Die ultimative Verschwörungstheorie

Donald Trump plant nicht weniger als einen "Staatsstreich". Was? Das wussten Sie nicht? Aber es steht doch im Spiegel.

imago/Jürgen Ritter

Viel ist in diesen Tagen und Wochen von „Fake News“ und noch mehr von „Verschwörungstheorien“ die Rede, die oft auf ersteren beruhen. Was eine Verschwörungstheorie ist und was nicht, glauben Autoren ernsthafter Medien selbstverständlich genau zu wissen. Darüber aufzuklären sehen sie als ihre Pflicht an. Und das ist es ja auch zweifellos. 

Nehmen wir einmal die sich selbst traditionell „Nachrichtenmagazin“ nennende Wochenpublikation Der Spiegel. In Heft 21/2020 widmete man sich in drei Artikeln mehr oder weniger direkt Verschwörungstheoretikern. Im Leitartikel hieß es: „Die Politik darf sich von verwirrten Verschwörern nicht verrückt machen lassen“. Dazu eine größere Geschichte über „die Gefahr einer neuen Protestbewegung“ und dann zur Krönung die Geschichte „Verschworene Gesellschaft“, in der die Pandemie als „Konjunkturprogramm für Verschwörungstheoretiker“ erklärt wird und Attila Hildmann und Xavier Naidoo den schönen Titel „Paranoia-Promis“ verpasst bekommen.

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Klar, da haben die Spiegel-Autoren wohl durchaus recht. Ken Jebsens theatralischer Kampf gegen die vermeintlichen Weltherrschaftspläne von Bill Gates und Attila Hildmanns Aufrufe zum Kampf für „die Frei­heit un­se­res Va­ter­lan­des“ haben alle Grenze hinter sich gelassen. 

Aber bei der Lektüre eines aktuellen Spiegel-Artikels ist man umso mehr versucht, der Hamburger Redaktion das schöne Jesus-Wort aus der Bergpredigt zuzurufen: „Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ 

Da schreibt nämlich Sascha Lobo, selbsterklärter Experte für die Realität (zumindest heißt sein aktuelles Buch „Realitätsschock“) und langjährigerer Spiegel-Kolumnist über „Donald Trumps Strategien für den Staatsstreich“: „Sollte er die Wahl im November verlieren, wird Donald Trump das Ergebnis wohl nicht anerkennen. Niemand wird ihn an einem Staatsstreich hindern können, dafür sorgen er und seine Verbündeten seit Langem vor.“ Nein, das schreibt kein Attila Hildmann über Merkel und kein Ken Jebsen über Gates, sondern eben ein Spiegel-Autor und Talkshow-Dauergast über Trump. Und dieser Status als Autor und das Objekt der Theorie genügen offenbar, um gegen das Stigma der Verschwörungstheorie immun zu sein, auch wenn man genau das behauptet, was Verschwörungstheoretiker eben behaupten: eine Verschwörung. 

Bislang ist nicht bekannt, dass die selbsternannten Faktenchecker von „Correctiv“ sich die in dieser Kolumne enthaltenen Behauptungen einmal näher angesehen hätten. Über die falsche Datierung der Abschaffung der Sklaverei (1863! nicht 1865) mag man noch ebenso als Bagatelle hinwegsehen, wie es offenbar die angeblich so genaue Spiegel-Dokumentation tat. Einmal im Lexikon nachschlagen hätte übrigens genügt. Bedenklicher ist, wenn Lobo den Eindruck erweckt, dass „Voter Suppression“ eine Besonderheit der US-Südstaaten und der amerikanischen Republikaner sei. Erstens waren es gerade die Demokraten als frühere Partei der weißen Südstaatler, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts schwarze Bürger vom Wählen abzuhalten versuchten. Zweitens ist die Praxis, die eigene Wählerklientel durch den Zuschnitt von Wahlkreisen einerseits und Einschränkung oder Ausweitung des Wahlrechts andererseits zu stärken beziehungsweise die Wählerschaft der Kontrahenten zu schwächen, so alt wie politische Wahlen. Man kannte solche Praktiken im antiken Athen oder Rom ebenso wie im England, Frankreich oder Deutschland des 19. Jahrhunderts. Und man kann das in gewisser Weise auch bei den Grünen der Gegenwart feststellen, die sich redlich mühen, das Wahlalter auf 16 Jahre herunter zu setzen.  

Politischer Wortschatz
Verschwörungstheoretiker
Lobo mag Digitalexperte sein, aber von Geschichte hat er erkennbar keine Ahnung. Beim Historischen hört die Faktenschwäche in seinem Artikel jedoch nicht auf. Sie erstreckt sich auch auf die Gegenwart. Nun maße ich mir selbst nicht an, Experte für Trump, amerikanische Innenpolitik oder Randale-Bekämpfung zu sein. Man muss aber wohl auch gar kein Experte für irgendwas sein, um Lobos Behauptung, „Hubschrauber“ würden „im Tiefflug Kriegstaktiken gegen unbewaffnete Demonstranten anwenden“, für reichlich überdreht und absurd zu halten. Im Krieg werden bekanntlich möglichst viele gegnerische Kombattanten getötet oder verwundet. Es ist nicht bekannt, dass Hubschrauber mit Maschinengewehren oder Raketen Demonstranten zusammengeschossen hätten. So ein Satz ist schon zumindest nahe dran an einer Falschnachricht. 

Und dann, nach einem Crescendo der „Monstrositäten“, die angeblich „zu viele Beobachter … verharmlosten“ kommt Lobo am Schluss zu seiner eigentlichen These, die steil zu nennen eine Untertreibung wäre. Nämlich: »Sollte er die Wahl im November verlieren, wird Trump einen Staatsstreich unternehmen und niemand wird ihn daran hindern können. Ich befürchte, er wird das Wahlergebnis nicht anerkennen, vorzeitig via Twitter behaupten, dass eigentlich er gewonnen habe und dabei von Trump-hörigen Propagandamedien wie Fox News unterstützt. Er wird alle Differenzen zu anderen Medien mit der Behauptung „Das sind Fake News!“ erklären und alle Meldungen von staatlichen Stellen mit einer „Deep State“-Verschwörung der Demokraten. Er wird gegen jeden Protest unmittelbar das ihm unterstellte US-Militär einsetzen, gegen Amerikaner auf amerikanischem Boden. Er wird schließlich den Supreme Court anrufen, damit der seine Version des Wahlausgangs stützt.«

Lobo hält offenbar die älteste noch existierende Republik und Führungsmacht der westlichen Welt, die die moderne Demokratie mehr oder weniger erfunden hat, und in der es seit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 nie auch nur den Versuch eines Putsches gab, für etwas, das man früher „Bananenrepublik“ nannte. Wer ernsthaft behauptet, Trump könne und wolle in den USA ein autokratisches Regime nach dem Muster scheindemokratischer lateinamerikanisch-afrikanisch-vorderasiatischer Länder errichten, ist sehr weit weg von der Wirklichkeit, auch wenn er statt des Aluhutes eine Irokesen-Frisur trägt. Lobo offenbart eine klassische Eigenschaft der Verschwörungstheorie: Nämlich den Glauben daran, dass dunkle Mächte unterhalb der institutionellen Oberfläche wirksam walten. Lobo schafft es raffinierter Weise in ein und demselben Absatz Trump die Inszenierung der „Verschwörung der Demokraten“ vorzuwerfen, die natürlich eine Lüge sei (ist sie ja auch), und gleichzeitig eine Trump-Verschwörung zu konstruieren, die real wäre.   

Facebook kein Schiedsrichter über Wahrheit
Ein Urteil gegen die angemaßte Macht von Correctiv
Welch persönliches Urteil wer auch immer über Trump fällt, rechtfertigt nicht, abstruse Behauptungen und Prophezeiungen über ihn in die Welt zu setzen. So wenig wie die unbestreitbare Tatsache, dass Bill Gates dank seines astronomischen Vermögens und der Aktivitäten seiner Stiftung über viel Macht und Einfluss in der Weltgesundheitsorganisation verfügt, es rechtfertigt, Fantastereien über seine vermeintlichen Absichten zu verbreiten – über seine Verdienstinteressen hinaus. 

In Ergänzung zum Vorspann des oben erwähnten Spiegel-Artikels könnte man also feststellen, dass nicht nur die Pandemie, sondern auch die Anti-Trump-Hysterie ein „Konjunkturprogramm für Verschwörungstheoretiker“ ist. Und zwar eines, das ganz offensichtlich auch auf Leitmedien wirkt, die sich dagegen immun zu sein wähnen. In der Bergpredigt sagt Jesus – ein bewährter Experte gegen Selbstgerechtigkeit und Hochmut, der in der Spiegel-Redaktion traditionell nicht sehr gut gelitten ist – übrigens noch weiter: „Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auges ziehest!“

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Peter Hoess
3 Jahre her

Es ist leicht getan, den Spiegel als linkspropagandistisches Schmierblatt und Lobo als irren Verschwörungstheoretiker abzutun, aber das traurige ist, dass vermutlich eine Mehrheit der Bürger und Wähler blind und ungefiltert die frames und narratives des Spiegel oder ähnlicher Publikationen übernehmen und sich kritiklos gehirnwaschen lassen. Die 80% lesen leider den Relotius und Lobo Inkubator und nicht Tichys Einblick. Darum sehe ich ja auch schwarz für die Zukunft. Auch Gehirnwäsche ist irreversibel. Sie bleibt für Jahrzehnte. Und es wird mit bento und funk ja auch schon die nächste Generation indoktriniert. Wir sind China. Wir sind Russland. Wir sind Türkei. Ohne den… Mehr

TE2020
3 Jahre her

aus dem eigenen Lager darf kritisiert werden, da wittert man dann auch sofort Verrat.

Es liegt ein kleiner aber feiner Unterschied zwischen „ist“ (Tatsachenbehauptung, Imperativ) und „meiner Ansicht nach“ (Konjunktiv). Sie verwechseln Kritik mit Herabwürdigung. Und da werde ich in der Tat unangenehm, weil das Art. 1 GG antastet. Fehlt noch, dass Sie Spinner = Verschwörungstheoretiker im gleichen Atemzug nennen und so den War on Wording befeuern! Und hören Sie bitte auf mit dem unsäglichen Links-Rechts-Schema. Mit Aussagen zu Intelligenz, Seriosität etc. wäre ich eher sparsam. {Erinnert mich zwangsläufig an Kleinhirn-an-Großhirn von Otto Waalkes.}

TE2020
3 Jahre her

@Ach bitte, Jebsen ist ein Spinner!

Wenn das zutrifft, erklären Sie mir bitte einmal, weshalb Menschen wie Willy Wimmer das Gespräch mit ihm suchen! Ich könnte hier leicht 100 weitere Namen auflisten. Letztlich ist vollkommen unerheblich, was Jebsen ist. Weder verschwört er sich, noch stellt er Theorien auf. Manches interpretiert er frei. So what? Ich bin froh, dass es Journalisten wie Jebsen gibt, ohne ohn wäre die Medienwelt definitiv ärmer.

Contenance
3 Jahre her

Paranoide Psychose, mit wahnhafter Projektion der eigenen Gefühle auf Dritte?

Jasmin
3 Jahre her

Vielleicht äußert der Lobo ja nur, was er gerne tun würde, wenn 2021 rot- rot- grün nicht als klare Wahlsieger hervorgehen? Was ich selber denk und tu…

Armin Reichert
3 Jahre her

Und noch so eine „Verschwörungstheorie“: Ist Johannes Kahrs ein Hochstapler, der nie einen Abschluss in Jura gemacht bzw. selbst geschrieben hat?

https://www.youtube.com/watch?v=GSdk1msIoDs

Warum gab Johannes Kahrs als Beruf immer als „Angestellter“ oder „Bundestagsabgeordneter“ an, wenn er doch ein abgeschlossenes Jurastudium vorzuweisen hätte?

Möchte sich ein echter Journalist hier mal reinhängen?

Fred Katz
3 Jahre her

Wenn einer mit ADS dem US-Präsidenten eine Verschwörung worwirft, kann ihm niemand etwas-im Zweifel war seine Krankheit schuld!
In Berlin lassen sich viele Tourette oder Epilepsie attestieren, um bei ihren Eskapen straffrei auszugehen.
Mit der FAZ kabbelte er sich, weil er bestimmte Meinungen verbieten lassen wollte.
Leider entgeht ihm, dass in Deutschland, außer Merkel, niemand mehr wird regieren wollen, weil für 50 Jahre das Geld verteilt wurde.
Wer will den Kanzler werden und dann bei den Bürgern 1-2 Billionen € eintreiben müssen?
Warum unterstellt Lobo der Merkel nicht, sie habe vor, Arbeitslose als Sklaven ins Ausland zu verkaufen?

andreashofer
3 Jahre her

Trump plant also einen Staatsstreich? Sieht z.Zt. eher anders aus, die Aufstände haben etwas Inszeniertes. Offensichtlich macht “man” Wahlkampf gegen Trump. Mit Dauerfeuer auch der deutschen Medien und etlicher Politiker. Jene scheinen alles darauf zu setzen, dass Trump scheitert und jemand Genehmeres gewinnt. Gut. Nur: Was passiert, wenn Trump gewinnt und Truppen abzieht aus Europa? Merkel hat ja schon davon geredet, dass die Karten neu gemischt werden…. ahhh ! Verstehe, die neue Schutzmacht wird Frankreich, daher die ganze Kohle 🙂
Halbwegs kluge Menschen setzen nicht alles auf eine Karte.

AndreasH
3 Jahre her

Für die linke Presse ist Donald Trump die Reinkarnation Adolf Hitlers. Dass wir uns als Land des Nationalsozialismus mit Belehrungen an die Nation der Befreier zurückhalten sollen, das versteht Lobo nicht. Er fühlt sich als den Amerikanern überlegen und zeigt damit dass er eine Denke hat, die er eigentlich vorgibt bekämpfen zu wollen.

IJ
3 Jahre her

„Niemand wird ihn (Trump) an einem Staatsstreich hindern können, dafür sorgen er und seine Verbündeten seit Langem vor.“ Warum schreiben Linke so etwas und verbreiten es in der Öffentlichkeit (übrigens ohne die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes zu erregen)? Sie schreiben es für die Vorbereitung und vorlaufende Rechtfertigung des eigenen gewaltsamen Angriffs auf den Staat. Mit dem Hinweis, dass man nur anderen gewaltsamen Kräften zuvor gekommen sei, rechtfertigen gewaltätige, militante Linke seit über 150 Jahren als Propaganda-Lüge die Vorbereitung auf den lang ersehnten Staatsstreich. Sehr prominent und fatales Beispiel ist einmal mehr der Überfall der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands auf die Sowjetunion –… Mehr