Ach, Parteien

Parteien als Organisationsform der "politischen Mitwirkung" des Volkes haben ausgedient. An ihre Stelle treten neue Formen der politischen Willensbildung, die im Zeitalter der Massenmedien-Demokratie Wirkung entfalten können.

© Sean Gallup/Getty Images

Viele AfD-Mitglieder waren vorher Mitglieder von anderen Parteien, in erster Linie der Parteien-Generation der frühen Bonner Republik, also CDU, CSU, SPD und FDP. Von ihrer neuen Partei erwarten sie geradezu gläubig, was ihre alten nicht hielten: Linie und Programmtreue. Die Sache vor der Person.

Dass sie auf einen anderen Gedanken nicht kommen, ist verständlich. Denn die Meinungsführer-Medien haben ihren früher durchaus immer mal wieder kritischen Blick auf die Parteien weitgehend eingestellt, seit die Parteien nicht nur ein Kartell bilden, das alle Teile des Staates in Besitz nahm und weite Teile der Gesellschaft beeinflusst. Es begann schon bei Kohl und vollendete sich bei Merkel: Zwischen den Parteien bestehen keine Unterschiede mehr, Koalitionswechsel sind keine Richtungswechsel mehr.

1992 führten zwei Redakteure der ZEIT ein Gespräch mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker. In der Einleitung findet sich diese Passage:

«Was das Parteiengesetz sagt, ist höchst interessant. Da ist nicht mehr von einer bloßen Mitwirkung „bei der politischen Willensbildung des Volkes“ die Rede, sondern nun wird daraus die Mitwirkung „auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens“, „indem sie“, wie es weiter heißt, „insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen“. Was heißt eigentlich hier Einfluß nehmen? Ist Mitwirken bei und Einflußnehmen auf dasselbe? Ist dies so vom Grundgesetz gewollt? Der Einfluß der Parteien geht ohnehin über den politischen Willen, von dem allein die Verfassung redet, weit hinaus. Die Parteien wirken an der Bildung des gesamten gesellschaftlichen Lebens aktiv mit. Sie durchziehen die ganze Struktur unserer Gesellschaft, bis tief hinein in das seiner Idee nach doch ganz unpolitische Vereinsleben.»

Es ist dieses Interview, in dem Weizsäcker etwas sagte, was jede weitere Analyse von Parteienstaat und Staatsparteien in Deutschland ersetzt. Er knüpft beim Einfluss der Parteien und Parteiführungen (inzwischen ist es richtiger von den Fraktionsführungen zu sprechen) im Wort von Hans-Peter Schwarz an, der über den Weg von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit in Deutschland sprach, und sagt selbst:

«Nach meiner Überzeugung ist unser Parteienstaat von beiden zugleich geprägt, nämlich machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgabe.»

Regelmäßige TE-Leser wissen, dass ich die Unmöglichkeit der Selbstreform des Parteienstaats und der Staatsparteien schon mehrfach beschrieben habe. Beim Blick auf die Art und Weise, wie sich Emmanuel Macron an den französischen Traditionsparteien vorbei auf den Präsidentenstuhl setzte, bleibt der eigentliche Vorgang merkwürdig unbeachtet. Er deckt sich mit dem Weg, der Donald Trump ins Weiße Haus brachte – an der Republikanischen Partei, der Grand Old Party, vorbei. Den gemäßigteren Pfad beschreitet Sebastian Kurz in Österreich. Er hat neben und über seine Partei, die ÖVP, eine Liste Kurz gesetzt, auf der viele kandidieren, die nicht der ÖVP angehören. Syriza in Griechenland, Podemos und Ciudadanos in Spanien gehören in diese Reihe.

Gemeinsam ist ihnen bei allen großen Unterschieden, dass sie Parteien für ihre erfolgreichen Kampagnen nicht brauchen. Ja, dass Parteien, wo noch im Spiel, ein Klotz am Bein sind. Ihre Kampagnen führen sie in den Medien direkt, in den alten und vor allem in den neuen – mit dem wichtigen Unterschied: In den neuen lassen sich die alten beeinflussen, umgekehrt kaum.

Unenttäuschbar
Jamaika nützt nur Merkel
Parteien, ganz besonders die deutschen mit ihrer, gesetzlich vorgeschriebenen inneren Demokratie, sind längst keine politische Mitwirkung mehr, wo Beschlüsse der Delegierten oder der Mitglieder irgendeine Relevanz für das Handeln der Parteioberen hätten, sondern sind in überbürokratisiertem Geschäftsordnungskram in Selbstbeschäftigung versunken. Ihre Struktur bilden längst die Mitarbeiter der Abgeordneten, deren Loyalität ihrem Arbeitgeber, den Fraktionsführungen gehört und nicht den Parteigliederungen. Diese Mitarbeiter, die selbst später Abgeordnete werden wollen, zähmen die Parteigliederungen, sind Statthalter der zentralen politischen Macht der allmächtigen Fraktionsführungen. Die Parteistrukturen stehen Kopf.

Parteien als politische Organisationsform der „politischen Mitwirkung“ des Volkes haben ausgedient. An ihre Stelle müssen und werden neue Formen der politischen Willensbildung treten, die im Zeitalter der Massenmedien-Demokratie Wirkung entfalten können. Darüber wollen wir in lockerer Folge weitere Beiträge aus unterschiedlichen Federn bringen.

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Kommentare ( 49 )

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hasenfurz
6 Jahre her

Einer war Wahlvorstand, zwei waren Auszählungsbeobachter, beide mir persönlich für Bürgschaft gut. Sonst noch Probleme???

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her

Es gibt so etwas wie einen Rechnungshof, der wäre hervorragend dazu geeeignet das zu prüfen.
Es muss eine Buchhaltung darüber geführt werden, was denn sonst 🙂

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her

Für die Steuer, wenn es zu versteuern wäre, wäre es uz ermitteln. Dabei ist es egal, ob Umsatzsteuer, oder Einkommensteuer. Somit ist es auch für andere Fälle zu ermitteln.
Wenn man will, findet sich auch ein Weg 🙂

Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her

Sie meinen also das Volk ist perfekt. Darum ist der Gedanke so weit weg, dass Sie ihn nicht ernst nehmen. Nun, ich nehme das Gegenteil nicht ernst.

Sören Hader
6 Jahre her

Die jetzige Zusammensetzung mit den 6 Fraktionen wollen die Wähler auch. Und die Frage ist ja nicht, ob parteilose Kandidaten in der BT-Wahl teilnehmen dürfen. Das dürfen sie schon jetzt. Die Frage ist, welche Chancen sie in einem Wahlkreis mit 100.000 oder mehr Wahlberechtigten haben, wenn sie von keiner der großen Parteien kommen.

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her
Antworten an  Sören Hader

dazu gehört die Frage, ob die Wähler das Verhältnis-Wahlrecht der 2. Stimme wirklich wollen. Dafür allerdings müssten erst einmal alle unser Wahlrecht wirklich verstehen. Zweitens gehört die Frage der Kosten eines Wahlkampfs dazu. Muss Wahlkampf so teuer sein? Oder noch anders – darf Wahlkampf so teuer sein? Es gibt in dem Bereich viele Fragen die man sich stellen kann. Kann ein Abgeordneter überhaupt 100.000 Menschen vertreten? Allein um 5 Min. mit jedem Wähler zu reden bräuchte er, bei einem 8 Std. Tag, ca. 3 Jahre. Wären da nicht kleinere Wahlkreise sinnvoller? Man kann sicherlich darüber diskutieren – viel bringen wird… Mehr

Atze
6 Jahre her

100% Zustimmung.

Fritz Goergen
6 Jahre her

Am praktikabelsten wäre natürlich ein Regierungsausschuss mit so vielen Mitgliedern wie Parteien und dem Wahlergebnis entsprechenden Stimmen.

Sören Hader
6 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Herr Goergen, nehmen Sie es mir nicht übel, aber im Twitterstil wird man keine neue Regierungsform präsentieren könnten, die besser als das ist, was in den letzten 200 Jahren existiert hat. Wenn Sie daraus einen wirklichen Artikel machen, dann bravo.

Fritz Goergen
6 Jahre her
Antworten an  Sören Hader

Erstens habe ich keine Regierungsform präsentiert und zweitens steht am Ende des Textes das Nötige.

wayfour26
6 Jahre her

Lang lebe Eure Schweiz. Ihr habt uns einiges vorraus. Ihr klärt erstmal, was ihr wollt, bevor ihr Euch endlos verfahrt in Exkurse um dann zielgenau, wenn auch langsam, zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung zu gelangen. Besser als das Hauen und Stechen auf persönlicher Ebene und dann erst auf sachlicher Ebene hier.

wayfour26
6 Jahre her

Kurzsichtig. Ich denke seit 2010 lanfristig auf 10 Jahre in Planung von Karriere und politischen Dingen. Petry und Pretzell wollen eine eigene Partei. Erste Ergebnisse frühestens in fünf Jahren. Meine Prognose: 0,1 % egal ob Kommunal-, Land- oder Bundestagswahlen. Hören Sie auf, ihre Landleute zu diskreditieren. Sie lernen noch, welchen Wert die AfD hat, glauben Sie mir. Ich stamme aus einem konservativen Umfeld einer Beamtenfamilie, davor Juristen, Musiker, und hätte die heutige Situation niemals so früh erwartet, eher Ende der 2020er, denn einige haben mehr Kinder als andere, etc.. Nein, Sie müssen sich bekennen, ob die AfD etwas bewirken kann… Mehr

Gerd
6 Jahre her

Davon halte ich nicht viel. Es ist eher so, dass ich in den letzten drei Jahren an der „Bildung“, besser gesagt dem offensichtlichen Desinteresse dieses Geschlechts an Ursachenzusammenhängen und künftigen Auswirkungen schlicht verzweifelt bin. Allein die täglich verordnete Pflichtlektüre von politikversagen.net hat da bei der Stimmabgabe der ansonsten besseren Hälfte Schlimmeres verhindert. Das kann doch aber keine Dauerlösung sein, oder?