Wie die Deutschen Europa nerven

Die Regierungs-Deutschen halten im Zweifel das, was sie für moralisch halten, für wichtiger als die Vernunft. Nur verdrängen sie dabei die Konsequenzen. Sie glauben, sie könnten trotzdem alles kriegen. Alles zugleich.

Es gibt kein Leben ohne Widersprüche. Und deshalb muss man sich manchmal entscheiden, nicht zwischen gut und schlecht, so einfach ist es nicht. Mit dieser schlichten Erkenntnis hatten die Regierungen Merkels schon öfter Schwierigkeiten. Die Deutschen, die sich durch diese Regierung noch immer hinreichend vertreten fühlen, halten im Zweifel die Moral für wichtiger als die Vernunft. Das, was sie für moralisch halten. Nur verdrängen sie dabei die Konsequenzen. Sie glauben, sie könnten trotzdem alles kriegen. Alles zugleich. Das gute Gewissen und die Vollbeschäftigung, nur mal so zum Beispiel.

I.

Sie halten es zum Beispiel für eine gute Idee, aus der Kernkraft und der Kohle zugleich auszusteigen, dennoch ihre hochentwickelte Industriegesellschaft sicher und halbwegs günstig mit Strom versorgen zu können, einschließlich vieler Millionen Autos, und nebenbei auch noch das Weltklima zu retten. Größenwahn und Moral: in Deutschland gehören sie untrennbar zusammen. Nächstes Beispiel: Allein die Deutschen haben sich eingebildet, sie könnten ihre grenzenlose Willkommenskultur mit dem Ansinnen verbinden, den Flüchtlingsstrom gerecht auf die ganze EU zu verteilen. Merkel wollte ihren moralischen Sonderweg als europäische Realpolitik verkaufen. Drittes Beispiel: Große Reden schwingen, aber den Schwanz einziehen, wenn es brenzlig wird. Wir haben den IS besiegt, tönt es aus dem pazifistischen Berlin. Auch noch mit dieser Bundeswehr?

II.

Ja, klar. Die Deutschen sind Mustereuropäer. Sie wollen Vertiefung und Festigung. Was gemeinsam sinnvoll ist, wird gemeinsam getan. Sinnvoll wäre eine europäische Armee. Wer eine EU-Armee haben will, braucht gemeinsame Ausrüstung. Also Rüstungsprojekte. Die sind auch gut für die Wirtschaft. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Nur kommt leider die deutsche Moralführerschaft in die Quere. Blöderweise bekennen sich diejenigen am lautesten zu EU-Europas Einheit, die am liebsten Sonderwege beschreiten. Wieder einmal setzt die deutsche Moral der europäischen Einheit der EU Grenzen. Selbst dort, wo nationale und Interessen der EU nahezu identisch sind, fällt es Berlin schwer, seine Interessen überhaupt zu definieren.

III.

Moment! Wir haben doch einen Kompromiss. Also die deutsche Regierung hat einen. Einen scheinheiligen, mit völlig irren Details im Kleingedruckten. Der Ausfuhrstopp für Exporte nach Saudi-Arabien wird verlängert, nicht aber für Waffensysteme aus Gemeinschaftsprojekten der EU, unter folgenden Vorraussetzungen … (die aus der Doppelmoral eine Farce machen). Franzosen und Briten schütteln nur noch den Kopf. Am besten, man macht solche Projekte ohne die Prinzipienreiter in Berlin, die mal wieder ganz EU-Europa zur Geisel ihres ja nur vermeintlichen Moralismus machen wollen. Unter diesen Umständen von einem europäischen Flugzeugträger der EU zu schwadronieren wie Kramp-Karrenbauer, ist absurd. Die Berliner Scheinheiligkeit ist international nicht konkurrenzfähig, Moral a lá Merkel als Exportgut ungeeignet.

IV.

Das innenpolitische Dilemma kommt dazu, ein doppeltes: Zum Moraldilemma kommt das Machtdilemma hinzu. Merkel hat nicht mehr viel zu melden. Sie moderiert nur noch und versinkt allmählich in dem Sumpf, den sie mit ihren Entscheidungen selbst geschaffen hat. Die Sozialdemokraten legen sich ungestraft quer. Und die Grünen warten nur darauf, dass sie die SPD ablösen, als Koalitionspartner der nach wie vor haltungslosen Union und als Weltmarktführer der Moral made in Germany.

V.

Es gibt auch eine Ethik der Vernunft. Anders formuliert: Pragmatismus ist niemals frei von Moral. Was in diesem Land für unvereinbar gehalten wird, ist in Wahrheit nicht voneinander zu trennen. Nur ist es nicht bequem, damit zu leben. Nur die blanke Moral gibt es frei Haus, Moral ohne Verstand. Gut zu handeln und sich gut zu fühlen sind zweierlei. Eine Regierung hat nicht zuerst die Moral zu vertreten, sondern die Interessen ihres Landes. Dieser Satz aber ist bei den gegenwärtigen Verhältnissen in den Wind gesprochen.


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Kommentare ( 87 )

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StefanB
4 Jahre her

„Eine Regierung hat nicht zuerst die Moral zu vertreten, sondern die Interessen ihres Landes. Dieser Satz aber ist bei den gegenwärtigen Verhältnissen in den Wind gesprochen.“

So ist es! Dumm nur, wenn die Wähler_*Innen nicht erkennen wollen, dass die (Merkel-) Regierung nicht im Interesse ihres Landes handelt, weil es das Land als Schicksalsgemeinschaft für die Regierung nicht mehr gibt. Noch dümmer, wenn die Wähler_*Innen diesen Verrat durch Aufgabe von Souveränität als in ihrem Interesse verstehen. Am dümmsten aber, wenn man mit einer solchen Sichtweise ganz allein dasteht und diese im Alleingang praktiziert.

lube
4 Jahre her

Herles endlich wieder glasklar und konkret. Alles auf den Punkt gebracht.

Peter Kern
4 Jahre her

Genau so ist es. Die Kanzlerin macht linksgrüne Politik und keiner weiss eigentlich genau warum. Aber viele laufen hinterher wegen der Moral, wie sie ausführen. Es ist dann auch nicht nur so, dass Deutschland dieser Agenda unterworfen werden soll, nein, mit Deutschland als mächtigstem Staat soll ganz Europa fallen.

Ostfale
4 Jahre her
Antworten an  Peter Kern

Ihre Schlußfolgerung kommt einer Aussage eines sowjetischen Offiziers im II. WK sehr nahe, die er u.a. gegenüber meinem Vater, Gott hab ihn selig, machte, als der zu seinen und anderer Gefangener Wachmannschaft gehörte: „Wer Deutschland hat, der hat Europa“. Wie gesagt, es handelte sich um einen sowjetischen Offizier, sehr wahrscheinlich marxistisch-leninistisch geschult, vielleicht sogar eisern gefestigt im ideologischen Glauben. Der Weg war lang, das Ziel der Kommunisten ist in greifbare Nähe gerückt.

Marc Hofmann
4 Jahre her

Die deutsche Medien Merkel Regierung sind keine Mustereuropäer sondern Muster-EU-ler.

Oblongfitzoblong
4 Jahre her

Das emotional motivierte Agieren , insbesondere in der sog. Flüchtlingspolitik, der Regierung Merkel soll durch die neue Hochmoral der deutschen Politik im Nachhinein als großer, geistig-politisch durchdachter Gesamtentwurf der deutschen und der Weltöffentlichkeit verkauft werden. Offenbar macht aber die Weltöffentlichkeit nicht mit. Dann müssen wir noch moralischer werden! Das können wir!

Ursula Schneider
4 Jahre her

Mir gefällt der Begriff Verantwortungsethik in diesem Zusammenhang sehr gut. „Vollständige“ oder „echte Ethik“ sagt m. E. zu wenig aus, provoziert sofort die Gegenfrage, was denn „vollständig“ oder „echt“ heiße. Unter Verantwortung kann sich dagegen jeder etwas vorstellen. Es bedeutet zum einen, das Wohlergehen bzw. die Interessen aller Betroffenen zu berücksichtigen, und zum anderen, langfristig sämtliche Folgen – soweit zeitlich überschaubar – in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das bedeutet auch Bürde und Last, eben weil Entscheidungen oft so schwierig sind bei Abwägung aller Aspekte. Gesinnung durchzusetzen ist vor allem Eigennutz, ist das billige Wohlgefühl, moralisch auf der „richtigen“ Seite zu stehen.… Mehr

Julian Schneider
4 Jahre her

Ich komme gerade aus Kroatien zurück, meiner neuen Wahlheimat, wo ich gerade am Wohnungseinrichten bin. Beim Hinauftragen der Spülmaschine in die dortige Wohnung bot sich mein kroatischer Nachbar hilfsbereit an. Erstkontakt, erstes Thema nach einer Minute: Merkel (ich habe nicht angefangen!). Wie kann diese Verrückte zwei Millionen Moslems nach Deutschland holen? Moslems. Unmöglich. Sind wir in Deutschland alle wahnsinnig geworden? Das hatte mich übrigens schon mein kroatischer Makler vor vier Monaten gefragt. Der freut sich übrigens, dass so viele Deutsche jetzt Wohnungen bei ihm kaufen. Im Ausland beobachtet man Deutschland sehr genau und weiß wie man alles einzuordnen hat, denn… Mehr

Hannibal ante portas
4 Jahre her
Antworten an  Julian Schneider

Genau EINORDNEN, das können die Deutschen wohl wirklich nicht. Die wahre Dimension eines Vorganges einzuschätzen ist nicht Sache des Michels. Hinzu kommt auch noch die Tatsache, dass er sich ungern in seinem Biedermeier-Puppenhaus stören läßt!

Werner Baumschlager
4 Jahre her
Antworten an  Julian Schneider

Was Deutschland im 2. Weltkrieg mit Waffen nicht geschafft hat, schafft es jetzt mit Migranten. Und es versteht immer noch nicht, warum Europa nicht dankbar dafür ist.

Tom Scheidl
4 Jahre her
Antworten an  Julian Schneider

Ich kann genau das Gleiche aus Kärnten berichten, meiner neuen Wahlheimat. Wir sind jetzt 2Jahre da. Keine Sekunde bereut. Alles Gute 🙂 Liebe Grüße, Tom Scheidl

Schwabenwilli
4 Jahre her

Hochmut in Form von Herrenmenschentum oder Heute Moral, alles war schon mal da und alles ist wieder Vergangen 🙂

Ostfale
4 Jahre her
Antworten an  Schwabenwilli

…alles war schon mal da und alles ist wieder Vergangen ? Schon richtig – aber mit den (eigentlich sattsam) bekannten Ergebnissen. Dieses Mal werden von diesem Lande für die Eingeborenen keine, wenn auch immer kleiner gewordenen Reste zum leben übrigbleiben. Dieses Mal bleibt für die nur noch ‚das Schweigen im Walde‘ oder – weil er die Autoritäten stört – der denkende Kopf ab. Vergehen in reinsten multiplen Formen.

Heinrich Niklaus
4 Jahre her

Zitat Herles: „Die Regierungs-Deutschen halten im Zweifel das, was sie für moralisch halten, für wichtiger als die Vernunft.“ Wer sind die Regierungs-Deutschen? Sind das die Bundesregierung und die Landesregierungen? Gehören auch die Einflussnehmer (Print-Medien, Staatsfunk, Künstler, NGO, Clans und sonstige einflussreiche Personen) dazu? Wissen wir, was Frau Merkel für moralisch hält? Oder wird ihre Moral von der Durchsetzbarkeit ihrer Machtansprüche diktiert? Oder von den Haltungsjournalisten à la Relotius? Nein, Merkel macht ganz einfach, was sie will. Und was sie will, darüber lässt sie alle im Unklaren. Sie „fährt auf Sicht“, sagt sie, wenn sie über längerfristige Ziele nichts sagen will,… Mehr

giesemann
4 Jahre her

Elektr. Strom ist die edelste aller Energieformen, so wie Designerklamotten. Das lässt man am besten woanders herstellen, der Dreck bleibt dort, das Edle kommt her. Nicht unschlau, oder? Wir machen dann nur noch Edelstoff … . Find ich gut.

Hannibal ante portas
4 Jahre her
Antworten an  giesemann

Deswegen können bei uns immer höhere Umweltschutzrichtlinien umgesetzt werden, wir lassen unseren Dreck ( Textilien, Leder, Chemie etc. etc. etc. ) einfach woanders produzieren.