Zur Debatte um Leitkultur

Jede Identität entspringt nun einmal konzentrischen Identitätskreisen. Der Kern von Identität ist diejenige, die sich aus der Familie schöpft. Darum herum folgt als erster konzentrischer Kreis die Heimat, dann die Nation, dann Europa, dann erst ein Weltbürgertum.

©Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Nur Verfassungspatriotismus – das wäre so, wie wenn jemand die Fußballregeln, aber nicht das Fußballspiel als Ganzes liebte. So steril kommen einem jedenfalls die aktuellen Beiträge der „Linken“ und der „ewig-morgig“ Progressiven zur Debatte um Leitkultur vor.

Nein, es ist ein Irrweg zu glauben, Identität könne sich auf einen Verfassungspatriotismus reduzieren lassen. Denn Verfassungspatriotismus (ein Begriff, der 1959 erstmals von Dolf Sternberger verwendet wurde) erfasst nur das bloße rationale Bekenntnis zu einem Rechtssystem. Damit aber sind keine emotionalen Bindungen und vor allem keine Identität gestiftet.

Jede Identität entspringt nun einmal konzentrischen Identitätskreisen. Der Kern von Identität ist diejenige, die sich aus der Familie schöpft. Darum herum folgt als erster konzentrischer Kreis die Heimat, dann die Nation, dann Europa, dann erst gegebenenfalls ein Weltbürgertum.

Linke haben mit fast all diesen Identitäten ein Problem. Familie ist für sie ein Relikt, das es durch Verstaatlichung der Erziehung zu überwinden gelte. Heimat und Nation sind für sie ebenfalls igittigitt. Europa ist ihnen zu abendländisch, also überspringen sie am liebsten auch diesen Identitätskreis und widmen sich internationalistisch und globalistisch der „one world“.

Wir sollten uns im Interesse einer kollektiven Identität, die Menschen neben der individuellen nun einmal brauchen, aber nicht scheuen, die Haltung eines aufgeklärten Patriotismus zu bemühen. Ein solcher Patriotismus hat mit Bindung nach innen, mit Wir-Gefühl und mit Geborgenheit zu tun. Dies ist Voraussetzung für Gemeinsinn: „Allein die Nation kann die innere Bereitschaft der Menschen wecken, sich solidarisch und selbstlos für das Gemeinwesen einzusetzen“ (Max Weber).

Aufgeklärter Patriotismus hat außerdem mit innerem Frieden und mit Berechenbarkeit zu tun. Wer sich selbst nicht traut, der schafft bei anderen Misstrauen. Was für zwischenmenschliche Beziehungen gilt, das gilt auch für internationale: Wer sich selbst nicht ausstehen kann, der ist sogar für andere unausstehlich und unberechenbar. Insofern mag man es bei unseren Nachbarn nicht, wenn bei uns an Hauswänden „Deutschland verrecke!“ oder auf Transparenten „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ zu lesen ist. Angeblich haben solche „Bekenntnisse“ mit antifaschistischer Staatsraison zu tun. Aber damit beugt man keinem Nationalismus, Radikalismus und Extremismus vor. Patriotismus und Nationalismus lassen sich zudem klar voneinander scheiden: Nationalismus ist Hass auf andere, ist Freund-Feind-Denken; Patriotismus ist Liebe zum eigenen Land, zum Vaterland, zur Heimat – ohne nationale oder gar nationalistische Überheblichkeit, ohne „Hurra“, ohne Taumel und ohne Völkisches.

Aber Symbole gehören durchaus dazu: die schwarz-rot-goldene Flagge, auch wenn sie dem damaligen CDU-Generalsekretär bei letzten CDU-Wahlsieg 2013 von der Kanzlerin aus der Hand gerissen wurde; und natürlich das Deutschlandlied mit der dritten Strophe. Es ist dies eine Nationalhymne übrigens, in der im Gegensatz zu vielen anderen Nationalhymnen kein Blut fließt. Ansonsten kann und darf sich Patriotismus nicht erschöpfen in Partial- oder Bindestrich-Patriotismen – in einem gewerkschaftlichen Sozialstaats-Patriotismus, einem Sport-Patriotismus, einem Party- und Spaß-Patriotismus als Patriotismus „light“.

All die Linken in ihrem anti-deutschen Delirium sollten ein Wort des damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher nachlesen. Dieser schrieb 1946 (!): „Ich bin der Meinung, dass das deutsche Volk jetzt endlich und besser und mehr als bisher ein selbstverständliches, ruhiges, ausgeglichenes, aber unerschütterliches nationales Selbstbewusstsein braucht, seinetwegen, aber auch der Völker Europas wegen.“

Und der polnische Publizist und Senator Jan Josef Lipski sagte 1990 mit Blick auf die deutsche Kultur, mit Blick auch auf die in Polen noch vorhandenen deutschen Kulturdenkmäler: „Was zur Kultur einer Nation gehört, bleibt für immer ihre Errungenschaft und ihr Ruhm.“ Ein Gemeinwesen aber ohne Tradition wäre eine Verweigerung von Identität. „Ich schäme mich der Indifferenz, mit welcher Deutsche ihren spezifischen Beitrag zur Weltzivilisation behandeln“, hat Adolf Muschg zu dieser Frage gesagt.

Also diskutieren wir doch bitte mal unverkrampft über Leitkultur und eben über Patriotismus!

p.s.: Aber bitte nicht zu kurzgegriffen.

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Kommentare ( 28 )

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Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her

Ganz anders die alten bärtigen Männer. Dort wird über Leitkultur erst gar nicht diskutiert und vor allem nicht lange gefackelt. Raif Badawi kann ein Lied davon singen, falls ihm noch zum Singen zumute ist.
http://www.n-tv.de/politik/Badawi-erwarten-weitere-Peitschenhiebe-article18884111.html

Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her

Danke für Ihren Kommentar. Er ergänzt sehr gut, was ich meine. Auch die Widersprüchlichkeit der Friedenssehnsucht – die ich im Kern für echt halte – versus ewigem Feindbild gehört dazu. Aber die Mittel der Umsetzung vernichten den Zweck. Am Ende bleibt nur Schaden übrig. Und ja, es steht nicht gut um diese Welt. Ausgerechnet der sich selbst als etwas Besseres vorkommende Westen ist keinesfalls ein Beziehungsweltmeister, der etwas leicht reparieren könnte, sogar wenn eine Beziehung freiwillig begann. Um wieviel schwerer fällt ihm deren originäre, gute Herstellung. Und wie elementar doch diese Fähigkeit für menschliches Leben wäre! Von seiner nativen Entwicklung… Mehr

Hanna Jüngling
6 Jahre her

Ausgezeichnet!

Hanna Jüngling
6 Jahre her

Oje, irgendwie vertrete ich da doch wohl eher die deutsche Nüchternheit… … und dann auch noch das „Raunen von Wäldern und von Nächten“. Also: wenn Sie mich fragen: das ist so deutsch, dass es schon nicht mehr deutsch ist. Auf ins deutsche Weltbürgertum auf kastilischen Wunsch im hymnischen Lob auf die globale deutsche Sprache. Ja, das könnte auch von einer enthusiastischen Grünen stammen: „Deutschland zieht sein grünes Geld wieder flatternd durch die Lüfte üble, braungebrannte Düfte nebeln emsig in die … Welt Fremde träumen schon, wollen balde kommen, horch nur nicht hin: es naht der Terrorton – Chaos, ja du… Mehr

ZurückzurVernunft
6 Jahre her

Ich denke Popper war klüger, als der gesamte heutige deutsche Bundestag.

H. Broder hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, dass man mittelalterlich geprägten Menschen, die Burkas und ähnlichen Humbug propagieren, all die Errungenschaften unserer Leitkultur vorenthalten sollte:
Also entweder Burka, aber dann keinen Strom, Kühlschrank, Flugzeug Auto Smartphone, Computer, wassergekühlte Zahnbohrer,….

Ich denke in diesem Fall würde sogar der frömmste Moslem schnellsten zum Rationalismus konvertieren.

hasenfurz
6 Jahre her

Seien wir realistisch. Versuchen wir das Unmögliche!
Ich sage NEIN zu dem rautenfaltenden Geßlerhut und seinen Medien und Apparatschiks!

NEIN! Ihr SEID NICHT Deutschland!
IHR SEID DIE FEINDE DEUTSCHLANDS!

Damit das da mal kein Vertun gibt.

Verbrecher gehören in den Knast.

Haw
6 Jahre her

Als vor Jahren Friedrich Merz den Begriff der deutschen Leitkultur in die politische Diskussion einbrachte, wollte Angela Merkel lieber von prägenden Wertvorstellungen sprechen.

Leider kommt diese Diskussion über eine selbstverständliche Standortbestimmung Deutschlands, dass seine Regeln und Anforderungen an Neuankömmlinge formulieren will und auch muss, viel zu spät und dient nur dazu, weiter Rechtsstehenden Munition zu nehmen.

Matthias Losert
6 Jahre her

„Also diskutieren wir doch bitte mal unverkrampft über Leitkultur und eben über Patriotismus!“ – Hr. J. Kraus Womöglich greife ich zu kurz, wenn ich lieber über Identität schreibe? Vater und Mutter schenkten mir das Leben. Irgendwann lernte ich auch extrapolarisierte Wirklichkeiten (eW) kennen. (eW)-Exkurs: Eine Jagdgruppe verfolgt das Wild. Für die Jagd werden Fernwaffen genutzt. Die Jäger müssen mögliche Fluchtwege vom Wild vorhersehen und danach ihr Ziel anvisieren. Bereits damals abstahierten wir Entwicklungen über Zeit und Raum. Das Denken über Raum und Zeit kann künftige Entwicklungen annehmen oder vergangene Wirklichkeiten vorstellen. Bspw. Wer brachte Vater und Mutter hervor? – Das… Mehr

hasenfurz
6 Jahre her

Der Mensch braucht eine Heimat, und er ist ein zoon politicon, ein Gemeinschaftslebewesen. Die ganzen Probleme haben erst damit angefangen, daß Verbrecher erkannt haben: wenn sie das Individuum in ein Dividuum zersplittern, können sie mit ihm treiben, was sie wollen. Und das ist der Punkt, es geht nie um MENSCHEN, es geht immer nur um MACHT. Da sind die Linken, die alles im globalen Weltstaat auflösen wollen, nicht besser als die Rechten, die stets den guten, klugen Patriarchen herbeireden. Beides ist Schmu. Die Menschen müssen dazu befähigt werden, sich vernünftig selbst zu organisieren. Das wiederum geht, weil es es besagte… Mehr

Bernd
6 Jahre her

Was spürt man, wenn ein Mensch geboren wird oder stirbt? Es ist ein materieller Ablauf, das nur äußerlich – innerlich bewegen sich Welten, wenn das passiert, auf einer anderen Ebene. Das Gefühl, Eltern, ein Zuhause, eine Heimat zu haben, ist prägend und den Platz, an dem man als Kind aufgewachsen ist, wird man sein Leben lang nicht vergessen. Bereits ganz kleine Kinder ahnen instinktiv, dass das Leben gefährlich ist. Wir sind sterblich. Der Einzelne kann, selbst wenn er ein Waffenproduzent des 21. Jahrhunderts ist, nicht das gesammte Leben vernichten. Irgendwo würde es weitergehen. Von der wirklichen Erkenntnis, dass er nur… Mehr