Scholz statt Schulz: Über die Erotik des O.

Scholz ist weder Raufbold noch Entertainer. Noch nicht einmal ein Verkäufertyp. Manchmal entfährt ihm ein unverschämt knappes Ja oder Nein. Dann ist er ganz bei sich.

Die SPD, behauptet das geschäftsführende O für ein U an der kommisarischen SPD-Spitze, kann Kanzler. Die SPD habe das Zeug, bei der nächsten Wahl stärkste Partei zu werden. Spinnt Scholz?

I.

Es ist derselbe Scholz, der gerade als größter anzunehmender Schnarchzapfen durch die Fernsehstudios staubt. Ein Phrasendrescher im Dickicht der Spiegelstriche. Der wahrscheinlich einzige Mensch, der die 177 Seiten Koalitionsvertrag auswendig und auch rückwärts aufsagen kann, wovon er schamlos Gebrauch macht und Moderatorinnen damit zur Verzweiflung bringt.

II.

Diesem Scholz, dem Buster Keaton der deutschen Politik, kommt ungerührt über die Lippen, dass er sich die SPD als Partei vorstellt, der die Wähler demnächst „das Land anvertrauen“. Wir rätseln? Größenwahn? Chuzpe? Geht im Sturzflug der Verstand verloren? Obwohl. Solange die Wähler allen anderen Parteien das Land auch nicht gern anvertrauen, können sie es genauso gut der SPD ausliefern.

III.

Radikaler Optimismus lenkt am gründlichsten ab von der nicht weniger radikalen Selbstbeschädigung der SPD. Scholz ist weder Raufbold noch Entertainer. Noch nicht einmal ein Verkäufertyp. Manchmal entfährt ihm ein unverschämt knappes Ja oder Nein. Dann ist er ganz bei sich. Demnächst sitzt er mit Ärmelschonern und dezent gemustertem Schlips im Kontor und spitzt rote Stifte. Schon möglich, dass das gut ankommt, weil das Publikum die Harakiri-Show der 16-Prozent-Volkspartei satt hat.

IV.

Der schrille Bätschi-Clown an der Spitze von Fraktion und Partei hat einen anderen Job: Sie gibt täglich in die Fresse. Die Rollen sind verteilt. Nur so kann die SPD von ihrem größten Dilemma ablenken. Sie hat versprochen, dass in der GroKo die Parteien unterscheidbar bleiben. Hält die SPD diesmal ihr Wort, wird es vom ersten Tag an krachen im Gebälk. Die Deutschen hassen politischen Streit. Die SPD wird dafür zahlen. Oder der nächste Wortbruch führt nahtlos in die ewige Dämmerung des Weiter-So. Dann gibts bei der nächsten Wahl was auf die Fresse der SPD. Deshalb bietet die SPD beides zugleich an, personifiziert in Nahles und Scholz.

V.

Wer von beiden eher der nächste Kanzlerkandidat sein wird, wird ganz von der Lage der Nation abhängen. Je wackeliger, desto größer sind die Chancen für Scholz. Er hat kein Programm. (Das-Ende-ist-Nahles hat auch keines.) Wofür steht die SPD und warum? Die Frage kann heute niemand beantworten, auch nicht Herr Scholz. Das ist solange kein Wettbewerbsnachteil, solange die CDU kein Programm hat und niemand weiß, wofür sie steht. Und falls sie überhaupt noch steht, weshalb.

VI.

So lässt sich der gegenwärtige Zustand der deutschen Demokratie auf einen kurzen Nenner bringen: Beide aneinander geketteten GroKo-Parteien haben ihr Profil verloren. Die CDU schaut aus wie die SPD, die SPD wie die CDU. Beide haben keine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Beide schwadronieren unentwegt von Erneuerung, Verjüngung etc. und drehen sich doch nur um sich selbst. Wobei das Selbst bei der CDU einen einzigen Namen trägt. Bei der SPD sind es wenigstens zwei.

VII.

Das gegenwärtige Mantra der deutschen Politik lautet: Das Land braucht eine stabile Regierung. Wir wiederholen: Das Land braucht eine stabile Regierung. Jetzt alle: Das Land braucht eine stabile Regierung. Wir wiederholen solange, bis es alle glauben. Oder bis es niemand mehr hören kann. Was wäre eine stabile Regierung? Eine stabile Regierung besteht nicht darin, dass zwei wankende Parteien ihre eigene Stabilität darin suchen, dass sie sich solange aneinander lehnen bis beide umfallen. Stabilität ist eine Frage von Haltung und Richtung. Von einer in diesem Sinn stabilen Regierung kann schon lange keine Rede mehr sein.

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Kommentare ( 94 )

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Gero Hatz
6 Jahre her

Nach 100% Chulz, jetzt 100% Cholz. Keiner kann es besser als die Spezialdemokraten.

neueformenderdemokratie
6 Jahre her

vielleicht ist es auch einfach das ende einer parteienlandschaft als demokratische staatsform ? .. bestimmt ist nahles das ende .. vielleicht ist aber auch die fragestellung des regierens so komplex geworden, das sie sich nicht mit einem parteien profil lösen läßt – oder vielleicht braucht es doch einfach mehr intelligenz der handelnden ..

Ghost
6 Jahre her

„Die Deutschen hassen politisschen Streit“
Sie hassen auch Unordnung. Die SPD bietet das überreichlich, die Unordnung, ein Chaos-Bild drängt sich auf.
Wenn aber Nahles meint, mit Domina-Attitüden die SPD auf Trab zu bringen, dann irrt sie sich. Aus einem alten, müden Ackergaul macht man kein Rennpferd.

Dr. Alexander Brandenburg
6 Jahre her

Recht vielen Dank für dieses kleine Kunstwerk. Nur darf man bei Olaf Scholz nicht vergessen, dass er zwar bieder und langweilig daherkommt, aber keineswegs so harmlos ist wie er vorgibt. Seit Jahren fördert er das Biotop der sogenannten Profaschisten durch staatliche und stattliche Zuwendungen. Wir alle haben noch den Auftritt dieser …-Schutztruppen beim Weltgipfel in Erinnerung. Die hamburger Marionette Merkels hat aus diesen Vorfällen keineswegs den Schluss gezogen, seine Förderpraxis einzustellen und das Terrain zu bereinigen, sondern füttert diese demokratischen Vorkämpfer für ein rechtsfreies und von Rechten befreites Deutschland weiter. Erst kürzlich konnte diese schlagende Variante der Hamburger Spezialdemokratie eine… Mehr

MM-Ruf aus der Stille
6 Jahre her

…“zwar bieder und langweilig daherkommt, aber keineswegs so harmlos ist wie er vorgibt“. Ja – kommt mir irgendwie bekannt vor …

Matthias Losert
6 Jahre her

Eine stabile Regierung wird nicht von der Pressemeute gejagt, zu Boden gerissen und verschlungen.
Bei einer stabilen Regierung sind die Medien handzahm. Sie fragen nicht nach, decken keine Widersprüche auf, unterbrechen die Regierenden nicht bei Antworten und bedanken sich für jede Regierungsphrase. – Demnach ist jede Regierung mit Fr. A. Merkel stabil.

Aufbruch
6 Jahre her

Ja, das ist die SPD. Dem Bürger ein O für ein U vormachen. Aber es wird sich nichts ändern. Genau so wenig wie sich in der CSU etwas ändert, nachdem aus Seehofer ein Söder wurde. Die Quintessenz dessen spiegelt sich in Abschnitt VI. der Ausführungen wider. Bei den die „stabile“ GroKo tragenden Parteien des Untergangs, denen auch kein Rettungsring mehr hilft, klammern sich die Akteure in ihrer Not jeweils an die Unzulänglichkeiten des anderen, gehen unter und lassen Bürger Bürger sein. Mögen sie nie wider hoch kommen. Es gibt andere, die die Probleme des Bürgers lösen können. Im Übrigen, Gratulation,… Mehr

Misteredd
6 Jahre her

Wir wollen eine Regierung die etwas regelt, unser Leben verbessert und uns vor Gefahren beschützt und keine die lieber über sich selbst redet, Personenschutz an die eigenen Leute statt Sicherheit für alle verteilt, Posten besetzt und Macht erobert als sie anzuwenden und zu gestalten – Autorithät beansprucht statt sie zu erwerben.

3. Stock links
6 Jahre her

+ hm….ich habe mir damals in den 70ern schon Gedanken gemacht, wieso Fahrräder in der Hausrat plötzlich separat zu versichern waren, weil zu viele sich über die Hausrat ein neues Rad gekauft hatten. Als dann die Versicherungsgesellschaften groß und immer größer wurden und das Leben nur noch mit AllianzSicher war, da habe ich gewußt, die Leutz glauben, **In diesem Staat kann Jeder auf Jedermanns Kosten leben** Dass es sich um die „MarkeMerkelMogelpackung“ MMM handelt, da war ich mir endgüldigg sischer, als ein kleener Mann von der Bütt rief: „Aber eins ist sischer – die Rendde!“ Da ich mittendrin, statt nur… Mehr

Chief Wiggum
6 Jahre her

Das Grundproblem der SPD liegt nicht darin, dass es keine sozialdemokratische Politik mehr bräuchte. Ganz im Gegenteil – in vielen drängenden Bereichen würde diesem Land eine wirklich sozialdemokratische Politik gut tun. Das Grundproblem der SPD liegt darin, dass sie eine solche nicht macht und auch gar nicht mehr anbietet. Die SPD ist in den letzten zwanzig Jahren zu einem ideologischen Wurmfortsatz der Grünen verkommen. Aufgabe einer Sozialdemokratie, die nach eigenem Selbstverständnis einmal die unteren 50 % der Bevölkerung vertreten sollte, wäre es gewesen, sich gegen das sinnfreie Verteilen deutscher Steuergelder an marode Südstaaten, damit diese weiterhin über ihre Verhältnisse leben… Mehr

Heinz Raschein
6 Jahre her

„Die Deutschen hassen politischen Streit.“ – Diesen Satz finde ich als Nachbar hochinteressant. Denn Politik besteht ja aus Debatten, die in der Hoffnung geführt werden, dass die besten Argumente sich durchsetzen. Ist nun „politischer Streit“ etwas anderes, Schlimmeres als Debatten? Wenn ja, worin unterscheiden sich die beiden Begriffe? Ist vielleicht das eine personen-, das andere sachbezogen? Dann würden „die Deutschen“ also Machtkämpfe hassen. Allerdings schienen die „Koalitionsverhandlungen“ keine Sachdebatten, sondern reine Machtkämpfe zu sein. Überhaupt neigt das rein parlamentarische System offensichtlich dazu, Sachdebatten zugunsten von endlosem Personalgeschwätz in den Hintergrund zu drängen. Wenn nein, wieso und inwiefern hassen „die Deutschen“… Mehr

Bernd Schreller
6 Jahre her
Antworten an  Heinz Raschein

Das ist ja die deutsche Krux. Jede/r, der/die den Deutschen verspricht/vorgauckelt, dass sich mit ihm/ihr nix aendert, wird gewählt. Auch, wenn das Gegenteil jedem halbwegs Vernunftbegabten ins Auge springen muss. Diese idiotische Harmoniesucht aus Angst vor jeglicher Veränderung oder Abneigung gegen jede auch nur etwas kontroverse Diskussion ist auch für einen Grossteil der eigentlichen Gruenwaehler der Grund, ‚Die Kanzlerin‘ zu wählen, die selbstverständlich auch die Räumlichen Gutmensch-Naivitaeten dieser Klientel zu bedienen und zum Machterhalt zu nutzen versteht. Die anderen ihrer Wähler glauben immer noch, dass sie nix tut und deshalb ungefährlich ist. Gerade in der ‚Flüchtlingskrise‘ bedeutet dies absichtliche Nixtun… Mehr

Heinz Raschein
6 Jahre her
Antworten an  Bernd Schreller

Was Sie hier beschreiben, ist eine griechische Tragödie; gerade dadurch, dass der Protagonist die ihm vorhergesagte, fatale Zukunft abzuwenden trachtet, führt er das Ergebnis der Vorhersage herbei (ausser Ödipus gibt es noch weitere Beispiele). Es gibt aber auch eine andere Gedankentradition, nämlich die des willentlichen Entrinnens aus der Tragödie. Das will heissen, dass es durch Willenskraft möglich ist, aus dem Tragödienmuster auszusteigen. Wenn ich bei meinen deutschen Bekannten Ihr Wort von „verängstigt“ durch das zutreffendere „feige“ ersetze, fauchen sie auf, wie von der Tarantel gestochen. Im ersten Moment führt das zu einer gewissen Feindseligkeit. Im zweiten zum Nachdenken, das spüre… Mehr