Corona-Bonds sind vom Tisch – vorerst

Was am Horizont aber bereits aufscheint, wenn man Scholz in seiner Pressekonferenz komplett lauscht, ist ein europäischer „Recovery Fonds“, ein gigantisches europäisches Konjunkturprogramm. Zu dessen Finanzierung könnten dann doch wieder gemeinsame europäische Anleihen anstehen.

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Sechzehn Stunden hat die Videokonferenz der Finanzminister der Eurogruppe vom frühen Dienstagabend bis zum heutigen Morgen gedauert, um dann auf Donnerstag vertagt zu werden. Weil im Vorfeld vor allem in Italien und Deutschland das Thema der Corona-Bonds, also der gemeinsamen Kreditaufnahme in Europa und damit die Vergemeinschaftung der Haftungsrisiken, die finanzpolitische Debatte beherrschte, drängte sich im ersten Moment der Eindruck auf, dass die vorläufige Nichteinigung mit diesem Streitpunkt zusammenhängt. Doch inzwischen hat sich wohl auch in Südeuropa herumgesprochen, dass die Aufnahme gemeinsamer europäischer Anleihen juristisch ohne EU-Vertragsänderungen nicht möglich ist und deshalb Zeit bräuchte, die weder Italien noch andere Pandemie-Notlagenstaaten zur Verfügung haben. Deshalb konzentriert sich die Debatte auf den Instrumentenkasten, über den die EU und die Eurogruppe verfügen: den ESM, die Europäische Investitionsbank (das europäische Gegenstück zur bundeseigenen KfW) sowie den EU-Haushalt.

Wer sich auf der Website des Bundesfinanzministeriums die 13-minütige Pressekonferenz von heute Früh mit Olaf Scholz anschaut, wird – bei aller Skepsis gegenüber offiziellen Verlautbarungen einer Regierung – heraushören können, dass eine Einigung über eine große europäische Hilfsaktion zur Bewältigung der Rezessionsfolgen noch vor Ostern bevorsteht. Nicht an der Frage der „Corona-Bonds“ ist in der Eurogruppen-Sitzung eine Einigung im ersten Anlauf gescheitert, sondern an den Konditionalitäten für die Unterstützung aus dem ESM, dem europäischen Stabilitätsmechanismus, der aufgrund seiner Finanzausstattung aktuell ein Kreditvolumen von mehr als 400 Milliarden Euro stemmen könnte. Nicht die Deutschen, sondern wohl die Niederländer, beharren auf einer stärkeren Konditionalität bei den Milliardenbeträgen, die aus dem ESM an Italien oder andere antragstellende Länder fließen sollen.

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Der Europäische Stabilitätsmechanismus wurde im September 2012 als internationaler Vertrag von den Euro-Staaten abgeschlossen. Rund 80,6 Milliarden Euro haben die insgesamt 19 Staaten bisher in den ESM eingezahlt, der Teil des nach der Euro-Krise aufgebauten Rettungsschirms ist. Deutschland steuert nach seinem Anteil am Kapital der Europäischen Zentralbank etwa 27 Prozent bei und hat in den Jahren 2012 bis 2014 knapp 22 Milliarden Euro eingezahlt. Insgesamt verfügt der ESM über ein abrufbares Kapital von 624,3 Milliarden. Deutschland haftet nach seinem EZB-Schlüssel für insgesamt 190 Milliarden Euro. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat dem deutschen Gesetzgeber 2012 auferlegt, in einem Zusatzprotokoll gegenüber den anderen Vertragsstaaten verbindlich zu erklären, dass die deutsche Haftung maximal auf diese Höchstsumme von 190 Milliarden Euro begrenzt ist. Diese Auflage des Bundesverfassungsgerichts wurde auch hundertprozentig umgesetzt. Denn der ursprüngliche völkerrechtliche Vertrag sieht keine absolute Haftungsobergrenze vor. Ohne Bundestagsentscheidung ist für Deutschland definitiv keine Haftungserhöhung möglich. Die Bundesregierung ist hier eindeutig gebunden.

Subventionierte Hilfskredite aus dem ESM könnten vor allem Italien noch günstigere Zinsen bieten, als derzeit am Markt gefordert werden. 1,5 Prozent Zinsen werden für italienische Staatspapiere aktuell verlangt. Nach den bisherigen Konditionalitäten wurden ESM-Kredite an Euro-Staaten auf Antrag aber nur gewährt, wenn sich das Land einem detaillierten makroökonomischen Konsolidierungsprogramm unterwirft und sich zu einer strikt stabilitätsorientierten Budgetpolitik verpflichtet. Man erinnert sich noch an die Troika, die einst in Griechenland die Stabilitätsauflagen durchzusetzen suchte. Von solchen Bedingungen ist bei der Corona-Hilfe aus dem ESM keine Rede mehr. Es wird maximal eine Konditionalität „light“ geben, um die bis zur Finanzministerrunde am Donnerstag noch gestritten wird. An Deutschland wird das Paket gewiss nicht scheitern. Das machte der Bundesfinanzminister unmissverständlich klar.

Was am Horizont bereits aufscheint, wenn man Scholz in seiner Pressekonferenz komplett lauscht,  ist ein europäischer „Recovery Fonds“, also ein großes Wideraufbauprogramm, dass man auch klassisch als gigantisches europäisches Konjunkturprogramm titulieren könnte. Mit dem sollen die Folgen der bevorstehenden tiefen Rezession in Europa bekämpft werden. Ob zu seiner Finanzierung dann nicht wieder das Stichwort Euro-Bonds aufgerufen wird: Wer weiß? Denn an einer gemeinsamen europäischen Haftungsunion bleiben die Schuldenstaaten nach wie vor interessiert. Der politische Widerstand gegen diese Vergemeinschaftung in Deutschland und anderen Nordländern ist löchrig, weil Linke, Grüne und Sozialdemokraten nur zu gern und mit Solidaritätsattitüde für europäische Anleihen werben.

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Kommentare ( 28 )

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Regenpfeifer
4 Jahre her

Es braucht gar keine Corona-/Euro-Bonds mehr, denn die EZB hat klammheimlich in den letzten Tagen eh schon alle entsprechenden Fesseln für eine Vergemeinschaftung der Schulden über Bord geworfen: a) Die „1/3-Regel“, dass die EZB max. nur 1/3 der ausstehenden Anleihen eines Landes halten darf, wurde aufgegeben; b) die Regel, dass die EZB Staatsanleihen nur im Verhältnis der EZB-Haftungsanteile ihrer Euro-Länder kaufen kann, wurde aufgegeben; und c) die Regel, dass die EZB keine Junk-Bonds kaufen darf, wurde auch aufgegeben (siehe https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2020/html/ecb.pr200407~2472a8ccda.en.html ). Heißt im Klartext: Die Corona-Bonds-Diskussion ist nur noch Schattenboxen, denn die EZB kauft eh schon gerade Italien- und Griechenland-Junkbonds… Mehr

fatherted
4 Jahre her

Stimmt…fiel mir auch extrem in den letzten Tagen auf. Bemerkungen wie „es geht doch gar nicht anders“ oder „die Länder die sich gegen diese Lösung sperren“ oder „wir müssen gemeinschaftlich Verantwortung übernehmen“ sind in fast allen Programmen, wenn es zu diesem Thema kommt, zu hören.

Peter Gramm
4 Jahre her

was eiert man nur so herum. Ohne gmeinsame Schuldenaufnahme kann dieser Moloch EU doch gar nicht funktionieren. Dazu sind die Südländer ökonomisch doch gar nicht in der Lage. Die völlig überschuldeten Rotweinstaaten können ihre Schuldentürme nicht weiter aufblähen. Muß allso eine Lösung in Formn der gemeinschaftlichen Übernahme von Schulden her. Davor haben aber bei uns die Regierungsparteien Angst, denn dafür würden sie bei der nächsten Wahl wohl eine unmißverständliche Quittung (nämlich Abwahl) bekommen. Der Euro ist eine Fehlkonstruktion. Das zeigt sich in Krisen wie Corona immer mehr mehr. Die Verantwortlichen dafür trifft es ja nicht. Sie kassieren fette Pensionen. Das… Mehr

Dieter
4 Jahre her

„the Spanish government is working to roll out a universal basic income as soon as possible, as part of a battery of actions aimed at countering the impact of the coronavirus pandemic, according to Economy Minister Nadia Calvino. Social Security Minister Jose Luis Escriva is coordinating the project and plans to put some sort of basic income “in place as soon as possible,” with the main focus on assisting families, Calvino, who also serves as deputy prime minister, said in an interview Sunday night with Spanish broadcaster La Sexta. But the government’s broader ambition is that basic income becomes an… Mehr

andreashofer
4 Jahre her

Letztens beim Fressnapf wurde ich aufgefordert, mit Karte zu zahlen. Und beim Bäcker gibt es mittlerweile auch die Möglichkeit, mit Karte zu zahlen. Ich denke mir, es geht ans Bargeld. D.h. : Guthaben werden negativ verzinst und der Staat bekommt die Möglichkeit, die Ausgaben seiner Bürger zu steuern. Natürlich zum Wohl der Menschheit. Und dort sehe ich die Grünen am Besten aufgehoben. In der Kontrolle, Überwachung, Lenkung. Corona-Bonds, d.h. gemeinsame Schulden mit Italien: Wen interessiert das noch, es geht um die Freiheit!

humerd
4 Jahre her

EURO Bonds, neu halt jetzt Corona Bonds genannt damit die Gutmenschen sich gut fühlen können und das Helfersyndrom der Deutschen bedient, wird kommen.
Zwar wird geplärrt, dass die Boomer, die Alten den Jungen die Zukunft rauben würden, weil Klima, Umwelt etc. etc. Mit diesen EURO Bonds würden wir ein schreckliches Erbe unseren Nachkommen hinterlassen. Aber dann plärren die Gutmenschen wieder nach Rentenkürzung, weil ja de bösen Alten …..

cmh ungefragt
4 Jahre her

Kann eigentlich auch D in Konkurs gehen? Wer liquidierte das dann? Natürlich der, der die Milliarden gegeben hat. Und das ist wer?

HRR
4 Jahre her

„Ohne Bundestagsentscheidung ist für Deutschland definitiv keine Haftungserhöhung möglich. Die Bundesregierung ist hier eindeutig gebunden.“ — Der Bundestag ist bei der Gewährung von Milliarden Euro für einen wie auch immer zu benennenden Verteiler-Topf wirklich nicht das Problem. Die Bundeskanzlerin nennt dem Bundestag den Betrag, erklärt ihn für solidarisch alternativlos und wird daraufhin schnellstens abgenickt. Fall erledigt. Hilfsweise könnten einfach wieder mal ein paar EU-Regeln geschliffen oder angepasst werden. Der Steuer zahlende deutsche Bürger kann sich nun wieder fragen, wann das Turbo-Melken des Landes, das sich ja inzwischen ebenfalls in einer äußerst prekären Lage befindet, ein Ende haben wird. Die Antwort… Mehr

Biskaborn
4 Jahre her

Ob es diese schwarze Null tatsächlich gibt ist nicht ausgemacht. Warum wir aber eine verschlissene Infrastruktur und zu wenig Wohnraum haben, um nur zwei Beispiele zu nennen, rechnet man allein die Unsummen die dieser Staat für Migration, Demokratieprogramme oder besser Programme gegen die AfD, NGO‘ s , Unterstützung der gewaltbereiten Palistinänser oder, oder, oder mal zusammen. Diese Summen würden locker reichen, genannte Mängel zu beseitigen.

schukow
4 Jahre her
Antworten an  Biskaborn

Die Leute verstehen scheint’s Ihren Sarkasmus nicht, schade. 🙂

Werner Martin
4 Jahre her
Antworten an  Biskaborn

Interessant, wo kann man sich so bilden?
Da haben sie aber gut recherchiert.
Der Europolbericht sieht eher im Links- und Islamterror ein Problem . Aber so hat halt jeder sein Weltbild.

Werner Martin
4 Jahre her
Antworten an  Biskaborn

Sorry letzter Kommentar sollte als Antwort zu Volksschauspieler erscheinen.

Biskaborn
4 Jahre her

Den letzten Satz aufgreifend, die Linken, Grünen und die SPD werben nicht aus Solidaritätsgedanken, sondern aus ihrem ureigensten Wunsch nach Schwächung des Nationalstaates Deutschland um diesem endlich in einem großen EU Staat aufgehen zu lassen. Das sollte viel deutlicher herausgestellt werden.

Imre
4 Jahre her
Antworten an  Biskaborn

Weshalb unterschlagen Sie CDU / CSU und Merkel?!