Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 23-2020

Das Corona-Konjunkturpaket: Der Preis des politischen Aktionismus

Ruhige Analyse und überlegtes Handeln wären jetzt geboten. Stattdessen beherrschen Hektik und Parteitaktik das Regierungshandeln: Einfalt in der Vielzahl!

imago/photothek

In diesem Ordnungsruf geht es nicht um nachträgliche Besserwisserei oder um billige Kritik, ob der politisch verordnete Lockdown der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland die richtige Antwort auf die Corona-Pandemie waren. Fakt ist jedenfalls, dass unser Land bisher gesundheitspolitisch besser durch den Virus-Ausnahmezustand kam als viele andere Staaten. Dass die Gefahr einer zweiten Welle durchaus realistisch ist, belegen derzeit Beispiele aus Israel, das seine Schulen kurz nach der Eröffnung wieder schließt, oder aus Iran, in dem die Infektionszahlen in einer zweiten Welle auf neue Höchststände hochgeschossen sind.

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Hier geht es vorrangig um die Inkonsistenz der Rettungspakete, die eine schwarz-rote Bundesregierung in bisher nicht gekannter Harmonie, dafür aber in hektischer Betriebsamkeit verabredet hat. Wie groß das aktionistische Tempo ist, veranschaulicht allein schon die Tatsache, dass in dieser Woche das Bundeskabinett zweimal tagt – regulär am Mittwoch und in einer Sondersitzung am Freitag. Die Zeit drängt vor allem wegen der ab 1. Juli geplanten sechsmonatigen Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent (respektive 7 auf 5 Prozent). Genau dieser Mehrwertsteuer-Überraschungscoup entfaltet aber bereits aktuell Risiken und Nebenwirkungen, die jeder mit beiden Beinen im Leben stehende Politiker hätte erkennen können.

Statt die Nachfrage nach größeren Anschaffungen mit diesem Steuernachlass anzureizen, die für viele Firmen nach dem Umsatzeinbruch von Mitte März bis Mitte Mai auch kurzfristig überlebensnotwendig ist, führt die Mehrwertsteuersenkung kurzfristig zu Konsum-Attentismus. Kaufverträge für Autos werden storniert und Bauabnahmen von privaten Bauherren verzögert, damit die Rechnungen erst ab Juli mit niedrigerer Mehrwertsteuer fällig werden. Nicht wenige Konsumenten halten sich mit Kaufwünschen dank der von der Politik ab Juli in Aussicht gestellten günstigeren Preise vorerst komplett zurück mit größeren Investitionen. Konjunktur-Stimulantien, die im wirtschaftlichen Alltag als Konsumbremse wirken, sind genau das falsche Rezept.

Viel Getöse, wenig dahinter
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Ein Eigentor hat die Bundesregierung auch mit ihrer Kaufprämie für Elektrofahrzeuge geschossen. Wie der Konflikt zwischen IG-Metall und linker SPD-Parteiführung anschaulich belegt, führt die Ausklammerung von Verbrennungsmotoren aus der staatlichen Förderung zu massiven Ängsten bei den Belegschaften von VW & Co. Die deutschen Autobauer und ihre gewerkschaftlich gut organisierten Mitarbeiter wissen um den Absturz der Nachfrage in den letzten 10 Wochen. Doch wer Fabriken auslasten und die Belegschaften halten will, braucht Käufer. Batteriebetriebene Fahrzeuge stehen weder in ausreichender Zahl und attraktiver Modellpalette zur Verfügung, noch ist die Anschaffungsbereitschaft der Kundschaft gegenüber E-Modellen sonderlich groß. Bisher waren vor allem die großvolumigen SUVs die Cash-Cow der deutschen Hersteller. Ohne den erheblichen Deckungsbeitrag dieser Fahrzeugklasse werden die Fahrzeugbauer die gewaltigen Kosten der Umstrukturierung ihrer Modellpalette – weg vom Verbrenner, hin zur politisch favorisierten elektrischen Mobilität – aber kaum finanziert bekommen.

Ökologisch ist die politische Priorisierung der batteriebetriebenen Elektro-Mobilität ohnehin widersinnig. E-Autos werden zwar auf dem Papier von der EU als Null-Emissionsautos gewertet. Doch tatsächlich fahren sie mit Strom aus der Steckdose. Der kommt aber nun mal nicht nur in Dunkelflaute-Zeiten nicht nur von erneuerbaren Energieträgern, sondern auch aus Kohle- und Gaskraftwerken oder aus AKWs – bei Bedarf auch aus importiertem „Schmutz“-Strom. Ob man das den grün infizierten automobilen „Verkehrswende“-Ideologen irgendwann mal bewusst machen kann?
Die Absatzzahlen der deutschen Premiumhersteller, vor allem ihrer großvolumigen und margenstärkeren Modelle, werden auch wegen einer massiven Steuererhöhung unter Druck geraten, die das Bundeskabinett am Freitag beschließt. Denn die Kfz-Steuer wird noch stärker am CO2-Ausstoß der Fahrzeuge orientiert. Vor allem für die schweren und emissionsstärkeren Fahrzeuge wird sie deutlich teurer. SUVs waren aber bisher für viele Hersteller die beim Kunden zugkräftigste Fahrzeuggattung.

Stille Revolution?
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Ein kleiner ökologischer Einschub: Natürlich bin ich kein Freund von hohen CO2-Ausstößen im Automobilsektor. Doch wer die Emissionen im Straßenverkehr senken will, kommt an schadstoffärmeren Treibstoffen (E-Fuels) überhaupt nicht vorbei. Nur wer den CO2-Ausstoß in der riesigen vorhandenen Fahrzeugflotte mit alternativen Treibstoffen mindert, wird schnell einen signifikanten Schadstoffrückgang bewirken können. Als Nebeneffekt besteht dann noch die industriepolitische Chance, dass die deutschen Fahrzeugbauer den Strukturwandel überleben.

Eine weitere Maßnahme, die das Bundeskabinett im Rahmen der Konjunkturpakete beschließt, betrifft die Förderung der grünen Wasserstoff-Technologie. So begrüßenswert diese Technologie-Offensive ist: Auch sie birgt Risiken und Nebenwirkungen, die mit der politisch priorisierten Förderung der E-Mobilität in Zusammenhang stehen. Die Bundesregierung setzt vor allem auf die Wasserstoffgewinnung aus regenerativen Energien. Das ist ökologisch konsequent, weil nur mit dieser grünen Wasserstofftechnik tatsächlich CO2-frei Auto gefahren und vor allem in der energieintensiven Stahl- und Chemieindustrie klimaneutral produziert werden kann. Doch dafür sind gewaltige Strommengen erforderlich, die durch Sonnen- und Windkraftanlagen produziert werden müssen. Millionen von batteriebetriebenen E-Autos, die nur dann CO2-frei fahren, wenn ihr Strom aus regenerativen Quellen stammt, konkurrieren dann mit den gewaltigen Strommengen, die für die Elektrolyseure zur Wasserstoffgewinnung für die Chemie- und Stahlindustrie notwendig sind.

Angesichts einer riesigen Ministerialbürokratie, die den Regierungsparteien in Berlin zur Verfügung steht, fragt man sich angesichts dieser eklatanten Widersprüche, ob es an der Kompetenz der Mitarbeiter mangelt oder an der intellektuellen Führungsqualität der Politiker. Ich erinnere mich noch an meine Jahre im Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat. Immer dann, wenn man politische Kompromisse schließen wollte, wurden die Fachbeamten aus dem Raum geschickt. Expertise war nicht gefragt, wenn politisch gedealt wurde. Mir scheint, dass dieser Zustand heute zur Regel geworden ist.

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