Sind Impfgegner so gefährlich wie Ebola oder Klimawandel? 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt neuerdings Impfgegner zu einer gemeingefährlichen und globalen Bedrohung wie Luftverschmutzung, Klimawandel und Ebola. Aber die Diskussion übersieht die eigentlichen Gründe für die Haltung der Impfgegner. 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin kein Impfgegner. Ich habe alle üblichen Impfungen bekommen und empfehle auch jedem, es ebenfalls zu tun. Die WHO erklärt gar Impfgegner als globale Bedrohung. Trotzdem will ich hier auf einen Zusammenhang aufmerksam machen, der in der Diskussion bisher weitgehend übersehen wurde.

Die eine Seite argumentiert, dass Impfungen hochwirksam sind und belegt das mit einer erdrückenden Anzahl an beobachteten Fakten. Die andere Seite fügt hinzu, dass Impfungen auch Nebenwirkungen haben und dass diese Nebenwirkungen schlimmer seien als der Nutzen der Impfung. Um diese beiden Positionen zu verstehen, stellen Sie sich bitte zwei Szenarien vor:

  1. Sie reisen in ein Gebiet, in dem Pocken weit verbreitet sind. Würden Sie sich impfen lassen?
  2. Sie können eine Impfung gegen Grünosie bekommen. Grünosie ist eine erfundene Viruserkrankung, die es nicht gibt. Würden Sie sich impfen lassen?

Einmal angenommen, Sie sagen bei der Grünosie-Impfung lieber nein, dann räumen Sie damit implizit ein, dass jede Impfung unerwünschte Nebenwirkungen hat. Im besten Fall verschwenden Sie Ihre Zeit, im etwas schlechteren Fall bekommen Sie eine Infektion bei der Impfung und im ganz schlechten Fall verunglücken Sie auf dem Weg zum Impfarzt und sterben. Jedenfalls hat die Grünose-Impfung offensichtlich mehr Nach- als Vorteile – einfach deshalb, weil sie keine Vorteile hat.

Damit man die Nachteile auf sich nimmt, muss es also eine hinreichend große Hauptwirkung geben. In einer Pockenregion ist das fast immer der Fall. Was aber, wenn es gar keine Pocken mehr gibt? Dann lohnt sich natürlich auch eine Pockenimpfung nicht mehr.

Ob sich eine Impfung lohnt, hängt somit davon ab, wie viele andere es getan haben. Wenn alle anderen geimpft sind und die Wahrscheinlichkeit, auf einen Erreger zu stoßen, vernachlässigbar klein wird, dann lohnt sich die Impfung nicht mehr, auch wenn sie prinzipiell wirksam ist. Dieser Zusammenhang bleibt auch dann richtig, wenn man völlig falsche Gründe nennt, weshalb man nicht zur Impfung geht. Man kann sich jetzt einreden, Impfungen führen zu Autismus oder seien ein Mittel, um Abhöreinrichtungen in die Blutbahn einzubringen – denn eine richtige Entscheidung bleibt richtig, auch wenn sie falsch begründet wird.

Die Entscheidungssituation zur Impfung ist keineswegs die, die von den Ärzten behauptet wird; stattdessen ist die Entscheidung zweidimensional (die Zahlen in der folgenden Tabelle sind „Nutzenpunkte“ zur Veranschaulichung; je höher der Wert, desto besser):

Tatsächlich hat eine Impfung zwei Wirkungen: Erstens schützt sie einen selbst vor den Erregern und zweitens verringert sie die Zahl der vorhandene Erreger und schützt damit auch andere. Wenn in einer Population wenige Personen geimpft sind, dann ist der Haupteffekt der Schutz für einen selbst. Wenn aber bereits sehr viele geimpft sind, dann wird der Schutz für andere immer mehr zum Haupteffekt. Mit seiner Impfung schafft man ein „öffentliches Gut“.

Um sich in einer solchen Situation zu entscheiden, zieht man das Nash-Gleichgewicht heran. Es ist das heutzutage am weitesten akzeptierte Kriterium für rationales Verhalten. Im diesem Nash-Gleichgewicht wird es in einer Population rationaler Entscheider immer eine gewisse Zahl an Nichtgeimpften geben, zumindest dann, wenn sich die einzelnen Individuen frei entscheiden können. Im Gleichgewicht haben dann Impfbefürworter und -gegner exakt gleich viel recht, d.h. beide Verhaltensweisen führen zum gleichen Nutzen für den Einzelnen.

Wenn sich Impfgegner nicht impfen lassen wollen, dann ist das im gegenwärtigen Zustand bei vielen Erkrankungen individuell völlig rational: Wenn ihre Zahl klein ist, dann verhalten sie sich so, wie es die Spieltheorie vorhersagt. (In dem Beispiel oben liegt das Gleichgewicht bei einem Prozent Ungeimpfte; für reale Krankheiten müssten man natürlich die „Nutzen“-Werte durch medizinische Untersuchungen empirisch ermitteln.)

Tatsächlich sind Impfgegner aber zu gewissem Grad Trittbrettfahrer: Sie überlassen die Last der Impfung den anderen und ruhen sich in der sicheren Welt aus, die die anderen geschaffen haben. In gewisser Weise handeln sie wie Umweltschützer, die angeblich alle Kraftwerke abschalten wollen, das aber ohne jede Gefahr für den eigenen Wohlstand behaupten können, weil andere die Drecksarbeit machen und die Versorgung ihres Haushalts mit Strom sicherstellen.

Impfgegner mögen also verschrobene Argumente bringen, aber im Ergebnis handeln sie individuell völlig rational. Allerdings erzeugen sie einige gravierende Probleme: 1. Sie erhöhen die Gefahr für diejenigen, die sich aus anderen Gründen nicht impfen lassen können (z.B. Personen, die eine allergische Reaktion auf dem Impfstoff zeigen). 2. Man merkt über lange Zeit hinweg nicht, falls der Anteil der Ungeimpften schleichend immer höher wird. Das geht so lange gut, bis auf einmal wieder eine Seuche ausbricht. Danach wird es ein steiniger Weg, die Erreger wieder einzudämmen; ein Weg mit vielen Kranken und Toten. 3. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Impfgegner gegenseitig begegnen ist viel höher als bei einer zufälligen Durchmischung der Population. Auf diese Weise kann die „Sekte der Impfgegner“ ein Herd für den Ausbruch einer Seuche sein – was übrigens tatsächlich schon geschehen ist.

Und deshalb ist in vielen Fällen eine allgemeine Impfflicht die beste Lösung.

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Kommentare ( 45 )

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Rosenkohl
4 Jahre her

Der Artikel ignoriert die kritische Schwelle der Herdenimmunität, die für hochinfektiösen Krankheite bei ca. 90% liegt. Bei Infektionskrankheit, gegen die es eine relativ wenig riskante Impfung gibt, wie z.B. Masern liegt das Nash-Gleichgewicht der Impfrate kurz oberhalb der kritischen Schwelle. Denn wenn stattdessen so wenig geimpft wird, daß die kritische Schwelle unterschritten wird, dann steigt die Zahl der Erkrankungen schnell stark an bis in die Größenordnung der Zahl der Nichtimmunisierten, und es wird nützlicher sich zu impfen. Wenn dagegen so viel geimpft wird, daß die kritische Schwelle zu weit überschritten wird, dann gibt es nur noch etwas mehr Erkrankungen als… Mehr

horrex
4 Jahre her

Die Frage ist, ob sie epidemiologisch/medizinisch eindeutigen Fakten eher Glauben schenken oder Einzelfall-Zitaten und ideologisch geprägter Naturwissenschaftlichlkeits-Feindlichkeit. –
Dem Paul Ehrlich Institut das lange vor (und nach) jeder Zulassung eine klare und sehr überprüfbare nachvollziehbare Abwägung trifft, oder Schauermärchen von grün-veganen Fortschrittverweigerern, Verunsicherern und Panikschürern die „Ammenmärchen“ verbreiten. –

horrex
4 Jahre her

Danke für den sachlichen Artikel. Ebenso für die – zwingende – Conclusio! Jahrzehnte ist es her, das Theme „Impfgegner“ war noch garkeines, dass ich einen Vortrag eines Epidemiologen hörte. Er rechnete anhand ganz konkreter Zahlen/Beispiele vor, wie die Nutzen/Schadensbilanz von Impfungen aussieht. Ganz nach Erreger, ganz nach Ingektiosität (usw.) unterschiedlich, aber in jedem(!) Fall und deutlich(!) positiv. Rechnete vor, wieviele tote und behinderte Opfer die Warner mit ihren Warnungen „produzieren“. – Er endete NOCH deutlicher als Herr Riek mit seiner Conclusio „Inpfpflicht“. Der Epidemiologe beendete seinen Vortrag mit der Aufforderung an die Staatsanwaltschaften wegen „Anstiftung zum Mord“ + „gemeinschaftlichem Mord… Mehr

Michael Theren
4 Jahre her

als es einmal m.E. als notwendig erschien habe ich mir einen Impfstoff aus den USA „besorgt“ (FDA Zulassung, ohne Adjuvanzien, sonstige Erreger, Schwermetalle,, Formaldehyd usw.), alles was es in Deutschland gab, würde ich meinen Tieren noch nicht einmal geben, geschweige denn meinen Kindern oder es selbst einnehmen…
Unsere hiesige Wissenschaft ist auf dem Niveau der Klimaretter verkommen, für die USA, China und Indien sind wir ein risikofreier Absatz- und Testmarkt a la 3. Welt –
Dank an unsere Regierung, Dank an unsere Parteien, Dank an deren Wähler

Michael Theren
4 Jahre her

Danke für das auf den Punkt bringen! Dazu kommen dann noch die Adjuvenzen (Wirkstoffvergrößerer), was ihm Krieg und Notfall evt. sinnvoll wäre, wird aus Kostengründen (?) routinemäßig in die (Klein) Kinder injiziert (dann auch noch für imaginierte Krankheiten; Vogelgrippe und Co.), Squalen z.B. ist oral verabreicht und durch den Verdauungstrakt gepuffert recht nützlich, direkt in der Blutbahn (da reicht auch subkutan völlig) aber hochproblematisch…. Kaum ein Mediziner versteht die Biochemie auch nur im Ansatz, gut daß es noch einige Eltern mit einem gesunden Bauchgefühl gibt. Und wenn in meiner Schule ständig seltsame Krankheiten auftreten, dann vergifte ich nicht mein Kind,… Mehr

Bexs
4 Jahre her

Ich teile die Meinung des Autors nicht. Die Behauptung das Impfungen schützen ist eine der größten Lügen (Irrtümer) der Menschheitsgeschichte. Natürlich hört sich die Geschichte toll an. Man verabreicht tote oder abgeschwächte Erreger und das Immunsystem wird dadurch an den Erreger „angelernt“ und man ist immun. Schöne Geschichte. Dumm ist nur, dass unser Immunsystem so nicht arbeitet. Die großen „Erfolge“ sind nichts anderes als Lügen und Statistiktricks. Beispiel Polio. Diese „Epidemien“ ist in Wirklichkeit eine Vergiftung des Nervensystems durch Pestizide (DDT). Was sich da im letzten Jahrhundert abgespielt hat ist spannender als ein Krimi. Man schon diese Vergiftung einem „Virus“… Mehr

Michael Theren
4 Jahre her
Antworten an  Bexs

steht außer Frage, die Frage ist nur warum zeigen manche Menschen Symptome und manche nicht, die Virenexposition ist bei Vielen gegeben, aber nur manche werden zum Opfer

JBN
4 Jahre her

1+ vielen Dank für Ihren Kommentar.

Albert Pflueger
4 Jahre her

Wie man nach allen Erwägungen zu einer allgemeinen Impfpflicht kommen kann, erschließt sich mir nicht. Warum soll die Abwägung nicht individuell erfolgen? Das Risiko der Fehleinschätzung muß jeder selbst tragen, bzw. Eltern für ihre Kinder. Wer an der Waldorfschule ist, sollte sich zum Selbstschutz besser impfen lassen. Für den, der den Umgang mit vielen geschenkten Menschen nicht vermeiden kann, gilt das Gleiche. Aber ein Almöhi braucht den Impfschutz sicherlich nicht so dringend. Ich lebe in der Großstadt, meine Kinder sind geimpft. Auch gegen Borreliose. Ich habe die „Kinderkrankheiten“ alle gehabt, aber gegen Pocken, Polio, Tetanus, Tuberkulose, Diphterie wurde ich immunisiert.… Mehr

horrex
4 Jahre her
Antworten an  Albert Pflueger

Haben sie den Artikel überhaupt gelesen?

Roland Mueller
4 Jahre her

Man kann Impfungen auch dadurch überflüssig machen, in dem man verhindert, das in Deutschland schon lange ausgestorbene Infektionskrankheiten erneut eingeschleppt werden. Das Mittel heißt wirksamer Grenzschutz zusammen mit sinnhafter Asylpolitik. Davon kann aber leider keine Rede sein.

pcn
4 Jahre her

Rückfrage: Ich habe nicht aus Ihrem Kommentar entnehmen können, warum es keine Einfach-Impfstoffe gibt. Warum es eine Kombination von verschiedenen Erregern sein muss/soll. Bin kein Arzt.