Scripted Reality – die Methoden des Fälscher-Journalismus im TV

Ist Fernsehen wegen der unumstößlichen Realität der gezeigten Bilder weniger anfällig für erfundene Wahrheiten der erfinderischen Wort-Journalisten? Altmeister Wolfgang Herles öffnet uns die Augen für "„scripted reality“.

Nein, keine Schadenfreude. Die Selbstgefälligkeit vieler Kollegen – geschenkt. Ich fühle mich selbst betroffen, solange ich Journalist bin. Der Fall Relotius ist verheerend für den ganzen Berufsstand. Wer nun mit Entsetzen auf die zerbrochene Edelfeder zeigt, schreit: Haltet den Dieb!

I.

Im Fernsehen kann der Reporter weniger leicht erfinden. Ton und Bild sind stets dokumentiert, sollte man meinen. Aber die Realität ist natürlich eine andere. Im Fernsehen wird ganz legal gefälscht, jeden Tag. Die Fälschung ist eine beliebte, allseits anerkannte Gattung. Man nennt sie „scripted reality“. Zu deutsch: Erfundene Wirklichkeit. Abartigkeiten wie „Schwiegermutter gesucht“ gehören ebenso dazu wie „Information“ a lá „Auf Streife“. In meinem Medienwissenschaftsseminar an der TU Berlin referierten in dieser Woche zwei Studentinnen über Scripted Reality und fügten als Beispiel: „Klartext“ hinzu, Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Wählern, eine ZDF-Produktion. So wie die Bürger dieser heimeligen Regierungs-TV-Runde gecastet, ihre Fragen vorbesprochen und auf dem Spickzettel des Chefredakteurs tatsächlich bereits zu sehen waren, eine nachvollziehbare Zuordnung.

II.

Die Bildsprache des Fernsehens folgt der Ästhetik der Werbung und des Kinos. Schnittfolge, Musik, digitales Tuning, ständige Kamerabewegungen, permanente Reizüberflutung. Deshalb ist auch „Infotainment“, die verhängnisvolle Kreuzung aus Information und Unterhaltung, längst ein veralteter Begriff. Es gibt gar keine reine Information mehr. Alles ist immer auch Unterhaltung. Der Journalist unter Quotendruck befindet sich im permanenten Abwehrkampf gegen Langeweile. Wir sind süchtig nach Information, weil wir süchtig nach Zerstreuung sind. So kommt die Seichtigkeitsspirale in Gang, nicht weniger gefährlich als die Schweigespirale, (die einst Noelle-Neumann beschrieb).

III.

Wie das Dröhnen erzeugt wird, ist seit langem bekannt. Nur die Dosis wird immer höher. Versimpeln, Personifizieren, Emotionalisieren. Verdichten, verkürzen, verfälschen. Auch in der sogenannten Qualitätspresse. „Relevanz ist Emotion“ heißt es bei RTL. Aber so ähnlich könnte es auch aus dem Munde von ZDF-Oberen kommen. Ständig hören Korrespondenten und Reporter die Ermahnung, es doch bitte, bitte mehr menscheln zu lassen. Daher konzentrieren sie sich auf den Einzelfall, suchen das Große im anrührend Kleinen. Ein winziger Ausschnitt soll für die ganze Wahrheit gehalten werden. Eben so, dass es der Dümmste versteht. Opfer, echte wie vermeintliche, sind anschaulicher als Zusammenhänge. Auch wenn der Ausschnitt nicht gelogen ist, bildet er die Realität nicht ab. Die Zuschauer werden emotional hinter die Fichte geführt, bis sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

IV.

Claas Relotius hat das Weltgeschehen in diesem Sinne koloriert. Er ist weiter gegangen als andere, aber er hat im Grunde nichts anderes gemacht. Auch er hat das Lagerfeuer der Gefühle angeblasen. Entsetzen, Betroffenheit, Empörung sind die Hauptzutaten der großen medialen Verwurstung. Relotius war mit allen seinen Geschichten vor allem ein blendender Gefühlsakrobat. Die Verpackung (bei Relotius sagt man feiner: Stil) wird für wichtiger gehalten als inhaltliche Präzision, Logik und Skepsis. Wer mit Emotionen arbeitet, erspart sich Recherche. Gefühle erleichtern die Arbeit und erhöhen die Resonanz. Damit lassen sich Vorgesetzte und Preisjurys ebenso ködern wie Leser und Zuschauer.

V.

Zu den Ursachen: Gute Quoten, Zustimmung, Preise werden zur Droge, wenn journalistische Werte und Überzeugungen fehlen. Die Qualitätspresse verkommt, nicht anders als das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Die Krankheit hat einen Namen: Gefallsucht. Was aber ist Erfolg für guten Journalismus? Allein die messbare Resonanz sicher nicht. Guter Journalismus setzt selbst die Themen, hetzt nicht der Regierungsagenda oder dem Zeitgeist hinterher. Gute Journalisten sind keine Lautsprecher. Es ist jedoch allemal leichter, das Publikum für das zu interessieren, was schon Geräusche produziert. Auch das Weglassen, das Wegschauen ist Fälschung. Wenn etwas nicht gebracht wird, nur weil es nicht emotional, grell und erregend genug ist. Oder nicht in die gewünschte Richtung passt. Am einfachsten sind die Geschichten zu verkaufen, die Vorurteile und aktuellen Gefühlswogen bestätigen. Claas Relotius wurde zum Star, weil er dem Mainstream Zucker gab. Ein hoch begabter Opportunist. Schämen sollten sich die, die ihn dazu anhielten, darin bestärkten und dafür auch noch prämierten.


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Kommentare ( 76 )

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76 Comments
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enterfiles672
5 Jahre her

…also bei dem Artikel konnten wir so richtig lachen denn da kommen Aspekte wie Journalismus Deutschland und Fälschung zusammen was eigentlich die Lage auf dem Deutschen Medien Markt bestens umschreibt. Die meisten Medien und damit die meisten Journalist*innen sind doch eher Mitläufer und Schönschreiber. Nehmen wir dazu mal das Beispiel der RAF angebliche Überfälle usw. Also diese Artikel sind gerade für uns von besonderem Interesse und was (fast) alle Medien über das Thema losgelassen haben sind weniger Fälschungen aber mehr wohl eine Art „lieb Kind“ sein und ach so toll berichten usw. Dabei hat kaum ein Journalist*in je Kontakt zu… Mehr

Rebell
5 Jahre her

Ich schaue seit vielen Jahren keine ÖR Nachrichten oder andere Formen der Gehirnwäsche wie Monitor usw. Wenn zwei Kaffeetanten in der Nachbarschaft gemeinsam über eine andere Person richten und keifen gehe ich auch einfach weg. Niemand, der Gesund bleiben will, vor allem geistig gesund, sollte sich mit solchem Mist aufhalten.

Wolfgang Schuckmann
5 Jahre her

Die Verfehlungen dieses Schreiberlings, Namens Relotius, sind nicht die von der Redaktion „Der Spiegel“ bestellten Machwerke dieses Herrn.
Der wahre Ärger ist, dass sich der allzu Selbstsichere hat erwischen lassen.
Das macht den Skandal, wohlgemerkt für die Verursacher.
Und in Zukunft wird sich kein Joda ändern, sondern nur noch raffinierter verpackt werden. Wer an irgendeine Läuterung dieser Herrschaften glaubt, empfehle ich
„Grimm´s Märchen“.

butlerparker
5 Jahre her

Ein guter Kommentar. Leider wird nur angedeutet, daß durch Totschweigen viele relevante Probleme gar nicht angesprochen werden. Und hier geht es nicht um Bagatellen. Nehmen wir einmal das Beispiel Deutsche Bank/Postbank. Betrachtet man die Fakten, steht die Deutsche Bank am Abgrund. Das betrifft jetzt mal 20 Millionen Kunden lt. Wipkedia. Wirklich keine Petitesse. Die Daten dazu: 1. Der Börsenkurs fällt und fällt und die Bank is nur noch halb soviel wert, wie sie seit 2010 an Kapitalerhöhungen eingenommen hat 2. Die Bank erwirtschaftet real seit Jahren keine Gewinne mehr 3. Im Portefolio befinden sich Derivate im Wert von 46 Billionen… Mehr

Nichzufassen
5 Jahre her
Antworten an  butlerparker

ich las die Zahl 46 auch, aber in Trillionen!

Watzmann
5 Jahre her

Für mich gilt seit Jahren der Grundsatz: Wer ist für einen Beitrag/Kommentar verantwortlich und nicht wo wird ein Beitrag/Kommentar veröffentlicht. Journalisten sind für mich keine abstakten Wesen, sondern Überbringer von Informationen. Deshalb möchte ich soweit wie möglich ein Persönlichkeitsprofil von diesen Meinungs bildenden Personen haben. Klappt zwar nicht immer, aber prinzipiell kann ich die Qualität einer Information dadurch besser einschätzen. Nicht die Nachricht als solche ist relevant, sondern wie wird die rezipierte Information subjektiv verarbeitet. Ein Großteil der permanenten Nachrichtenflut kann als irrelevant und überflüssig ausgblendet werden. Diese Vorgehensweise erleichtert meine Arbeit unglaublich und schützt vor unsinnigen Infos. Ein Beispiel… Mehr

Winni
5 Jahre her

20 Jahre war ich Abonennt des Spiegels und habe mich auf jeden Montag gefreut. Vor ca. 10 Jahren habe ich mein Abo gekündigt. Der Grund: Er wurde immer dünner und belangloser. Seitdem ist alles noch schlimmer geworden. Die Kolumnisten und vor allem die Istinnen sind nur noch zum fremdschämen. Walsers Sohn und Augsteins Erbe ist ein arroganter bourgeoiser Linker der übelsten Sorte. Frühere Autoren wie Matussek und Broder gelten jetzt bei denen als Rächts oder zumindest als geistig verwirrt. So ein Blatt braucht niemand mehr. Schade, aber das wars ihr Spiegel Leute. Eure neue Klientel ist nicht willens 5 Euronen… Mehr

Manfred Gimmler
5 Jahre her
Antworten an  Winni

Wirklich treffend !!!

Ursula Schneider
5 Jahre her

Zucker für den Mainstream … Kleines Beispiel: SWR (Report Mainz) deckte kürzlich einen „Skandal“ auf. Petr Bystron (AfD-Außenpolitiker) sei in Südafrika beim „Schießtraining“ mit Rechtsextremisten/Rassisten gewesen und das auch noch auf Staatskosten. Andere Medien hängten sich ohne weitere Recherche dran (mit Ausnahme der JF). Klang ja auch zu schön, um nicht zu sagen, „zucker“süß. Fakt ist: Bystron hat eine vom Bundestag genehmigte Reise mit mehreren Stationen (Politik, Wirtschaft, Kultur) unternommen. Es ging darum, sich über die aktuelle Lage im Land vor den Wahlen 2019 zu informieren. Dabei besuchte B. auch einige weiße Farmer, von denen beunruhigende Nachrichten kamen. Auf der… Mehr

Nachdenkerin X
5 Jahre her

Es ist doch seltsam, daß jetzt alles über Relotius spricht (ich kannte den Namen überhaupt nicht), aber niemand über die Kanzlerin, die aufgrund einer Lüge („Hetzjagden“), die zwar nicht sie getätigt hat, aber die sie geglaubt hat, einen verdienten hohen Beamten entläßt. Wie kann es sein, daß das kein Skandal ist?

H. Priess
5 Jahre her
Antworten an  Nachdenkerin X

Ich kannte den Namen auch nicht aber seit Mitte 2017 meide ich den Spiegel so wie so wie der Teufel das Weihwasser, so könnte er vorher an mir vorbei gerauscht sein. Ein Skandal? Nein, was ihnen zu lesen gegeben wird, was sie sehen, was sie hören ist alles manipuliert! Ich betone ALLES!! Wissen sie noch wie der Syrienkrieg begann? Hat damals der Spiegel geschrieben aber heute würde allen eher die Hand abfaulen als zu schreiben „was ist“! Für mich war der Spiegel mal die Quelle der Informationen und ich habe ihn oft zitiert. Seit 2017 nicht mehr, nach der Lüge… Mehr

Nichzufassen
5 Jahre her
Antworten an  Nachdenkerin X

Sie wissen selbst, weshalb das weggeschwiemelt wurde. DDR 2.0

Heinrich Niklaus
5 Jahre her
Antworten an  Nachdenkerin X

Liebe NachdenkerinX, Sie liegen falsch, wenn Sie behaupten: „aber niemand über die Kanzlerin, die aufgrund einer Lüge („Hetzjagden“), die zwar nicht sie getätigt hat…

Frau Merkel sagte: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab…“
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-08/bundeskanzlerin-angela-merkel-ausschreitungen-chemnitz-hetzjagd

Erstens gab es die „Hetzjagden“ nicht und zweitens nur ein gefaktes Video. Da kann man mal sehen, wie sehr die Mainstream-Medien auch bei Ihnen manipulativ wirken.
Ihnen ein schönes Weihnachtsfest!

Manfred Gimmler
5 Jahre her

Gut, Herr Herles, wirklich gut!

Eine kleine Anmerkung:
Hochbegabung imliziert nicht Klugheit. Es besitzt daher bloß marginale Bedeutung, ob Claas Relotius begabt oder hochbegabt ist.

Mozartin
5 Jahre her

An dieser Stelle dann einmal ein Lob für RTL. Ich ernte nicht selten Stirnrunzeln, weil ich mir auch schon mal die Sendungen ansehe, in denen Paare beim Kinderkriegen begleitet werden oder in anderen mehr oder weniger bedeutenden Stationen ihres Lebens, das ihnen so wichtig sein darf wie meines mir. Die Leute reden so, wie sie können oder schreibt man ihnen Scripte? Ohne das jetzt in den Himmel heben zu wollen, doch meine Bitte, man achte ein bisschen auf die Welt im Ganzen, auch so wie sie einem nicht gefällt, sonst versteht man vlt. immer besser, warum Jesus bei den Zöllnern,… Mehr