Folgt der Schwampel die Mugakel?

Gelingt es der SPD nicht, neu zu definieren, was linke Politik heute bedeutet, wird es nichts mit der Erneuerung. Dann aber würde die Koalition nicht lange halten. Hält die Koalition, gibt es keine Erneuerung, sondern das nächste Wahldesaster.

Das Bündnis der Wahlverlierer soll also weiter wursten. (Kein Tippfehler.) Es ist kein Wählerauftrag, sondern Wählerbetrug. Keine „staatsbürgerliche Verantwortung“, sondern postdemokratische Schande. Zu verdanken haben wir sie, sagen wir es offen, einem gewissen Herrn Steinmeier. Pardon: dem Herrn Bundespräsidenten. Der will Neuwahlen um jeden Preis verhindern. Der Herr Präsident misstraut den Bürgern. Er selbst ist von einer einzigen Bürgerin ausgesucht worden. Herr Steinmeier ist ein dankbarer Mann.

I.

Was ist geschehen? Wie immer, wenn es schwierig wird in der deutschen Politik, kommt die Moral ins Spiel. Hohle Talkshowsprüche verstopfen den Verstand. „Erst das Land, dann die Partei.“ Und dann diese unerträgliche, frömmelnde Folgsamkeit gegenüber dem Staatsoberhaupt. Staatsoberhaupt? Der ist doch kein Ersatzkaiser. Überparteilich? Ja, aber doch nicht Chef der Parteien, die jetzt nach seiner Pfeife tanzen. Die SPD lässt sich von ihm in ein Merkelrettungsbündnis treiben.

II.

Sinnlos zu hoffen, dass „Gespräche“, bei denen es nichts mehr zu sondieren gibt, sondern bloß noch zu sortieren, scheitern könnten. Merkel ist jetzt zu allem bereit. Außer dazu zu gehen. Was wäre, wenn die SPD genau dies zur Bedingung machte? Warum sollte sie das tun? Sie kriegt eine Kanzlerin von ihren Gnaden, hinter der nur noch die untote Union herum geistert.

III.

Wenn es der SPD nicht gelingt, neu zu definieren, was linke Politik heute bedeutet, wird es nichts mit der Erneuerung. Dann aber würde die Koalition nicht lange halten. Hält die Koalition, gibt es keine Erneuerung, sondern das nächste Wahldesaster.

IV.

Herr Özdemir sitzt im dunklen Anzug mit Krawatte bei Besserwisser Lanz. Man kann seinen Phantomschmerz geradezu greifen. Wie gern wär er jetzt Minischter. Am liebschten der des Alleräußerschten. Warum nix draus geworden ist? Weil die Liberalen eine Befreiungsaktion gewagt haben. Befreiung von der Deutschen liebsten Illusion: dem Friede-Freude-Eierkuchen-Konsens.

V.

Christian Lindner: Spielverderber, Sündenbock oder Hoffnungsträger? Ein Verdienst Lindners geht in der gegenwärtigen Debatte unter. Die FDP ist die einzige Partei, die eine politische Auseinandersetzung mit der AfD führt. Sie also nicht bloß ausgrenzt, sondern eine klare Alternative zur Alternative bietet. Und damit der leibhaftigen Alternativlosigkeit aus dem Sattel helfen wollte. Wer kämpft, darf Berührung nicht meiden.

VI.

Auch Seehofer sollte Lindner Blumen schicken. Statt dessen schreit er „Haltet den Dieb.“ Die CSU ist zwar „umgefallen“, aber das geht im Tohuwabohu unter. Seehofer sollte nicht vergessen, dass er oder sein Nachfolger, falls es einen geben sollte, als Ministerpräsident mit dieser FDP wird koalieren müssen. Oder kommt in Bayern Schwarz-Grün?

VII.

Die CDU konnte nicht mehr umfallen. Sie hatte sich bereits zu Boden geworfen. Man kennt die Übung vom Kotau an chinesischen Kaiserhöfen. Mit der Stirn wird der Boden berührt. Wie geht das, wenn man den Kopf schon abgegeben hat? Die CDU hat gar nicht sondiert, sondern von der ersten Minute an Koalitionsverhandlungen geführt. Es ging ihr nie darum, was sie mit diesem Land vorhat. Sie ersetzt Prinzipien schon länger durch eine Prinzipalin.

VIII.

Wenn es der CDU und der CSU nicht gelingt, zu definieren, was moderner Konservativismus ist, steht diese Partei bald am Abgrund. Aber wie soll das gelingen im Knebelvertrag mit den Sozialdemokraten? Anders gesagt: Wenn CDU/CSU nur noch dazu gut sind, Frau Merkel im Kanzleramt zu halten, wird niemand mehr wissen, weshalb man sie wählen soll, wenn es Frau Merkel nicht mehr gibt. Kann in der CDU niemand widersprechen, wenn Frau Merkel selbstherrlich erklärt, dass sie wieder kandidieren wird?

IX.

Die FDP sollte sich von den Gesäßideologen nicht irritieren lassen. Von einer „Haiderisierung“ (Prantl, SZ) kann keine Rede sein. Solange die Elite einer ehemals stolzen Volkspartei zum Klatschmarschkomitee degeneriert, bleibt rechts von ihr eben nicht nur für eine AfD Platz. Die FDP ist nicht nach rechts gerückt. Zwischen ihr und der AfD erstreckt sich nach wie vor ein weites Feld, das die orientierungslosen Unionsparteien preisgegeben haben.

X.

Auch die Mehrheit der deutschen Wähler könnte nach dem Verfall der großen Parteien ihre Hoffnungen an eine Person knüpfen wie Macron in Frankreich oder Kurz in Österreich. Also Lindner? Das Zeug dazu hätte er, wenn er jetzt die Oppositionsrolle konsequent nutzen würde. Was als erstes zu tun wäre, hat Fritz Goergen bei TE beschrieben.

XI.

Darf man träumen? Deutschland braucht keine liberale Partei mit mal mehr, mal weniger Kriegsglück. Es bräuchte eine liberale Bewegung. Sie würde sich nicht nur zu den anderen Parteien verhalten, sondern zuerst für sich stehen. Der Liberalismus (Freiheit vor Gleichheit, Individuum vor Staat, Vernunft vor Gesinnung) hatte es in Deutschland immer schwer. Die sogenannten Liberalen haben sich in der Geschichte öfter den Schneid abkaufen lassen, vor allem, weil sie glaubten, in der Mitte des Stroms schwimmen zu müssen. Mal waren sie Nationalisten, mal Turbokapitalisten.

XII.

Träume – und Albträume: Nach der Schwampel die Mugakel. Regieren, bis der Arzt kommt.


Wolfgang Herles ist Schriftsteller und (TV-) Journalist, er schrieb mehrere Romane und zahlreiche politische Sachbücher, zuletzt Die Gefallsüchtigen in dem er das Quotendiktat der öffentlich-rechtlichen Medien und den Populismus der Politik attackiert. Sie erhalten es in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop

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Kommentare ( 132 )

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ichdarfdas
6 Jahre her

sorry, aber eine „atmende Obergrenze“ a la Fohnhorst und Merkel ist keine Obergrenze sondern eine Dummpaorole für die Altersheimbewohner, die Merkel weiter wählen ( da sollen ja viele alte weiße Frauen drunter sein).

Stuber Marianne
6 Jahre her

Jetzt will Frau Nahles nichts mehr auf die Fresse geben und zusammen mit Frau Merkel watscheln . Denkt Frau Merkel nicht endlich daß sie gehen soll, man erträgt sie nicht mehr. Seehofer hat auch schon dementsprechende Angebote von der Raute bekommen. Wo haben diese Leute ihren Charakter gelassen.

Hugo C. Meier
6 Jahre her

Die Lösung des Führungsvakuums wäre so einfach und die ganzen Kopfstände, die hier vorgeführt werden, völlig unnötig, Merkel müsste nur zurücktreten. Dann wären alle bereit miteinander zu reden. D.h. das einzige Problem ist Merkel, also wo ist das Problem?

Cordt E. Carl
6 Jahre her

Ein liberaler TV.Sender hätte im Kampfgebiet wenige Freunde;
Das Potential, andrere krachend vorzuführen wäre nicht nur erfreuend, sondern befreiend,Und wer redet gut und belästigt Degenaraturen nicht über die Maßen? Alle wohl,

Gero Hatz
6 Jahre her

Chulz kann jetzt wirklich sozialdemokratische Beute machen. Mutti wird alles akzeptieren um an der Macht zu bleiben. So wird eine 20 % Partei allein die Politik bestimmen. Das Netzwerkgesetz kommt nicht in die Montagehalle sondern wird von Maas nochmal verschärft, denn wenn man mit nur 20% regiert, muss man schliesslich 80% potentielle Kritiker mundtot machen.

fred müller
6 Jahre her

Sehr gute Zusammenfassung, Herr Herles – nur Eins fehlt ! Der wirkliche Grund, warum Neuwahlen verhindert werden müssen. Man will um Alles in der Welt verhindern, dass die AfD weiter Zuwachs erhält. Die FDP bietet keine Alternative zu den „Ex-Volksparteien“ – hier geht es nur um Profilierungsspielchen zwischen Gelb und Grün. Die Konsens-Meister aus den wählertechnisch nicht gewollten Stillstandskoalitionen, mauscheln doch immer weiter, weil sie nicht begreifen wollen, dass der Bürger diese Politik nicht will. Und damit der Bürger nicht noch mehr erfährt, was er nicht wissen soll, wird im MSM und den social media zensiert was das Zeug hält.… Mehr

Ghost
6 Jahre her

Der Abschnitt I: gefällt mir ganz besonders.
Die SPD muss wissen, was sie will: eine beinharte Arbeit zur Selbstfindung beginnen oder wieder ein Anhängsel der Merkel-Partei werden. Letzteres würden die Wähler als Bestätigung der Unglaubwürdigkeit der SPD sehen, noch mehr SPD-Schäfchen würden sich abwenden.
Man wird den Eindruck nicht los: der Bundespräsident, der keine aktiv-politische Rolle spielen sollte, ist darauf aus, das obsolete, stark wurmstichige Politsystem mit seinen verkrusteten Machtstrukturen zu retten.

Matthias Losert
6 Jahre her

„Deutschland braucht keine liberale Partei mit mal mehr, mal weniger Kriegsglück.“ – Hr. W. Herles

Die biologische Evolution startete mit primitiven Einzellern und bildete immer höhere komplexere Bindungen. Wo endet die Entwicklung?
Das kommt darauf an; ob und wie die kulturelle Evolution, dass interevolutionäre Wachstumsrisiko löst!
Wenn die Lösung vom Liberalismus oder einer anderen Geisteshaltung kommt, ist irrelevant: ich lasse mich vom Neid auf das Kriegsglück leiten!

Wolfgang Wegener
6 Jahre her

Also, der Drops „Gro“ko ist noch lange nicht gelutscht. Da soll es doch eine Mitgliederbefragung geben? Wenn ich politisch meine Zukunft in der SPD noch vor mir hätte, würde ich strikt gegen eine Koalition mit der CDU votieren. Weg mit den alten, verbrauchten Säcken an der Spitze. Neuanfang!

Ralf Jörg
6 Jahre her

Willst du einen Menschen an seinem Charakter erkennen, so gib ihm Macht.
A. Lincoln

Die Schweiz macht es vor, sie nimmt Leuten wie Merkel Schröder die zum Größenwahnsinn neigen mit dem Volksentscheid große Machtbefugnisse weg.
Aber wie hat Axel Springer schon gesagt:
Der Deutsche möchte nicht nach der Arbeit noch Denken, dafür hat er die Bildzeitung.
Das Problem ist nicht Merkel oder ein anderer Politiker, das Problem ist dieses von Wohlstand abgestumpfte Volk.
Österreich schimpft nicht über ihre Politiker, sie schicken diese in die Wüste.