. Nicht nur der Optimismus Hayeks in solch dunkler Stunde, sondern auch die Übereinstimmungen zwischen seiner Vision für die europäischen Nationalstaaten und den tatsächlichen Leitlinien der Römischen Verträge sind erstaunlich.

So schreibt er:

„Es wird mit Recht als einer der großen Vorteile eines Bundesstaates angesehen, dass in ihm die Hindernisse für die Bewegung von Menschen, Gütern und Kapital zwischen den Staaten wegfallen und die Schaffung gemeinsamer Gesetze eines einheitlichen Geldwesens und gemeinsame Regulierung des Verkehrs möglich wird. Die materiellen Vorteile, die die Schaffung eines so großen Wirtschaftsgebietes mit sich bringt, können kaum überschätzt werden.“

In vielerlei Hinsicht dürfte die Europäische Union, zumindest in ihren Anfängen, somit in den Augen Hayeks ein Erfolgsprojekt gewesen sein. Und auch heute sollten wir trotz aller Schwierigkeiten und gerechtfertigter Kritik an der Europäischen Union nicht die Errungenschaften der Römischen Verträge vergessen, welche weiterhin das Fundament der Europäischen Union bilden: Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und die Personenfreizügigkeit.

Die EU auf dem Weg zur Knechtschaft?

Hayek skizziert allerdings nicht nur die Vorzüge einer Europäischen Union, sondern auch die damit verbundenen Probleme. So warnt er im letzten Kapitel „Ausblick auf die internationale Ordnung“ seines 1944 erschienen Klassikers „Der Weg zur Knechtschaft“ vor den Gefahren einer länderübergreifenden Wirtschaftsunion, welche er fünf Jahre vorher noch so wohlwollend beschrieben hatte. Selbst wenn nationaler Protektionismus in einer Europäischen Union überwunden würde, so sei Planwirtschaft auf einer internationalen Ebene ein noch viel größeres Übel. „Die Probleme der bewussten Lenkung des Wirtschaftsprozesses nehmen notgedrungen ein noch größeres Ausmaß an, wenn dasselbe auf internationaler Grundlage versucht wird.“

Eine politische Union kann zudem schnell zur Gefahr für alle Freiheiten werden, denn „je geringer die Übereinstimmung in den Anschauungen ist, umso mehr wird man sich auf Gewalt und Zwang verlassen müssen.“

Es gibt eine Reihe von Trends in der Europäischen Union, die als eine solche Bedrohung der freiheitlichen Ordnung gesehen werden müssen: Die Kommission, der Rat und das Parlament mischen sich in viele Einzelfragen ein und fühlen sich dafür zuständig. Unveräußerliche Bürgerrechte werden bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung beschränkt, die Dezentralität der Marktwirtschaft wird durch eine zunehmende zentrale Investitionslenkung ersetzt, der Binnenmarkt wird durch die Verschärfung der Entsenderichtlinie untergraben und die Altersvorsorge der Bürger wird durch den Geldsozialismus der EZB bedroht. Seit Jahren versucht die EU-Kommission, die Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren und die Bemessungsgrundlage für die Unternehmensteuern anzugleichen, um dann später mit einheitlichen Steuersätzen gänzlich die Unterschiede abzuschaffen. Selbst die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union dienen im Zweifel oft dem Machtzuwachs der Institutionen der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedsstaaten.

Dieser Weg, der letztlich in die Unfreiheit und Knechtschaft zu führen droht, dient einem höheren Ziel: der Vollendung des europäischen Superstaates. Es sind diese kollektivistischen Ideen, die den Gründungsmythos der europäischen Einigung gefährden und letztlich zerstören.

Will man hingegen ein Europa der Vielfalt und der Freiheit, welches Hayek wie auch den europäischen Gründervätern vorschwebte, dann braucht es einen institutionellen Ordnungsrahmen, der Recht und Freiheit gegenüber politischer Willkür schützt und sichert. Und es braucht klare Regeln, die allgemein, abstrakt und für alle gleich sind, damit sie nicht umgangen oder interpretiert werden können.

Dazu gehört auch, dass die EU Abschied vom Dogma einer „ever closer union“ nimmt und stattdessen das Prinzip der Subsidiarität wieder in den Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft stellen muss. Es muss freiwillige vertiefte Zusammenarbeit dort geben, wo ein Konsens erzielt werden kann. Dieser Konsens muss nicht für alle Zeiten gelten, sondern Mitgliedsstaaten müssen ein Recht erhalten, Kompetenzen zurückzufordern. Die Union muss flexibel und vielfältig sein. Als monolithischer Einheitsblock würde sie sich auf das Abstellgleis der Geschichte begeben, unfähig zur Anpassung, unfähig zur Entwicklung.

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Kommentare ( 26 )

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Imre
6 Jahre her

Sehe die Ideen von Hayeks seit geraumer Zeit etwas kritischer, aus mehreren Gründen. Kürzlich kam ein weiterer hinzu. Die Vorstellungen Hayeks wurden nach dem Pinochetputsch in Chile dort massiv umgesetzt, für mich keine Empfehlung! (US-Einmischung, CIA, pro echte faschistische Regierung, nicht das, was heute und hier als „Nazi“ bezeichnet wird) Nebenbei: Seit 2005 sind mir verschiedene Praxistests in D bezüglich neoliberaler Vorstellungen bekannt, die in den mir am besten bekannten Fällen statt deutlich geringeren Kosten (wie vorher beworben), eine noch deutlichere Erhöhung nach der Schlussrechnung erbrachten! (Theorie: 10% Einsparung, Praxis 37% Verteuerung!!) Dazu schwer erfassbare Kosten wegen mangelnder und nachlässiger… Mehr

Eysel
6 Jahre her

Meine uneingeschränkte Zustimmung!
Ergänzung:
Während sich die EU bemüht siehe oben …dreht sich die Welt weiter.
Neue globale Herausfprderungen/Machtkonstellationen entstehen und die EU spielt – global gesehen – keine Rolle. Beschäftigt sich – vergangenheitsorientiert – mit ihren eigenen und zu nicht geringem Teil SELBST (!!!) erst geschaffenen Problemen. Statt globale Zukunft zu gestalten ist sie aussenpolitisch „nicht zu sehen“. –

mathilda
6 Jahre her

Dazu gehört auch, dass … Franziska Giffey – Bezirksbürgermeisterin von Neukölln (dlf 08.11.): Wenn die Leute nicht gehen wollen, entziehen sie sich uns. Sie packen ihre Sachen und gehen aus dem Park raus. Im Moment haben wir die Situation, dass es dann eigentlich nur zu einer Verschiebung der Problemlagen kommt. Das ist natürlich nicht gut. Aber wir können auf der lokalen Ebene dieses große europäische Problem einer europäischen Armutswanderung nicht wirklich lösen. Wir sehen, dass immer mehr Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben aus den südosteuropäischen Ländern hier herkommen, weil das Wohlstandsgefälle so groß ist, weil das durchschnittliche… Mehr

Dozoern
6 Jahre her

Das muss kein Widerspruch sein. Das Bindeglied ist der „Totalitarismus“.

Rapsack
6 Jahre her

Bitte?
Wo zum Himmel wollen Sie hier Neoliberalismus erkennen? An welcher Stelle? Ich halte diese Äußerungen ohne Benennnung der aktuellen Beispiele nur für eine haltloses benutzen von Linken Kampfbegriffen. Wedeer liberal noch neoliberal ist irgend ein Regierungshandeln in der BRD oder EU. Im Gegenteil!

Bitte belegen Sie.

hasenfurz
6 Jahre her

Die Wurzeln der Brüsseler EU. Ist bekannt.

Königsberg
6 Jahre her

Was habe ich denn als Bürger von der EU? Millionen Jobs wurden ins billigere Ausland verlegt, Millionen meistens Osteuropäer verdrängen Deutsche vom Arbeitsmarkt, von denen es dann heißt, dass sie sich für den Job zu fein sind. Und Verträge, die man sich selbst schrieb, werden meistens sowieso nicht eingehalten. Die Krönung ist natürlich der Euro. Total super, dass wir jetzt die Umtauschgebühren an der Wechselbude sparen. Da haben wir echt was gekonnt, und zum Ausgleich wurde gleich der zollfreie Einkauf im Flieger abgeschafft. Über den Kaufkraftverlust der Einheitswärung denkt man lieber ebenso wenig nach, wie über die milliardenschweren Rettungsprogramme, oder… Mehr

Ghost
6 Jahre her

Nehmen wir mal die absurde Idee an, es käme de facto zu einer „europäischen Union“, also eine Art Sowjetunion. Ein solches Gebilde könnte nur durch ein straff-autoritäres Regime (Diktatur) formal zusammengehalten werden, wie das in der Sowjetunion der Fall war. Das ist aber glücklicherweise nicht möglich, ist völlig irreal. Schon das artifizielle „Geld“, der Euro, bringt Probleme, weil die Länder eben zu unterschiedlich sind bezüglich Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.
Aber es gibt immer noch Euromantiker und Eurokraten, die nicht nur Luftschlösser bauen, sondern sogar in ihnen wohnen.

Eysel
6 Jahre her
Antworten an  Ghost

Mir gefällt die Analogie!!!

GermanMichel
6 Jahre her

Was braucht es außer echtem Kapitalismus und Markt auch für die Finanzwirtschaft?
2008 hätte dann die Stunde aller Hasadeure geschlagen, sowohl auf Gläubiger als auch auf Schuldner (und erst recht auf Politiker) Seite.

Danach hätten wir einen bereinigten Markt gehabt mit neuen vorsichtigen Akteuren.
Stattdessen totaler Triumph der Finanzkriminellen mit ihren gigantischen Geschäfte n zu Lasten Dritter (der Sparer und Steuerzahler).

hasenfurz
6 Jahre her

„Es gibt eine Reihe von Trends in der Europäischen Union, die als eine solche Bedrohung der freiheitlichen Ordnung gesehen werden müssen“ Das nenne ich mal eine gepflegte Untertreibung! Die Brüsseler EU wurde von nicht sehr humanistischen Leuten nur geschaffen, um den großen Konzernen den korporatistischen Durchgriff auf das Leben und die Portemonnaies von Hunderten Millionen Bürgern zu ermöglichen, und sich mit Patenten und Verflechtungen eine gigantische Monopolstellung zu sichern. Damals als das geplant wurde, war die IG Farben der größte Pharmakonzern der Welt, und das Kapital streckte begehrlich seine Finger nach den endlos sich bietenden Möglichkeiten. Kann man alles, über… Mehr