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Bundestagskandidatur: Kevin Kühnert ante portas?

Als Rebell ist Kevin Kühnert bei den Jusos gestartet. Er hat ein linkes SPD-Vorstandsduo zu inthronisieren geholfen. Doch nun wird er plötzlich zahmer. Schließlich drängt es ihn in den Bundestag. Was soll er auch sonst tun?

Kevin Kühnert

imago images / teutopress

Nur wer die Mechanismen des Politikbetriebs nicht kennt, mag sich wundern, dass Politiker vom Schlage des noch amtierenden Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert erst außerhalb und dann auch innerhalb ihrer Partei als „Hoffnungsträger“ aufgebaut werden. Als der junge Mann 2017 mit seinen Jusos den Wiedereinstieg der SPD in die Große Koalition – allerdings vergeblich – bekämpfte und dann im innerparteilichen Wahlkampf um die Neubesetzung der SPD-Vorstandsspitze im Herbst 2019 das – inzwischen ehemalige – #NoGroKo-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit seinen gut organisierten 80.000 Juso-Mitgliedern erfolgreich durchsetzte, war er medial dauerpräsent, weil radikal und rebellisch. Das mögen TV-Talk- wie Print-Redaktionen!

Seine einfachen Botschaften von der Enteignung von BMW oder von Wohnungsbesitzern, die mehr als 20 Wohnungen ihr eigen nennen, erfreuten das Herz vieler links tickenden Zeitgenossen. Endlich sprach wieder einmal einer aus der SPD aus, was in der sozialistischen Steinzeit zum programmatischen Grundkanon zählte. Der Mann setzt Themen und treibt das eigene Partei-Establishment vor sich her, tönte es auf allen Kanälen. Das „Hoffnungsträger“-Schild hängten Kühnert damals vor allem Journalisten um.

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Doch Kühnert, ein machtpolitisch versierter Mann, dem aber der intellektuelle Tiefgang abgeht und der bisher vorwiegend durch altlinke Phraseologie auffällt, weiß auf der Klaviatur der innerparteilichen wie der medialen Usancen zu spielen. Geschickt nutzte er seine Rebellen-Performance, verhielt sich nach der Niederlage um die Neuauflage der GroKo und erst recht nach seinem Erfolg mit dem neuen SPD-Vorsitzenden-Duo opportunistisch und eroberte beim Parteitag am 6. Dezember 2019 mühelos das Amt eines stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD. Investoren und Vermieter aufgepasst: Seit Februar dieses Jahres ist er im Parteivorstand der SPD übrigens für den Bereich Immobilien, Bauen und Wohnen verantwortlich. Nicht erst seit seiner Wahl in den Parteivorstand verhält sich der junge Mann, der um Thomas Schmid aus der Welt zu zitieren, „sein gesamtes – man möchte sagen: fast – erwachsenes Leben ausschließlich in der Sphäre der Politik verbracht“ hat, „erstaunlich still, zahm und biegsam“. Schließlich will der Mann, der außerhalb der Politik kaum berufliche Erfahrungen gesammelt hat, endlich nicht nur für die Politik, sondern auch von der Politik leben. Deshalb gibt er den ehrenamtlichen Juso-Bundesvorsitz ab und drängt in den Bundestag, wo ein auskömmliches Einkommen lockt – übrigens ausgerechnet in dem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg, den sich der noch regierende SPD-Bürgermeister Michael Müller für sein Bundestags-Altenteil ausgesucht hatte. Doch für den findet sich im Zweifel auch ein anderer Berliner Wahlkreis.

„Politik und ihre Persönlichkeiten“ ist immer ein heißes Thema. Ohne einen starken Hang zur narzisstischen Selbstverliebtheit und eine gewaltige Profilneurose kommt ein Mensch in diesem Beruf selten ganz nach oben. Hinderlich für eine politische Karriere ist außerdem so gut wie immer der berufliche Erfolg in der Privatwirtschaft. Denn wer es im Beruf außerhalb bestimmter Berufsfelder des öffentlichen Dienstes zu etwas bringen will, hat nicht die Zeit, endlose Abende in „Gremien und Hinterzimmern, auf Kundgebungen, mit Strippenziehereien“ (Thomas Schmid) zu verbringen. Kühnert passt genau in dieses Schema. Seine Schlagwort-Rebellion wirkt hohl. „Das Neue an ihm besteht darin, dass er zur ganz alten SPD zurückkehren will. Und dass er sich ungerührt traut, sogar besonders abgestandene Phrasen mit dem Elan des jugendlichen Reformators vorzutragen“ (Schmid).

Der nächste Wohnungsbauminister?
Kühnert im SPD-Vorstand für Immobilien zuständig
Ich weiß, wie leicht man stigmatisiert wird, wenn man Berufsausbildungen nicht abschließt oder sein Studium abbricht, aber dann in der Politik reüssiert. Ich selbst habe mein Jura-Studium auch nicht beendet und bin doch mit knapp 40 Jahren – nach rund zwölfjähriger beruflicher Tätigkeit – als Abgeordneter im Bonner Bundestag gelandet. Es gibt genügend Beispiele von Politikern, die das geschafft haben. Doch jenseits dieser Einschränkung gilt: Man sollte sich diese Persönlichkeiten immer genau anschauen. Stehen sie mit beiden Beinen im wirklichen Leben? Haben sie inhaltliche und persönliche Substanz? Sind sie Gesinnungs- oder Verantwortungsethiker, um Max Weber wieder einmal zu bemühen?

Misst man Kevin Kühnert, der gewiss nicht nur einfacher Abgeordneter werden will, an diesen Maßstäben, dann trifft Thomas Schmid mit seiner Wertung auf meine volle Zustimmung: „Er wird einer der nicht wenigen SPD-Politiker werden, die als Radikale begannen und irgendwo in der Ministerialbürokratie oder auf einem Vorstandsposten endeten.“   

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