Eucken: Sein Erbe verblasst

Wenn die Kanzlerin davon spricht, dass die traditionelle Rolle des Staates, der Leitplanken setze, sich sonst aber aus der Wirtschaft heraushalte, so nicht mehr funktioniere, und daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft verlange, dann maßt sie sich ein Wissen an, das sie nicht hat.

Alfonso Fuentes/AFP/Getty Images

Die Kanzlerin verständigt sich mit dem französischen Präsidenten über eine Industriepolitik der EU. Der Wirtschaftsminister sinniert über eine „Nationale Industriepolitik 2030“. Der Staatssekretär im Finanzministerium fädelt im Verborgenen die Fusion zwischen Deutscher Bank und Commerzbank ein. Und selbst der Bundesverband der Industrie fordert, in bester Erinnerung an die korporatistischen Zeiten der Weimarer Republik,  eine Industriestrategie EU gegen die vermeintliche Übermacht aus China und den USA. Wenn all das zusammenkommt, dann ist es spätestens Zeit, einmal die derzeitige Verfassung unserer Wirtschaftsordnung zu betrachten. Sind wir auf dem richtigen Weg oder längst auf Abwegen? Wenn man diese Frage beantworten will, dann reicht es nicht, nur auf die aktuellen Wirtschaftszahlen zu schauen. Denn Wirtschaftspolitik beeinflusst nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft.

Walter Eucken hat dazu bereits in den späten 40er Jahren sechs konstituierende Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung aufgestellt, die heute noch herangezogen werden können, um die Situation der Wirtschaftspolitik in Deutschland und in der EU zu beurteilen.

Erstens: Der Primat der Währungspolitik im Sinne einer Geldwertstabilität. Die Geldwertstabilität ist nur auf der ersten Blick gewahrt. Die Nullzinspolitik der EZB hat fatale Nebenwirkungen. Zwar sind die offiziellen Konsumentenpreise einigermaßen stabil, jedoch fließt das billige Geld in die Vermögensgüter und sorgt dort für Inflation. Die Aktien- und Immobilienmärkte boomen seit 2009. Durch die verzerrende Wirkung der Nullzinspolitik verlieren die Akteure im Wirtschaftsprozess die Orientierung. Der Zins als Lenkungsinstrument fehlt. Unrentable Investitionen rentieren sich plötzlich, Unternehmen, die unter normalen Zinsbedingungen längst vom Markt verschwunden wären, überleben und hängen am Tropf des billigen Geldes.

Zweitens: Offene Märkte: Nicht nur Donald Trump schottet sich ab, sondern Deutschland und die EU auch. Die EU hält ein umfangreiches Zollregime aufrecht, die deutsche Regierung will nationale Champions fördern und Technologieunternehmen von einer ausländischen Übernahme „schützen“. Alles das widerspricht offenen Märkten. Wer eine Wirtschaftspolitik der offenen Märkte vertritt, baut Schranken ab. Wer für Freihandel ist, orientiert sich am Konsumenten, der souverän entscheiden kann, was und von wem er etwas erwirbt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Ware oder Dienstleistung von einem chinesischen, amerikanischen oder schwäbischen Unternehmen stammt. Einzig und alleine der Konsument entscheidet nach seinen Präferenzen.

Drittens: Privateigentum: Die enteignende Wirkung der Energiewende nach dem Ausstieg aus der Kernkraft und jetzt auch aus der Braunkohlenutzung lässt Vertrauen in private Investitionen schwinden. Zustimmungsvorbehalte der Regierung für Beteiligungen ausländischer Unternehmen an heimischen Unternehmen verunsichern Investoren. Die Diskussion über die Enteignung von privaten Wohnungsunternehmen in Berlin, und die Beschränkung des Nutzungsrechtes durch Milieuschutz und Mietpreisbremse sind ebenfalls tiefe Eingriffe in die Eigentumsordnung.

Viertens: Vertragsfreiheit: Die Verschärfung der Entsenderichtlinie in der EU zerstört den gemeinsamen Markt für Dienstleistungen in Europa. Wenn Unternehmen für grenzüberschreitende Dienstleistungen den am Erbringungsort zu zahlenden Tariflohn zugrunde legen müssen, dann führt das nicht nur zu einer überbordenden Bürokratie und zu einer Einschränkung der Vertragsfreiheit von beiden Seiten durch Dritte, sondern es ist auch eine subtile Form des Protektionismus innerhalb der EU. Das Antidiskriminierungsgesetz führt dazu, dass Arbeitgeber nicht mehr die Personen einstellen können, die sie präferieren. Die Vertragsfreiheit wird vergesellschaftet.

Fünftens: Haftung: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen, so Eucken. Weder in der Euro-Schuldenkrise seit 2010 ist dies der Fall gewesen, noch ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses Prinzip künftig stärker durchgesetzt wird. Die mögliche europäische Einlagensicherung oder die von Olaf Scholz präferierte europäische Arbeitslosenversicherung sind das glatte Gegenteil des Haftungsprinzips. Aber auch der 2015 geschaffene EU-Fonds für Strategische Investitionen (EFSI), der unter dem Stichwort „Juncker-Fonds“ das Wirtschaftswachstum in der EU ankurbeln sollte, ist ein tiefer Verstoß gegen Euckens Prinzip. Für rund 21 Milliarden Euro und seit 2018 mit 33,5 Milliarden Euro versucht die EU private Investitionen in der Größenordnung von 315 bzw. 500 Milliarden Euro anzuregen, indem die öffentliche Hand Haftungsrisiken für private Investoren übernimmt. Der Europäische Rechnungshof hat gerade ein verheerendes Urteil über die Wirkung gefällt.

Sechstens: Konstanz der Wirtschaftspolitik: Hier ist wohl das größte Sündenregister angesiedelt. Wer aus wichtigen Technologien, wie der Kernkraft oder der Braunkohle, von heute auf morgen aussteigt; wer die Übernahme von Unternehmen verhindert; wer mit Zöllen auf Zölle reagiert, der kann nicht auf Vertrauen in die Wirtschaftspolitik setzen. Gerade große Investitionen brauchen Planungssicherheit. Die „Konstanz der Daten“ wie es Eucken bezeichnet, ist entscheidend für das Vertrauen in die Zukunft. Dies gilt für die Währungs-, Handels-, Steuer- und Lohnpolitik. Wer daran Hand anlegt, legt die Hand an unser Wirtschaftssystem.

Wenn die Kanzlerin davon spricht, dass die traditionelle Rolle des Staates, der Leitplanken setze, sich sonst aber aus der Wirtschaft heraushalte, so nicht mehr funktioniere, und daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft verlange, dann maßt sie sich ein Wissen an, das sie nicht hat. Aber nicht nur sie, auch ihr Wirtschafts- oder Finanzminister haben dieses Wissen nicht. Dieses Wissen hat niemand. Wer mit großen Augen dennoch nach Asien schaut, den mag man an die 1980er Jahre erinnern, als schon einmal so eine Diskussion in Deutschland geführt wurde. Die übermächtige japanische Auto- und Technologieindustrie war äußerst erfolgreich. Damals schauten alle nach Japan. Das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI) und die Japan AG waren das große Vorbild deutscher Industriepolitiker. Heute ist Japan immer noch erfolgreich, aber die jahrzehntelange Marktabschottung, die Nullzinspolitik und die überbordende Verschuldung haben ihre Strahlkraft selbst bei den Ingenieuren der Wirtschaftspolitik verloren.

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Kommentare ( 35 )

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maenner
5 Jahre her

Soweit ich weiß sind es 7 konstituierende und 4 regulierende Prinzipien die Walter Eucken aufgestellt hat. Das wichtigste, nämlich ein funktionsfähiges Peissystem vollständiger Konkurrenz herzustellen wurde vergessen

Bernd Geiss
5 Jahre her

Diese Woche habe ich eine Doku über die Firma Volk aus dem Breisgau gesehen. Die Firma Volk baut weltweit Hunderte von Wasserkraftwerken, dies aber nur neben bei. Der Chef dieser Firma sagte einen Satz der genau das beschreibt was in Deutschland geht bzw. nicht geht. Zitat: “ Würde heute die Eisenbahn erfunden, würde in Deutschland nie ein Zug fahren“.

ludwig67
5 Jahre her

Die segelt gedanklich schon nach Jamaika u d möchte sich durch solche Kleinigkeiten nicht vom Mainstream Kurs abbringen lassen.

Nibelung
5 Jahre her

Zwei vermeintliche Helden kurz vor dem Abgang, händchenhaltend in der Bussi-Bussi-Gesellschaft, damit es nicht so weh tut, aber die logische Konsequenz ihres fatalen Wirkens ist und das ist gut so und demzufolge wirken die landesspezifischen Oppositionen schon, denn sonst würden sie in alter Arroganz weitermachen, aber da scheint ihnen zumindest innerlich schon das Lachen vergangen zu sein, denn abtreten müssen ist die eine Sache, unter welcher Bedingung die andere und das ist das peinliche am Ende ihres Wirkens, gegönnt sei es ihnen, denn sie haben auf die Bürger und auf das Land auch keine Rücksicht genommen.

Cojo Tee
5 Jahre her

Frau Merkel: Was es nicht (mehr) gibt, kann auch nicht funktionieren. Wenn man dann mehr vom Bestehenden (was ja nicht funktioniert) will, dann zeugt das Dummheit, Ahnungslosigkeit oder Absicht. In Ihrem Fall frage ich mich, ob es nicht von allem zeugt.

Hoffnungslos
5 Jahre her

Die Mehrheit der Deutschen folgt ihrer Führung wie eh und je. Wer bei uns die Führung erobert hat, kann offensichtlich machen, was er will. Das Volk folgt. „Führer wir folgen“ gilt nach wie vor. – Also auf in die nächste Katastrophe!

Th.F.Brommelcamp
5 Jahre her

Wer den Markt mit subventionierten Waren, wie die EU und China, überschwemmt, handelt unfair. Wer sein Land und den freien Markt dagegen schützen will, handelt fair.
Wer das abschotten nennt, steckt in Gedanken schon tief im Sozialismus. Wieder weden Opfer zu Täter ausgerufen.

Klaus Reichert
5 Jahre her

Der Euro war nicht Lehre genug. Wirtschafts- Finanz- und Sozialpolitik müssen auch noch gleichgeschaltet werden. Deutsche Steuereinnahmen, Bankenrücklagen und private Ersparnisse werden auf Europas Süden verteilt. Dort, wo die privaten Haushalte heute schon höhere Einkommen und Vermögen haben, als wir, wo nur den Staaten das Geld fehlt, nicht den Bürgern, wird unser Geld dringend gebraucht, damit die Regierungen ihren Wählern Zumutungen ersparen können. Und sie werden nicht damit aufhören, weil wir nicht protestieren.

Thorsten
5 Jahre her
Antworten an  Klaus Reichert

Solange die Wähler diesem Treiben kein Einhalt gebieten wird es weiter gehen.

Eigentlich eine Steilvorlage, dass FDP und AfD massiv Wähler gewinnen und gemeinsam regieren können.

Biskaborn
5 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Die FDP möchte ich eher nicht in einer Regierung sehen, längst Links- Grün durchdrungen ohne eigenes Profil. Hier sehe ich eher eine Verbindung CDU/CSU, deren verbliebene konservativen Kräfte, mit der AfD. Letztere erhält allerdings keine Medienpräsenz um ihre Kompetenzen dem Wähler vorzustellen. Also bleiben nur die, die die deutsche Industrie gerade an die Wand fahren. Der Wähler merkt es nicht einmal wie wir bei den kommenden Wahlen leider beobachten werden.

Jo_01
5 Jahre her

Vorwärts in den neuen Sozialismus. DDR 2.0 ist jetzt angesagt und keiner – okay: fast keiner – regt sich auf. Die Massen sind so verblödet worden, dass sie, Lemmingen gleich, sich mit allem was Berlin, Paris, Brüssel sagen und Ihnen von unseren Qualitätsmedien als die allein seeligmachende Wahrheit aufgetischt wird, glauben und mitmachen. Ich habe als Ossi die DDR 1.0 erlebt und 1990 die Details der Marktwirtschaft gelernt. Es war und ist bis heute das einzige Modell, dass langfristig funktioniert – sofern es eine flankierende Sozialkomponente verordnet bekommt. Was auf uns zukommt ist gleiche Armut für 99% und wie Sozialismus-Experimente… Mehr

Gustl
5 Jahre her
Antworten an  Jo_01

Sie sind kein Nazi, aber Gott sei Dank bei klarem Verstand.

Edu
5 Jahre her

„…..dann maßt sie sich ein Wissen an, das sie nicht hat.“ Sie irren, die Frau ist in der DDR sozialisiert worden, 5 Jahrespläne durch die Regierung Usus. Das kennt sie gut und hat es wie einiges andere verinnerlicht. Was macht sie anderes als Pläne DDR-like: Anzahl E-Autos bis.. , Energiewende Erneuerbare bis…, Kohleausstieg bis.. etc., Die Fehler sind analog DDR- Stromleitungen vergessen, Infrastruktur für E-Autos, Notfallplanung bei BlackoutHochgelobt die sozialistischen Erfolge durch Schwarzen Kanal und Neues Deutschland (heißen jetzt etwas anders bei uns). Mit sozialistischen Gruß, gute Nacht.