Bayrischer Kohleausstieg

Politiker aus Bundesländern ohne nennenswerte Kohleverstromung tun sich viel leichter damit, den Kohleausstieg zu fordern. Dem liegt der irrige Gedanke zu Grunde, nicht betroffen zu sein. Aber die Energiewende ist eine nationale, keine föderale Aufgabe. Und alles hängt mit allem zusammen.

imago images / Michael Westermann

Es södert aus dem Süden. Auf 2030 soll der Kohleausstieg vorgezogen werden, empfiehlt der aktuell regierende bayrische Löwe. Dies sei die effektivste Strategie, die „Klimaziele“ 2030 zu erreichen. Drei Gründe mögen Herrn Söder veranlasst haben, diese Forderung zu erheben. Zum einen nimmt eine schnellere Senkung der Emissionen im Energiesektor etwas den Druck von der Automobilindustrie. Die ist in Bayern immer noch erfolgreich und privatwirtschaftlich organisiert, eine Vergesellschaftung nach Kevins Vorstellung ist erst nach ihrem wirtschaftlichen Zusammenbruch denkbar (in „Auffanggesellschaften“ und selbstverständlich als „Chance“ interpretiert). Zum zweiten denkt man an der Isar, man bleibe vom Abschied von der Kohle unbeeinflusst.

Der dritte Grund dürfte pekuniärer Erwägung entspringen. Je länger sich der Kohleausstieg zieht, desto mehr Geld könnte in die Ausstiegsregionen fließen. Da man den Kohlestrom aber aus Gründen der Systemsicherheit noch braucht, wird er am Tropf der Staats- oder Verbraucherknete hängen. Je länger ein Strukturwandel in den Ostländern dauert, desto teurer. Der jahrzehntelange Steinkohleausstieg stellt sich in der Rückschau als zu teuer heraus, zumal das Ruhrgebiet heute wirklich nicht zu den Boomregionen des Landes gehört.

Den Ostlern einen zweiten, diesmal politisch motivierten Strukturbruch nach 1990 überzuhelfen, scheint einfacher. Die schaffen das und nach Westen abwandernde Arbeitskräfte sind gut gegen den dortigen Fachkräftemangel, der durch Buntheit allein wohl nicht bewältigt werden kann.

Nun haben die Bayern, wie alle gut Betuchten, ein enges und strenges Verhältnis zum Geld. Dies ist keinesfalls als Vorwurf gemeint. Im Gegenteil, das ist die Grundlage des bayrischen wirtschaftlichen Erfolgs.

Schon vor einiger Zeit sagte Markus Söder: „Der Norden hat den Wind, Ost und West Ersatzgeld für die Kohle und wo bleibt der Süden? Auch Bayern und Baden-Württemberg als Wirtschaftsregionen brauchen eine nachhaltige energiepolitische Perspektive.“ Er könnte dazu die ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten befragen, die 2011 den Atomausstieg mit beschlossen (CDU/CSU: 224 Ja- und 5 Neinstimmen). Die Kolleginnen und Kollegen werden doch gewusst haben, was sie da beschließen und wie die süddeutschen Kernkraftkapazitäten ersetzt werden. Ahnungslosigkeit oder blinde Kanzlerinnenfolgschaft wird von den damals Beteiligten allerdings kaum jemand zugeben.

Tief im Innern der bayrischen Seele brodelt natürlich der jahrelang aufgestaute Zorn über die Berge von Geld, die jedes Jahr über den Länderfinanzausgleich in den Norden geschaufelt werden müssen. Das ist verständlich, aber zum Glück sorgt das EEG mit seinen Kapitalströmen von unten nach oben, also von arm zu reich, für einen soliden Rückfluss. 2017 zahlte Bayern 5,9 Milliarden Euro an andere Länder, 5,48 Milliarden Euro kamen bundesweit eingesammelt über die massenhaft verspiegelten bayrischen Haus- und Scheunendächer, riesigen ökologisch fragwürdigen Freiflächenanlagen und Bioenergieanlagen zurück.

Der Hartzer aus Bremen, der in Marzahn wohnende Hermes-Bote und die Rentnerin aus Recklinghausen garantieren den Villenbesitzern am Starnberger See (26,5 Prozent Grünwähler bei der Landtagswahl 2018) die auskömmliche Rendite auf dem Dach.

Markus Söder sorgt sich ums Geld, das Problem ist aber ein anderes. Die energetischen Besonderheiten der Südzone sind vielfältig. Heute gibt es permanente Stromflüsse aus deutscher Nord- und Nordostrichtung nach Bayern, die zurückgehen werden. Vorgänger Seehofer machte gegen den Ausbau von Freileitungen mobil und erreichte beim damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, dass ein Großteil der Leitungen aus Richtung Norden verbuddelt werden soll, zum etwa achtfachen Preis, mit längeren Bauzeiten und deutlicheren Umweltauswirkungen. Eine teurere Strompreiszone Süd als Forderung aus Brüssel konnte die Bundesregierung noch abwehren. Eine Ewigkeitsgarantie gibt es dafür nicht.

Schlechter Deal

Seit April hat sich die deutsche Strom-Außenhandelsbilanz deutlich geändert (hier für verschiedene Zeiträume sichtbar). Der Stromüberschuss tagsüber, hervorgerufen durch die hohe installierte Solarkapazität und sonnenreiche Sommertage, führt zum Export in die Nachbarländer. Konventionelle Kraftwerke, vor allem auf Steinkohle-Basis, gehen außer Betrieb und bleiben dies aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auch für die Nachtstunden. Die Anfahrkosten im fünfstelligen Euro-Bereich und der höhere Verschleiß im Stop-and-go-Betrieb sind der nachvollziehbare Grund. Zudem führen die gestiegenen Zertifikatepreise für CO2 zu höheren Gestehungskosten und Börsenpreisen, so dass sich der Import eher lohnt.

Wir exportieren subventionierten abnahmepflichtigen Solarstrom für wenig Geld an unsere Nachbarn und importieren nachts zu höheren Preisen zurück. Im Saldo ein auf die Verbraucher umgelegtes Verlustgeschäft.

Die Habsburger kommen vor Lachen kaum mehr in den Schlaf. Nicht nur, dass die gescheiterte Ö-Maut auf die Piefkes zurückschlagen wird, durch den Stromhandel mit Deutschland machen sie prächtige Geschäfte. Mit dem für sie billigen germanischen Sonnenstrom füllen sie die Oberbecken ihrer Pumpspeicherwerke, um nachts quasi denselben Strom aus herunter fließendem Wasser mit deutlichem Gewinn zurück zu verkaufen.

Nun könnten die Bayern mit einem eigenen Kohleausstieg vorangehen. Um im Jargon zu bleiben: Vorreitend, ehrgeizig, entschlossen, mutig, ambitioniert, verantwortungsbewusst, klimagerecht, unbeirrt und mit welchen Adjektiven man beschleunigte Abschaltungen noch so bezeichnen will. Die progressive Münchner Bevölkerung stimmte schon 2017 für die Abschaltung des Kohleblocks des Heizkraftwerks Nord der Stadtwerke bis 2022. Nun teilt das Unternehmen mit (1), dass es nicht gelungen sei, die thermischen 420 Megawatt in der Wärmeversorgung zu ersetzen. Zudem sei davon auszugehen, dass die Bundesnetzagentur die Anlage als systemrelevant einstufen und eine Stilllegung untersagen wird.

Die Suche nach Alternativen sei erfolglos gewesen. Die Errichtung einer GuD-Anlage in Unterföhring sei vom Gemeinderat abgelehnt worden, der Bau sieben dezentraler Heizwerke im Münchner Stadtgebiet sei am „Nein“ der jeweiligen Bezirksausschüsse gescheitert. Nun will man verstärkt Geothermie nutzen. Auch hier ist Widerstand zu erwarten, wenn die Bürger in den potenziellen Bohrgebieten die Erfahrungen mit der Geothermie im baden-württembergischen Staufen wahrnehmen. Schon vor den ersten Informationsveranstaltungen werden sich die Bürgerinitiativen gegründet haben. Vor der Hacke ist es duster, sagt der Bergmann. Vor dem Brunnenbohrer ist es genauso.

Gut gebrüllt, Löwe? Wann kommt nun der bayrische Kohleausstieg? Schaun mer mal. Sollen doch andere erst mal abschalten und die Bajuwaren dennoch versorgen, wenn die aus CSU-Sicht unsicheren Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Seit wir wissen, dass es Menschen gibt, die CO2 sehen können, soll kein CO2-Molekül aus böser Kohle den weiß-blauen bayrischen Himmel mehr trüben.

Die Berliner sind da allerdings weiter. Sie werden bis 2030 aus der Kohle aussteigen und das auch schaffen, dank Brandenburg. So gesehen sind die Überweisungen von München nach Berlin nicht als Länderfinanzausgleich zu sehen, sondern als Klimamilliarden. Das ändert nichts am Sachverhalt, schmerzt aber nicht mehr so.

1) „energate messenger“ vom 4.7.2019


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Kommentare ( 30 )

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schwarzseher
4 Jahre her

Was Wendigkeit und Opportunismus betrifft, da hat Herr Seehofer einen gleichwertigen Nachfolger gefunden. An Bettvorlegern wird es in Bayern sicher keinen Mangel geben.

89-erlebt
4 Jahre her

Mehr als bezeichnend ist das Abstimmungsergebnis der Merkel Truppe, incl. Regionalverband Bayern beim Atomausstieg. Dieser war die Grundlage für die langfristig angelegte Ruinierung des Landes, das sich einst BRD nannte und als „Siegermodell“ der Systeme auf deutschem Boden galt, weit gefehlt, denn den Sozialismus in seinem Lauf (Pleitelauf) halten weder Söder noch Seehofer auf. Ruinen schaffen ohne Waffen. Was Honecker konnte, perfektioniert Merkel, nur das Honecker wusste wie immens wichtig eine sichere Stromversorgung ist.

Piet L.
4 Jahre her

Der Söder will die Grünen links überholen, die CSU ist mittlerweile genau so links wie die CDU. Staune das die Basis diese Anbiederungspolitik an den grünen Zeitgeist so einfach mitmacht.

Hoffnungslos
4 Jahre her

Welchen bayrischen Löwen meinen Sie denn? Wo sehen Sie in Bayern einen Löwen an der Regierung? Ich sehe eine Menge Hauskätzchen, die manchmal versuchen, Löwen zu spielen. Löwen kann ich leider in Bayern nicht erkennen.

Ostfale
4 Jahre her

** Man lese Tichys Beitrag von heute zum aktuellen Stand der Beschäftigung und der zu erwartenden weiteren Entwicklung selbiger.
Die Totenglocke zum Ableben des einst gesunden Wirtschaftsriesen Deutschland läutet sehr gut hörbar, für diejenigen, die sie hören wollen. Unser Land ist am Ende.

Julian Schneider
4 Jahre her

Söder, die größte Enttäuschung nach Seehofer. Und unser CSU-Oberbürgermeister samt aller CSU-Stadträte überholt die Grünen genauso links. Was war das für eine Freude, als endlich die ersten Flüchtlinge kamen. Mein Wahlkreis-Bundestagsbgeordneter ist ein glühender Verfechter des Migrationspakts und verbittet sich per persönlicher Mail an mich die Kritik daran. Da stecken die wahren Populisten, denen es um nichts anderes geht als weiter an den politischen Futternäpfen zu hängen. Und die bayerischen Dummbeutel wählen immer CSU, weil sie glauben, FJS steckt noch drin. Der rotiert im roten Bereich.

schukow
4 Jahre her

Wenn die Bayern nicht mit in den Strudel des sinkenden Schiffes gerissen werden wollen, müssen sie heute die Sezession vorbereiten. Wenn BW mit macht gut, sonst alleine. Ihre KKW sichern ihnen für 15-20 Jahre eine stabile Energieversorgung und noch verfügen Sie über alle notwendige Technologie. Eigene Währung vorbereiten, aber nicht ausgeben, solange noch Mrdn von € in Umlauf sind und zeitgleich Mitgliedschaft in EU und €-Raum beantragen. Nach den LTWn in Mitteldeutschland losschlagen oder gleich während, um das Durcheinander zu nutzen. Grenzen dicht. Die bayrischen Verbände der BW würden mitziehen. Die anderen Teile halten sich raus, Motto: Deutsche schießen nicht… Mehr

Der nachdenkliche Paul
4 Jahre her

Wer auf Söder gesetzt hat und froh war, dass die CSU sich von der Altlast Seehofer getrennt hat, der kann nur bitterlich enttäuscht sein. Auf der Werteskala von 10 bis 1 bewegt er sich in einem rasanten Abfall Richtung null. Was glauben Sie?

Deichgraf72
4 Jahre her

Söder ist ein Opportunist, letztes Jahr als Wahlen anstanden war er auf AFD Kurs, jetzt sind die Grünen Hipp, und er ist voll auf Grüner Linie, und sollte im Herbst Merz die Union übernehmen, und bald darauf die Laufzeit der AKW’s sich verlängern, hat Söder es dann schon immer gewusst, das es gar nicht ohne geht, wetten ?

Ingolf Paercher
4 Jahre her

Seehofer war unfähig, zu erklären, wieviel Nullen einer Million vorstehen, Söder for Chancellor!
Oder doch besser nicht. Beide haben die Kerninhalte der CSU veruntreut. In jeglicher Hinsicht haben sie beide viele Gründe geliefert, warum man traditionelles Wahlverhalten überdenken könnte.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass nicht nur Merkel weg muss.

StefanB
4 Jahre her

Halten wir‘s mit Oscar Wild und sagen uns: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.“.

Amen.

Ingolf Paercher
4 Jahre her
Antworten an  StefanB

Er hieß „Wilde“ zum Ersten. Zum Zweiten ging Etliches (Ägyptisches, persisches, römisches, keltisches Reich) nicht besonders gut zu Ende.