Nur wer die Mechanismen des Politikbetriebs nicht kennt, mag sich wundern, dass Politiker vom Schlage des noch amtierenden Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert erst außerhalb und dann auch innerhalb ihrer Partei als „Hoffnungsträger“ aufgebaut werden. Als der junge Mann 2017 mit seinen Jusos den Wiedereinstieg der SPD in die Große Koalition – allerdings vergeblich – bekämpfte und dann im innerparteilichen Wahlkampf um die Neubesetzung der SPD-Vorstandsspitze im Herbst 2019 das – inzwischen ehemalige – #NoGroKo-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit seinen gut organisierten 80.000 Juso-Mitgliedern erfolgreich durchsetzte, war er medial dauerpräsent, weil radikal und rebellisch. Das mögen TV-Talk- wie Print-Redaktionen!
Seine einfachen Botschaften von der Enteignung von BMW oder von Wohnungsbesitzern, die mehr als 20 Wohnungen ihr eigen nennen, erfreuten das Herz vieler links tickenden Zeitgenossen. Endlich sprach wieder einmal einer aus der SPD aus, was in der sozialistischen Steinzeit zum programmatischen Grundkanon zählte. Der Mann setzt Themen und treibt das eigene Partei-Establishment vor sich her, tönte es auf allen Kanälen. Das „Hoffnungsträger“-Schild hängten Kühnert damals vor allem Journalisten um.
„Politik und ihre Persönlichkeiten“ ist immer ein heißes Thema. Ohne einen starken Hang zur narzisstischen Selbstverliebtheit und eine gewaltige Profilneurose kommt ein Mensch in diesem Beruf selten ganz nach oben. Hinderlich für eine politische Karriere ist außerdem so gut wie immer der berufliche Erfolg in der Privatwirtschaft. Denn wer es im Beruf außerhalb bestimmter Berufsfelder des öffentlichen Dienstes zu etwas bringen will, hat nicht die Zeit, endlose Abende in „Gremien und Hinterzimmern, auf Kundgebungen, mit Strippenziehereien“ (Thomas Schmid) zu verbringen. Kühnert passt genau in dieses Schema. Seine Schlagwort-Rebellion wirkt hohl. „Das Neue an ihm besteht darin, dass er zur ganz alten SPD zurückkehren will. Und dass er sich ungerührt traut, sogar besonders abgestandene Phrasen mit dem Elan des jugendlichen Reformators vorzutragen“ (Schmid).
Misst man Kevin Kühnert, der gewiss nicht nur einfacher Abgeordneter werden will, an diesen Maßstäben, dann trifft Thomas Schmid mit seiner Wertung auf meine volle Zustimmung: „Er wird einer der nicht wenigen SPD-Politiker werden, die als Radikale begannen und irgendwo in der Ministerialbürokratie oder auf einem Vorstandsposten endeten.“