„Die Stimmung ist besser als die Lage!“

Die typisch deutsche Haltung, lieber schwarz zu malen, ist nach der Corona-„Entschleunigung“ einer geradezu leichtfertigen Gutgläubigkeit gewichen. Davor warnt zu Recht DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

imago images / Metodi Popow
DIHK-Präsident Eric Schweitzer

Zum Wochenauftakt störte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Eric Schweizer die sommerliche Leichtgläubigkeit der Deutschen mit dem Zitat: „Die Stimmung in Deutschland ist besser als die Lage.“ Mit Verweis auf eine Umfrage unter den DIHK-Mitgliedsbetrieben machte Schweitzer darauf aufmerksam, dass die Hälfte der Betriebe mit einer Besserung ihrer Geschäftslage erst im kommenden Jahr oder sogar noch später rechnet. Nicht ohne Grund geht der DIHK deshalb von einem Minus von 10 Prozent beim diesjährigen Bruttoinlandsprodukt aus, ist damit deutlich pessimistischer als die Bundesregierung. Zurecht machte der DIHK-Präsident auch auf die Exportrisiken der deutschen Volkswirtschaft aufmerksam. In der Industrie hängt jeder zweite Arbeitsplatz am Export. Da die Corona-Pandemie in den USA und anderen Ländern derzeit mit ungebremster Dynamik weiter wütet, müssten eigentlich alle Alarmglocken schrillen.

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Doch die Bundesbürger scheinen solche berechtigten Mahnrufe schlicht zu negieren. Es ist Sommer, man will reisen und feiern. Bei den allermeisten Arbeitnehmern tendieren die finanziellen Verluste durch Kurzarbeit gegen Null. Zwar haben schon Hunderttausende ihren Arbeitsplatz verloren, aber im Gegensatz zu Freiberuflern und Unternehmern stellt sich das Gros der abhängig Beschäftigten in der Corona-Krise bisher nicht sonderlich schlecht. Von Personalchefs ist sogar immer häufiger zu hören, dass sich Teile ihrer Belegschaften die „Entschleunigung“ des Corona-Lockdowns auch als Dauerzustand vorstellen könnten. Weniger arbeiten, noch dazu von zuhause, bei kaum spürbaren finanziellen Einbußen: Das klingt doch nach volkswirtschaftlichem Schlaraffia. Dass mit solchen Haltungen aber die Produktivität, die in Deutschland ohnehin bereits seit Jahren beständig abnimmt, erst recht nicht auf die Beine kommen kann, versteht sich von selbst. Und wer will künftig noch Unternehmer werden, wenn eine vom Staat stillgelegte Wirtschaft, vor allem dessen wirtschaftliche Existenzgrundlage gefährdet oder gar zerstört.

Die Gesundbeter in der Bundesregierung retten ja angeblich mit dem großen „Wumms“ jeden Arbeitsplatz. Bisher scheint die Rechnung aufzugehen, weil die Insolvenzzahlen am kurzen Ende ja sogar gesunken sind. Doch spätestens, wenn die vom Bundestag Ende März wegen der Corona-Krise beschlossene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Ende Septem-ber 2020 ausläuft, wird das böse Erwachen kommen. Dann werden bis Ende Oktober hunderte, wenn nicht tausende Betriebe in Konkurs gehen und Arbeitsplätze verschwinden. Banken werden Kredite abschreiben müssen und in Einzelfällen selbst in Schwierigkeiten geraten. Schlägt dann die sommerliche Gutgläubigkeit wieder in herbstliche Tristesse um – mit allen Folgen für den Konsum der Verbraucher, der doch in den vergangenen Jahren zunehmend zur Konjunkturstütze diente?

Leichtfertige Gutgläubigkeit hat aber auch das Gros der Journalisten erfasst. Wer die Bewertungen des EU-Gipfels in deutschen Medien auf einen Nenner bringen will, versteht die Welt nicht mehr. Weil noch nie so viel Geld (1,85 Billionen Euro!) in die EU-Geldverteilungsmaschinerie gesteckt wurde wie in den kommenden sieben Jahren, hat Europa angeblich seine Handlungsfähigkeit bewiesen und gewonnen. Dass dabei das laut den europäischen Verträgen bestehende Kreditaufnahmeverbot ausgehebelt und der Weg in eine EU-Transferunion so gut wie unumkehrbar eingeleitet wurde, ist den meisten kaum eine kritische Randbemerkung wert. Warum die italienische oder auch die spanische Regierung innenpolitisch umstrittene, aber dringend notwendige Reformen ihrer Sozialsysteme und Arbeitsmärkte noch durchsetzen sollten, wo sie jetzt doch fast dreistellige Milliardensummen an Zuschüssen aus Brüssel erhalten und darüberhinaus hohe zinsgünstige Kredite, die erst bis 2058 abbezahlt sein sollen, fragt sich kaum einer der zahllosen gutgläubigen Journalisten.

Dabei dürfte die Illusionsblase vom angeblich reichen Deutschland, das seine Wirtschaft nach politischem Gusto aus- und wiederanschalten, privatwirtschaftliche Arbeitsplätze mit Staatsknete sichern und quasi nebenbei auch südeuropäische EU-Mitgliedstaaten alimentieren sowie die Hauptlasten der Migration nach Europa tagen kann, schon sehr bald platzen.

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Kommentare ( 50 )

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Schwabenwilli
3 Jahre her

Wenn der Laib Brot wieder eine Million Euro kostet, wissen wir was los ist.

Kunze
3 Jahre her

Der Autor ist zwar nicht gutgläubig, aber doch sehr leichtgläubig. Herr Metzger, wo „wütet“ denn jetzt schon wieder diese mittelprächtige Grippewelle? In den USA? In den USA hat man die Anzahl der Tests verdreifacht und dabei nur eine Verdopplung der positiven Ergebnisse. Das ist alles. Wer suchet, der findet eben auch mal was. Gilt auch hierfür: swprs.org

Micha.hoff
3 Jahre her

„Aber wie die Tage Noahs waren, so wird auch die Ankunft des Sohnes des Menschen sein. Denn wie sie in jenen Tagen vor der Flut waren: – sie aßen und tranken, sie heirateten und verheirateten bis zu dem Tag, da Noah in die Arche ging und sie es nicht erkannten, bis die Flut kam und alle wegraffte -, so wird auch die Ankunft des Sohnes des Menschen sein.“ (Matth. 24). Business as usual bis zum Untergang – alles nichts Neues.

moorwald
3 Jahre her

In der Medizin kennt man den Begriff „diagnosis ex iuvantibus“ – einfach übersetzt: Schaun mer mal, was hilft, dann wissen wir, was es war.

Diesem Muster folgen EU und EZB. Mit Riesengeldsummen (Schulden) versuchen sie, eine Krankheit zu heilen, ohne die Diagnose zu kennen oder anzuerkennen.

Das wird sehr, sehr teuer und trotzdem das weitere Siechtum der Betroffenen nicht aufhalten.

christin
3 Jahre her

Ach Herr Metzger, wozu braucht Deutschland noch Industrie? Die deutsche Vorzeigeindustrie geht zurecht in Länder wo man noch froh um jeden Arbeitsplatz ist. In Deutschland dagegen wird das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt, regelmäßig fliegt ein Helikopter der flächendeckend Euroscheine verteilt.
Was, Sie Herr Metzger, sind nicht einverstanden und fragen sich, woher das Geld kommen soll? Na, die EZB Druckerpresse kennt keine Arbeitszeit, die läuft rund um die Uhr und was für die Milliarden-Wiederaufbauhilfe für die EU möglich ist, muss doch auch für Deutschland gelten.

Ratloser Waehler
3 Jahre her

Die sehr richtige Kritik von Herrn Lindner wird nur deswegen in der AA angesprochen, weil die Augsburger Allgemeine der Ansicht ist, dass die Aussage Linders von ihren treuen Schäfchen-Lesern sowieso verurteilt wird.
Und wer nicht eh schon dahingehend erzogen wurde, weiß dann nach der Lektüre von Verheugens Reaktion Bescheid:

„Verheugen: Dieser Satz hat mich erschüttert, weil er niederträchtig und anti-europäisch ist. Herr Lindner hat erkennbar nicht verstanden, worin die europäische Idee besteht…..“

Oliver Koenig
3 Jahre her

Dann wird die Insolvenzantragspflicht eben noch mal ausgesetzt, und nochmal und nochmal.

Mertens
3 Jahre her

„gutgläubige Journalisten“ Sind die wirklich nur gutgläubig? Oder vielleicht doch eher „böswillig“?

Karina Gleiss
3 Jahre her

Das Erwachen wird schlimm und schmerzhaft, in jeder Beziehung. In der DDR.1 wussten die Menschen wenigstens, dass sie verar…t wurden, und es gab einen gewissen Zusammenhalt untereinander. Dies ist in der aktuellen Neuauflage anders: wahr ist, was die MSN verbreiten, nicht was man als selbständig denkender Mensch sehen, hören und ahnen könnte – wenn man denn wollte.

Tesla
3 Jahre her

Je größer die Blase, desto lauter der Knall, wenn sie platzt. Sowohl die Bundesregierung mit ihrem „großen Wumms“ als auch die EU mit ihren 1,85 Bill. EUR tun alles daran, um diese Blase noch weiter aufzupumpen.

Karina Gleiss
3 Jahre her
Antworten an  Tesla

Den Wumms erleben ja etliche Selbständige derzeit am eigenen Leibe, welche die „Corona-Hilfen“ zum Teil vorzeitig zurückzahlen müssen, da diese plötzlich nur zu Deckung der Fixkosten und nicht zur Überbrückung wegen fehlender Einnahmen durch Umsatzeinbußen etc. gedacht waren.
Die Bagage in Berlin hat mit Sicherheit schon weitere Schweinereien ausgeheckt. Ob sie mit der offenen Präsentation warten können bis nach der BT-Wahl, ist angesichts der angespannten Wirtschaftslage fraglich. Allerdings interessiert es diese Abkassierer ohnehin nicht, solange ihre Pfründe gesichert sind. Da wird dann eben vorsorglich noch eine weitere Corona-Welle angekurbelt, um Zeit zu schinden und das Volk völlig irre zu machen.