Wird Joseph Beuys aus dem Düsseldorfer Stadtplan geputzt?

Auf Initiative der Düsseldorfer Linkspartei werden alle Namensgeber von Straßen durchleuchtet. Dabei gerät nun auch der Künstler und Grünen-Wahlkämpfer Joseph Beuys ins Visier der geschichtspolitischen Eiferer.

Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Düsseldorf gilt als – vor allem im Vergleich zur Lieblingskonkurrentin Köln – relativ saubere Stadt. Einmal jährlich im April machen tausende Düsseldorfer beim „Dreck-Weg-Tag“ der Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung mit. Doch das Bedürfnis nach Sauberkeit geht in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt offenbar weit über die Beseitigung von Abfall hinaus. 

Seit etwa einem Jahr arbeitet man in Düsseldorf auch an der Bereinigung der Straßennamen. Die Stadt hat – „parteiübergreifend“ wie es in der regionalen Presse hieß – eine Kommission eingesetzt, die nun alle historischen Personen, nach denen Straßen benannt sind und die nach 1870 starben, auf eine NS- oder Kolonialismus-Vergangenheit untersuchen soll. Nazis und Rassisten aus dem Stadtplan verbannen – wer will da schon offen widersprechen. Die Initiative kam übrigens von der Linkspartei. Dazu gleich mehr.

Historisches Großreinemachen
Lange Monate war es ruhig um die Kommission. Doch jetzt herrscht nach einer dpa-Meldung Aufregung über Düsseldorf hinaus. Die Kommissionsmitglieder, die übrigens bis auf die Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte und des Stadtarchivs nicht öffentlich bekannt sind, erwägen nämlich offenbar, zur Tilgung von einem der prominentesten Nachkriegsdüsseldorfer aus dem Stadtplan zu raten: Joseph Beuys (1921-86), Künstler-Superstar, von manchen als „Schamane“ oder „Scharlatan“ abgetan, und nicht zuletzt in späten Jahren eifriger Unterstützer der damals frisch gegründeten Partei die Grünen. Man werde „über Beuys in den nächsten Wochen diskutieren“, gab der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, Bastian Feldmann zu Protokoll.

Wenn man einmal mit dem Reinemachen anfängt, können manche Saubermänner eben kaum genug davon kriegen. Dann sieht mancher eben überall noch Dreck. Neben Beuys sitzen übrigens auch noch Richard Wagner, Hermann Löns, Gerhard Hauptmann und Otto Hahn auf der postmortalen Anklagebank. Glück haben die Cherusker und die Teutonen, dass sie schon vor 1870 aus der Weltgeschichte verschwanden, sonst müssten diese kriegerischen Germanenstämme sicher auch um die nach ihnen benannten Straßen in Düsseldorf-Oberkassel fürchten. Auch Graf Adolf, der 1288 Düsseldorf zur Stadt erhob, und Kurfürst Jan Wellem, der sie zu seiner Residenz machte, hätten es vermutlich sehr schwer, vor dem gestrengen Auge der Düsseldorfer Geschichtsrichter zu bestehen. 

Beuys war, wie die meisten Männer seines Jahrgangs (1921) Soldat während des Zweiten Weltkriegs. Er hat sich „freiwillig“ gemeldet, was heute nach ideologischer Begeisterung klingt, damals aber in der Regel nur bedeutete: sich die Waffengattung aussuchen zu können, um nicht zur Infanterie zu müssen. Beuys war Funker und Bordschütze in einem Sturzkampfflugzeug („StuKa“). 

Beuys war, wie wohl alle Kriegsteilnehmer, tief von den Erlebnissen geprägt. Er gehörte zu dem Teil von ihnen, die darüber nicht schwiegen, sondern sprachen.  Beuys strickte sich aus tatsächlich Erlebtem und vermutlich Fantasiertem die  Krimtataren-Legende, die seine Vorliebe für Filz und Fett als Material erklären sollte. Beuys besuchte auch nach dem Krieg Veteranentreffen und kannte frühere SS- und NSDAP-Mitglieder – wie so viele Deutsche seiner Generation. 

All dies ist längst bekannt. So bekannt wie die Tatsache, dass Bundespräsident Walter Scheel ein hochdekorierter Jagdflieger, Helmut Schmidt Chef einer Flak-Batterie und der spätere Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein Unteroffizier der Artillerie waren. Auch in vielen von Augsteins Artikeln finden sich immer mal wieder Anspielungen auf seine Kriegserlebnisse, die nicht ganz frei von einem gewissen Stolz sind.    

Muss also der Spiegel nun seinen Gründer aus dem Impressum streichen? Muss die Zeit sich von Schmidt distanzieren? Muss Solingen einen erst 2018 nach Walter Scheel benannten Platz wieder in Rathausplatz umbenennen?

Das wäre absurd und aberwitzig, aber mittlerweile wohl nicht mehr unvorstellbar. Was in Düsseldorf und in anderen Städten wie etwa Freiburg passiert, ist nicht ein Ausdruck historischen Bewusstseins, sondern der Auswuchs eines erinnerungspolitischen Sauberkeitswahns. Weder Beuys, noch Scheel, Schmidt oder Augstein wurden, indem man Straßen, Plätze, Stiftungen oder Gebäude nach ihnen benannte, für ihre Erlebnisse als Wehrmachtsangehörige geehrt, sondern für ihre unbestreitbare künstlerische, politische, publizistische Bedeutung nach dem Krieg. 

Ähnliches gilt für Hans-Günther Sohl (1906-89). Eine Protestaktion zur Umbenennung einer nach dem Thyssen-Vorstandschef und langjährigen BDI-Präsidenten benannten Wohnstraße hatte die Linkspartei 2017 zum Anlass genommen, die Initiative zur Kommission anzustoßen. Sohl war Träger des Großes Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband (verliehen 1973 von dem über jeden Verdacht erhabenen Bundespräsidenten Gustav Heinemann). In den 70er Jahren war Sohl aber auch ein Hassobjekt von K-Gruppen und anderen Linksradikalen. Sohl war wie so viele karrierewillige Männer seiner Generation in jungen Jahren NSDAP-Mitglied geworden. Er stieg während des Krieges schnell zum Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke auf und wurde „Wehrwirtschaftsführer“, ein „Ehrentitel“ der NSDAP. 

Sein Karriere- und Lebensweg gleicht damit denen unzähliger Spitzenmanager und anderer Karrieristen der deutschen Nachkriegszeit, zum Beispiel dem von Hanns Martin Schleyer, dem wohl prominentesten Opfer der RAF-Terroristen. Schleyer war im Gegensatz zu Sohl sogar SS-Mitglied. Nach aktuellen Düsseldorfer Kriterien müssten also die Nachbargemeinden in Willich, in Kaarst und Mönchengladbach ihre Hanns-Martin-Schleyer-Straßen umbenennen. In Stuttgart gibt es schon seit einiger Zeit eine Umbenennungsinitiative gegen die Hanns-Martin-Schleyer-Halle.

Sohl war zweifellos kein moralisches Vorbild. Er war ein Opportunist, aber er war kein Verbrecher. Eine Straße war 1991 nach ihm benannt worden, weil er die Nachkriegswirtschaftsgeschichte Düsseldorfs, Nordrhein-Westfalens und Deutschlands geprägt hat. Sein Name gehört zur Geschichte der Stadt. 

Historisches Großreinemachen
Auch nach Dichtern, Komponisten, Künstlern, Wissenschaftlern wurden – bisher zumindest – Straßen nicht deswegen benannt, weil sie makellose moralische Vorbilder sind, sondern weil ihre Werke zum deutschen, europäischen und Weltkulturerbe gehören. Müssen demnächst auch Heusweiler im Saarland und zahlreiche andere Orte in Deutschland ihre Lönsstraßen umbenennen, weil der Dichter Hermann Löns – gefallen im Ersten Weltkrieg – etwas schwülstige Gedichte über „Heimaterde“ machte, die Millionen Deutscher damals liebten, und er nicht zuletzt deswegen von den Nazis vereinnahmt wurde? Ähnlich übrigens wie ein ebenfalls im Ersten Weltkrieg gefallener Dichter namens Gorch Fock. Natürlich ist Löns nicht gerade ein Role-Model für junge Deutsche 105 Jahre nach seinem Tod. Ebensowenig wie der große Komponist und üble Antisemit Richard Wagner. Und natürlich fände man den Kernphysiker Otto Hahn sympathischer, wenn er emigriert wäre. Aber müssen diese Namen deswegen aus den Stadtplänen verschwinden, damit sie bald vergessen werden? Will man den Bürgern und Besuchern deutscher Städte wirklich unterstellen, sie müssten jeden Namen auf einem Straßenschild als offiziöses Urteil über die moralische Vorbildfunktion dieser Person betrachten?

Die Linkspartei übrigens, die in Düsseldorf das Großreinemachen der Straßennamen angestoßen hat, hat selbst zehn Jahre zuvor eine Initiative gestartet, in Düsseldorf Straßen nach Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu benennen. Damals blieben sie noch erfolglos. Womöglich hat da mancher nun Hoffnung, dass demnächst genug Straßen für die beiden 1919 ermordeten Begründer der Kommunistischen Partei frei werden. Im Arbeitsauftrag der Historikerkommission steht jedenfalls offenbar nichts über Straßennamensgeber, die womöglich linksextreme Verbindungen haben. 

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Kommentare ( 56 )

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Katalysator
4 Jahre her

Kompletter Wahnsinn. Dazu passt auch, dass Goethes „Faust“ in NRW nicht mehr verpflichtender Abiturstoff sein soll. Dafür ist dieses Stück Weltliteratur — wenn auch in Auszügen und in Übersetzung — im Lektürekanon des polnischen liceums, der Oberstufenschule. Polen ist eben eine Kulturnation.

RMPetersen
4 Jahre her

Anregung; In Deustchland gibt es 328 Thälmannstrassen oder -plätze. Über den Mann las man selbst im Tagesspiegel: „Ernst Thälmann war ein Gegner der Demokratie, der den bürgerlichen Staat zerschlagen wollte. Sein Name sollte aus dem Straßenbild deutscher Städte und Gemeinden getilgt werden …“

Warum? Weil er Wegbereiter von Hitler war, den er weniger bekämpfte als die SPD-Konkurrenz.

Was wohl die LINKEN von Initiativen zur Säuberung Öffentlicher Orte vom Namen Thälmann halten? Das ist doch einer ihrer Ikonen …

Wittgenstein
4 Jahre her

Lieber Herr Knauss,

Treffer! Auch mein Vater war Funker, aber auf der JU!

BOESMENSCH
4 Jahre her

Washington ist nach einem Sklavenhalter benannt.

schukow
4 Jahre her
Antworten an  BOESMENSCH

Handtuchhalter-City wäre aber auch albern gewesen.

prague
4 Jahre her

Deutschland- eine Selbsmordnation.

Ostfale
4 Jahre her

Es ist schlimm um dieses Land bestellt, daß ** sich aufschwingen dürfen festzulegen, nach wem Straßen und Plätze, Schulen, Universitäten und Kasernen benannt werden dürfen. Jeder einzelne der verteufelten Namensgeber hat in seinem Genre mehr für dieses Land und dessen Kultur getan, als es die destruktiven Blödiane – selbst in Summe – je zu erbringen in der Lage wären, dieses nicht einmal annähernd. Und nichts und niemand fällt diesen Bilderstürmern und Bücherverbrennen in den Arm.

Alwin Blum
4 Jahre her

Immerhin beschäftigen sich die Düsseldorfer „nur“ mit Personen (Männern), die nach 1870 gestorben sind. In Freiburg hat man den großen Carl von Linné zwar nicht aus dem Straßenbild getilgt, aber mit einem „Zusatzschild“ versehen: „Carl von Linné (1707-1778). Schwedischer Naturforscher und Begründer der biologischen Systematik, Vordenker einer biologistisch begründeten Geschlechterhierarchie und Rassenlehre.“ Ein Biologiehistoriker, der das Wirken Linnées hätte historisch-kritisch einordnen können, war nicht in der Kommission, dafür eine Genderprofessorin, die sich über die Art erregt hat, wie im Barock wissenschaflich argumentiert wurde. Seine „Rassenlehre“ gleicht übrigens in Zügen denen, die Immanuel Kant einige Jahrzehnte später formuliert hat. Zum Glück… Mehr

Roland Mueller
4 Jahre her

Ein chinesischer Bildersturm light. Mao lässt grüßen.

Julian Schneider
4 Jahre her

Die üblichen Säuberungsaktionen der Sozialisten – von Hitler über Stalin bis Pol Pot und Mao. Next Stop: Lager für Rechte (=alle, die nicht links sind).

FriedrichLuft
4 Jahre her

Und ich bin dafür, den Berliner Rosa-Luxemburg-Platz in Bülowplatz zurückzubenennen!

schukow
4 Jahre her
Antworten an  FriedrichLuft

Welcher ‚von Bülow‘ war das denn, der Reichskanzler? Es gibt wohl einige bekannte Vertreter dieses Namens. Ein Pianist war glaube ich auch darunter.

Roland Mueller
4 Jahre her
Antworten an  FriedrichLuft

Die Linken würden den Platz wohl am liebsten in Erich-Mielke-Platz umbenennen, im Andenken daran, das er dort zwei Polizeibeamte ermordet hat.