Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 42-2020

Es hat System: Die Politik macht Verträge zu Lasten Dritter!

Ob in der Beamtenversorgung oder beim aktuellen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Die Lasten werden von der Politik in die Zukunft verschoben oder an Dritte delegiert.

imago images / Müller-Stauffenberg

Geradezu lehrbuchhaft für einen Vertragsabschluss zu Lasten Dritter steht der jetzt gefundene Kompromiss im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes. Die Bauchladengewerkschaft Verdi instrumentalisierte in der diesjährigen Tarifkampagne äußerst geschickt die Corona-Pandemie und verlangte am Beispiel der Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht nur das im Lockdown als Anerkennung praktizierte Klatschen, sondern auch eine deutliche Anhebung der Löhne. Mit der moralisch aufgeladenen Orchestrierung, in der sie einen Teilsektor ihrer 2 Millionen Mitglieder in den Fokus stellte, setzte ver.di dann einen Abschluss für alle durch, der gemessen an den bescheidenen Auswirkungen der Corona-Rezession für die meisten Mitarbeiter beim Staat – Bund, Länder und Gemeinden – mit über 3 Prozent mehr als respektabel ausfällt. Allein die kommunalen Arbeitgeber werden dafür während der zweijährigen Laufzeit rund 4,9 Milliarden Euro aufbringen müssen. Dass in der Privatwirtschaft im Gegensatz zum Staatsdienst Millionen Beschäftigte unter Kurzarbeit finanziell leiden und Hunderttausende ihre Arbeit bereits verloren haben, ging in dem auch medial beklatschten Tarifkompromiss unter. An die existenzielle Not vieler Selbständiger und Unternehmer, die durch die Corona-Politik in die Pleite getrieben und von der Politik auf Hartz IV verwiesen werden, muss man in diesem Kontext ebenfalls nachdrücklich erinnern. Im Staatsdienst dagegen wurde bei vollen Bezügen in vielen Sektoren weniger denn je gearbeitet. Selbst in vielen Kliniken wurden übrigens während des Lockdowns Überstunden abgebaut, weil die Gesamtbelegung rückläufig war.

Kosten werden auf die Krankenkassen abgewälzt

Als „wirtschaftlich verkraftbaren Abschluss“ bewertete der kommunale Arbeitgeberpräsident Ulrich Mädge den Tarifkompromiss. Das ist dreist, wenn man weiß, dass vor allem die für den Gesundheitssektor extra durchgesetzten hohen Tarif- und Zulage-Neuregelungen auf die Krankenkassen abgewälzt werden. Denn nach dem von Union und SPD neu geschaffenen „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ sind den Krankenhäusern jetzt automatisch alle Erhöhungen der Pflegepersonalkosten komplett zu erstatten. In der Altenpflege schlagen sich die Zusatzkosten eins zu eins auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen nieder. Kranken- und Pflegekassen saßen aber nicht mit am Verhandlungstisch. Steigende Beitragssätze der Versicherten werden die Folge dieses Abschlusses sein und noch höhere Zuschüsse der Steuerzahler für die Krankenversicherung. Das ist ein Tarifabschluss „zu Lasten Dritter“, wie völlig zu Recht Dietrich Creutzburg in der FAZ kommentierte. Die strukturellen Probleme des deutschen Gesundheitssystems – zu viele Betten und zu viele stationäre Aufenthalte vor allem in den Ballungsräumen – sind in der Pandemie-Lage ohnehin aus dem Blickfeld geraten.

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Selbst die jetzt meistbegünstigten Beschäftigten müssen den Abschluss mit dem Staat teilen. Unser Steuer- und Abgabenrecht erlaubt keinen „free lunch“. Der Staat verdient immer mit. Das Bruttogehalt einer erfahrenen, höherqualifizierten Pflegefachkraft (Steuerklasse 1 für gesetzlich Versicherte ohne Kinder) steigt nach diesem Tarifabschluss von bisher 4.286 Euro um 258 Euro monatlich. Netto sind es aber nur 124 Euro. Gut 52 Prozent gehen also an Finanzamt und Sozialkassen, hat der FDP-Finanzpolitiker Christian Dürr ausrechnen lassen. Selbst in der untersten Tarifgruppe, wo sich das bisherige Monatsbrutto von 1.930 Euro am Ende der zweijährigen Laufzeit des Tarifvertrags um insgesamt 85,64 Euro erhöht, verbleiben davon nur 46,51 Euro netto übrig: weniger als 55 Prozent.
Pensionszusagen setzen öffentlichen Haushalten zu

Seit vielen Jahren weiß man um das Problem der Lasten, die das großzügige Versorgungsrecht der Berufsbeamten für die öffentlichen Haushalte birgt. Nach über 40 Jahren im Beamtenstatus (Vollzeit) können sich Pensionäre auch heute noch über fast 70 Prozent ihrer letzten aktiven Monatsbezüge freuen. Bei gesetzlich versicherten Rentnern spiegelt die deutlich niedrigere Rente dagegen das Einkommen eines kompletten Erwerbslebens wider und nicht das in der Regel höchste Einkommen kurz vor der Rente. Die Pensionen der Beamten müssen vollständig aus den laufenden Haushalten von Bund und Ländern bezahlt werden. In der gesetzlichen Rentenversicherung dagegen stammen immerhin noch rund zwei Drittel der monatlichen Ausgaben aus Pflichtbeiträgen der Arbeitnehmer, für die sie im Umlageverfahren „eigentumsähnliche Ansprüche“ auf künftige Rente erwerben, wie es das Bundesverfassungsgericht einmal formulierte.

In den kommenden Jahren gelangen jetzt die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Deshalb steigen auch die Pensionsausgaben kräftig. Zur Dynamik der Pensionen kommt auch noch die Beihilfe im Krankheitsfall, mit denen bei Beamten bis zu 70 Prozent der Gesundheitskosten durch die Steuerzahler abgedeckt werden. Nur den geringeren Eigenanteil muss der beihilfeberechtigte Pensionär selbst absichern. Was sich hier an Lasten für die Haushalte von Bund und Ländern bereits angesammelt hat, belegt ein aktueller Kurzbericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Der Barwert der Pensionszusagen (einschließlich Beihilfe) des Bundes beläuft sich mit Stichtag 31. Dezember 2019 auf rund 809 Milliarden Euro. Diese aktuelle Zahl stammt vom Bundesfinanzministerium. Innerhalb der letzten Dekade sind damit die Kosten um 88 Prozent gestiegen. Bei den Ländern summiert sich der abgezinste Schätzwert zum Ende des Vorjahres auf 1,2 Billionen Euro. Um die künftigen Pensionsausgaben der Länder auf vergleichbare Barwerte zu berechnen, nutzte das IW Zahlenwerte aus Baden-Württemberg, weil dieses Land – im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern – sowohl die Rückstellungen als auch die Projektion über die Höhe der Versorgungsausgaben ausweist. Der IW-Hochrechnung liegt deshalb ein Zeithorizont von 40 Jahren bei einem Zins von gerundet 3 Prozent zugrunde.

Das erschreckende Ergebnis der „Nach-mir-die-Sintflut“-Politik bei der Beamtenversorgung: Zwischen 20 und knapp 50 Prozent ihres auf das jeweilige Land bezogenen Bruttoinlandsprodukts (BIP) müssen die Länder für ihre Pensionszusagen aufwenden. Der Stadtstaat Berlin führt das BIP-bezogene Ranking mit 50 Prozent, Nordrhein-Westfalen und das Saarland folgen mit 40 Prozent.

Rechnet man die Pensionslasten von Bund und Ländern zusammen, entsprechen sie 60 Prozent des deutschen BIP. Damit liegt die verdeckte (implizite) Verschuldung, die aus den künftigen Pensionsansprüchen der Beamten resultiert, im Jahr 2019 so hoch, wie die gesamte ausgewiesene (explizite) deutsche Staatsverschuldung in der Vor-Corona-Zeit Ende des vorigen Jahres. Es ist geradezu absurd, mit welcher Leichtfertigkeit die Politik nach wie vor am Beamtenstatus festhält, der solche Lasten ohne entsprechende Rücklagenbildung provoziert. Das IW weist in seiner Untersuchung auch darauf hin, dass die von Bund und vielen Ländern in der Vergangenheit aufgelegten Versorgungs-Fonds und -Rücklagen aufgrund ihrer Deckungsquoten und ihres Ausfinanzierungsgrads nur einen relativ kleinen Teil der tatsächlich anfallenden Versorgungsausgaben decken. Außerdem sind die Zuführungen zu den Rücklagen in einigen Ländern sogar gekürzt worden. In Rheinland-Pfalz wurde ein solcher Versorgungsfonds sogar komplett aufgelöst. Das grenzt an Placebo-Vorsorge und dient häufig nur als Alibi, um Vorsorge zu heucheln. Vorstände und Geschäftsführer von Unternehmen jedenfalls würden wegen Bilanzbetrugs angeklagt, würden sie so agieren wie der Staat. Doch die Finanzminister von Bund und Ländern machen sorglos weiter und verlagern die gigantischen Kosten einfach auf künftige Haushalte – und damit an die Steuerzahler, die dafür gerade zu stehen haben. Auch die Beamtenversorgung ist nichts anderes als ein gigantischer Vertrag zu Lasten Dritter: der künftigen Steuerzahler!

Die Corona-Krisenpolitik blendet fast alle Risiken aus

Die Corona-Krise überlagert wegen des bevorstehenden zweiten (partiellen) Lockdowns erneut alle anderen Themen. Doch auch in dieser Krisenpolitik lässt sich die systematische Lastenverschiebung an unzähligen Beispielen dokumentieren. Mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht werden die Pleiten einfach hinausgeschoben, mit umso brutaleren Folgen für die Betroffenen und mit einer Sogwirkung für eigentlich gesunde Betriebe. Mit der Kurzarbeitergeld-Prolongierung wird der notwendige Strukturwandel in vielen Branchen verschleppt und es werden Mitnahmeeffekte provoziert. Die soziale Absicherung der Arbeitnehmer ist ein hohes Gut in der gesellschaftspolitischen Debatte. Doch der Wert der Selbständigkeit, des Unternehmertums, spielt eine relativ geringe Rolle. Dabei treibt man mit dieser Krisenpolitik die Menschen geradezu aus der Selbständigkeit, obwohl es ohne engagierte Unternehmer keine Arbeitsplätze gibt. Doch ohne florierende Wirtschaft, die auf produktiven Arbeitsplätzen beruht, lässt sich kein Sozialstaat der Welt finanzieren. Denn auch der Staatsdienst lebt von wirtschaftlicher Wertschöpfung. Ob das dem Berliner Establishment wirklich bewusst ist?

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