Italiens Klagen über mangelnde Solidarität sind unbegründet

Die EZB hat mit ihren Anleihekäufen längst de facto Eurobonds eingeführt. Das Hochschuldnerland Italien hat davon massiv profitiert, während der Euro-Norden haftet.

imago Images

Man wäre eine Unmensch, wollte man nicht helfen angesichts der Bilder von verzweifelt kämpfenden Ärzten und Pflegekräften, die sich in Norditalien, Spanien oder Frankreich seit mehr als einem Monat um Zehntausende von Covid-Patienten bemühen. Nicht nur in Italien wird auf der populistischen Rechten medienwirksam an der Legende gestrickt, Europa sei nicht zur Solidarität fähig. Vor allem die reichen Deutschen verweigerten ihre Unterstützung. In der Tat war es mehr als nur peinlich, dass in den Anfangswochen sogar medizinische Unterstützung verweigert wurde, weil etwa der Export von Atemschutzmasken nach Italien vom deutschen Bundesgesundheitsminister untersagt wurde. Es mussten erst russische und chinesische Hilfsflugzeuge in Mailand landen, bis in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten begriffen wurde, dass man in der Not unbürokratisch hilft.

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Trotzdem darf in der EU und der Euro-Zone auch in der Ausnahmesituation einer Pandemie nicht dem falschen Motto gehuldigt werden: „Not kennt kein Gebot!“ Italiens Politiker vor allem, aber auch spanische und französische, erwecken ganz ungeniert den Eindruck, Solidarität in der Krise verlange vor allem eine gemeinsame europäische Kreditaufnahme – vulgo Eurobonds oder Corona-Bonds. Sie instrumentalisieren eine epochale Herausforderung, um ihr altes Ziel einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden zu erreichen, das bisher immer am Widerstand der solideren Nordländer unter Federführung Deutschlands gescheitert ist. Diese Länder pochten immer auf den Maastricht-Vertrag und sein hochheiliges Versprechen, dass in Europa kein Land für die Schulden anderer Länder haftet. Auch wenn in der Unionsfraktion die Vorbehalte gegen Corona-Bonds nach wie vor groß sind, während der Koalitionspartner SPD sie weitgehend tolerieren würde, schließt in Berlin niemand Wetten darauf ab, dass Kanzlerin Merkel am 24. April bei der nächsten Video-Regierungskonferenz tatsächlich für ein deutsches Nein wirbt. Viel wahrscheinlicher scheint, dass zur Finanzierung eines gigantischen europäischen Wideraufbauprogramms („Recovery Funds“), mit dem bis zu 1,5 Billionen Euro zur Bewältigung der Corona-Rezessionsfolgen mobilisiert werden, doch gemeinsam begebene europäische Anleihen verabredet werden. Die Transfer-Union Europa wäre damit endgültig vollendet.

Die EZB hat Eurobonds längst eingeführt

In den vergangenen zehn Jahren hat kein Euro-Mitgliedsland, wenn man mal von Griechenland absieht, mehr europäische Solidarität erfahren als Italien. Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) garantierte diese Unterstützung – und zwar mit Billigung vieler Regierungen in Europas Hauptstädten. Schon unter EZB-Präsident Jean-Claude Trichet kaufte die EZB ab dem Jahr 2010 vor allem italienische, spanische und griechische Staatsanleihen, um die Marktzinsen für diese Krisenstaaten niedrig zu halten. Als 2012 die Refinanzierungskosten für die Euro-Schuldnerstaaten im Zuge der Euro-Krise innerhalb kurzer Zeit förmlich explodierten, sprach Trichet-Nachfolger Mario Draghi seinen magischen Satz, die EZB werde alles tun, um den Euro zu verteidigen. Das OMT-Programm – Outright Monetary Transactions (vorbehaltlose geldpolitische Geschäfte) – wurde eingeführt, bis heute aber nie genutzt. Denn nach Draghis Rettungserklärung sanken die Zinssätze an den Märkten wieder. Italien mit seiner gigantischen Staatsverschuldung und seiner chronisch unsoliden Haushaltspolitik profitierte gewaltig. Auch die seit fünf Jahren von der EZB über verschiedene Programme stattfindenden Staatsanleihekäufe über mehr als 2,1 Billionen Euro halfen vor allem Italien. Auch in der aktuellen Coronakrise war die EZB sofort zur Stelle. Mit ihrem aktuellen Notfall-Anleihekaufprogramm (PEPP) will sie bis zum Jahresende zusätzlich Anleihen in Höhe von 750 Milliarden Euro erwerben. Fast alle bisherigen Restriktionen, die das Kauf-Volumen für Staatsanleihen beschränkten, werden aufgegeben. Man kann davon ausgehen, dass wieder ein großes Volumen italienischer Staatspapiere ins Portfolio der EZB gelangt. Obwohl Italien nur über ein schwaches Bonitäts-Rating von „BBB“ verfügt, kann es sich derzeit übrigens zu niedrigen 1,7 Prozent für zehnjährige Staatsanleihen refinanzieren. Außerhalb der Euro-Zone müssen Länder mit vergleichbarer Bonitätseinstufung dagegen deutlich höhere Zinsen bezahlen: Ungarn etwa 2,8 Prozent, Indonesien 8,2 Prozent.

Natürlich hat selbst Deutschland als Folge der EZB-Politik massiv an Zinsausgaben gespart. Doch der größte Profiteur der EZB-„Eurobonds“-Politik war Italien, das hunderte von Milliarden Euro an Zinsausgaben durch die EZB-Marktinterventionen sparte, wenn nicht sogar allein dadurch zahlungsfähig blieb. Dass die Euro-Staaten in Höhe ihrer Kapitaleinlagen für notleidende Staatspapiere im Portfolio der Zentralbank haften, unterschlägt man in Italien. Deutschland haftet im Zweifel mit 27 Prozent. Die inzwischen 68. Nachkriegsregierung Italiens unter Regierungschef Guiseppe Conte kämpft auf allen Kanälen gegen die in ihren Augen „überholten Regeln“ des Maastricht-Vertrags und des derzeit ohnehin ausgesetzten europäischen Stabilitätspakts. Man gewinnt immer stärker den Eindruck, dass ein Schuldnerland wie Italien seine Gläubiger längst erpressen kann. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass in der Corona-Krise nicht auch noch die letzten Barrieren einer einstens verabredeten Stabilitätsgemeinschaft, in der kein Euro-Land für die Schulden anderer Staaten aufzukommen hat, eingerissen werden. Der Euro ist ohnehin schon auf dem Weg zur Weichwährung. Wird der Weg weiter beschritten, ist dieser Währung kein langes Leben mehr beschieden.

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Kommentare ( 22 )

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Pankratius
4 Jahre her

Die fast 500 Milliarden Euro, die Italien bei der deutschen Bundesbank als T2-Kontokorrente überzogen hat, wurden von Herrn Metzger gar nicht erwähnt. Deutschland hängt in genau dem von 150 Wirtschaftswissenschaftlern schon Mitte der 1990-er Jahre warnend vorausgesagten Schuldensumpf, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Fulbert
4 Jahre her

Italiener und Spanier sind bekanntlich reicher als Deutsche – die Bürger, nicht der Staat. Also einmal mehr eine Verteilung von unten nach oben. Und dem Applaus von Linker und SPD.

Und nebenbei: Bitte nicht schon wieder eine Politik, deren Leitlinie unschöne Bilder sind. Die könnte man auch von hiesigen Armen produzieren.

EURO fighter
4 Jahre her
Antworten an  Fulbert

So ist es: Lt einer Aufstellung der Credit Suisse betrug in 2019 das durchschnittliche Privatvermögen (pro Kopf)
der Italiener: 234 139 €,
der Deutschen: 216 654 €.
Weshalb wird das von der Bundesregierung nicht mal klar benannt?
Ausserdem hat – so glaube ich – Draghi sein Programm zur Finanzierung des italienischen Staatshaushalts damit begründet, er wolle Italien Zeit für Reformen kaufen.
Hat Italien die Zeit genutzt? Wohl kaum.

Del. Delos
4 Jahre her
Antworten an  EURO fighter

Sie sollten sich nicht das Durchschnittsvermögen anschauen, sondern das mediane Vermögen. Das ist viel genauer, denn es bildet den Betrag ab, über den die meisten verfügen: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Vermögen_pro_Kopf
Sie können sich die Tabelle dort umsortieren, z.B. nach med. Einkommen.

Del. Delos
4 Jahre her

Aktualisierte Durchschnittswerte: Italien: 1586 Tote pro Tag in 2020 1587 Tote pro Tag in 2019 Spanien: 1102 Tote pro Tag in 2020 1106 Tote pro Tag in 2019 Deutschland: 2411 Tote pro Tag in 2020 2411 Tote pro Tag in 2019 USA: 7503 Tote pro Tag in 2020 7458 Tote pro Tag in 2019 https://countrymeters.info/de (Quelle: UN) WO BITTE SIND DIE CORONA-TOTEN ? Auch auf http://www.euromomo.eu sind nur grippeähnliche Verläufe zu erkennen, die im Übrigen alle rückläufig sind – das kann ebensogut auch durch die gezielte Panikmache und Hysterie ausgelöst worden sein. Wenn Menschen vor Angst alle gleichzeitig in die… Mehr

Entenhuegel
4 Jahre her

Auch wenn ich Ihnen im Grunde zustimmen mag, möchte ich differenzieren: Die italienische Regierung will „unser Geld“ – sicher auch, weil sie sich Zustimmung beim Wähler verspricht und den eigenen Hals bei der nächsten Wahl retten will. Aber „die“ Italiener möchte ich doch nicht angesprochen sehen. Ich kenne einige Italier, die auch ganz klar die Probleme als hausgemacht sehen und kein deutsches Geld zur „Rettung“ wollen.

Ursula Schneider
4 Jahre her
Antworten an  Entenhuegel

So z. B. auch der italienische Ökonom Nicola Rossi, der jüngst meinte, Deutschland könne sich ein umfangreiches Unterstützungsprogramm leisten, weil es im Gegensatz zu Italien Haushaltsdisziplin gezeigt habe. „Wir haben keine Haushaltsdisziplin gezeigt und 2011 die Schuldenbremse so in die Verfassung geschrieben, dass wir uns nicht daran halten müssen.“ Er sieht die Schuld für die derzeitige finanzielle Misere vor allem bei den italienischen Politikern.

Joerg Baumann
4 Jahre her
Antworten an  Entenhuegel

Entenhügel: das mag sein. Aber auch diese Italiener haben gewählt und wie wir Deutschen, müssen sie auch zu den Forderungen ihrer Regierung stehen. Grade hier im Forum dürften wenige Anhänger von Merkel sein, trotzdem wird man uns für ihre Politik zur Rechenschafft ziehen, wenn es hart auf hart kommt.

Hannibal ante portas
4 Jahre her
Antworten an  Entenhuegel

Ich finde gut dass Sie differenzieren! Das grundsätzliche Problem ist das komplett unterschiedliche Wirtschaften der beiden Länder. Diese hätten nie zusammen in den Euro gepackt werden sollen. Dtld. reicherer Staat, ärmere Bürger. Italien ärmerer Staat, reichere Bürger ( besser: viel mehr Bürger mit eigenem Vermögen). Wie alles im Leben und bei Volkswirtschaften sowieso hat alles Vor- und Nachteile: im Moment sind wir froh mehr für unser Gesundheitssystem ausgegeben zu haben als die Italiener. Wenn man es aber wirtschaftlich kühl betrachtet, haben wir dafür natürlich jahrzehntelang Überkapazitäten zu hohen Milliardenbeträgen finanziert. Die Lebenserwartung ist trotz dieser Corona-Epidemie in Italien höher als… Mehr

Sonnenschein
4 Jahre her

Ich kann es Ihnen nicht verübeln, wird hier doch seitens der Regierung an die Welt gesandt „Wer hat noch nicht, wer will noch etwas“. Und dann wird das deutsche Steuersäckle aufgemacht….

Thorsten
4 Jahre her

Jedem sollte klar sein, dass irgendwann der Euro kollabieren kann. Italien ist viel zu groß, als dass dieser Effekt irgendwie geschultert werden kann.

Vermutlich wird Italien von selbst gehen, wenn es merkt, dass die EU und der „ausgelutscht“ sind.

Das die Italiener von mangelnder Solidarttät sprechen ist eine historische Heuchelei, denn Italien wechselte in Kriegen oft opportunistisch die Seiten …

Roland Mueller
4 Jahre her

Für die Schulden haftet die EZB mit immer neuen Bergen an frisch bedrucktem Papier bis es weniger als Klopapier wert ist. Es ist eine blanke Illusion, daran zu glauben, das die Schulden jemals zurückgezahlt werden. Den Gläubigern scheint es auch egal zu sein, da ihnen die politische Machtausübung gegenüber den Schuldnerländern wichtiger ist, als die Begleichung ihrer Forderungen.

taxilemi
4 Jahre her
Antworten an  Roland Mueller

Also „Euro-Schulden als Klopapier“, das hat was… Wenn man in den Regalen der deutschen Supermärkte an gleicher Stelle plaziert, ob die genauso schnell weg gehen?

Devamed
4 Jahre her

Deutschland haftet im Zweifel mit 27 Prozent.

Und das gilt auch nur, solange kein EU-Land zahlungsunfähig wird. Dann würde es schnell mehr.
Aber „wir sind ja auf einem guten Weg“, wie unser früherer Finanzminister gerne beschönigend vermerkte…

Karl Napf
4 Jahre her

Mir wird Italien langsam zu teuer.
Ein Itexit ist keine Option, denn solange jemand zahlt bleiben die in der EU.
Jemand ist ueblicherweise Deutschland.

Mit und nach Corana will ich sehen ob die EU es wagt ihr Budget zu erhoehen und die Beitraege UKs auf Deutschland abzuwaelzen.

norbertb783
4 Jahre her
Antworten an  Karl Napf

Karl Napf
Das wirklich schlimme ist m.E., daß unsere Politikdarsteller nur darauf warten unser hart erarbeitetes deutsches Steuergeld an die EU – andere EU- und Eurozonenländer – zu verschenken, ohne dafür etwas zu verlangen. Bekommen bekämen sie sowieso nur „warme“Worte.

thinkSelf
4 Jahre her

“ Sie instrumentalisieren eine epochale Herausforderung, um ihr altes Ziel einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden zu erreichen, das bisher immer am Widerstand der solideren Nordländer unter Federführung Deutschlands gescheitert ist.“ Na und? Sie versuchen halt das Maximum für sich raus zu holen. Sprich, sie wissen noch das sie die Interessen ihres Nationalstaats vertreten. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Dazu kommt, dass sie die EU immer als Instrument zur Sicherung eigener Interessen gesehen haben. Auch dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Wie Herny Kissinger schon vollkommen zu recht sagte: „Staaten haben keine Freunde. Staaten haben Interessen.“ Natürlich gibt es Akte der Zusammenarbeit die… Mehr

non sequitur
4 Jahre her
Antworten an  thinkSelf

Dem ist prinzipiell zuzustimmen.
Personen, die sich aufgrund ihrer „Blödheit“ (Unzurechnungsfähigkeit) selbst oder anderen massiven Schaden zufügen können, kann man nötigenfalls die Geschäftsfähigkeit absprechen und sie endmündigen.
Mit Staatsregierungen, die solche Formen von Blödheit offenbaren (wie z.B. unsere), kann man das leider nicht machen, ausser durch deren Umsturz dafür sorgen, dass sie in der Versenkung verschwinden und nur noch Stoff für die Geschichtsbücher liefern.