Grüne im Höhenrausch

„Tarek-Al-Wazir als Ministerpräsident?“ Das Grünen-affine mediale „Juste Milieu“ hyperventiliert und die Wähler goutieren die „Wohlfühl-Partei“ der Stunde.

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Viele Journalisten mögen die Grünen. Mit deutlichem Vorsprung vor der SPD präferieren sie laut Umfragen diese Partei. Umso verständlicher, wie sich die Medien derzeit um die Partei der Stunde kümmern, die nicht nur in Umfragen, sondern auch bei realen Wahlen bei den Wählern punktet wie nie. Im reichen Hessen führt mit Tarek-Al-Wazir ein Grüner Wirtschaftsminister mit ganz deutlichem Vorsprung das Beliebtheits-Ranking der Landespolitiker an. Annalena Baerbock und Robert Habeck, das Realo-Duo an der Grünen Parteispitze, sind das neue Dream-Team unter den Parteivorsitzenden in Deutschland. Während den Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD in den kommenden Monaten die Ablösung droht, bejubeln Grüne wie Medien unisono ihr noch junges Spitzen-Duo. Winfried Kretschmann, der altersweise schwäbische Obergrüne, verkörpert in Baden-Württemberg bereits im achten Regierungsjahr den Idealtypus des honorigen Landesvaters. Und jetzt orakelt selbst die Neue Zürcher Zeitung: „Tarek Al-Wazir könnte Ministerpräsident in Hessen werden.“

Gemach, gemach, Freunde der Grünen. Auf dem Teppich bleiben! Ministerpräsident könnte der hessische Wirtschaftsminister nur werden, wenn er mit Linken und SPD eine mehrheitsfähige Koalition zustande brächte. Dafür müssten die Grünen stärker als die SPD abschneiden und Tarek Al-Wazir alle Vorbehalte gegen die hessischen Linken aufgeben. Das halte ich für ausgeschlossen. Viel wahrscheinlicher wird eine Neuauflage von Schwarz-Grün. Sollte es für die bisherige Koalition mandatsmäßig nicht reichen, regiert eben dann in Wiesbaden die FDP in einem Jamaika-Bündnis mit.

Doch mir geht es mit diesem Ordnungsruf weniger um die Spekulation über den hessischen Wahlausgang und dessen disruptive Auswirkungen auf die Bundesregierung und die sie tragenden drei Parteien, als um die programmatische Positionierung der Wohlstandspartei „Die Grünen“. In meinen Jugendjahren nutzten CDU-Politiker im Kampf mit der SPD gern den Kalauer: „Allen wohl und niemand weh – SPD!“ Damit versuchten sie die wohlfahrtsstaatlichen Sirenenklänge der Sozialdemokratie, die in den Siebziger Jahren während der sozialliberalen Koalition die dramatischste Sozialausgabensteigerung aller Zeiten in Gesetze gegossen hat, zu persiflieren. Das misslang in beispielloser Weise, weil die Christdemokraten selbst schon lange in der Sozialpolitik in der Wolle gefärbte Sozialdemokraten sind und das dann auch in den folgenden Jahrzehnten in Regierungsverantwortung auslebten.

Bei den Grünen, die in ihren Anfängen in den Achtziger Jahren nicht nur sozialpolitisch links tickten, weshalb sie von der SPD auch lange als „Fleisch von unserem Fleisch“ mehr geächtet als geachtet wurden, gab es in den Neunziger Jahren – in der letzten Regierungsperiode von Kanzler Helmut Kohl – eine Phase, in der sie sehr grundsätzlich auch die Grenzen wohlfahrtsstaatlicher Leistungsfähigkeit in den Blick nahmen. Ich weiß, wovon ich schreibe, weil ich damals neben Christine Scheel, Margareta Wolf und Andrea Fischer selbst zur Grünen Reformer-Fraktion im Bundestag zählte. Plötzlich wurde staatliche Schuldenpolitik als „Raubbau an der nächsten Generation“ gebrandmarkt, rückte die strukturelle Konsolidierung der Alterssicherungssysteme, die vom demographischen Wandel bedroht werden, ins Blickfeld. Die langfristige Tragfähigkeit der Sozialversicherung wie der öffentlichen Finanzen galt vielen Grünen plötzlich als Gebot einer generationengerechten und nachhaltigen Politik. Selbst der BDI unter Hans-Olaf Henkel stufte die Grünen während der ersten rot-grünen Bundesregierung ab 1998 eher als Reformmotor ein als die SPD.

Doch diese nachdenkliche Zukunftsvorsorge-Debatte bei den Grünen ist längst einem etatistischen Relaunch gewichen, in dem mehr und neue soziale Leistungen versprochen werden. Ob in der Familienpolitik, bei Gesundheit und Pflege, in der Alterssicherung: Man muss schon mit der Lupe suchen, wenn man wissen will, wie die Grünen ihre Volksbeglückung seriös finanzieren wollen. Das Wort Generationengerechtigkeit gehört zwar immer noch zum Grünen Wortschatz, aber hat längst keine programmatischen Konsequenzen mehr. Denn sonst müssten die Grünen Amok laufen gegen die aktuelle Rentenpolitik der Großen Koalition. Doch da scheuen sie sich, weil sie dann den rentennäheren Jahrgängen auch schonungslos eine Erhöhung des Renteneintrittsalters nahebringen müssten. Doch so viel Ehrlichkeit vertragen auch ihre Wählerinnen und Wähler nicht. Deshalb hält man in der Frage lieber still. Auch in der Steuerpolitik scheinen die Grünen das Geld ihrer Wähler in den Kassen des Staates besser aufgehoben zu sehen als in deren Portemonnaies. Jedenfalls sind von der Grünen Opposition keine Vorschläge für eine ersatzlose Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder für eine deutliche Abflachung des Einkommensteuertarifs zu hören. Auch der Grüne Staat hat ein einnehmendes Wesen.

Der „Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“ reden Grüne oft das Wort, gerade auch dann, wenn sie mit der Union und/oder FDP koalieren. Doch diese Sonntagsphrase ist auf einem Feld längst entzaubert, das zur Grünen Kernkompetenz gezählt wird: der erneuerbaren Energie! Das Multimilliarden Euro teure Energieeinspeisegesetz (EEG) hat den deutschen Privathaushalten und der Wirtschaft zwar die höchsten Strompreise der Welt beschert. Ökonomisch stellte diese gigantische Subvention eine Innovationsbremse dar, wie alle langjährigen Untersuchungen über die Mitnahmeeffekte dieser teuren Einspeisevergütung belegen. Ökologisch ist die Energiewende zum GAU geworden, weil der Kohlendioxidausstoß in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen, statt gesunken ist. Wenn sich die Nachhaltigkeit Grüner Politik im Energiesektor widerspiegelt, dann muss man sich um die Zukunftsfähigkeit ihrer Politikkonzepte in der Renten-, Gesundheits- und Sozialpolitik erst recht Gedanken machen.

Wer „blühende Landschaften“ verspricht und dann nicht liefert, wird irgendwann abgestraft. Das Schicksal hat die Union im Osten längst ereilt. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie mit ihrer wohlklingenden „Zukunftspartei“-Rhetorik nicht ganz schnell an ihrem eigenen ökologischen Nachhaltigkeits-Anspruch scheitern.


Wahlwette Hessen:

Wer über alle genannten Parteien hinweg am nächsten an den Ergebnissen landet, gewinnt.

Ihre Wetten nehmen wir ab sofort entgegen.

Annahmeschluss ist der Wahlsonntag (28.10.2018 ) um 16:30 Uhr. Das Wettergebnis wird am Wahlsonntag um 17.45 Uhr veröffentlicht.

Auf die Gewinner wartet:

1. Platz: eine Flasche Champagner von Tante Mizzi
2. Platz: zwei Bücher aus dem Shop nach Wahl
3. Platz: ein Buch aus dem Shop nach Wahl

++ Abstimmung geschlossen ++

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Kommentare ( 52 )

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wolleus
5 Jahre her

Herr Metzger Sie haben etwas vergessen: die Grünen sind seit ihrer Gründung tief gespalten in den Flügel der Realos und den verharmlosend als Fundis bezeichneten. Der gemeinsame Hang zur Gier nach Macht und Staatsknete hat den tiefen Riß immer übertüncht. Kann man mit den Realos reden, sosehr haben sich die Fundis den Methoden einer alles beherrschenden Diktatur verschrieben und nutzen den Realoflügel als Tarnnetz. Dazu sind die grünen Sozialisten inzwischen tiefer in die Gesellschaft eingedrungen als es eine SPD je schaffte. Denn sie beherrschen nicht nur die Medien sondern auch die Justiz in einer unglaublichen Art und Weise. Was gegenwärtig… Mehr

Nibelung
5 Jahre her

Noch ein Nachtrag zu den Grünen in Hinsicht auf ihre Bedeutung im Bund und den Ländern. Die Grünen verfügen in allen Landesparlamenten, 16 an der Zahl 197 Plätze und sind seit über 40 Jahren am baggern. Die AFD ist gerade mal 5 Jahre aktiv und hat in allen Länderparlamenten bereits 157 Plätze und nächstes Jahr wird sie mit Hilfe der schlaueren Ostländer die Neokommunisten von Platz 3 auf Platz 4 verweisen, denn dann nimmt die Afd die dritte Stelle ein, nach den Roten und Schwarzen und das ist geradezu phänomenal, bedenkt man die kurze Zeit in der sie politisch aktiv… Mehr

Ruud
5 Jahre her

Die Grünen profitieren derzeit von einer einzigen Tatsache:
Sie waren seit Jahren mehr in keiner Regierung.
Sobald dies geschieht, und das wird wohl bald geschehen, wird es wieder bergab gehen mit diesen politischen Leichtmatrosen.
Die SPD wird dann sehr bald ein Comeback erleben, komplett abschreiben sollte man diese Partei daher nicht. Auch die FDP war schon totgesagt.

wolleus
5 Jahre her
Antworten an  Ruud

Nanana, erst im Mai 2017 sind die Grünen mit einer SPD Ministerpräsidentin Kraft in NRW aus einer 5 Jahre bestehenden Regierung heraus desaströs abgewählt worden.

Offensichtlich wird zu schnell, zu einfach vergessen.

Enrico
5 Jahre her

„Wer ‚blühende Landschaften‘ verspricht und dann nicht liefert, wird irgendwann abgestraft.“

Und was bis dahin monetär und gesellschaftspolitisch an die Wand gefahren ist, ist ja schietegal! Oder doch nicht?
Akt. Artikel hier in TE über die Clan-Strukturen in Deutschlands Megacities. Fehlentscheidungen, Laufenlassen, vorsätzliches Pampern dieser Strukturen auf Grund hirnrissiger politischer Entscheidungen aus der Multikulti-Ideologie (Idiotie) dieser grünroten „Brüder und Schwestern“ (aber nicht nur dieser) in den 80ern und 90ern des letzten Jahrhunderts. Bin bestürzt (darf auch mal).

luther
5 Jahre her

„mit Tarek-Al-Wazir ein Grüner Wirtschaftsminister mit ganz deutlichem Vorsprung das Beliebtheits-Ranking der Landespolitiker an“ und das, 0bwohl in meiner Umgebung den niemand kennt. Ist doch überzeugend, nicht sein Volk, nicht sein Land, nicht seine Heimat aber ein schönes Pöschtle und das von den Grünen ersehnte Waldsterben kann man durch die Waldvernichtung für die ‚Vogelhäcksler nun doch noch durch die Hintertür erreichen. Wegen dem Hambacher Stangenwald jaulen und den Odenwald nebst Tierwelt zerstören.

zaungast
5 Jahre her

Über die Grünen und ihre Scheinheiligkeit: alles richtig, was die Foristen schreiben. Allerdings ist der durchschnittliche gläubige Grüne Argumenten nicht mehr zugänglich. Den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit werden die meisten Grünen-Wähler erst beim Einbruch ihrer Wohlstandsidylle verspüren. Das kann noch eine Weile dauern – in der Zwischenzeit lebt es sich in den infantilen Traumgespinsten der Hochmoral noch ganz bequem. Was Hessen betrifft, so unterschätze man Herrn al Wazir nicht. Er spielt die Rolle des Ökologen im Managerzwirn recht gekonnt. Meine Langzeitprognose: 5 Jahre GRR – und dieses Bundesland spielt in einer Liga mit Bremen und Berlin. Vielleicht dann: wer… Mehr

axel58
5 Jahre her

Für mich ist es einfach unglaublich warum so eine Partei gewählt wird.Enstanden aus Kommunisten,RAF-Bewunderern,Pädophilengruppen mit einer unzähligen Zahl an geschändeten kaputten Kinderseelen(steht der kathol.Kirche in nichts nach)und dazu heutzutage mit einem Personal (Göring-Eckhardt,Roth u.s.w. um nur einige zu nennen)die nichts in ihrem Leben zustande bekommen haben.Wer sich einen „lustigen“ Abend machen will kann sich den Dummsprech dieser Damen und Herren auf Youtube gerne anschauen. Hier alles nochmals nachzulesen…..Die Grünen: Zwischen   Kindersex,  Kriegshetze und   Zwangsbeglückung2 von Michael Grandt.

Melli
5 Jahre her

Die Grünen sind in meinen Augen ein Haufen Scheinheiligkeit, a la Wasser predigen und Wein saufen. Bestes Beispiel, Hambacher Forst. Erst die Rodung mit unterzeichnen & sich dann hinstellen und Empört tun. Wenn für ihre Schredder zahlreiche Bäume gefällt werden, stört es sie nicht, selbst wenn es sich um Naturschutzgebiete handelt. Wo sie mitregieren, bleibt die Bildung auf der Strecke. Von den ganzen Verboten brauche ich erst gar nicht anfangen. Grün steckt schon lange nicht mehr in den Grünen, eher tiefrot. Ich verstehe auch nicht, wer diesen Haufen wählt. Egal mit wem man spricht, keiner würde Grün wählen. Woher kommt… Mehr

daniel.jungblut
5 Jahre her

Idealtypus des honorigen Landesvaters? Ja, gerne verdrängt die selbst grüne Journaille dass der Aufstieg des ehemaligen(?) Maoisten Kretsche mit einr grossen Wahllüge begann (S21!). Und dass BaWü seit dem aufstieg der Grünen wirtschaftlich auf kontinuierlichem Abwärtskurs ist. Aber weil nicht sein kann was nicht sein darf sehen grüne Journalisten ihre grünen Vorbeter eben ind dem Licht welches sie sich wünschen.

Eberhard
5 Jahre her

Was haben heute die Grünen in Bayern und Hessen, was anderen fehlt? In der DDR wurden die Blockparteien von denen genutzt, die bestimmte Positionen Im System ergattern wollten, die Parteizugehörigkeit voraussetzten. Auch in den Betrieben war das sehr von Nutzen. Wer schwach und sich nicht traute in seinem Umfeld als SED hörig angesehen zu werden, aber weiterkommen wollte, wurde Mitglied einer Blockpartei. Vorwiegend CDU. So ähnlich scheint es heute vielen Menschen in Bayern und Hessen zu gehen. Die Parteien der GroKo wollen sie nicht mehr an der Macht sehen. Die AfD trauen sie sich nicht zu wählen. Weil durch Medienstimmungsmache… Mehr