Die Abgrenzung zur AfD wird zum Maßstab der deutschen Politik

Eigenes programmatisches und personelles Profil ist für Parteien in Deutschland weniger wichtig als die kompromisslose Abgrenzung zur AfD. Das ist fatal.

Sean Gallup/Getty Images

Als Kolumnist muss man sich im aufgeregten politischen Meinungsklima erst einmal öffentlich bekennen: Ich gehöre nicht zu den Wählern oder Sympathisanten einer AfD, in der sich in den letzten Jahren zunehmend der nationale und sozialistische Flügel des Björn Höcke durchsetzt. Trotzdem bleibt zu den Fakten zunächst einmal festzuhalten: Die „Alternative für Deutschland“ ist eine Partei, der es nach der erfolgreichen Gründung der Grünen vor 40 Jahren als erster Neugründung gelungen ist, in einem atemberaubenden Tempo von weniger als sieben Jahren in alle 16 Länder-Parlamente einzuziehen, zur stärksten Oppositionsfraktion im Bundestag zu werden und trotz der Abspaltung der euroskeptischen Parteigründer auch bereits das zweite Mal in das Parlament der EU gewählt zu werden.

Als Abgeordneter saß ich selbst insgesamt zehn Jahre im Bundestag und im Landtag von Baden-Württemberg. Mein Credo war immer, dass vom Volk gewählte Abgeordnete gleiche Rechte und Pflichten haben. „Sie sind – wie es in Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes heißt – „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Jetzt bin ich natürlich nicht blauäugig, kenne die diversen Zwänge des politischen Geschäfts – vom Fraktionszwang bis zur Drohung mit der Nichtnominierung durch die Partei. Doch eines wusste ich immer: Bei geheimen Wahlen und in Abstimmungen zählt jede Abgeordnetenstimme in gleicher Weise. In Thüringen wählten im vergangenen Jahr 23,4 Prozent der Wähler die AfD, was einem Zugewinn von 12,8 Prozent entsprach. 22 Abgeordnete sitzen seither für diese Partei im Landtag. Sie votierten in geheimer Wahl für einen Ministerpräsidentenkandidaten der FDP, der im 3. Wahlgang gewählt wurde, weil er von seiner eigenen fünfköpfigen Fraktion sowie der 21-köpfigen CDU-Fraktion gewählt wurde. Rein rechnerisch hätte der FDP-Bewerber aus diesen drei Fraktionen 48 Stimmen haben können. Er erhielt aber „nur“ 45 Stimmen, während der Bewerber der rot-rot-grünen Minderheitsregierung, Bodo Ramelow, 44 Stimmen erhielt und damit 2 Stimmen aus dem Lager von CDU, FDP und AfD. Auch eine Stimmenthaltung wurde vermerkt.

Avanti Dilettanti
Der ewige Landtag – wie die Hysterie Thüringen in die Sackgasse trieb
Dass diese geheime Wahl die Republik sofort in einen Hyperventilierungs-Status versetzte, ist bekannt. Zumindest das politische Establishment und die gesamte Medienzunft waren sich einig: Das ist der „Dammbruch”, die Parallele zur ersten Regierungsbeteiligung von Nazis seit 1930. Wie geschichtsvergessen muss man übrigens sein, wenn man das Thüringen des Jahres 1930 mit dem heutigen Land vergleicht?! Die Bundeskanzlerin, Inhaberin eines Amtes mit Verfassungsrang auf Bundesebene, intervenierte schon anderntags aus Südafrika und verlangte eine unverzügliche Korrektur der Wahl. Dass diese Amtseinmischung unsere föderale Ordnung und die Souveränität des Thüringer Landtags mit Füßen tritt, regt im Land scheinbar kaum jemand auf. Dass der Bundespräsident, ebenfalls ein Verfassungsorgan, die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen einen Wahlmissbrauch nennt, „um die freiheitliche Demokratie und ihre Vertreter der Lächerlichkeit preiszugeben“, geht genauso unter. Dass Kandidaten bei demokratischen und geheimen Wahlen scheitern können, scheint für das Establishment nicht zu gelten, wenn plötzlich „falsche“ Mehrheiten zusammenkommen.

Seit Jahren versuchen die etablierten Parteien die neue rechte Konkurrenz durch Aus- und Abgrenzung klein zu halten. Je weniger das gelungen ist, umso aggressiver wird die Frage, „Wie hältst Du es mit der AfD?“, zum Maßstab allseits akzeptierter demokratischer Politik in Deutschland. Statt die Themen aufzugreifen, die Millionen von Wählern zur AfD getrieben haben, wird mit einem Kampf gegen die AfD-„Nazis“ fast ausschließlich auf Aus- und Abgrenzung gesetzt. Das radikalisiert übrigens ganz nebenbei die AfD weiter, weshalb der Höcke-Flügel auch zunehmend die Oberhand gewinnt. Aber es radikalisiert auch immer größere Teile von deren Wählerschaft, die vor allem im Osten immer weniger Sympathien für das deutsche Demokratie-Modell hegt. Diese Entwicklung ist verhängnisvoll.

Für eine im besten Sinn marktwirtschaftliche und bürgerliche Politik im Land geradezu fatal ist aber das AfD-Abgrenzungsstöckchen, das vom politischen und journalistischen Juste Milieu der Union wie der FDP bei jeder Gelegenheit unter die Nase gehalten wird. Es erzwingt praktisch einen kontinuierlichen programmatischen Linksruck im Land. Dieser politisch-mediale Mechanismus könnte dafür sorgen, dass uns im Land bei der nächsten Bundestagswahl eine linke Mehrheit blüht.

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Kommentare ( 88 )

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Peter Pascht
3 Jahre her

„Corona-Politik: immer härter und immer hilfloser“ ?
Sorry wenn ich sie korrigieren muss:
Corona-Politik: immer rücksichtsloser und immer dümmer.
Sollten sie mir nicht zustimmen wollen, verweise ich sie auf ihren eigenen profetischen Artikel vom 1. Nov. 2020,
Corona: Wann werden wir uns wiedersehen?
welcher nun im Nachinein noch viel profetischer erscheint als amals und viel mehr den Schwachsinn der Regierungspolitik offen legt als damals.
Wenn ihnen jetzt die Galle nicht hochkommt, dann wurde sie ihnen irgendwann in der Vergangenheit operativ entfernt, „Cholizistektomie“ sagt der Facharzt.
Da fällt mir zu unseren Politikern nur Cephalotectomie ein.

RauerMan
4 Jahre her

Wenn uns eine“ Linke-Mehrheit blüht“, ist das die Schuld der Union. Menschen welche aus politischen Sachgründen AfD wählten und weiterwählen, lassen sich von ihrer begründeten Entscheidung nicht ablenken. Die Union hat sich ihre Agonie mit Linksrutsch und schlechten Sachentscheidungen(EU,EURO.Energie,Wehrpflicht-Abschaffung,Kriminalität,usw.und so fort) von großen Teilen ihrer einstigen Stammwählerschaft verabschiedet. Ein weiterer Linksrutsch, mit Regierungsbeteiligung der Linken/SED, wäre der endgültige Todesstoß eines einstmals toleranten und prosperierenden Landes, Deutschland. Das Ausgrenzen weiter konservativer Wählerschichten durch die Union wird deren politische Bedeutungslosigkeit weiter beschleunigen, das ist wie ein Naturgesetz. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, wer mit dem Kopf, wegen politische Ignoranz,… Mehr

Peter Pascht
4 Jahre her

Um die Absurdität dieser schamlosen Instrumentalisierung zu ersehen müssen wir uns den Täter Tobias Rathjen blos näher betrachten, der 1977 geboren ist. Seine Mutter die er über alles liebte, hat er liebevoll mit ihrer Parkinson Erkrankung gepflegt, bezeugen Nachbarn. Es war wohl der Grund warum er sie „mitgenommen“ hat, ein wohl bekanntes Muster bei Selbstmördern, geliebte Personen nicht „ohne Schutz“ zu hinterlassen. Sie hatte selber einen sogenannten „Migrationshintergrund“. In seiner Jugend (bis zum 15. Lebensjahr) spielte er Fußball in der D-Jugend bei Eintracht Frankfurt, in einem Verein der sich expressiv gegen Rassismus ausspricht. „Wir waren eine Gruppe von fast 30… Mehr

Peter Pascht
4 Jahre her

Wenn ein Polizist auf Facebook seine persönliche Meinungsfreiheit wahrnimmt, so ist er als Privatperson unterwegs. Oder war dem nicht so? Man darf ja annehmen, dass der Herr Polizist da AfD-kritisch nicht im Staatsauftrag tätig war. Sollten dann gegen ihn Beleidigungen, Verleumdungen oder Drohungen ausgesprochen werden, so kann dies keine Angelegenheit für den Staatsschutz sein, sondern Privatangelegenheit der beteiligten Personen, die auch strafrechtliche Aspekte haben kann, wie bei jeder Wirtshausprügelei, aber nicht für den Staatschutz. Oder ermittelt neuerdings der Staatschutz bei Wirtshausprügeleien? Oder hat da jemand unberechtigter Weise aus Parteiinteressen den Staatsschutz eingesetzt? Als einfacher Bürger bleiben da nur Fragen über… Mehr

Peter Pascht
4 Jahre her

Die Abgrenzung zur AfD wird zum Maßstab der deutschen Politik, nicht nur. Wie der FOCUS berichtet, laufen Ermittlungen des Staatschutzes auf Hochtouren gegen „Hass-Kommentare“ im Netzt. Wohl auf Facebook werden 40.000 Kommentare auf strafrechtlich relevante Tatbestände durchsucht, nachdem dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, David Maaß, „Hass-Kommentare“ entgegen gebracht sein sollen, nachdem dieser sich kritisch zur AfD geäußert hat. Ich für mich habe bis heute nicht verstanden was ein „Hass-Kommentar“ sein soll. In unserem StGB gibt es einen solchen Tatbestand nicht. Da gibt es Beleidigung, Verleumdung, Bedrohung, als Personen bezogen Straftatbestände, wobei die ersten beiden nur auf Antrag verfolgt werden.… Mehr

Peter Pascht
4 Jahre her

Aus der CDU von Helmut Kohl hat Merkel eine nachfolge Organisation der SED gemacht. Es ist den Erben der SED-Diktatur Partei (von Merkel bis Göring-Eckardt) gelungen, das Wesen und Inhalt von Politik umzudefinieren, von Sacharbeit in Dienste der Gesellschaft, zu einem ideologischen Rechthaberstreit, wie man das schon aus der DDR kennt. Das war der Grund warum dieser Staat kaputt gegangen ist. Das ist auch der Grund warum in der Ära Merkel alle Sachthemen in allen Sachbereichen nicht voran kommen. z. Bsp., der Berliner Flughafen sollte erstmalig im Nov. 2005 fertig sein, dem Jahr als Merkel die politische Macht angetreten ist.… Mehr

Peter Pascht
4 Jahre her

Niemand steht über Recht und Gesetz, keine Person und keine Gesinnung. Wenn „Grüne“ Politiker, wie Habeck und Baerbock, meinen „für den Klimaschutz schon mal kurzzeitig die Demokratie außer Kraft setzen zu dürfen“ so muss man ihnen nur eine zutiefst politische Unreife attestieren, die eine Übernahmen von Regierungsverantwortung völlig ausschließt.

Peter Pascht
4 Jahre her

Eine Abgrenzung des persönlichen Handelns zu jedem Gedankengut, das nach akzeptierten moralischen Maßstäben, menschenverachtend ist, ist eine Selbstverständlichkeit und bedarf keines Diskurses, sondern nur der Verachtung. Die Wirksamkeit diese Bekenntnisses schließt allerdings aus, dass dieses durch instrumentalisierten Missbrauch seiner Wirkung enthöhlt und erodiert wird. Es ist nicht nur ein naiver Irrglaube gegen oder für abstrakte Begriffe zu kämpfen, wenn dies nur al Ersatz, Surrogat, für reales Handeln dienen soll, sondern wirkungslose Zeitverschwendung, denn wie steht es doch schon in der Bibel: „nach ihren taten sollt ihr sie richten, nicht nachihren Worten.“ Es ist völlig realitätsleer für „Idealismus“ zu kämpfen. Es… Mehr

Vulkan
4 Jahre her

Bisher konnte die Regierung die AfD auch finanziell kleinhalten, durch das 7 Millionen Euro Testament eines Ingenieurs aus Niedersachsen und entsprechende Ansprüche auf Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung entsteht jetzt ein riesiger Puffer. Nun sollte auch Geld vorhanden sein, um gegen Diffamierung zu klagen. Da auch Immobilien im Erbe enthalten sind, ist die Partei zukünftig wahrscheinlich nicht mal mehr darauf angewiesen, sich vergeblich um gemietete Räume für den Parteitag zu bemühen, sondern kann die eigenen Gebäude nutzen. CDU und SPD machen sicher bald ein Brainstorming, nicht um die Abgrenzung (das wäre ok.), sondern die weitere Ausgrenzung und Mobbing gegen die… Mehr

chino15
4 Jahre her

Auch ich sehe Höcke in Sachen Sozial- und Wirtschaftspolitik eher links als rechts. Wobei mich sein völkisches Geschwurbel ähnlich anwidert wie Merkels infantile Phrasendrescherei unter Vergewaltigung von Satzbau und Grammatik. Ich hoffe, dass sich in der AfD der wirtschaftsliberale Flügel durchsetzt: als ehemalige FDP-Stammwählerin erschien mir die Lucke-AfD ursprünglich als die bessere FDP, aber die jetzige AfD ist immer noch besser als alles andere, was derzeit im Bundestag herumspukt.