„National“ und „sozialistisch“: Die unheimliche deutsche Sehnsucht

Nach den Sonntagswahlen wird unisono der „Rechtsruck“ beklagt. Dabei paaren sich nur sozialistische und nationalistische Sehnsüchte.

© imago Images/IPON

Auch wenn die AfD am Sonntag weder in Brandenburg noch in Sachsen zur stärksten Partei gewählt wird: Die Erschütterung über das starke Abschneiden der neuen Ostpartei wird den Wahlabend und die Rezeption in den kommenden Monaten beherrschen. „Der Osten driftet immer weiter nach rechts“, wird zum beherrschenden Narrativ. Weil die AfD trotz ihrer Stärke beim Wähler nicht in Regierungsverantwortung kommen darf, wird eine informelle Allparteien-Koalition aus CDU, Linkspartei, Grünen, SPD und FDP (sofern die beiden Letztgenannten überhaupt die 5%-Hürde überwinden) genau das zu verhindern wissen. Vor allem die Grünen, die nach der AfD am Sonntag am deutlichsten gewinnen, dürften mit moralischer Inbrunst („Wir überlassen Brandenburg und Sachsen doch nicht den Rechten!“) in Dresden mit der Union und in Potsdam mit der SPD regieren – nicht allein jeweils, sondern in einer Dreier- oder gar Vierer-Koalition. Obwohl der AfD mit der „Nazi-Keule“ nicht beizukommen ist, weil sich unter den inflationär gebrauchten Schmähbegriff Hunderttausende ihrer Wähler gerade nicht subsumieren lassen, wird der abgedroschene Reflex in der gesellschaftspolitischen Debatte weiter fleißig genutzt. Und viele erst recht zur trotzigen „Man wird ja wohl noch sagen dürfen. Dann bin ich halt ein Nazi!“-Replik verleiten.

Vielleicht sollte man 30 Jahre nach dem Fall der Mauer einmal hüben wie drüben eine offene Debatte darüber führen, warum sich viele Ostdeutsche als Opfer der Vereinigung fühlen und in diesem Gefühl äußerst erfolgreich von der AfD abgeholt werden. Wie man es nicht macht, demonstriert der aktuelle SPIEGEL mit seiner Cover-Story „So isser, der Ossi“. So züchtet das Wessi-Magazin vor allem Ressentiments. Als ob da, wo einst die DDR war, die AfD bereits unbesiegbar sei.
Viel zu kurz kommt in der westdeutschen Rezeption der Wende, dass Millionen von Menschen im Osten nach der Nazi-Diktatur nahtlos in einer kommunistischen Diktatur gelandet sind. Bevormundung und Unterdrückung prägten mehr als zwei Generationen in Ostdeutschland. Wie soll sich dort in einer knappen Generation ein demokratisches Selbstverständnis entwickeln, für das auch der Westen einige Jahrzehnte brauchte? Autoritative Einstellungen, die Sehnsucht nach einem starken Staat, die Angst vor Überfremdung, Antisemitismus und Rassismus sind tief verwurzelt. Selbst die kritische Aufarbeitung des Holocaust, die im Westen erst nach mühsamen und langen Verdrängungsjahren in einer kollektiven Erinnerungskultur mündete, die Teil der Staatsräson geworden ist, unterblieb in der sozialistischen DDR. Denn der Faschismus war ja im Westen zu Hause.

Geht Marx nicht, dann Gramsci
Zivilgesellschaft – ein Leitbild?
Direkt nach der Wende herrschte ein gesamtdeutscher Konsens: Die DDR war schlecht, die BRD ist gut! So verhielten sich auch die Bürger der DDR nach der Währungsunion, die selbst in der Provinz binnen Tagen keine Ostprodukte mehr in den Geschäften finden konnten. Weil niemand sie mehr kaufte, hatten diese Waren auf dem Markt keine Chancen mehr. Als dann haufenweise Betriebe schlossen, binnen kürzester Zeit viele Hunderttausende ihre Arbeitsplätze verloren, sich eine Gesellschaft radikal veränderte, wurden die DDR-Biografien in einem Ausmaß umgekrempelt, wie es sich der saturierte Durchschnitts-Wessi überhaupt nicht vorstellen konnte. Trotz dieser einschneidenden Erfahrung der vergangenen dreißig Jahre blüht im Osten durchaus nicht nur die AfD-Ideologie. Die große Mehrheit wählt auch in Ostdeutschland andere Parteien. Doch umso bitterer ist für diese Mehrheit, dass der Osten für den Westen inzwischen einen Landstrich markiert, in dem nichts blüht außer dem Rechtsradikalismus. Wer das Klischee vom primitiven „Ossi“ beschwört, der AfD wählt, stigmatisiert die Bürger dort in Gänze und sorgt erst recht für Nachschub für diese Partei.

Warum reden und schreiben übrigens so viele vom „Rechtsruck“ in Deutschland. Die Sehnsucht nach dem starken (Sozial-)Staat ist doch kein ostdeutsches Alleinstellungsmerkmal. Auch die Wessis wollen höhere Renten, bessere Sozialleistungen, niedrigere Mieten. Wer sich die viel diskutierten Lösungsvorschläge im politischen Berlin, aber auch in der westdeutschen Provinz vergegenwärtigt, der reibt sich verwundert die Augen: Staatlich verordnete Maximalmieten in Berlin, Enteignungen großer Wohnungsbaugesellschaften, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine vom Staat aufgestockte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Alles Themen der letzten Wochen und Monate, die laut Umfragen zumindest zum größeren Teil auf Zustimmung beim Volk stoßen. Auch das, was sich unter dem Etikett „Klimaschutz“ an politischer Lösung abzuzeichnen beginnt, atmet den Geist des regulierenden Staates. Planwirtschaft allenthalben! Von liberaler Wirtschaftsordnung, von Aufstieg durch eigene Leistung, von Eigenverantwortung und Subsidiarität ist immer seltener die Rede.

Die Rezepte klingen doch eher nach Klassenkampf, nach sozialistischer Planwirtschaft. Wird diese Sehnsucht nach dem starken Staat noch gewürzt mit einem „Deutschland First“, dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Gab es in der deutschen Geschichte nicht schon einmal eine „nationalsozialistische“ Partei, die durchaus in freien Wahlen punkten konnte, bis sie sich dann an die diktatorische Macht putschte. Steckt in diesem historisch belasteten Begriffspaar „national“ und „sozialistisch“ am Ende eine tiefe deutsche Sehnsucht, der nicht nur radikale Minderheiten erliegen können?

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Kommentare ( 124 )

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Leif
4 Jahre her

Nun, das wahre Problem ist, daß die Westparteien sich entweder zu Blockflöten „modernisiert“ haben, oder die SED-Diktatur schon vorher für daß bessere Deutschland gehalten haben. Die AFD ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern entstanden, weil „ideologische Säuberungen“ keinen Platz für echte Nachhaltigkeit und Vernunft in den Altparteien ließen.
Die Schwungmasse bekam sie durch die Folgen der Realitätsverweigerung.
Der Unterschied beim Wähler ist, daß das Gros der Westwähler sich nicht vorstellen kann konsequent belogen zu werden. Der Ostwähler hat es 40 Jahre erlebt.

kommentierfix
4 Jahre her

Ich plädiere dafür, die Kolummne von Herrn Metzger abzusetzen. Wer mir zustimmt, der kann diesen Post gerne liken. 10 von 10 Kommentaren sind hier zu Recht negativ – das würde nicht mal der Spiegel schaffen!

Dieser Artikel ist nichts weiter als eine ganz üble Hetze gegen den Osten, wie er in der Form nicht mal in Mainstream-Medien erscheint.

Leif
4 Jahre her
Antworten an  kommentierfix

Auch, wenn ich nicht mit ihm übereinstimme, warum sollte hier eine Zensur stattfinden?

kommentierfix
4 Jahre her
Antworten an  Leif

Naja, Zensur ist etwas anderes als die Einforderung eines gewissen Niveaus und dem Unterlassen von Beleidigungen und übler Nachrede. AFD-Wähler mehr oder weniger ohne Begründung in die NS-Ecke zu rücken – das ist schon ein starkes Stück.

Ihrer Meinung nach wäre es also auch Zensur, wenn Tichy die Texte von Antideutschen ablehnen würde, die hier „Deutschland verrecke“- Texte verfassen wollen?

Fragezeichen
4 Jahre her
Antworten an  kommentierfix

Ich bin auch dagegen. Nicht nur aus Respekt vor der Meinungsfreiheit, die gerade hier nicht eingeschränkt werden sollten, sondern auch deshalb, weil es wichtig ist, seine eigenen Positionen immer wieder an anderen zu überprüfen und sie gegebenenfalls dann auch zu korrigieren. Sonst besteht die Gefahr einer geistigen Inzucht. Wer auf die Stärke seiner Argumente vertrauen kann, braucht keine Zensur (und umgekehrt).

kommentierfix
4 Jahre her
Antworten an  Fragezeichen

Dazu bräuchte es aber Argumente. Dieser Artikel ist auf Kindergarten-Niveau ala „Ihr seid doch eh alle Nazis, weil ihr halt Nazis seid“. Das schmerzt beim Lesen, es erzeugt auch keine intellektuelle Reibung sondern nur Fremdscham.

Ursula Schneider
4 Jahre her
Antworten an  kommentierfix

Entschiedener Einspruch!
Wir wollen doch nicht der Zensur der Mainstream-Medien nachahmen!
Ich fand die einhellige Reaktion auf Herrn Metzgers Beitrag überaus interessant und vielleicht bringt sie sogar ihn selbst ein wenig zum Nachdenken.
Es sollten ganz im Gegenteil viel öfter gegensätzliche Meinungen hier zur Diskussion gestellt werden!

kommentierfix
4 Jahre her
Antworten an  Ursula Schneider

Naja, wenn es darum ginge, z.B. hier und da weniger „spießig“ zu sein, hätte ich auch nichts dagegen einzuwenden. Ich erinnere z.B. an Frau Werlis Beiträge hier, wo sie einmal gar die Legalisierung von Hanf forderte – ungewöhnlich und mal was erfrischend anderes für ein konservatives Blatt. ABER ….. Plumpes „Wer nicht CDUSPDLINKSGRÜN wählt ist Nazi“ bekommt man täglich von früh bis spät im Mainstream. Das hat für mich auch nichts mit Journalismus zu tun. Wenn jetzt (ich überspitze) auf Tichy täglich 10 Beiträge erscheinen würden, wo uns gesagt wird, wir sind alle Nazis………..ähm….ist damit wirklich „Meinungsfreiheit“ gedient oder ist… Mehr

Farbauti
4 Jahre her

„Deutschland first“ ist die Einladung an Migranten, das haben Sie wohl mißverstanden.
Nicht zu vergleichen mit Amarica first, ist irgendwie ganz was anderes.
Letzteres soll den Menschen nützen, erstes den Menschen schädigen. Den Einheimischen und den Zugereisten. Alle zusammen sollen in Zukunft von der Elite ausgebeutet werden und dabei ist es nützlich, wenn die verschiedenen Gruppen sich hassen. Daher wurde Clanbildung auch nie bekämpft, passt zu gut ins Konzept.
Den Ossi-Wessie Konflikt gibts doch nur bei den Parteien. Der selbstbewußte Ostdeutsche braucht doch diesen Schmarrn nicht.

mac4ever
4 Jahre her

Leider vertreten auch Sie das falsche Narrativ, dass die AfD rechtsradikal sei. Dabei vertritt sie nur Positionen, die die CDU um die Nuller Jahre noch für selbstverständlich hielt. Seit einigen Jahren haben wir aber einen flächendeckenden Siegeszug linken bis linksradikalen Denkens in der gesamten Republik, was dazu führt, dass diejenigen, die sich dem nicht unterwerfen, als rechts bis ultrarechts angesehen werden. Lieber Herr Metzger, die Ostdeutschen denken einfach noch normal. Westliche Wohlstandsdekadenz ist ihnen fremd. Und sie wählen auch normal. Diese Normalität ist zum Beispiel bei mir seit 1950 in zwei Systemen definiert worden und wird nicht durch ein paar… Mehr

Arthas
4 Jahre her

Was genau soll uns der Artikel nun vermitteln? Die Aussage ist die gleiche wie im SPIEGEL, nur etwas anders aufbereitet. Quasi also lediglich eine kleine Ergänzung dazu. Naja, SPD, Grüne, CDU eben… Der Grund für den Erfolg der AfD in den ehemaligen DDR-Gebieten jedenfalls ist nicht Abgehängtheit oder fehlendes Demokratieverständnis (das genaue Gegenteil ist wohl eher der Fall), sondern die Tatsache, daß man einerseits dort bereits reichlich Erfahrung mit linker Diktatur hat und daher die Parallelen zu heute – anders als der durchschnittliche „Wessi“ – nur zu gut erkennt und indes gegen deren Tricks relativ immun geworden ist, zum anderen… Mehr

Ursula Schneider
4 Jahre her

Lieber Herr Metzger, ich schätze Ihre Ordnungsrufe durchaus, aber dieser hier ist ein kompletter Rohrkrepierer!
Sachlich falsch, unlogisch, in den Schlussfolgerungen völlig daneben und auch noch eine Beleidigung der Intelligenz von AfD-Wählern, egal ob in Ost oder West.
Jeder „Haltungsjournalist“ kann Ihre Analyse wohlwollend abnicken.
Nicht unbedingt ein Kompliment …

ElaNuernberg
4 Jahre her

Bei den kommenden Landtagswahlen wird die AfD vermutlich gut abschneiden. Die Folge wird sein, dass sich die anderen Parteien in allen möglichen und an sich unmöglichen Konstellationen koalieren. Bei dem Demokratie-Verständnis sollten nicht nur Brandenburger, Sachsen und Thüringer hellwach werden, sondern das ganze Land. Und noch was ich sehne mich danach, dass nach 30 Jahren Wörter wie Ossi, Wessi, neue und alte Bundesländer endlich im Schredder landen.

Vivi_Virtual
4 Jahre her

Rund um die Uhr werden wir in diesen Tagen zugemüllt mit Journalisten-, Politiker- und Politologen-Mutmaßungen über den AfD-wählenden Ossi. Von boshaft bis gönnerhaft – abgehängt, Treuhand-geschädigt, bla bla – bis zum Gipfel der Unverschämtheit: kein Wunder bei dem änderungsbedürftigen Schulsystem, das es bislang versäumte, dem Ossi Demokratie beizubringen. Einen Gedanken verfolgen all die klugen Dokumentationen nie: den über die Antennen, über die aus jahrzehntelangem, mißbräuchlichem Sozialismus kommende Menschen verfügen und die Wessis bekanntermaßen abgehen. Wer mich fragt, was ich wähle, dem antworte ich: SELBSTVERSTÄNDLICH die AfD. Schon die Frage empfinde ich als befremdlich. Ja, was denn sonst? Alle anderen hatten… Mehr

Budgie
4 Jahre her

Diese Menge an Artikeln über Ostdeutsche von Westdeutschen fängt an, mich zu amüsieren. Wir haben 89 die Freiheit gefordert und auch bekommen. Es waren teilweise schwierige Zeiten. Ich selbst kann mich überhaupt nicht beklagen. Meine Erwerbstätigkeit war durchgängig bis zur Rente mit 2 kleinen Unterbrechungen. Die Welt konnte ich mir mit meiner Familie vom West- bis zum Ostpazifik ansehen. Ich hatte Glück und bin dankbar dafür. Was mich aber auf jede Palme von Australien bis Peru bringt, ist der Vormarsch des betreuten Denkens in den letzten Jahren. Vieles in der Berichterstattung ähnelt immer mehr dem linken Einheitsbrei von ADN. Tichys… Mehr

Matthias
4 Jahre her

Herr Metzger, Sie haben den Kern des Problems nicht erkannt. Wir Mitteldeutschen haben 1989 die Freiheit erkämpft und sind danach von unseren westdeutschen Brüder und Schwestern massive wirtschaftlich unterstützt worden, was wir dankbar anerkennen. Wir arbeiten in unseren Berufen, jeder an seinem Platz und zahlen ordentlich Steuern. Wir sind jedoch nicht der Bundesrepublik beigetreten um jede politische Spinnerei der westdeutschen Gutmenschen bedingungslos mitzumachen. Diese Spinnerein müssen wir ja auch mit unserem Steuergeld teuer bezahlen (siehe Migranten, Energiewende, Eurorettung). Vor allem, wenn – wie seit ca. 10 Jahren – der offizielle Meinungskorridor immer enger wird und wir auf dem Weg zu… Mehr