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Personalie Wendt: Söders wirklicher „Feind“ ist nicht die AfD

Markus Söder nannte die AfD einen "Feind". Doch in Wirklichkeit geht es darum, den Feind im Innern der Union auszuschalten. Rainer Wendt hat das nun erfahren - wie Hans-Georg Maaßen zuvor.

Markus Söder

ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images

Diese Nachricht hatte nicht zum Rest des CDU-Parteitags gepasst: Rainer Wendt sollte Staatssekretär im Sachsen-anhaltinischen Innenministerium werden, hieß es am Freitag aus Leipzig. Wendt ist CDU-Mitglied und umtriebiger Chef der Polizeigewerkschaft. Mit seinem Buch „Deutschland in Gefahr“ hat er kritisiert, „wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt“ und er thematisiert immer wieder auch die Bedeutung des Kontrollverlusts dieses Staates in der Zuwanderungspolitik. Damit ist er zu einem der Lieblingsfeinde nicht nur linker Aktivisten geworden, die unter anderem Vorträge von Wendt an der Frankfurter Goethe Universität und auch der Kölner Universität mit Gewaltdrohungen verhindert hatten.

Wirklich überraschend war es nicht, als gestern Abend BILD meldete, dass Wendt nun doch nicht Staatssekretär werden solle. Dafür hatten aber nicht nur die Koalitionspartner von der SPD und den Grünen in Sachsen-Anhalt gesorgt. Wendt selbst ließ in seiner enttäuschten Reaktion durchblicken, wo man den entscheidenden Daumen über ihn gesenkt hatte: „Das Kommando dazu kam aus dem Kanzleramt.“ Auch BILD fügte ergänzend hinzu: „Am Sonntagnachmittag hatte sich das Bundeskanzleramt nach BILD-Informationen in die Personalie Wendt eingemischt.“ Und somit ist also die Scharte ausgewetzt, die Harmonie des Bundesparteitags wiederhergestellt.

Der Fall Wendt ist zu verstehen im Zusammenhang mit dem Auftritt Markus Söders beim Parteitag. Der Chef der Schwesterpartei CSU hat da ein wichtiges Wort gesprochen. Er sagte es zweimal und er sagte es, wie er betonte, „bewusst“: Das Wort lautet „Feind“ und es bezeichnet die AfD. In der politischen Theorie besteht zwischen einem Gegner und einem Feind ein bedeutender Unterschied. Mit dem Gegner kann man sich arrangieren, mit einem Feind aber spricht man nicht, er soll besiegt, wenn möglich vernichtet werden. 

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Will Söder und wollen all die CDU-Delegierten, die ihm dafür laut applaudierten, die AfD besiegen, sie vernichten? Wenn sie das wirklich wollten, gäbe es zwei Wege: Der radikale Weg wäre ein Verbotsverfahren. Das ist wohl kaum realistisch, nicht nur angesichts der Erfahrungen mit dem Versuch, die NPD zu verbieten. Eine Partei, die in einigen Bundesländern ein Fünftel bis ein Viertel der Wähler für sich gewinnt, zu verbieten, hätte dramatische Folgen für den inneren gesellschaftlichen Frieden. Niemand, der seinen Verstand beisammen hat, wird das ernsthaft erwägen.

Der zweite, realistisch beschreitbare Weg wäre eine große Kraftanstrengung zur Rückgewinnung von Millionen ehemaliger Unionsanhänger. Dafür müsste die Union diesen aber ein glaubwürdiges programmatisches Angebot machen. Die Ernennung von Rainer Wendt zum Staatssekretär hätte zum Beispiel ein Teil eines solchen Angebots sein können. Voraussetzung dafür wäre zunächst eine offene, ehrliche Analyse der Gründe für den Verlust dieser Wähler (und auch früherer Mitglieder) an die AfD. Das Ergebnis wäre – jeder weiß es – vor allem: Die eigenen Versäumnisse und eklatanten Fehler in der Merkel-Ära, in erster Linie aber das Versagen während der so genannten Flüchtlingskrise von 2015, das im Großen und Ganzen anhält. 

Eine Offensive zur Rückgewinnung verlorener Wähler und damit zum politischen Sieg über die AfD könnte nur von dem Eingeständnis des Versagens der eigenen Parteielite ausgehen, mit Angela Merkel und ihren Paladinen an erster Stelle. Und genau darum findet sie nicht statt. Darum darf Wendt nicht Staatssekretär werden. Und darum musste Hans-Georg Maaßen seinen Posten als Verfassungsschutzpräsident räumen und durfte auch nicht Staatssekretär werden.

Die Nicht-Personalien Wendt und Maaßen gehören zusammen, hinter ihnen steht dasselbe Motiv: Niemand, der 2015 nicht mitversagt hat und an das Versagen erinnert, darf in höhere Partei- und Regierungsämter gelangen. Darum geht es. Und um das zu verhindern, ordnet sich die CDU-Elite hemmungslos den Wünschen des Noch-Koalitionspartners SPD, des künftigen Koalitionspartners Grüne und der leitmedialen Öffentlichkeit unter. Weil es dem kurz- bis mittelfristigen Machterhalt der Unionsspitzen dient. Dafür verscherbelt man hemmungslos das eigene politische Tafelsilber.

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Eigentlich hat diese Partei schon seit Jahren eine grundlegende Erneuerung, eine politisch-programmatische und damit natürlich auch personelle Revitalisierung nötig. Alles, was die Partei einmal zu bieten hatte, ist längst nur noch historische Reminiszenz: soziale Marktwirtschaft im Sinne Erhards, Christentum, die „Deutschland-Partei“. Die politische Vitalität, also der leidenschaftliche Wille, nicht nur Macht zu erhalten, sondern das Land zu prägen, ist nicht mehr da. Diese Leidenschaft müsste ihr neu zugeführt werden.

Solche Prozesse der Wiederbelebung werden aber in aller Regel nicht von oben angestoßen, sondern müssen von unten kommen. Die Frösche werden niemals für die Trockenlegung ihres Sumpfes sorgen. Doch in der Union sind diese nach Erneuerung und politischer Revitalisierung strebenden Kräfte ganz besonders schwach, wie auch dieser Parteitag erneut belegte. Die ganze Partei ist seit Jahrzehnten, im Grunde von Anfang an, daraufhin konstruiert, dass das so bleibt. In der CDU nennt man es Loyalität. Ehrlicher wäre: Sie ist eine Partei, in der die Auslese der Berufspolitiker vor allem nach den Kriterien des Opportunismus und der Feigheit funktioniert, Mut und nonkonformistisches Denken gelten als Treubruch. Die CDU ist eine Organisation, die vor allem vom Willen zur Konservierung der Macht ihrer Berufspolitiker in Partei und in Deutschland angetrieben wird. 

Nichts, was in der Union derzeit geschieht, ist verständlich, wenn es nicht im Lichte zweier Voraussetzungen betrachtet wird. Erstens: CDU-Politiker fühlen sich seit Adenauers Zeiten berufen, Deutschland zu regieren, oder sagen wir genauer: die politischen Spitzenpositionen zu besetzen. Zweitens: Merkels Handeln und Sprechen und das ihrer Machtanteilshaber, also der gesamten Führungsriege von CDU und CSU ist spätestens seit 2015 zum wesentlichen Teil als nachträgliche Rechtfertigung und Verschleierung eigenen Versagens verstehen. 

Folge 1: Ein Feudalismus namens Parteienstaat
Parteien sind das Problem, nicht die Lösung
Gründung und Wahlerfolge der AfD sind eine der vielen Folgen dieses eigenen Versagens. Aber es geht Söder vermutlich nicht wirklich darum, die AfD als „Feind“ zu vernichten. Man wird sie schließlich nicht los, ohne sich das einzugestehen. Der eigentliche Feind Söders und Merkels und der gesamten Führung der Unionsparteien ist nicht die AfD. Die immer schärfer betonte und geradezu zelebrierte Feindrolle der AfD dient – wie so viele äußere Feinde in der Geschichte – dem Erhalt innerer Machtverhältnisse. 

Wenn die AfD einmal als „der Feind“ etabliert ist, ist sie für das Machtsystem innerhalb der Union sogar nützlich – zumindest sofern ihre Wahlerfolge begrenzt bleiben. Denn dann kann jeder innere Widersacher in der Partei, der grundlegende Kritik äußert, in deren Nähe geschoben und damit als Verräter diskreditiert werden. Die Äußerungen Peter Taubers und Karin Priens über die WerteUnion vor dem Parteitag entsprachen schon diesem Muster.

Vor dem CDU-Parteitag
Taubers perfide Drohung: Kein Platz für WerteUnion
Der Feind der Unionseliten sitzt in der eigenen Partei: Der Feind ist Rainer Wendt. Der Feind ist Hans-Georg Maaßen. Der Feind ist die WerteUnion. Der Feind sind jene Kräfte an der Parteibasis und in der Jungen Union, die eine ehrliche Analyse und Revision der fatalen Fehler und Versäumnisse der Merkel-Ära verlangen. All jene, die eine „Revolution“ im ursprünglichen Wortsinne („das Zurückwälzen“) anstreben – also die Rückkehr zur Union als „Deutschland-Partei“, als Partei der Inneren und Äußeren Sicherheit und der Sozialen Marktwirtschaft. Denn das bedeutete notwendigerweise den Machverlust der aktuellen Elite.  

Die Kosten dieser Machtbewahrungstaktik der Verweigerung der Fehleranalyse und der Diskursverhinderung durch Diskreditierung von Kritikern scheinen einen Söder nicht zu kümmern. Es geht schließlich um die Macht im hier und jetzt in der Partei und in Deutschland – auf Kosten der Substanz der Union und vor allem auf Kosten des politischen Systems in Deutschland.